TE OGH 1989/11/7 10ObS316/89

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Veröffentlicht am 07.11.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst und Dr. Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christian Kleemann (Arbeitgeber) und Norbert Bartolomay (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ida S***, Volksschullehrerin, 8345 Straden, Waasen am Berg 25, vertreten durch Mag. Karl R***, Sekretär der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, 1010 Wien, Teinfaltstraße 7, dieser vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Feststellung von Versicherungszeiten, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Juni 1989, GZ 7 Rs 65/89-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 9. März 1989, GZ 33 Cgs 270/88-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Es wird festgestellt, daß die Klägerin zum 1. Juli 1988 folgende Versicherungsmonate erworben hat:

von August bis Oktober 1945 3 Beitragsmonate in der P*** DER A***;

von November 1950 bis Juni 1951 8 Ersatzmonate auf Grund des Besuchs einer mittleren Schule (§ 228 Abs 1 Z 3 iVm § 227 Abs 1 Z 1 ASVG);

von November 1951 bis Juni 1952 8 Ersatzmonate auf Grund des Besuchs einer mittleren Schule (§ 228 Abs 1 Z 3 iVm § 227 Abs 1 Z 1 ASVG);

von September 1981 bis Juli 1982 11 Beitragsmonate in der P*** DER A***;

von September 1982 bis Juni 1988 70 Beitragsmonate in der P*** DER A***;

von Mai bis Juli 1945, von November 1945 bis August 1950 und von August 1952 bis September 1953 39 Ersatzmonate in der Pensionsversicherung der in der Land- und Forstwirtschaft selbständig Erwerbstätigen gemäß § 107 Abs 1 Z 1 BSVG. Das Klagemehrbegehren auf Feststellung von weiteren 14 Versicherungsmonaten aus der Zeit von März 1944 bis April 1945 wird abgewiesen.".

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit 1.296,- S (darin 216,- S Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 25. November 1988 stellte die beklagte Partei fest, daß die Klägerin zum 1. Juli 1988 aus der Zeit von Mai 1945 bis Juni 1988 insgesamt 139 Versicherungsmonate erworben hat. Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage die Feststellung, daß sie außer den im Bescheid angeführten Versicherungszeiten noch weitere 14 Versicherungsmonate aus der Zeit von März 1944 bis April 1945 erworben hat. Sie sei in dieser Zeit auf Befehl einer "Ortskommandatur" im Stellungsbau eingesetzt gewesen. Die beklagte Partei wendete ein, daß durch diese Tätigkeit keine Ersatzzeiten erworben worden seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:

Die (am 11. April 1928 geborene) Klägerin wurde in der Zeit von März 1944 bis Ende April 1945 auf schriftlichen Befehl der Ortsparteileitung der NSDAP in ihrer Heimatgemeinde zum Stellungsbau einberufen. Sie nächtigte in einer Volksschule. Die Verpflegung wurde von der Wehrmacht zur Verfügung gestellt. Sie trug keine Uniform. Die Arbeitsanweisungen und Aufträge bekam sie vom Ortsgruppenleiter. Neben dem Stellungsbau mußte sie Decken nähen, Uniformen ausbessern udgl.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, daß die Tätigkeit der Klägerin weder als Kriegs- noch als Arbeitsdienst gewertet werden könne. Sie sei nicht durch einen Hoheitsakt einberufen worden, weil die Einberufung von der Parteileitung angeordnet worden sei. Unter Arbeitsdienst sei nur die Tätigkeit beim Reichsarbeitsdienst zu verstehen. Die Klägerin habe daher keine Ersatzzeiten nach den für sie allein in Betracht kommenden Tatbeständen des § 228 Abs 1 Z 1 lit a und c ASVG erworben. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die Klägerin habe nicht Kriegsdienst im Sinne des § 228 Abs 1 Z 1 lit a ASVG geleistet. Da dies nicht einmal bei Dienstleistungen bei den paramilitärischen Verbänden, wie der SA, der SS (ausgenommen die Waffen-SS), anzunehmen sei, könne der Kriegsdienst umsoweniger bei Dienstleistungen angenommen werden, die auf Anordnung und unter Aufsicht eines Ortsgruppenleiters der NSDAP erbracht wurden. Die Klägerin habe auch keinen dem Kriegsdienst gleichzuhaltenden Not- oder Luftschutzdienst geleistet. Ihre Dienstleistungen seien schließlich auch nicht in Erfüllung einer Arbeitsdienstpflicht nach § 228 Abs 1 Z 1 lit c ASVG erbracht worden, weil hierunter ausschließlich die Einziehung zur Dienstleistung beim Reichsarbeitsdienst falle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, es im Sinn des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Gemäß § 228 Abs 1 Z 1 lit a ASVG gelten als Ersatzzeiten Zeiten, in denen ein Versicherter, der am Stichtag (§ 224 Abs 2) die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, während des ersten oder zweiten Weltkrieges Kriegsdienst oder einen nach den jeweils in Geltung gestandenen Vorschriften dem Kriegsdienst für die Berücksichtigung in der Rentenversicherung gleichgehaltenen Not- oder Luftschutzdienst geleistet oder sich in Kriegsgefangenschaft befunden hat. Die Leistung von Kriegsdienst scheidet schon aus der Erwägung aus, daß die Klägerin nicht einem militärischen Befehlshaber unterstand. Von den anderen Tatbeständen käme nur der Notdienst in Betracht. Hiezu sprach der Oberste Gerichtshof aber schon in der Entscheidung SSV-NF 1/18 aus, daß die Leistung dieses Dienstes nur dann zum Erwerb von Versicherungszeiten führte, wenn er gemäß der Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938, dRGBl I 1441, geleistet wurde, und daß Notdienstleistungen im Sinn dieser Verordnung nur vorlagen, wenn sie von der hiezu ermächtigten Behörde gefordert wurden. Diese Behörden wurden gemäß § 2 der Verordnung vom Beauftragten für den Vierjahresplan im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Inneren bestimmt. Sie ergeben sich aus der Bekanntmachung vom 8. Juli 1939, dRGBl I 1204 (GlBlÖ 1939/825). Die Organe der NSDAP und insbesondere deren Ortsgruppenleiter gehörten nicht dazu. Es ist daher entgegen der Meinung der Klägerin nicht entscheidend, ob ihre Dienstleistungen inhaltlich den auf Grund der Notdienstverordnung zu erbringenden Dienstleistungen entsprachen, weil die formellen Voraussetzungen für die Anwendung dieser Verordnung nicht vorlagen. War dies nicht der Fall, konnten die Dienstleistungen nicht zum Erwerb von Ersatzzeiten nach § 228 Abs 1 Z 1 lit a ASVG führen.

Gemäß § 228 Abs 1 Z 1 lit c ASVG gelten als Ersatzzeiten Zeiten, in denen ein Versicherter, der am Stichtag (§ 223 Abs 2) die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, eine Wehr- oder Arbeitsdienstpflicht nach den jeweils in Geltung gestandenen Vorschriften erfüllt hat, wenn ihnen eine Beitrags- oder Ersatzzeit vorangeht oder nachfolgt. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung reicht es entgegen der Ansicht der Klägerin auch hier nicht aus, daß der Inhalt der ausgeführten Tätigkeit dem Inhalt einer Tätigkeit entsprach, die im Rahmen einer durch eine Rechtsvorschrift angeordneten Wehr- oder Arbeitsdienstpflicht zu verrichten war. Auch hier ist formelle Voraussetzung wieder, daß die Pflicht zur Verrichtung der Tätigkeit auf Grund eines Gesetzes oder einer ihm gleichgestellten Norm bestand. Dies ist im Fall der Klägerin aber nicht hervorgekommen und auch nicht anzunehmen. Daß sich die Klägerin auf Grund der damals herrschenden tatsächlichen (und nicht rechtlichen) Verhältnisse der Erfüllung der Aufgabe nicht entziehen konnte, reicht nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht aus.

Die Tatbestände des § 228 Abs 1 Z 1 lit a und c ASVG können entgegen der Meinung der Klägerin auch nicht analog auf die von ihr verrichteten Tätigkeiten angewendet werden. In den angeführten Bestimmungen wird ausdrücklich ein Zusammenhang zwischen den vom Versicherten erbrachten Dienstleistungen und bestimmten Rechtsvorschriften verlangt. Daß Dienstleistungen, bei denen dieser Zusammenhang nicht besteht, von der Regelung nicht erfaßt sind, bildet daher keine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes, die aber Voraussetzung für die von der Klägerin gewünschte Analogie wäre (SZ 57/194 ua).

Die Vorinstanzen sind daher zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin keine Ersatzzeiten gemäß dem hier allein in Betracht kommenden § 228 Abs 1 Z 1 lit a oder c ASVG erworben hat. Sie haben jedoch übersehen, daß der Bescheid der beklagten Partei durch die Einbringung der Klage gemäß § 71 Abs 1 ASGG außer Kraft trat, weshalb jedenfalls der Erwerb der im Bescheid festgestellten Versicherungszeiten festzustellen gewesen wäre (SSV-NF 1/52). Dies war auf Grund der Revision der Klägerin nachzuholen. Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

Anmerkung

E19396

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00316.89.1107.000

Dokumentnummer

JJT_19891107_OGH0002_010OBS00316_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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