TE OGH 1989/12/19 2Ob146/89

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Veröffentlicht am 19.12.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerald L***, Student, 8160 Weiz, Billrothgasse 27, vertreten durch die Sachwalterin Gertrud Leodolter, Lehrerin, ebendort, diese vertreten durch Dr. Bernd Fritsch und Dr. Klaus Kollmann, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagten Parteien 1. Michael S***, Student, 8160 Weiz, Gleisdorferstraße 87, 2. G*** W***

V***, 8010 Graz, Herrengasse 18-20, vertreten durch Dr. Heinrich Kammerlander jun., Rechtsanwalt in Graz, wegen S 1,552.727,20 s.A. und Feststellung (Streitwert S 500.000,--), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 13.Juli 1989, GZ 4 a R 56/89-45, womit infolge Berufungen der klagenden Partei und der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 30.November 1988, GZ 24 Cg 474/87-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit S 21.009,78 (darin keine Barauslagen und S 3.501,63 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 15.11.1986 ereignete sich auf einer Gemeindestraße auf dem Hühnerberg ein Verkehrsunfall, bei dem der Kläger als Mitfahrer des den Unfall verschuldenden Erstbeklagten verletzt wurde. Der Erstbeklagte wurde wegen dieses Unfalls strafgerichtlich rechtskräftig verurteilt (überhöhte Geschwindigkeit, Übermüdung, Beeinträchtigung durch Alkohol). Der Kläger wurde bei diesem Unfall schwerstens verletzt und ist auf Grund dieser Verletzungen hilflos und pflegebedürftig.

Der Kläger begehrte von den Beklagten die Bezahlung eines Betrages von S 1,552.727,20. Dieser Betrag errechne sich aus S 1,300.000,-- für Schmerzengeld, S 250.000,-- aus dem Titel des § 1326 ABGB, S 2.009,80 Krankenhauskosten, S 9.517,-- Rollstuhlkosten, S 20.000,-- Verdienstentgang, S 37.713,60 und S 28.576,80 Fahrtkosten, S 2.910,-- Parkgebühren, S 2.000,-- Trinkgelder, abzüglich eines bereits erhaltenen Betrages von S 100.000,--.

Die Beklagten anerkannten das Feststellungsbegehren unter Zugrundelegung einer Verschuldensteilung von 2 : 1 zu ihren Lasten und beantragten im übrigen, das Klagebegehren abzuweisen; sie wendeten ein, den Kläger treffe ein Mitverschulden von einem Drittel, weil er sich dem alkoholisierten Erstbeklagten als Mitfahrer anvertraut und zum Zeitpunkt, als er selbst mit dem Alkoholkonsum begonnen hatte, gewußt habe, daß er im PKW des Erstbeklagten mit diesem wieder nach Hause fahren werde. Der Kläger befinde sich nach wie vor im Koma, habe keinerlei Schmerzempfindungen und daher auch keinen Anspruch auf Schmerzengeld; überdies werde für den Fall, daß der Kläger doch Schmerzen erlitten habe, eine weitere Kürzung des Schmerzengeldes um mindestens ein Viertel zu erfolgen haben, weil der Kläger nicht angegurtet gewesen sei und die Verletzungsfolgen bei ordnungsgemäßer Verwendung des Sicherheitsgurts wesentlich geringer ausgefallen wären. Aus dem Titel der Verunstaltungsentschädigung sei höchstens ein Betrag von S 100.000,-- angemessen; die übrigen Ansprüche wurden dem Grunde und der Höhe nach bestritten.

Das Erstgericht sprach dem Kläger S 1,227.727,20 (darin enthalten S 975.000,-- Schmerzengeld, S 250.000,-- Entschädigung nach § 1326 ABGB, S 2.009,80 Krankenhauskosten, S 9.515,-- Rollstuhlkosten, S 20.000,-- Verdienstentgang, S 37.713,60 und S 28.576,80 Fahrtkosten, S 2.910,-- Parkgebühren und S 2.000,-- Trinkgelder abzüglich bereits erhaltenener S 100.000,--) und stellte die Haftung der Beklagten gegenüber dem Kläger für dessen künftige Schäden fest, hinsichtlich weiterer Schmerzengeldansprüche beschränkt auf 75 %. Das Mehrbegehren von S 325.000,-- und das Feststellungsmehrbegehren hinsichtlich eines weiteren Viertels der Schmerzengeldansprüche wurden abgewiesen.

Das Erstgericht stellte hinsichtlich der Erkennbarkeit der Alkoholisierung des Erstbeklagten und der Verwendung des Sicherheitsgurts durch den Kläger im wesentlichen fest, daß sich beide zwar im gleichen Lokal befunden hätten, aber von einem gemeinsamen "Zechen" nicht die Rede sein könne.

Der Kläger und der Erstbeklagte saßen und tranken abgesondert voneinander und haben im Laufe des Abends nur relativ kurz miteinander gesprochen. Im Laufe des Abends habe man die starke Trunkenheit des Klägers sehen können. Der Erstbeklagte, der wesentlich später in das Lokal gekommen sei, und der Kläger seien etwa um 5,00 Uhr morgens aus dem Lokal gegangen. Zu diesem Zeitpunkt seien beide nicht mehr nüchtern gewesen und hätten das Auto des Erstbeklagten bestiegen. Möglich sei, daß der Erstbeklagte nur 1,4 %o im Blut gehabt habe. Eine höhergradige Alkoholisierung sei nicht nachweisbar. Ein Alkoholisierungsgrad von 1,4 %o sei nicht von jedermann erkennbar. Eine wesentliche Mitursache für die schweren Verletzungen des Klägers sei der Umstand gewesen, daß er nicht angegurtet gewesen sei. Bezüglich der Verletzungen des Klägers stellte das Erstgericht fest, daß er bei dem Unfall schwere Kopfverletzungen, nämlich eine Epi- und Subduralblutung bei Impressionsbruch links fronto-parietal, außerdem eine Hirnkontusion und eine Hirnquetschung erlitten hat. Als Komplikationen traten ein Hydrothorax und ein akutes Nierenversagen auf. Die Erstversorgung erfolgte an der Chirurgischen Abteilung des Landeskrankenhauses Weiz. Die weitere Versorgung wurde an der Neurochirurgischen Universitätsklinik bzw. der Intensivstation der I.Chirurgischen Universitätsklinik des Landeskrankenhauses Graz durchgeführt. Am 2.7.1987 erfolgte die Überstellung zur weiteren Rehabilitation (Rehabilitationsversuche) in das Landesnervensonderkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie, wobei zu diesem Zeitpunkt ein sogenanntes apallisches Syndrom bestand. Am 10.Februar 1988 wurde wegen zunehmender Beugekontrakturen der Extremitäten im Bereiche der rechten Oberschenkelstrecker eine Sehnendurchtrennung beim Kläger durchgeführt. Bei der Exploration des Klägers wurde festgestellt, daß eine zielführende Kontaktaufnahme mit ihm infolge eines weiterhin vorliegenden apallischen Syndroms nicht möglich war. Zum Zeitpunkt dieser Exploration (3.Juni 1988) fand sich in neurologischer Hinsicht eine Narbe nach Schädeltrepanation, weiters eine links maximal weit gestellte Pupille, welche eine Lichtreaktion nicht zeigte. Das linke Auge wich beim Blick nach geradeaus etwas nach außen und oben ab und es besteht der dringende Verdacht, daß das linke Auge des Klägers nicht sehtüchtig ist. Eine Spontansprache ist nicht möglich, ebenso kann ein Nachsprechen nicht vollzogen werden. Der Kläger reagierte allerdings zeitweise auf Bemerkungen sinngemäß und gab unverständliche Grunzlaute von sich. Es bestand bzw. besteht beim Kläger eine spastische Tetraparese mit allseits gesteigerten Sehnenreflexen, die pathologischen Reflexe waren allseits vorhanden und es fanden sich auch Stirnhirnzeichen. Es konnte festgestellt werden, daß der Kläger den rechten Arm etwa bis zur Mundhöhe abwinkeln kann, wobei eine zielgerichtete Bewegung allerdings nicht möglich ist. Der Kläger kann den Kopf nicht selbständig aufrecht halten. Der linke Arm des Klägers ist mit einer Schiene zum Ausgleich einer spastischen Tonussteigerung versorgt. Er ist gebrauchsunfähig. Unter Berücksichtigung des letzten erhobenen Untersuchungsbefundes liegen beim Kläger folgende Unfallsfolgen vor:

1.)

Zustand nach Tracheotomie;

2.)

Zustand nach Schädeltrepanation links temporoparietal;

3.)

spastische Tetraparese mit ausgeprägten Beugekontrakturen, wobei am 10.2.1988 eine Sehnendurchtrennung der rechten Oberschenkelbeugemuskulatur durchgeführt wurde;

4.)

vermutlich Blindheit links;

5.)

schweres organisches Psychosyndrom, wobei weitestgehend die Definition eines apallischen Syndroms erreicht wird. Faßt man die durch den gegenständlichen Unfall eingetretene Schmerzhaftigkeit global nach Tagen zusammen und berücksichtigt man dabei auch den Wechsel der Schmerzintensitäten, so gelangt man zu folgender Beurteilung hinsichtlich der vom Kläger unfallskausal erduldeten Schmerzperioden:

Sehr starke Schmerzen     5 Tage

Starke Schmerzen         40 Tage

Mittelstarke Schmerzen  120 Tage

Leichte Schmerzen       300 Tage

Es besteht kein Zweifel daran, daß der prozeßgegenständliche Unfall bzw. die vorhandenen Unfallsfolgen für den Kläger auch mit einer über das übliche Ausmaß hinausgehenden psychischen Alteration verbunden sind. Dabei muß davon ausgegangen werden, daß der Kläger trotz Entwicklung eines Zustands, welcher quasi einem apallischen Syndrom gleichkommt, in der Lage ist, auch psychische Schmerzen zu erleiden. Trotz seiner fast die gesamte Persönlichkeit des Klägers vernichtenden Hirndefekte ist ihm doch ein solcher Funken an Restintelligenz verblieben, daß er in der Lage ist, seine katastrophale Lage zu erkennen und mit entsprechendem seelischen Schmerz darauf zu reagieren. Zieht man in Betracht, daß der Kläger sich in einem Zustand der Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit befindet und immer befinden wird, daß ein verbaler Kontakt mit ihm nicht herzustellen ist und der Kläger somit für alle Zeiten - für seine restliche allerdings nicht allzulang zu bemessende Lebensdauer - einen Pflegefall abgeben wird, so ist es recht und billig, daran die objektive Feststellung zu knüpfen, daß es sich beim Kläger um eine psychische Alteration handelt, welche zu den ausgeprägtesten gehört, die überhaupt vorstellbar sind. In rechtlicher Hinsicht kam das Erstgericht zum Ergebnis, daß dem Kläger die Alkoholisierung des Erstbeklagten nicht erkennbar gewesen und ein Mitverschulden an dem vom Erstbeklagten allein verschuldeten Unfall daher aus diesem Grunde nicht anzunehmen sei. Der Kläger habe aber die Gurtenanlegepflicht verletzt, aus diesem Grunde sei das Schmerzengeld, das in der geforderten Höhe auf Grund der Verletzungen berechtigt sei, um 25 % zu kürzen. Auch der aus dem Titel des § 1326 ABGB begehrte Betrag sei der Höhe nach ebenso, wie die anderen geltend gemachten Beträge, gerechtfertigt und seien voll zuzusprechen. Lediglich ein Schmerzengeldbetrag von S 325.000,-- und ein Teil (25 %) des Feststellungsbegehrens, soweit es Schmerzengeldforderungen betreffe, seien abzuweisen gewesen. Die Berufung des Kläges und der Beklagten blieben erfolglos; das Gericht zweiter Instanz erachtete das erstgerichtliche Verfahren als mängelfrei, übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als unbedenklich und billigte auch die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts wendet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens (§ 503 Z 2 ZPO), der "mangelhaften und unrichtigen Tatsachenfeststellung sowie Beweiswürdigung" und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung (§ 503 Z 4 ZPO) mit dem Antrag auf Abänderung dahin, "daß dem Kläger kein Schmerzengeld, in eventu ein vermindertes Schmerzengeld sowie aus dem Titel des § 1326 ABGB ebenfalls ein verminderter Betrag, beides unter Berücksichtigung einer Gurtenmitverschuldensquote von 50 % und die verbliebene Forderung des Klägers unter Berücksichtigung eines Drittel Mitverschuldens des Klägers, also zwei Drittel der verbleibenden Gesamtforderung zugesprochen werden"; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Anfechtungsgrund nach § 503 Z 2 ZPO liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der Revisionsgrund der "mangelhaften und unrichtigen Tatsachenfeststellung sowie Beweiswürdigung" ist im Gesetz nicht vorgesehen"; das Revisionsvorbringen unter diesem Anfechtungsgrund kann auch keinem der Revisionsgründe des § 503 ZPO unterstellt werden, sodaß darauf nicht weiter einzugehen war.

In der Rechtsrüge führen die Beklagten aus, der Kläger habe bei einem Bierwetttrinken mitgemacht und darüberhinaus noch weitere alkoholische Getränke zu sich genommen, sodaß er in Betracht hätte ziehen müssen, in der Folge in einem von einem Zechgenossen gelenkten Auto mitgenommen zu werden und daher für ihn der Anlaß bestanden hätte, soweit klaren Kopf zu behalten, um zur gegebenen Zeit beurteilen zu können, ob er im Hinblick auf den Alkoholkonsum des Lenkers ohne Gefahr mitfahren könne. Der Kläger hätte daher besonderes Augenmerk darauf legen müssen, ob der Lenker, in dessen Auto er eingestiegen ist, durch Alkohol beeinträchtigt sei oder nicht. Der Kläger liege seit dem Unfall regungs- und bewußtlos im Bett, verspüre keine Schmerzen, geschweige denn habe er seinen Zustand je erkannt oder erfaßt; das vom Berufungsgericht zugesprochene Gesamtschmerzengeld von S 1,300.000,-- sei jedenfalls überhöht; überdies komme der Unterlassung der Gurtenanlegung durch den Kläger ein solches Gewicht zu, daß eine Schmerzengeldminderung um 50 % gerechtfertigt gewesen wäre; ebenso sei die zugesprochene Verunstaltungsentschädigung überhöht.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß die bloße Kenntnis des Fahrgasts, daß der Lenker des ihn befördernden Kraftfahrzeugs überhaupt Alkohol zu sich genommen hat, zur Annahme eines Mitverschuldens nicht ausreicht. Den Fahrgast, der sich einem infolge Alkoholgenusses fahruntüchtigen Lenker anvertraut und bei einem von diesem verschuldeten Unfall Schaden erleidet, trifft nur dann ein Mitverschulden, wenn er von der die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Alkoholisierung Kenntnis hatte oder aus den Umständen Kenntnis haben mußte. Die Erkennbarkeit einer derartigen Alkoholisierung kann sich für den Fahrgast entweder aus dem wahrnehmbaren Verhalten des Lenkers oder daraus ergeben, daß ihm die vom Lenker genossene Alkoholmenge bekannt war. Es ist nach den Umständen des Einzelfalls zu prüfen, ob der Fahrgast bei Berücksichtigung der Erfahrungen des täglichen Lebens damit rechnen mußte, daß sich der Lenker durch den Alkoholgenuß in einem seine Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Zustand befand. Zweifel darüber, ob diese Annahme gerechtfertigt gewesen wäre, gehen zu Lasten des Haftpflichtigen, den die Beweislast für das Mitverschulden des Fahrgasts trifft (ZVR 1981/52; ZVR 1985/8 mwN uva.). Den Geschädigten, der sich vor Antritt der Fahrt betrank und damit außerstande setzte, nachzuprüfen, ob er sich dem Lenker eines Kraftwagens anvertrauen durfte, trifft im Sinne des § 1307 ABGB ein Mitverschulden an dem ihm zugestoßenen Unfall, der durch den ungeeigneten Lenker herbeigeführt wurde. Nur dann müßte sich der Geschädigte in einem solchen Fall kein Mitverschulden anrechnen lassen, wenn ihm nach der Sachlage kein Vorwurf daraus gemacht werden könnte, daß er sich durch Alkoholgenuß in einen Zustand versetzte, in dem er im Zeitpunkt, als er sich dem Lenker zur Fahrt anvertraute, dessen Fahrtüchtigkeit nicht mehr beurteilen konnte. Dies ist etwa dann der Fall, wenn er in dem Zeitraum, in dem er sich dem seine Urteilsfähigkeit aufhebenden Alkoholkonsum hingab, noch nicht in Betracht ziehen mußte, in der Folge in einem von einem ungeeigneten Lenker gelenkten Auto mitgenommen zu werden (ZVR 1981/191; ZVR 1985/30 mwN uva.).

Werden diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewendet, ist aber darauf Bedacht zu nehmen, daß nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichts der Kläger und der Erstbeklagte sich zwar im gleichen Lokal befunden hatten, aber von einem gemeinsamen Zechen nicht die Rede sein könnte. Der Kläger und der Erstbeklagte saßen und tranken abgesondert voneinander und haben im Laufe des Abends nur relativ kurz miteinander gesprochen. Im Laufe des Abends konnte man die starke Trunkenheit des Klägers sehen. Der Erstbeklagte, der wesentlich später in das Lokal gekommen war, und der Kläger waren etwa um 5,00 Uhr morgens aus dem Lokal gegangen. Zu diesem Zeitpunkt waren beide nicht mehr nüchtern gewesen und hatten das Auto des Erstbeklagten bestiegen. Ein Alkoholisierungsgrad von 1,4 %o ist nicht für jedermann erkennbar. Unter diesen Umständen kann in der Auffassung, daß dem Kläger deshalb, weil er, selbst alkoholisiert, in den PKW des gleichfalls alkoholisierten Erstbeklagten einstieg und auf dem Beifahrersitz mitfuhr, wobei der Alkoholisierungsgrad des Erstbeklagten auch für einen nicht unter Alkoholeinwirkung Stehenden nicht mit Sicherheit erkennbar war, kein Mitverschulden anzulasten ist, keine unrichtige rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes erblickt werden. Auch soweit die Revision, die dem Kläger wegen Verletzung der Gurtenanlegungspflicht anzurechnende Mitverschuldensquote hinsichtlich des Schmerzengeldanspruches bekämpft, kann ihr nicht gefolgt werden.

Gemäß Art.III der 3.KFG-Novelle BGBl.1976/352 i.d.F. BGBl.1984/253 sind, sofern der Sitzplatz eines Kraftfahrzeugs nach kraftfahrgesetzlicher Anordnung mit einem Sicherheitsgurt ausgerüstet ist, der Lenker und beförderte Personen, die einen solchen Sitzplatz benützen, je für sich zum bestimmungsgemäßen Gebrauch des Sicherheitsgurts verpflichtet. Die Verletzung dieser Pflicht begründet, jedoch nur soweit es sich um einen allfälligen Schmerzengeldanspruch handelt, im Falle der Tötung oder Verletzung des Benützers durch einen Unfall ein Mitverschulden an diesen Folgen im Sinne des § 1304 ABGB. Das Mitverschulden ist soweit nicht gegeben, als der Geschädigte beweist, daß die Folge in dieser Schwere auch beim Gebrauch des Sicherheitsgurtes eingetreten wäre. Die Höhe der Mitverschuldensquote hängt von den Umständen des Einzelfalls sowie von der Schwere der Zurechnungsmomente beim Schädiger und beim Geschädigten ab. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber die Verletzung der Gurtenanlegungspflicht im Regelfall als leichten Verstoß mit geringem Schuldgehalt angesehen hat (vgl. ZVR 1982/26 u.a.). Nach den vom Berufungsgericht übernommenen tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts, die allerdings in der rechtlichen Beurteilung der erstinstanzlichen Entscheidung enthalten sind, hinderte sein Alkoholisierungsgrad den Kläger nicht daran, die Sicherheitsgurte anzulegen. Er war zu einer solchen Handlung sehr wohl fähig. Selbst bei einer höhergradigen Alkoholisierung können gewisse Automatismen noch immer ausgeführt werden. Dazu zählt auch das Anlegen eines Sicherheitsgurts vor allem dann, wenn jemand - so wie der Kläger - dies ständig zu tun pflegte, wenn er im Auto saß. Es ist daher mit Sicherheit davon auszugehen, daß eine derartige Automatisierung des Gurtenanlegevorgangs auch beim Kläger bestanden hat. Es bestand also auch kein faktisches Hindernis dagegen, daß der Kläger vorschriftsgemäß die Sicherheitsgurte angelegt hätte. Mangels Feststellung einer die Zurechnungsfähigkeit des Klägers ausschließenden Alkoholisierung ist ihm daher die Verletzung der Gurtenanlegungspflicht als Mitverschulden anzulasten. Was die Ausmessung der Mitverschuldensquote anlangt, ist dem Berufungsgericht darin zu folgen, daß bei Berücksichtigung aller Umstände des vorligenden Falls die Annahme einer 25 %-igen Mitverschuldensquote gerechtfertigt ist, weil einerseits der Kläger keinesfalls als deliktsunfähig, jedoch allenfalls in seiner Einsicht in die von ihm zu vertretende Sorgfaltspflichtverletzung infolge der Alkoholisierung in gewissem Ausmaß eingeschränkt war, während andererseits dem ebenfalls beträchtlich alkoholisierten Erstbeklagten ein weit schwererwiegendes Verschulden anzulasten ist. Schließlich ist die Revision auch hinsichtlich der Bekämpfung der Zuerkennung eines Schmerzengeldes an den Kläger nicht gerechtfertigt. Soweit die Beklagten vermeinen, dem Kläger stehe schon dem Grunde nach überhaupt kein Schmerzengeld zu, weil er "seit dem Unfall regungs- und bewußtlos im Bett liegt und weder Schmerzen verspürt, noch seinen Zustand je erkannt oder erfaßt hatte", sind sie darauf zu verweisen, daß nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen der Kläger trotz Entwicklung eines Zustands, welcher quasi einem apallischen Syndrom gleichkommt, in der Lage ist, auch psychische Schmerzen zu erleiden. Trotz seiner fast die gesamte Persönlichkeit vernichtenden Hirndefekte ist ihm doch ein solcher Funken an Restintelligenz verblieben, daß er in der Lage ist, seine katastrophale Lage zu erkennen und mit entsprechendem seelischen Schmerz darauf zu reagieren.

Soweit die Revision von diesen Feststellungen abweicht, entbehrt die Rechtsrüge der gesetzmäßigen Ausführung und das diesbezügliche Vorbringen ist unbeachtlich. Im übrigen sind die Beklagten darauf zu verweisen, daß der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach bei Vorliegen eines apallischen Syndroms den Zuspruch von Schmerzengeld für gerechtfertigt erachtet hat (vgl. ZVR 1989/6 mwN). Hinsichtlich der Bekämpfung der Höhe des zugesprochenen Schmerzengeldes und der Verunstaltungsentschädigung - das Zurechtbestehen des letzteren Anspruchs dem Grunde nach wurde von den Beklagten nicht bestritten - strebt der Revisionsantrag die Zuerkennung eines "verminderten Schmerzengeldes" sowie "aus dem Titel des § 1326 ABGB ebenfalls eines verminderten Betrages" an. Gemäß § 506 Abs 1 Z 2 ZPO muß die Revisionsschrift unter anderem die Erklärung, ob die Aufhebung oder eine Abänderung des Urteils des Berufungsgerichts und welche beantragt wird, also einen bestimmten Revisionsantrag, enthalten. Der Antrag auf Abänderung eines eine Zahlung betreffenden Leistungsurteils muß grundsätzlich ziffernmäßig zum Ausdruck bringen, welcher Teil des Leistungsbegehrens zugesprochen und welcher abgewiesen werden soll. Nur dann, wenn aus dem Akt eindeutig und leicht festzustellen ist, wie hoch der vom Revisionswerber gewünschte Betrag sein soll, wenn also Fehler bei der Beurteilung des Umfangs der Anfechtung mit Sicherheit ausgeschlossen sind, kann das Fehlen der Angabe eines ziffernmäßigen Betrages im Abänderungsantrag als unschädlich angesehen werden (SZ 42/148; RZ 1978/129 u.a.). Der Betrag, auf den das zugesprochene Schmerzengeld bzw. die Verunstaltungsentschädigung herabgesetzt werden soll, muß im Rechtsmittel bestimmt angegeben werden (vgl. ZVR 1968/101 ua.). Im vorliegenden Fall wurde dies jedoch im Revisionsantrag unterlassen und ist auch den Revisionsausführungen nicht zu entnehmen. Enthält die Revisionsschrift sowohl einen bestimmten als auch einen unbestimmten Revisionsantrag, dann ist sie zwar nicht zu verwerfen, die dem unbestimmten Revisionsantrag zuzuordnenden Revisionsausführungen sind aber einer meritorischen Behandlung entzogen (8 Ob 181/75 ua.). Die Überprüfung der Höhe des zuerkannten Schmerzengeldes und der Verunstaltungsentschädigung war dem Revisionsgericht daher verwehrt.

Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E19594

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00146.89.1219.000

Dokumentnummer

JJT_19891219_OGH0002_0020OB00146_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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