TE OGH 1989/11/7 4Ob599/89

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Veröffentlicht am 07.11.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 19. März 1983 geborenen Marianne C***, infolge Revisionsrekurses der Mutter Jelena C*** gegen den Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien als Rekursgericht vom 1. September 1989, GZ 22 R 18/89-23, womit der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 16. März 1989, GZ 13 P 125/88-20, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit Beschluß vom 14. September 1988 (ON 9) ordnete das Erstgericht hinsichtlich der am 19. März 1983 geborenen Marianne C*** die gerichtliche Erziehungshilfe durch Heimunterbringung und anschließende Unterbringung bei Pflegeeltern an. Die Minderjährige war von ihrem Vater mehrmals geschändet worden und bedurfte zur Bekämpfung der dadurch hervorgerufenen Irritationen intensiver kundiger Betreuung außerhalb der Familie, zu der die - einfach strukturierte, den Sinn derartiger Maßnahmen leugnende - Mutter nicht in der Lage war. Die Minderjährige lebte sich bei den Pflegeeltern zunächst zufriedenstellend ein, begann jedoch zunehmend über ihr früheres Sexualleben mit dem Vater zu erzählen und wurde auf sexuellem Gebiet immer auffallender. So forderte sie den Pflegevater auf, mit ihr die gleichen sexuellen Spiele zu spielen, die ihr leiblicher Vater mit ihr gespielt hatte. Hierauf entschlossen sich die Pflegeeltern im Interesse ihrer leiblichen Tochter, die Minderjährige wieder zurückzugeben; die Minderjährige kam zunächst zur psychologischen Beobachtung in das Julius Tandler-Heim und anschließend in das Kinderheim Pitten, wo die erforderliche therapeutische Behandlung möglich ist. Mit Beschluß vom 16. März 1989 (ON 20) genehmigte das Erstgericht auf Antrag des Bezirksjugendamtes die angeführten, im Rahmen der gerichtlichen Erziehungshilfe vorgenommenen Maßnahmen und wies den Antrag der Mutter, die Minderjährige in ihre Pflege und Erziehung einzuweisen, ab.

Mit dem angefochtenen Beschluß bestätigte das Rekursgericht diese pflegschaftsbehördlichen Maßnahmen des Erstgerichtes. Der bei der Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe gegen den Willen der Erziehungsberechtigten gemäß § 26 Abs.1 JWG erforderlich gewesene Erziehungsnotstand sei zweifellos vorgelegen. Die Mutter sei nicht in der Lage gewesen, die Minderjährige vor dem sexuellen Mißbrauch durch den Vater zu schützen; damit habe sie aber auch ihre Pflichten als Mutter nicht erfüllt. Auf ein Verschulden komme es dabei nicht an. Auch jetzt sei noch eine Gefährdung der persönlichen Entwicklung der Minderjährigen zu besorgen, weil die Mutter die aus der besonderen Lage des Kindes erforderliche Hilfe noch immer nicht gewähren könne. Die mit Beschluß vom 14. September 1988 (ON 9) getroffene Maßnahme gelte gemäß Art. VI § 9 KindRÄG BGBl. 1989/162 als Verfügung gemäß § 176 a ABGB idF dieses BG. Sei danach das Wohl des Kindes gefährdet und deshalb die gänzliche Entfernung aus seiner bisherigen Umgebung gegen den Willen der Erziehungsberechtigten notwendig, eine Unterbringung der Verwandten oder anderen geeigneten nahestehenden Personen aber nicht möglich, so habe das Gericht die Obsorge für das Kind dem Jugendwohlfahrtsträger ganz oder teilweise übertragen; der Jugendwohlfahrtsträger dürfe deren Ausübung Dritten übertragen. Der vorliegende Sachverhalt rechtfertige die vom Pflegschaftsgericht getroffenen Maßnahmen. Mit der nicht begründeten Behauptung, die getroffenen Feststellungen entsprächen nicht der Wahrheit, sei die Mutter auf die unbedenklichen Berichte des Jugendwohlfahrtsträgers zu verweisen. Daß der Vater derzeit in Haft sei, rechtfertige die Rückführung der Minderjährigen in den Haushalt der Mutter nicht, weil diese die angeordneten Erziehungshilfemaßnahmen auch durch eigenes Verhalten erforderlich gemacht habe.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß von der Mutter erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig. Gegen bestätigende Beschlüsse ist in Außerstreitsachen der Revisionsrekurs nur im Fall einer offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität zulässig. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liegt nur dann vor, wenn ein Fall im Gesetz ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann, trotzdem aber eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wird (SZ 39/103 uva), wenn die Entscheidung mit den Grundprinzipien des Rechtes im Widerspruch steht (SZ 23/289 uva) oder keinerlei gesetzliche Deckung hat (SZ 41/109 uva) oder die Entscheidungsgrundlagen unzureichend sind (RZ 1937, 378). Nach den maßgebenden Feststellungen, an die der Oberste Gerichtshof gebunden ist, besteht der zum Zeitpunkt der Anordnung gerichtlicher Erziehungshilfe gegebene Erziehungsnotstand weiter fort. Die Mutter ist mangels entsprechender Ausbildung nicht in der Lage, die erforderlichen therapeutischen Maßnahmen selbst zu treffen; der Erfolg solcher Maßnahmen wäre durch eine Rückführung des Kindes in den Haushalt der Mutter gefährdet. Die vom Erstgericht bewilligten Maßnahmen der gerichtlichen Erziehungshilfe waren durch die zur Zeit seiner Beschlußfassung noch geltenden Bestimmungen (§§ 9, 26 JWG BGBl. 1954/99) gedeckt. Die Rechtsansicht des Rekursgerichtes, daß die gerichtliche Anordnung einer Erziehungsmaßnahme nach dem bisherigen Jugendwohlfahrtsrecht als Verfügung nach § 176 ABGB, ist aber das Kind dadurch gänzlich aus seiner bisherigen Umgebung entfernt worden, als Verfügung nach § 176 a ABGB idF des KindRÄG gilt, entspricht der ausdrücklichen Übergangsbestimmung in Art. VI § 9 KindRÄG. Gemäß § 176 a ABGB idF des KindRÄG hat das Pflegschaftsgericht die Obsorge für das Kind dem Jugendwohlfahrtsträger ganz oder teilweise zu übertragen und darf der Jugendwohlfahrtsträger deren Ausübung Dritten übertragen, wenn das Wohl des Kindes gefährdet und deshalb die gänzliche Entfernung aus seiner bisherigen Umgebung gegen den Willen der Erziehungsberechtigten notwendig, seine Unterbringung bei Verwandten oder anderen geeigneten nahestehenden Personen aber nicht möglich ist. Auch diese zum Zeitpunkt der Entscheidung des Rekursgerichtes bereits in Kraft stehende Bestimmung ermöglicht - wenngleich es nunmehr keine gerichtliche Erziehungshilfe und Fürsorgeerziehung mehr gibt - Obsorgeentscheidungen und Maßnahmen der vorliegenden Art gegen den Willen der Erziehungsberechtigten. Eine vom Pflegschaftsgericht nach § 176 a ABGB zu bewilligende Maßnahme liegt nämlich auch dann vor, wenn der Antrag eines Erziehungsberechtigten, ihm das Kind unter Aufhebung einer entgegenstehenden Maßnahme wieder in die Obsorge zu übergeben, mangels der Voraussetzungen hiefür abgewiesen wird. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit ist daher nicht gegeben.

Auch eine begangene Nichtigkeit ist nicht zu sehen. Die Erziehungsberechtigten sind vom Pflegschaftsgericht gehört worden; auch sonst vermag die Rechtsmittelwerberin keinen erheblichen Verfahrensverstoß im Sinne des § 16 AußStrG aufzuzeigen. Aus den dargelegten Gründen war der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter zurückzuweisen.

Anmerkung

E18837

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0040OB00599.89.1107.000

Dokumentnummer

JJT_19891107_OGH0002_0040OB00599_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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