TE OGH 1989/11/28 2Ob133/89

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Veröffentlicht am 28.11.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*** DER Ö*** B***, Versicherungs-Aktiengesellschaft,

1020 Wien, Praterstraße 1-7, vertreten durch Dr. Ernst Üblacker-Risenfels, Rechtsanwalt in Amstetten, wider die beklagte Partei Erna H***, Hausfrau, 4300 St. Valentin, Wiener Straße 13, vertreten durch Dr. Peter Krömer, Rechtsanwalt in St. Pölten, als Verfahrenshelfer, wegen S 1,601.020,59 s.A. und Feststellung (Streitwert S 10.000,-), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 12. Juli 1989, GZ 17 R 117/89-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 23. Jänner 1989, GZ 1 Cg 469/87-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 18.721,80 (darin keine Barauslagen und S 3.120,30 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 13. Juli 1981 ereignet sich in St. Valentin auf der Bundesstraße 1 gegen 15,30 Uhr ein Verkehrsunfall, bei dem die Tochter der Beklagten, die mj. Isabella H***, geboren 23. Mai 1979, von dem von Gottfried W*** gelenkten, von der

N*** T*** in Tulln

gehaltenen und bei der Klägerin haftpflichtversicherten LKW Mercedes mit dem polizeilichen Kennzeichen N 379.816 niedergestoßen und schwer verletzt wurde.

In dem zu U 425/81 des Bezirksgerichts Haag wegen dieses Unfalles durchgeführten Strafverfahren wurden sowohl der LKW-Lenker W*** als auch die Beklagte von dem wider sie erhobenen Strafantrag wegen Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 Abs 4 StGB freigesprochen.

Zu 28 Cg 68/85 des Erstgerichts klagte die mj. Isabella H*** den Lenker W***, den Halter des LKWs und die hier klagende Partei als Haftpflichtversicherer auf Bezahlung von Schmerzengeld und Feststellung der Haftung für künftige Unfallschäden. Die Klage wurde zunächst abgewiesen, letztlich bestätigte der Oberste Gerichtshof die Abweisung der Klage gegen den LKW-Lenker, da diesen kein Mitverschulden treffe. Hinsichtlich des Fahrzeughalters und der Klägerin im vorliegenden Verfahren wurde ausgesprochen, daß den beiden Parteien der Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG nicht gelungen sei. Im zweiten Rechtsgang wurde Isabella H*** ein Schmerzengeld von S 1,000.000,-, sowie eine Verunstaltungsentschädigung von S 160.000,- zugesprochen und die Haftung der Beklagten für künftige Schäden aus dem Unfall ausgesprochen. Dieses Urteil wurde rechtskräftig.

Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin im Regreßweg den Ersatz der von ihr erbrachten Leistungen auf Grund des Vorprozesses (Schmerzengeld, Prozeßkosten, Behandlungskosten und Pflegekosten) und brachte vor, die Beklagte habe die Aufsichtspflicht gegenüber ihrer mj. Tochter vernachlässigt, indem sie zugelassen habe, daß das damals etwas mehr als zweijährige Mädchen vom Garten des Wohnhauses auf die Bundesstraße 1 gelangt sei, wodurch es zum Unfall habe kommen können. Die Betriebsgefahr des LKWs könne bei Gegenüberstellung des Verschuldens der Beklagten zur Gänze vernachlässigt werden, weshalb die Klägerin vollen Regreß begehre. Schließlich stütze die Klägerin ihr Begehren auf die Bestimmungen der §§ 896 und 1302 ABGB.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wendete ein, es treffe sie kein Verschulden; eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht liege schon deshalb nicht vor, weil sie ihre mj. Tochter in dem umzäunten Hausgarten spielen habe lassen; die Beklagte habe insgesamt fünf Kinder, die mj. Isabella H*** sei ihr jüngstes Kind, eine Vernachlässigung der Aufsicht über ihre Kinder sei ihr niemals vorzuwerfen gewesen und auch nicht vorgeworfen worden.

Das Erstgericht gab, ausgehend von einer Haftungsteilung im Verhältnis von 1 : 3 zu Lasten der Beklagten dem Leistungsbegehren mit einem Teilbetrag von S 1,009.881,30 s.A., dem Feststellungsbegehren im Ausmaß von 75 % statt und wies ein Mehrbegehren einer weitergehenden Haftung von 25 % ab; das Erstgericht legte seine Entscheidung folgende wesentliche Feststellungen zu Grunde:

Die Unfallstelle liegt im Ortsgebiet von Rems auf der Bundesstraße 1 auf Höhe des Hauses Rems Nr. 1, dem Wohnhaus des Beklagten. Die Bundesstraße 1 ist 10,5 m breit und durch Leitlinien in drei Fahrstreifen aufgeteilt. Im Unfallsbereich galt eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 70 km/h. Nördlich neben der Bundesstraße 1 befindet sich das von der Beklagten und ihren Kindern bewohnte Haus Rems Nr. 1. Dieses hat vorn und hinten eine Eingangstür und ist von einem Garten umgeben, der mit einem Zaun eingegrenzt ist. In diesem Zaun ist ein Einfahrtstor eingelassen, durch das man von der Bundesstraße 1 den Garten betreten kann. Zum Unfallszeitpunkt ließ die Beklagte ihre beiden Kinder Isabella H***, die damals zwei Jahre und zwei Monate alt war, und Jochen, viereinhalb Jahre alt, durch die Hintertür des Hauses zum Spielen in den Garten hinaus. Sie verbot ihnen dabei nicht ausdrücklich, die Straße zu betreten - in der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts ist jedoch die Feststellung enthalten, daß die Beklagte ihren Kindern bei früheren Gelegenheiten zum Spielen im Garten verboten hatte, die Straße zu betreten bzw. ausdrücklich aufgetragen hatte, nur im Garten zu bleiben - sie überprüfte auch nicht, ob die Gartentür zur Bundesstraße 1 geschlossen war. Etwa eine Viertelstunde, bevor sie die Kinder in den Garten hinausließ, stellte sie noch fest, daß die Gartentür verschlossen, nicht jedoch versperrt war. In der Folge begab sich die Beklagte zu einer gleichfalls im Haus wohnenden alten Frau. In Abwesenheit der Beklagten verließ Isabella H*** kurze Zeit später den Vorgarten durch die Gartentür zur Bundesstraße 1, wo sie von dem von Gottfried W*** gelenkten LKW erfaßt und niedergstoßen wurde. Wer Isabella H*** die Gartentür geöffnet hatte, ob Isabella selbst oder ihr Bruder, oder ob die Tür in der Zwischenzeit von einem Dritten geöffnet worden war, konnte das Erstgericht nicht feststellen. Die beiden genannten Kinder Isabella und Jochen hielten sich zum Unfallstag nicht zum ersten Mal allein im Garten zum Spielen auf. Derartiges war zuvor schon einige Male der Fall gewesen, sie hatten aber vor dem Unfall niemals den Garten verlassen und die Straße betreten. Die Beklagte ist geschieden, bei ihrer Scheidung wurden ihr für alle Kinder die alleinigen elterlichen Rechte zuerkannt. Sie zog insgesamt fünf Kinder groß; bei der Bezirkshauptmannschaft Amstetten, Jugendamt, wird unter anderem für die mj. Isabella ein Akt geführt, das Jugendamt ist Amtsvormund. Beim Jugendamt sind keinerlei Vorfälle bekannt, die wegen einer allfälligen Verletzung der Aufsichtspflicht durch die Beklagte zum Einschreiten Anlaß geboten hätten.

Aus dem Sachverhalt schloß das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung im Ergebnis, daß die Beklagte solidarisch mit der Klägerin hafte, da schon bei bloßer Beteiligung an der Kausalkette bei nicht bestimmbaren Anteilen die Solidarhaftung voneinander unabhängig Handelnder gegeben sei. Der Rückersatz richte sich nach den Regeln des § 896 ABGB, demzufolge ein Solidarschuldner, der die Schuld aus dem Seinigen abgetragen habe, berechtigt sei, auch ohne besondere Rechtsabtretung von den übrigen Rückersatz zu verlangen, und zwar wenn kein anderes besonderes Verhältnis unter ihnen besteht, zu gleichen Teilen. Das Erstgericht bejahte die Haftung der Beklagten wegen Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 1309 ABGB, wenngleich es einräumte, es könne vom Aufsichtspflichtigen nicht verlangt werden, das zu überwachende Kind auf Schritt und Tritt zu beobachten. Im ländlichen Bereich entspreche es den Anschauungen des Verkehrs, daß Kinder beim Spielen auch in etwas größerer Entfernung vom Elternteil ohne ständige Beaufsichtigung belassen werden können, dies gelte allerdings nur dann, wenn sie sich in einer offenbar nicht gefahrenträchtigen Umgebung befänden. Diese letztgenannte Voraussetzung bejahte das Erstgericht mit Rücksicht darauf, daß das Anwesen der Beklagten unmittelbar neben der Bundesstraße 1 liege und im Unfallsbereich eine Geschwindigkeit von höchstens 70 km/h gestattet war. Mit Rücksicht auf das Alter der Kinder, nämlich Isabella rund 26 Monate und Jochen viereinhalb Jahre, hätte sich die Beklagte keinesfalls darauf verlassen können, daß die Kinder nur im Garten bleiben würden. Dem Verschulden der Beklagten stehe die Haftung der Klägerin nach dem EKHG gegenüber; im Ergebnis erachtete das Erstgericht eine Haftungsteilung im Verhältnis von 1 : 3 zugunsten der Klägerin als gerechtfertigt.

An berechtigten Schadenersatzansprüchen legte das Erstgericht seiner Berechnung des klagestattgebenden Zuspruches das bezahlte Schmerzengeld von S 1,200.000,-, die Behandlungskosten von S 139.999,36 und Pflegekosten von S 6.508,44 zugrunde. Auszuscheiden seien die Vertretungskosten im Vorprozeß sowie die entrichteten Gerichtsgebühren, da es sich auch dabei um Prozeßkosten handle und das Regreßrecht nach § 896 ABGB nicht den Ersatz der Prozeßkosten umfasse. Solcherart gelangte das Erstgericht zu einem gerechtfertigten Betrag von S 1,346.508,40, von welchem es der Klägerin drei Viertel zusprach.

Infolge Berufung der Beklagten änderte das Gericht zweiter Instanz das Urteil des Erstgerichts im Sinne der gänzlichen Klagsabweisung ab; das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als unbedenklich, gelangte aber zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Die zweite Instanz führte aus, bei der Frage der Verletzung der Aufsichtspflicht im Sinne des § 1309 ABGB habe der Beschädigte die Vernachlässigung der Obsorge, der Aufsichtspflichtige seine Schuldlosigkeit zu beweisen. Das Maß der Aufsichtspflicht bestimme sich stets nach dem, was angesichts des Alters, der Eigenschaften, der Entwicklung des Aufsichtsbedürftigen und der wirtschaftlichen Lage des Aufsichtsführenden von diesem vernünftigerweise verlangt werden könne. Diese Aufsichtspflicht dürfe nicht überspannt werden, man könne von Eltern nicht verlangen, daß sie ein Kind ständig unter Kontrolle halten, obwohl dies in ihrem Milieu nicht üblich sei und mit ihrer Tätigkeit unvereinbar wäre. Diesen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen folgend sei daher stets der besonders gelagerte Einzelfall zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall sei darauf Bedacht zu nehmen, daß zwar die Verletzte Isabella H*** zum Unfallszeitpunkt nur rund 26 Monate alt war, andererseits nach den Feststellungen des Erstgerichtes die Beklagte die minderjährige Isabella aber gemeinsam mit dem minderjährigen Jochen zum Spielen in den Garten hinausließ und, wie das Erstgericht auch ausführte, vor dem Unfall das Betreten der Straße bzw. das Verlassen des Gartens untersagt hatte. Bedenke man weiters, daß die Beklagte insgesamt fünf Kinder zu erziehen hatte und stets ihrer Aufsichtspflicht nachgekommen war, sowie den Umstand, daß es gerade im ländlichen Bereich den Anschauungen des Verkehrs entspreche, daß auch kleinere Kinder sich außer Haus zum Spielen aufhalten, schließlich die Tatsache, daß das Anwesen der Beklagten lückenlos eingezäunt war und Isabella H*** bereits mehrmals vor dem Unfall im Garten gespielt hatte, ohne beaufsichtigt zu werden, so gelange man zum Ergebnis, daß in diesem Fall der Beklagten eine Verletzung der Aufsichtspflicht nicht angelastet werden könne, weshalb ihre Mithaftung zu verneinen und das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen gewesen sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts wendet sich die Revision der Klägerin aus den Anfechtungsgründen nach § 503 Z 1 und 4 ZPO mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Unter dem Anfechtungsgrund nach § 503 Z 1 ZPO führt die Klägerin aus, das Berufungsgericht habe die Feststellungen des Erstgerichts übernommen, daß die Beklagte ihre beiden Kinder Isabella H***, die damals 2 Jahre und 2 Monate alt war, und Jochen, 4 1/2 Jahre alt, durch die Hintertür des Hauses zum Spielen in den Garten hinaus gelassen hatte. Sie hatte ihnen dabei nicht ausdrücklich verboten, die Straße zu betreten, sie habe auch nicht überprüft, ob die Gartentüre zur Bundesstraße 1 geschlossen war. Im Zuge der rechtlichen Beurteilung habe das Berufungsgericht jedoch ausgeführt, im vorliegenden Fall sei darauf Bedacht zu nehmen, daß zwar die Verletzte Isabella H*** zum Unfallszeitpunkt nur rund 26 Monate als war, anderersetis nach den Feststellungen des Erstgerichts die Beklagte die mj. Isabella aber gemeinsam mit dem mj. Jochen zum Spielen in den Garten hinausgelassen und, wie das Erstgericht auch ausführte, vor dem Unfall das Betreten der Straße bzw. das Verlassen des Gartens untersagt hatte. Das Berufungsgericht übernehme daher einerseits eine Feststellung des Erstgerichts, um sodann im Zuge der rechtlichen Beurteilung ausdrücklich von dieser Feststellung abzuweichen. Wenn jedoch das Urteil mit sich selbst im Widerspruch sei oder für die Entscheidung keine Gründe angegeben werden, sei zweifelsfrei eine Nichtigkeit im Sinne des § 477 ZPO gegeben. Diesen Ausführungen ist zu erwidern, daß gemäß § 477 Abs 1 Z 9 ZPO, welchen Nichtigkeitsgrund die Revisionswerberin nach ihrem Vorbringen geltend macht, Nichtigkeit dann gegeben ist, wenn die Fassung des Urteils so mangelhaft ist, daß dessen Überprüfung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann, wenn das Urteil mit sich selbst im Widerspruch ist oder für die Entscheidung keine Gründe angegeben sind. Nur ein Widerspruch im Urteilsspruch selbst, nicht aber in den Gründen oder zwischen Spruch und Gründen könnte den Nichtigkeitsgrund bilden (EvBl 1958/11 uva.). Von einer Nichtigkeit eines Urteils kann nur dann gesprochen werden, wenn dessen Fassung zumindest so unklar ist, daß sich daraus logisch begründete Zweifel an der Überprüfbarkeit dieses Urteils ergeben (5 Ob 708, 709/82 ua.). Auch eine mangelhafte Begründung würde keine Nichtigkeit darstellen (vgl. RiZ 1936, 146 ua.).

Mit ihren Ausführungen vermochte die Klägerin aber weder einen Widerspruch im Spruch der Entscheidung des Berufungsgerichts, noch in irgendeiner Weise eine derart unklare Fassung dieser Entscheidung, daß deren Überprüfung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden könnte, aufzuzeigen. Mit ihren Ausführungen versucht die Klägerin vielmehr lediglich, eine angebliche Aktenwidrigkeit der Entscheidung der zweiten Instanz geltend zu machen, die aber in Wahrheit gar nicht vorliegt, weil das Erstgericht, allerdings im Rahmen der rechtlichen Beurteilung, die Tatsachenfeststellung getroffen hatte, daß die Beklagte ihren Kindern bei früheren Gelegenheiten zum Spielen im Garten verboten hatte, die Straße zu betreten bzw. ausdrücklich aufgetragen hatte, nur im Garten zu bleiben.

Der Revisionsgrund nach § 503 Z 1 ZPO liegt daher nicht vor. In der Rechtsrüge bringt die Klägerin vor, vom Berufungsgericht werde es offenbar als ausreichend angesehen, wenn einem 26 Monate alten Minderjährigen ein 4 1/2 Jahre alter Minderjähriger als Aufsichtsperson zur Verfügung stehe. Tatsächlich sei es jedoch so, daß auch ein 4 1/2 jähriges Kind Gefahren des Straßenverkehrs zwar möglicherweise erkennen, jedoch auf Grund des geringen Alters und der geringen Lebenserfahrung diesen Gefahren nicht verläßlich ausweichen könne; gerade Kinder dieses Alters neigten noch zu spontanen und nachher nicht mehr nachvollziehbaren Fehlreaktionen und bedürften daher einer besonderen Obsorge. Im gegenständlichen Fall sei auch davon auszugehen, daß der Garten, in dem die Kinder sich zum Spielen aufhielten, unmittelbar an die stark frequentierte B 1 anschließe, auf welcher zudem eine erlaubte Fahrgeschwindigkeit für die Verkehrsteilnehmer von 70 km/h bestehe. Nach den Feststellungen des Erstgerichts, welche auch vom Berufungsgericht übernommen wurden, habe die Beklagte die beiden Kinder in den Garten hinausgelassen, ohne sich davon zu überzeugen, ob die Gartentür abgeschlossen sei; lediglich etwa 1/4 Stunde zuvor hatte sie festgestellt, daß die Gartentür verschlossen sei. Zweifelsfrei wäre es jedoch erforderlich gewesen, daß diese Gartentür überprüft werde, ob sie auch nunmehr verschlossen sei, und es wäre zusätzlich erforderlich gewesen, diese Gartentür abzusperren. Ebenso habe die Beklagte es unterlassen, die Kinder, bevor sie unbeaufsichtigt in den Garten geschickt wurden, auf die Gefahren des Straßenverkehrs aufmerksam zu machen bzw. diese ausdrücklich darauf hinzuweisen. Zweifelsfrei hätte berücksichtigt werden müssen, daß die stark frequentierte Bundesstraße 1 unmittelbar an dem Hausgarten der Beklagten entlang führt und daher die Beklagte entsprechende Vorkehrungen hätte treffen müssen, um ein Betreten der B 1 durch die Kinder zu verhindern. Ein Kind im Alter von 26 Monaten sei auch geistig nicht in der Lage, ein Verbot wirksam aufzunehmen, und es wäre daher die Beklagte auf Grund der gefahrenträchtigen Lage des Hausgartens nahe der Bundesstraße verpflichtet gewesen, Vorkehrungen zu treffen, damit es den Kindern überhaupt nicht möglich gewesen wäre, den Garten straßenseitig zu verlassen. Unter Berücksichtigung der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen hätte daher auch das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen müssen, daß die Beklagte die ihr vom Gesetz auferlegte Aufsichtspflicht vernachlässigt habe. Auch diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Für die Frage, ob der Aufsichtspflichtige seiner Obsorgepflicht im Sinn des § 1309 ABGB genügt hat, kommt es auf das Alter, die Entwicklung und die Eigenart des Kindes, auf die Voraussehbarkeit eines schädigenden Verhaltens des Pflegebefohlenen, auf das Maß der vom Pflegebefohlenen ausgehenden, dritten Personen drohendeB Gefahr sowie darauf an, was den Aufsichtspflichten in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann. Entscheidend ist, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen im konkreten Fall unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihre Kinder zu verhindern, welchen Anlaß zu bestimmten Aufsichtsmaßnahmen sie hatten. Es entspricht durchaus den Anschauungen des Verkehrs, daß etwa im ländlichen Bereich Kinder auch in etwas größerer Entfernung von der aufsichtspflichtigen Mutter, welche im Haushalt oder in der Landwirtschaft oder in einem Gewerbebetrieb tätig ist, beim Spiel im Freien ohne ständige Überwachung gelassen werden, sofern im Einzelfall nicht begründeter Anlaß zu strengeren Aufsichtsmaßnahmen besteht. Die Möglichkeit des Spielens im Freien muß, wenn es mit den örtlichen Verhältnissen irgendwie vereinbar ist, Kindern erhalten bleiben; ihre Überwachung auf Schritt und Tritt kann in der Regel nicht verlangt werden (vgl. EvBl 1978/52 mwN, ZVR 1960/18, ZVR 1982/109 ua.). Maßgebend für das Maß der Aufsichtspflicht der Eltern sind hiebei immer die besonderen Verhältnisse des einzelnen Falls (vgl. EvBl 1967/349 ua.).

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, daß nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichts die Beklagte ihre Kinder Isabella und Jochen durch die Hintertür des Hauses zum Spielen in den Garten des Hauses hinausließ, der lückenlos eingezäunt war und in welchem die mj. Isabella bereits mehrmals vor dem Unfall unbeaufsichtigt gespielt hatte, ohne den Garten jemals zu verlassen oder gar die Straße zu betreten; bei früheren Gelegenheiten - allerdings nicht unmittelbar vor dem Unfall - hatte die Beklagte ihren Kindern auch verboten, die Straße zu betreten, bzw. ihnen aufgetragen, nur im Garten zu bleiben. Etwa eine Viertelstunde, bevor sie die Kinder in den Garten ließ, hätte die Beklagte noch festgestellt, daß die Gartentür verschlossen, wenn auch nicht versperrt war. Wer Isabella H*** die Gartentür geöffnet hatte, ob Isabella selbst oder ihr Bruder, oder ob die Tür in der Zwischenzeit von einem Dritten geöffnet worden war, konnte das Erstgericht nicht feststellen. Bei Bedachtnahme auf diese Umstände kann somit in der Auffassung des Berufungsgerichts, daß für die Beklagte eine objektive Vorhersehbarkeit des Verhaltens der mj. Isabella, nämlich des erstmaligen und auch unerwarteten Verlassens des Gartens sowie des Betretens der Fahrbahn nicht angenommen werden konnte, und ihr daher eine Verletzung ihrer Aufsichtspflicht nicht anzulasten ist, keine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E19216

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00133.89.1128.000

Dokumentnummer

JJT_19891128_OGH0002_0020OB00133_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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