TE OGH 1989/11/15 1Ob698/89

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Veröffentlicht am 15.11.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ingeborg P***, Angestellte, Edelhofgasse 9/16, 1180 Wien, vertreten durch Dr. Gerd Hartung und Dr. Hildegard Hartung, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Paul O***, Hochschüler, Edelhofgasse 8/9, 1180 Wien, vertreten durch Dr. Katharina Rueprecht, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 21.Juni 1989, GZ 41 R 326/89-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 28.Dezember 1988, GZ 4 C 978/88-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 14.915,51 bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin S 1.554,41 Umsatzsteuer und S 2.104 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem als "Wohnungsuntermietvertrag" und "Ausbildungsvertrag" überschriebenen Vertrag vom 1.März 1987 vermietete die Klägerin die im Haus 1180 Wien, Edelhofgasse 9, im zweiten Stock gelegene Wohnung Nr. 9 dem Beklagten gegen einen monatlichen Mietzins von S 2.700. Das Bestandverhältnis sollte am selben Tag beginnen und ohne weitere Aufkündigung am 28.Februar 1988 enden.

Die Klägerin begehrte mit ihrer mit 15.April 1988 datierten und am 20.April 1988 beim Erstgericht eingelangten Klage die Verurteilung des Beklagten zur Räumung der Wohnung. Er habe zugesichert, einem gerichtlichen Räumungsvergleich mit Räumungstermin 31.Dezember 1988 zuzustimmen, habe diese Zusage aber nicht eingehalten.

Der Beklagte wendete vor allem ein, der Mietvertrag sei stillschweigend erneuert worden und gelte daher als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen.

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren statt. Es stellte fest:

Die Klagevertreterin habe von der Klägerin den strikten Auftrag gehabt, die Klage einzubringen, doch sei ein Erscheinen zu einem Räumungsvergleich, dem der Beklagte bereits zugestimmt hatte, nicht möglich gewesen, da er sich in Spitalspflege befunden habe. Der Beklagte habe sich zum "angegebenen" Räumungstermin einer Meniskusoperation unterziehen müssen. Deshalb sei ihm zugestanden worden, daß der Räumungsvergleich nach Ostern 1988 abgeschlossen werde. Die Tagsatzung, bei der der in Aussicht genommene Räumungsvergleich hätte abgeschlossen werden sollen, sei vom Gericht auf den 19.April 1988 anberaumt worden. Am 15.April 1988 habe der Beklagte der Klägerin fernmündlich mitteilen lassen, er sehe keine Veranlassung zum Abschluß eines Räumungsvergleiches. Dem Beklagten sei von der Klagevertreterin unmißverständlich mitgeteilt worden, daß eine Verlängerung des Bestandverhältnisses nicht in Frage komme; lediglich die im Räumungsvergleich vorgesehene Frist sei zwischen den Streitteilen erörtert worden.

Das Berufungsgericht wies das Räumungsbegehren ab und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes zwar S 15.000, nicht aber S 300.000 übersteige und die Revision unzuläsig sei. Der Beklagte habe die Formulierung: "Zum angegebenen Räumungstermin mußte sich der Beklagte einer Meniskusoperation unterziehen, lag im Spital ..."

zwar mit Recht als aktenwidrig gerügt, doch sei diese Wendung so zu verstehen, daß das Erstgericht damit offenbar das Ende der Frist des § 569 ZPO, bezogen auf den Endtermin des Mietvertrages, gemeint habe; das ergebe sich aus den Darlegungen zur Beweiswürdigung, worin das Erstgericht davon ausgegangen sei, daß der Beklagte am 9. März 1988 operiert und deshalb "die Räumungsklage nicht unverzüglich eingebracht" worden sei. In diesem Sinn sei auch der Zeitpunkt zu verstehen, zu welchem dem Beklagten ein Räumungsvergleich nach Ostern 1988 (= 3./4.April 1988) zugestanden worden sei. Gleichfalls im Zusammenhalt mit der Beweiswürdigung sei die weitere Formulierung in den Feststellungen: "Die Klagevertreterin hatte von der Hauseigentümerin den strikten Auftrag, die Klage einzubringen ...." derart zu verstehen, daß der Klagsauftrag erst nach dem 15.April 1988 erteilt worden sei. Zur Rechtsrüge führte das Gericht zweiter Instanz aus, der Vertrag sei befristeter Hauptmietvertrag im Sinne des § 29 Abs 1 Z 3 lit c MRG. Ein solches Mietverhältnis werde stillschwiegend erneuert, wenn der Bestandnehmer die Bestandsache weiterbenütze und der Bestandgeber es dabei bewenden lasse (§ 1114 ABGB). Nach der widerleglichen Rechtsvermutung des § 569 ZPO sei eine solche Verlängerung dann anzunehmen, wenn nicht binnen 14 Tagen die Klage auf Zurückstellung seitens des Bestandgebers eingebracht worden sei. Diese Vermutung werde auch durch jeden anderen Vorgang widerlegt, mit dem ein Vertragsteil seinen Willen, den Vertrag nicht fortzusetzen, innerhalb von 14 Tagen nach Ablauf der Bestandzeit unzweideutig zum Ausdruck bringe. Die Räumungsklage habe die Klägerin nicht fristgerecht eingebracht. Sie habe dem Beklagten vielmehr innerhalb der Frist einen Räumungsvergleich zugestanden, worauf dieser das Bestandobjekt weiterbenützt habe. Angesichts der in Aussicht genommenen Räumungsfrist von 10 Monaten könne der Klägerin eine ernstliche Ablehnung der Vertragserneuerung nicht unterstellt werden. Es bestünden ernsthafte Zweifel an ihrer Entschlossenheit, die Erneuerung mit allen rechtlich möglichen Mitteln zu verhindern. Habe der Bestandgeber innerhalb der Frist des § 569 ZPO dem Bestandnehmer gegenüber nicht unzweideutig erklärt, das Bestandverhältnis keinesfalls fortzusetzen, so komme es nicht darauf an, ob der Bestandgeber den Willen zur Vertragserneuerung habe oder nicht. Da eine stillschweigende Erneuerung anzunehmen sei, liege keine titellose Benützung vor; die Klägerin könne nur bei Vorliegen wichtiger Gründe im Sinne des § 30 Abs 2 MRG das Bestandverhältnis gerichtlich aufkündigen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig, weil zur Frage, ob die Rechtsvermutung des § 1114 dritter Satz ABGB auch dadurch widerlegt werde, wenn sich der Mieter unmittelbar vor dem vereinbarten gerichtlichen Termin zum Abschluß eines Räumungsvergleichs plötzlich auf stillschweigende Vertragserneuerung beruft und der Vermieter darauf unverzüglich die Räumungsklage einbringt, Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlt; die Revision ist auch berechtigt. Nach dem vom Berufungsgericht unbekämpft gedeuteten Feststellungen des Erstgerichtes schlug die Klägerin innerhalb der 14-tägigen Frist des § 569 ZPO dem Beklagten dessen Ansinnen auf Verlängerung der Vertragsdauer ab, stellte ihm aber einen Räumungsvergleich mit längerer Frist in Aussicht. Sie gestand ihm zu, daß der grundsätzlich auch von ihm akzeptierte gerichtliche Vergleich mit einem Räumungstermin 31.Dezember 1988 erst nach Ostern 1988 abgeschlossen werden sollte, weil sich der Beklagte einer Meniskusoperation zu unterziehen hatte. Als er in der Folge vom Termin des vereinbarten Vergleichsabschlusses verständigt wurde, teilte er der Klagevertreterin überraschend mit, er sehe keine Veranlassung zu einem Räumungsvergleich mehr, weil das Bestandverhältnis bereits auf unbestimmte Zeit verlängert sei. Das Berufungsgericht hat zwar die Rechtsprechung zur stillschweigenden Vertragserneuerung richtig wiedergegeben, aber aus dem dargestellten Sachverhalt unzutreffende rechtliche Schlußfolgerungen gezogen. Bei Bestandverträgen mit unbedingtem Endtermin kommt es gemäß § 1114 dritter Satz ABGB zur stillschweigenden Erneuerung, wenn der Bestandnehmer die Bestandsache weiterbenützt und der Bestandgeber es dabei bewenden läßt. Hiezu stellt § 569 ZPO die widerlegliche Rechtsvermutung auf, daß eine solche Verlängerung dann anzunehmen ist, wenn nicht binnen 14 Tagen eine Klage - ua - auf Zurückstellung seitens des Bestandgebers eingebracht wurde. Nach ständiger Rechtsprechung (MietSlg 38.810/39, 39.152 ua; vgl Würth in Rummel, ABGB, § 1114 Rz 4; Würth-Zingher, Miet- und Wohnrecht § 29 MRG Rz 5) wird diese Rechtsvermutung nicht nur durch die im § 569 ZPO vorgesehene Klage, sondern auch durch jeden anderen Vorgang, mit dem ein Vertragsteil seinen Willen, den Vertrag nicht fortzusetzen, innerhalb von 14 Tagen nach Ablauf der Bestandzeit unzweideutig zum Ausdruck bringt, widerlegt. Der Wille, die Erneuerung des Vertrages zu verhindern, muß durch für den anderen Vertragsteil deutlich erfaßbare Erklärungen oder sonstige Schritte, die objektiv keinen Zweifel an der Ablehnung der Vertragserneuerung und der Entschlossenheit, die Erneuerung notfalls mit allen von der Rechtsordnung an die Hand gegebenen Mitteln hintanzuhalten, zum Ausdruck gelangen (MietSlg 39.152 ua; Würth-Zingher aaO). Gerade das hat die Klägerin getan, als der Beklagte an sie herantrat, um sie zu einer Vertragsverlängerung zu bewegen. Sie machte ihm sofort klar, daß eine Vertragsverlängerung nicht in Frage komme, und fand sich lediglich dazu bereit, mit ihm einen Räumungsvergleich mit längerer Frist abzuschließen. Nur weil der Beklagte damit einverstanden war, sah sich die Klägerin zu einer Räumungsklage noch nicht veranlaßt und war angesichts der bevorstehenden Operation des Beklagten sogar einverstanden, den gerichtlichen Vergleichstermin kurzfristig hinauszuschieben und dem Beklagten einen Termin (kurz) nach Ostern 1988 zuzugestehen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes war der Beklagte bei dieser Sachlage keinerlei Zweifeln darüber ausgesetzt, daß die Klägerin nicht gewillt war, den Vertrag zu erneuern, sondern sich nur aus Entgegenkommen zu einem Räumungsvergleich bereitfand; an der Ernstlichkeit ihres Entschlusses kann auch die in Aussicht genommene Räumungsfrist nichts ändern, weil die Klägerin - wie sie in der Revision zu Recht hervorhebt - auch bei sogleich erhobener Räumungsklage kaum eher einen durchsetzbaren Räumungstitel hätte erwirken können. Da sich der Beklagte mit dem Räumungsvergleich grundsätzlich einverstanden erklärt hatte, war die Klägerin zwecks Widerlegung der Rechtsvermutung des § 569 ZPO nicht zur Einbringung der Räumungsklage innerhalb der 14-tägigen Frist nach dem unbedingten Endtermin genötigt; durch den (prätorischen) Vergleich sollte gerade der sonst notwendige Rechtsstreit vermieden werden, so daß die Klägerin mit ihrer Vorgangsweise nicht zuletzt vor allem den Interessen des Beklagten entgegenkam. Es ist in Rechtsprechung und Lehre anerkannt, daß jedes Schuldverhältnis die Verpflichtung zu einem Verhalten, wie es unter redlich und loyal denkenden Vertragspartnern erwartet werden kann, begründet; auch die Erfüllung, Durchführung und Abwicklung von Verträgen hat nach der Übung des redlichen Verkehrs und nach den über die Pflichten zur Wahrung der guten Sitten hinausgehenden Anforderungen von Treu und Glauben zu erfolgen (SZ 60/50 mwN uva). Das gilt auch für das Verhalten bei Beendigung eines Bestandverhältnisses. Das Verhalten des Beklagten, der die Klägerin zunächst veranlaßte, von der beabsichtigten Einbringung einer Räumungsklage abzusehen, weil der Beklagte ohnehin gewillt war, einen (für ihn günstigen) Räumungsvergleich abzuschließen, um sich dann auf eine stillschweigende Verlängerung des Bestandverhältnisses zu berufen, widersprach kraß den geforderten Loyalitätsgrundsätzen und darf von den Gerichten nicht honoriert werden. Nach Erkennen des treuwidrigen Verhaltens des Beklagten hat die Klägerin aber ohnehin sofort die Einbringung der Räumungsklage veranlaßt.

Das erstgerichtliche Urteil ist wiederherzustellen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E19191

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0010OB00698.89.1115.000

Dokumentnummer

JJT_19891115_OGH0002_0010OB00698_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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