TE OGH 1989/11/8 9ObA294/89

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Veröffentlicht am 08.11.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Jeitschko und Mag. Wilhelm Patzold als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Helga L***, medizinisch-technische Assistentin, Leonding, Bachweg 5, vertreten durch Mag. Kurt Hemmer, Leitender Sekretär der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, Linz, Volksgartenstraße 40, dieser vertreten durch Dr. Alfred Eichler, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei S*** L*** verteten durch Dr. Walter Rinner, Rechtsanwalt in Linz, wegen Feststellung (Streitwert S 6.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20.Juli 1989, GZ 13 Ra 53/89-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. März 1989, GZ 13 Cga 44/89-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 1.977,60 (darin S 329,60 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat die den Gegenstand des Verfahrens bildende Frage, ob die Klägerin auf Grund langjähriger Übung einen Anspruch auf Zeitausgleich für Überstunden in Analogie zur Höhe des Überstundenentgelts erworben hat, zutreffend gelöst. Es reicht daher aus, auf die insoweit richtige Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist zu den Einwänden der Revisionswerberin, die im wesentlichen einen Vertretungsmangel des Magistratsdirektors und das Vorliegen einer durch rund 33 Jahre aufrechterhaltenen bloßen (unrichtigen) Wissenserklärung geltend macht, auszuführen, daß diesen Einwänden im vorliegenden Fall zufolge der mangelnden Relevierung in erster Instanz keine entscheidende Bedeutung zukommen kann.

Die Klägerin stützt ihren vertraglichen Anspruch auf Zeitausgleich für Überstunden im Verhältnis 1 : 1,5 auf eine gegenüber sämtlichen Bediensteten der Beklagten seit 1955 und ihr gegenüber seit ihrem Eintritt im Jahre 1970 eingehaltene jahrelange vorbehaltlose Übung. Die Beklagte wendete im wesentlichen lediglich ein, daß eine derartige konkludente Vereinbarung nicht zustande gekommen sein könne, da das Ausmaß der von der Klägerin erbrachten Überstunden im Jahre 1988 äußerst gering gewesen sei. Die Überstunden seien weder ausdrücklich angeordnet noch dienstlich erforderlich gewesen. Soweit die Klägerin im Jahr 1988 tatsächlich 26 Überstunden geleistet habe, könne daraus rechtlich nichts abgeleitet werden. Im übrigen stellte die Beklagte aber außer Streit, daß auf Grund einer Verfügung ihrer Magistratsdirektion aus dem Jahr 1955 im gesamten Bereich der Beklagten sämtliche Überstunden, die gegen Zeitausgleich geleistet wurden, tatsächlich stets im Verhältnis 1 : 1,5 abgegolten worden seien. Allfällige Behauptungen darüber, daß etwa zur Frage des Vergütungsverhältnisses ein Vollmachtsmangel vorgelegen sei oder daß die Magistratsdirektion seinerzeit lediglich eine Rechtsansicht geäußert habe, wurden von der qualifiziert vertretenen Beklagten in erster Instanz gar nicht aufgestellt.

Einem Eingehen auf die in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen steht sohin entgegen, daß es mangels diesbezüglicher Behauptungen in erster Instanz an jeglichem dafür sprechenden Tatsachensubstrat fehlt. Eine über 30 Jahre lang eingehaltene Übung in der Handhabung des Zeitausgleichs für Überstunden ist im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und auf den Vertrauensschutz der Arbeitnehmer in ihren Wirkungen nicht der Schutzwürdigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts hinsichtlich eines "organisationswidrigen" Rechtsgeschäftes gleichzuhalten (vgl. Rummel in Rummel, ABGB § 867 Erl. 4). Selbst wenn die Verfügung der Magistratsdirektion der Beklagten vom 22. Juli 1955 betreffend die Regelung hinsichtlich der Abgeltung von Überstundenleistungen von einem hiezu nicht ermächtigten Organ der Stadt Linz erlassen worden wäre, ist der Arbeitnehmer als Dritter, der die an alle Dienststellenleiter der Stadtverwaltung gerichtete "Regelung" gar nicht kennen mußte, in seinem Vertrauen auf den äußeren Tatbestand, insbesondere dann zu schützen, wenn das kompetente Organ - im Wege einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht - den Anschein erweckt hat, daß diese Regelung durch seine Beschlußfassung gedeckt ist (JBl. 1962, 197; Eccher-Purtscheller, Zur Gültigkeit privatrechtlicher Verträge juristischer Personen des öffentlichen Rechts, JBl. 1977, 561 ff insbesondere 570, wonach auch eine Vernachlässigung der Kontrollpflichten durch das zuständige Organ zur Begründung der Duldungsvollmacht führen kann; ferner Wilhelm, Die Vertretung der Gebietskörperschaften im Privatrecht, 125; derselbe, Vertretung von Gebietskörperschaften und organschaftliche Vertretungsmacht und deren Übertragung, ÖJZ 1983, 181; Rummel aaO Rz 9; auch W. Schwarz, RdW 1989, 40; 9 Ob A 251/89 betreffend die regelmäßige Gewährung eines Wirtschaftstages ua). Insoweit wäre entgegen der Ansicht der Revisionswerberin auch ein bloß passives Verhalten des Gemeinderates beachtlich. Eine derart überaus lange geübte Praxis für den gesamten Bereich der Beklagten hätte auch dem nach Ansicht der Revisionswerberin zuständigen Organ der Beklagten auf die Dauer nicht verborgen bleiben können. Eine Behauptung in erster Instanz, daß der Gemeinderat der Beklagten mit dieser Regelung nicht befaßt worden sei oder daß ihm diese alle Bediensteten betreffende Regelung entgegen seiner Pflicht zur Oberaufsicht (§ 43 Abs. 1 Z 2 des Statuts für die Landeshauptstadt Linz, LGBl. 1965/46 idF der Wiederverlautbarung LGBl. 1980/10) nicht bekannt geworden sei, fehlt. Abgesehen davon, daß auch Wissenserklärungen unter Umständen einen dem Arbeitgeber zuzurechnenden Vertrauenstatbestand schaffen können (vgl. Bydlinski, Willens- und Wissenserklärungen im Arbeitsrecht, ZAS 1976, 83 ff, insbesondere 130 ff; Arb. 9.575 ua), besteht mangels gegenteiliger Behauptungen und Feststellungen kein Zweifel, daß die über einen so überaus langen Zeitraum erfolgte regelmäßige und vorbehaltlose Gewährung einer bestimmten Art von Zeitausgleich - gerade auch im Hinblick auf die verschiedenen Auffassungen über die Ermittlung des Freizeitausgleichs (vgl. ZAS 1985/3) - eine Übung begründete, die den Willen der Beklagten, sich diesbezüglich auch für die Zukunft zu verpflichten, eindeutig zum Ausdruck brachte. Entscheidend ist dabei, welchen Eindruck die Arbeitnehmer von diesem Verhalten der Beklagten haben mußten, auf das Vorhandensein eines Erklärungswillens kommt es nicht an (DRdA 1989/2 mwH). Da die Klägerin dieser Übung schlüssig (§ 863 ABGB) zustimmte, wurde diese Art der Gewährung von Zeitausgleich Inhalt ihres Arbeitsvertrages, den die Beklagte nicht einseitig ändern kann.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

Anmerkung

E19333

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBA00294.89.1108.000

Dokumentnummer

JJT_19891108_OGH0002_009OBA00294_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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