TE OGH 1989/12/19 10ObS211/89

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Veröffentlicht am 19.12.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Prohaska (AG) und Walter Benesch (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Klaudia H***, Angestellte, Reindlstraße 3, 4040 Linz, vertreten durch Dr. Michael Metzler, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei O***

G***, Gruberstraße 77, 4020 Linz, vor dem Obersten

Gerichtshof nicht vertreten, wegen S 15.926,88 s.A, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. März 1989, GZ 12 Rs 6/89-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 20.September 1988, GZ 13 Cgs 1006/88-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten der Berufung und der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt von der beklagten Partei den Ersatz des von ihr an einen Wahlarzt bezahlten Honorares von S 16.445. Mit Bescheid vom 17.März 1987 lehnte die beklagte Partei einen höheren Kostenersatz als S 518,62 ab.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihr S 15.926,38 zu bezahlen, ab. Es traf folgende Feststellungen:

Die Klägerin litt an Akne. Diese Krankheit trat nach der Pubertät in Form einiger "Wimmerln" im Gesicht auf. Nach Einnahme der Pille besserte sich der Hautzustand, verschlechterte sich aber im Alter von 25 Jahren nach dem Absetzen der Pille wieder. Es traten in vermehrtem Ausmaß gerötete Knötchen und Pusteln im Gesicht, speziell an den seitlichen Wangenpartien auf. Die Klägerin suchte in der Folge verschiedene Hautfachärzte auf, die unter anderem Tabletten verordneten. Diese nahm die Klägerin auf Anraten ihres Gynäkologen jedoch nicht ein, da Kinderwunsch bestand. Schließlich begab sich die Klägerin im Herbst 1986 in die Ordination des Wahlarztes Dr. S***, der eine laufende Lokalbehandlung mit Laser bzw Infrarotlaser durchführte und der Klägerin verschiedene Injektionen (Neuraltherapie bzw Eigenblut) verabreichte. Daneben wurden der Klägerin Tropfen verordnet. Nach Beginn dieser Behandlung trat zunächst eine Verschlechterung der Hautveränderungen auf, nach etwa einem Monat eine deutliche Besserung. Bei der Untersuchung der Klägerin im August 1988 wurde folgender Hautbefund erhoben: geringe Seborrhoe des Gesichtes, besonders an den Nasenpartien. Kaum sichtbare schüsselförmige Närbchen in den Seitenpartien beider Wangen. Keine frischen Akne-Effloreszenzen.

Die Akne ist eine konstitutionell bedingte Hautkrankheit, für welche zahllose Behandlungsmethoden angegeben werden. Eine restlos befriedigende Methode zur Aknetherapie gibt es nicht. Neuraltherapie und Lasertherapie der Akne scheinen in der dermatologischen Fachliteratur nicht auf und sind Außenseitermethoden, die nicht routinemäßig verwendet werden. Der Krankheitsverlauf der Akne zeigt eine große Tendenz zu Spontanreaktionen. Im Einzelfall ist es daher praktisch unmöglich festzustellen, ob eine Therapie wirkte oder nur eine spontane Besserung der Krankheit vorliegt. Ein Erfolg der Aknebehandlung kann deshalb nur statistisch an vielen Patienten festgestellt werden.

Im Fall der Klägerin war eine Behandlung der Akne notwendig, es kann aber nicht festgestellt werden, ob die zwischenzeitig eingetretene fast gänzliche Beschwerdefreiheit auf eine zweckmäßige Behandlung durch Dr. S*** zurückzuführen ist, oder ob eine Spontanheilung der Akne unabhängig von der gegenständlichen Behandlung erfolgte.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, für die Frage des Kostenersatzes einer Heilbehandlung komme es nicht darauf an, ob es sich um eine von der Schulmedizin anerkannte Heilmethode handle oder nicht sondern darauf, ob die durchgeführte Therapie als Krankenbehandlung infolge eines Leidenszustandes der Patientin im Einzelfall erforderlich und nach dem Ergebnis zweckmäßig gewesen sei. Nach § 133 Abs 2 ASVG müsse es sich um eine erfolgversprechende Therapie handeln, wobei das notwendige Maß nicht überschritten werden dürfe. Bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes bestehe Anspruch auf Kostenersatz im Rahmen des § 131 ASVG, wobei der Versicherte nachzuweisen habe, daß nur eine von der Honorarordnung des zuständigen Versicherungsträgers nicht erfaßte Heilmethode im Einzelfall nach dem Ergebnis der Behandlung notwendig gewesen sei. Dieser Nachweis sei der Klägerin nicht gelungen. Der Nachweis des Kausalzusammenhanges müsse mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erbracht werden. Die der Honorarordnung entsprechenden Leistungen aber habe die beklagte Partei vollständig vergütet.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge und bejahte die Zulässigkeit der Revision im Sinne des § 46 ASGG. Die Beweislast für die Zweckmäßigkeit einer Heilmethode nach dem Ergebnis der Behandlung liege nur dort beim Versicherten, wo es um eine Behandlungsmethode gehe, die nicht generell als zielführend anerkannt sei. Daß eine Außenseitermethode verschiedentlich schon mit Erfolg angewendet worden sei, enthebe im Einzelfall nicht von der Beweispflicht für die Zweckmäßigkeit und Erforderlichkeit. Die erhöhten Beweisanforderungen seien vom Gesichtspunkt des Sozialversicherungsrechtes und der wirtschaftlichen Tragfähigkeit auch durchaus gerechtfertigt. Die beklagte Partei treffe daher keine Ersatzpflicht für den getätigten Kostenaufwand.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig, da der Oberste Gerichtshof zur Frage des Kostenersatzes bei wissenschaftlich noch nicht anerkannter Heilmethoden bisher noch nicht Stellung genommen hat (§ 46 Abs 2 Z 1 ASGG). Sie ist auch berechtigt. Strittig ist im gegenständlichen Fall, ob die beklagte Partei die durch die Inanspruchnahme eines Wahlarztes aufgelaufenen Kosten zu ersetzen hat, soweit sie über jene Kosten hinausgehen, die einem Vertragspartner oder einer Vertragseinrichtung des Versicherungsträgers vergütet werden.

§ 135 ASVG bestimmt, daß die ärztliche Hilfe durch Vertragsärzte, durch Wahlärzte (§ 131 Abs 1) durch Ärzte in eigenen hiefür ausgestatteten Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) der Versicherungsträger gewährt wird. Damit soll die freie Arztwahl durch den Versicherten gewährleistet werden. Zwischen Patient, Arzt und Versicherungsträger besteht hinsichtlich Art und Umfang der Krankenbehandlung ein Interessenkonflikt. Dem Wunsch des Patienten nach bestmöglicher ärztlicher Betreuung und weitestgehender versicherungsmäßiger Deckung der entstandenen Kosten, sowie der Forderung des Arztes nach möglichst freier Berufsausübung und angemessener Honorierung seiner Leistung steht das Interesse des Versicherungsträgers an möglichst ökonomischem Verhalten des Arztes gegenüber (Binder in Tomandl, System 204 f). Aus diesem Grund wird in § 133 Abs 2 ASVG als Maßstab festgelegt, daß die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig sein muß, jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf. Nimmt der Anspruchsberechtigte nicht die Vertragspartner oder die eigenen Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) des Versicherungsträgers zur Erbringung der Sachleistungen und Krankenbehandlung (ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe) in Anspruch, so gebührt ihm gemäß § 131 Abs 1 ASVG der Ersatz der Kosten einer anderweitigen Krankenbehandlung in der Höhe des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre.

In § 31 Abs 1 ASVG erteilte der Gesetzgeber dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger unter anderem die Ermächtigung, Gesamtverträge mit den öffentlich-rechtlichen Interessenvertretungen der Ärzte (Zahnärzte), Dentisten, Hebammen und anderer Vertragspartner der Sozialversicherung nach Maßgabe der Bestimmungen des Sechsten Teiles abzuschließen (Z 5) und in Wahrnehmung öffentlicher Interessen vom Gesichtspunkt des Sozialversicherungsrechtes und der wirtschaftlichen Tragfähigkeit Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln und Heilbehelfen aufzustellen, wobei durch die Richtlinien der Heilzweck nicht gefährdet werden darf (Z 11 a). So enthält der zwischen der Ärztekammer für Oberösterreich und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger abgeschlossene Gesamtvertrag (ebenso wie die übrigen Gesamtverträge) in § 10 Abs 4 die Bestimmung, daß wissenschaftlich nicht erprobte Heilmethoden für Rechnung des Versicherungsträgers nicht angewendet werden dürfen. Die vom Wahlarzt der Klägerin durchgeführte Heilbehandlung mit Infrarot-Laser und Neuraltherapie ist in den Honorarordnungen für praktische Ärzte und Fachärzte nicht enthalten und nach den Feststellungen auch keine wissenschaftlich anerkannte Heilmethode. Wenn auch solche Gesamtverträge und die Honorarordnungen für praktische Ärzte und Fachärzte nur inter partes bindend sind und den Anspruch des Versicherten auf ausreichende und zweckmäßige Behandlung nicht einzuschränken vermögen, so sind sie doch zunächst ein Indiz für die Beurteilung, ob eine Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG "zweckmäßig ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet". Dies bedeutet noch nicht, daß einem Versicherten in jenen Fällen, in denen Heilmethoden oder Heilmittel angewendet wurden, die in den Honorarordnungen oder Richtlinien nicht enthalten sind, etwa weil es sich um wissenschaftlich noch nicht gesicherte Heilmethoden oder Heilmittel handelt, ein Kostenersatz keinesfalls zusteht. Im Interesse einer sparsamen Verwendung der Mittel muß aber das Kriterium der Wirtschaftlichkeit beachtet werden. Es sollen unwirtschaftliche und damit überflüssige Leistungen zur Vermeidung unnötiger Kosten nicht vergütet werden. Es ist daher zu fordern, daß die Krankenbehandlung Erfolg verspricht oder im Einzelfall erfolgreich war, nur dann kann sie auch als notwendig eingestuft werden.

Vor allem in der deutschen Rechtsprechung wurde mehrfach die Ansicht vertreten, daß die Krankenversicherung dann keine Leistungspflicht mehr trifft, wenn ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand nur mehr durch die Anwendung von medizinischen Methoden behebbar erscheint, die einer allgemeinen Anerkennung unter den Ärzten entbehren (vgl die Darstellung bei Schulin, die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen bei Anwendung von Außenseitermethoden, Die Sozialgerichtsbarkeit ÄSGbÜ 1984, 45 f). Dem kann nur insoweit beigepflichtet werden, als gefordert werden muß, daß zur Behebung eines regelwidrigen Zustandes zunächst eine zumutbare erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst versucht wird, dies zumindest dann, wenn diese dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechend kostengünstiger ist. Nur wenn eine solche Behandlung erfolglos geblieben ist oder nicht zur Verfügung steht oder die Kosten der Außenseitermethode etwa jenen der üblichen Methoden entsprechen stellt sich die Frage nach der Honorierung einer dann angewendeten Außenseitermethode. Es ist zwar grundsätzlich nicht Sache des Krankenversicherungsträgers, die Kosten für medizinische Experimente zu tragen (Binder aaO, 209), doch soll das Recht der sozialen Krankenversicherung sich nicht als Hemmschuh für die Entwicklung und Ausbreitung neuer zukunftsträchtiger Diagnose- und Therapieformen auswirken (Schrammel, Veränderungen des Krankenbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht ? ZAS 1986, 145 f Ä150Ü). Daher muß dem Patienten der Beweis zulässig sein, daß im Einzelfall eine wissenschaftlich noch nicht allgemein gesicherte Methode erforderlich und zweckmäßig war (vgl dazu die deutsche Rechtsprechung: BSG vom 23.3.1988 = SGb 1989, 394 mwN). Dies wäre dann der Fall, wenn mit der in Frage stehenden Behandlungsmethode typischerweise - also in einer für die Bildung eines Erfahrungssatzes ausreichenden Zahl von Fällen wirksam - ein Erfolg erzielt werden kann (Schulin aaO 49, Schrammel aaO 150), oder wenn auch ohne diese Voraussetzungen bewiesen wird, daß die Behandlungsmethode bei dem Versicherten erfolgreich war (vgl Schulin aaO und die dort zitierte neuere Judikatur des Bundessozialgerichtes). Andernfalls müßten nämlich die Versicherten bis zum Erreichen einer entsprechenden Zahl von positiven Ergebnissen der Erprobung der neuen Methode die Kosten der Behandlung auch dann selbst tragen, wenn diese nachweislich erfolgreich war, was einerseits gerade die sozial schwächeren Versicherten besonders treffen und andererseits im Hinblick auf den nahezu die gesamte Bevölkerung umfassenden Krankenversicherungsschutz auch einen Hemmschuh für die Entwicklung neuer Therapieformen bedeuten würde. Zur abschließenden Beurteilung im Sinne dieser Ausführungen reichen die Feststellungen aber noch nicht aus. Aus der bloßen Tatsache, daß die Klägerin nach Auftreten der Akne verschiedene Hautärzte aufsuchte, "die unter anderem Tabletten verordneten, welche sie über Anraten ihres Gynäkologen nicht nahm" kann noch nicht abgeleitet werden, daß eine mit geringeren Kosten verbundene zumutbare Behandlung mit wissenschaftlich anerkannten Methoden der Medizin wirklich versucht und nicht erfolgversprechend gewesen wäre. Hiezu werden noch nähere Feststellungen zu den tatsächlich verordneten Heilmethoden und Heilmitteln und deren Anwendung unter Beiziehung des dermatologischen Sachverständigen zu treffen sein. Hätte schon damit mit geringeren Kosten das Auslangen gefunden werden können, kommt ein Ersatz der Kosten der Neural- und Infrarotlasertherapie Dris. S*** nicht in Betracht. Nur diese Behandlungsarten wären bei Erfolglosigkeit der schulmedizinischen Behandlung näher auf ihre typische Wirksamkeit in einer ausreichenden Zahl von Fällen zur Bildung eines Erfahrungssatzes zu prüfen, die Eigenblutinjektionen wurden von der beklagten Partei anerkannt und auch bezahlt. Hiezu wird die Befragung des behandelnden Arztes, allenfalls weiterer Ärzte, die diese Methoden anwenden, sowie eine Ergänzung des dermatologischen Sachverständigengutachtens erforderlich sein. Daß aber im Fall der Klägerin die Außenseitermethode erfolgreich war, haben die Vorinstanzen nicht festgestellt.

Da die Verfahrensergebnisse zur abschließenden Beurteilung somit noch nicht ausreichen, war spruchgemäß zu entscheiden. Der Ausspruch über die Kosten der Berufung und der Revision beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E19379

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00211.89.1219.000

Dokumentnummer

JJT_19891219_OGH0002_010OBS00211_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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