TE OGH 1990/1/25 7Ob734/89

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.01.1990
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Robert M***, St. Michael, Altendorf Nr. 75, vertreten durch Dr. Jakob Oberhofer und Dr. Johannes Hiebler, Rechtsanwälte in Lienz, wider die beklagte Partei V*** DER

R***-B*** W***, reg.Gen.m.b.H., Wolfsberg,

Herrengasse 102, vertreten durch Dr. Wolfgang Gewolf, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Feststellung (Streitwert S 90.000 s.A.), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 30. Juni 1989, GZ 1 R 116/89-35, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 25. Februar 1989, GZ 24 Cg 405/87-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Revisionsverfahrens gleich weiteren Kosten des Berufungsverfahrens Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung:

Die R***-B*** W*** reg.Gen.m.b.H. brachte

rückwirkend mit 1.1.1987 ihr Bankunternehmen in die R***-B*** W*** AG gegen Gewährung von vinkulierten

Namensaktien ein. Die Genossenschaft änderte ihre Firmenbezeichnung in V*** DER R***-B*** W***

reg.Gen.m.b.H. Gegenstand ihres Unternehmens war bzw. ist unter anderem der Erwerb, der Besitz und die Verwaltung der Beteiligung an der R***-B*** W*** AG.

Der Kläger war bei der R***-B*** W***

reg.Gen.m.b.H. vom 9.7.1962 bis 31.3.1986 als Angestellter, zuletzt als Prokurist, beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch Kündigung seitens des Dienstgebers.

Der Kläger ist seit 13.3.1967 mit einem Geschäftsanteil von S 1.000 Genossenschafter der beklagten Partei. Er führt zu 32 Cga 1021/87 des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht gegen die beklagte Partei ein Verfahren wegen Gewährung einer Betriebspension. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, der Kläger erhob dagegen Berufung. Mit Schreiben vom 25.5.1987 ersuchte der Kläger die beklagte Partei um Erteilung der Genehmigung, in das Mitgliederverzeichnis Einsicht zu nehmen bzw. um eine Abschrift davon. Er bat weiters um Abschriften der Protokolle der beiden letzten Generalversammlungen sowie um Übermittlung der Satzung der gegründeten oder zu gründenden R***-B*** W*** AG (Beilage A).

Mit Schreiben vom 5.6.1987 teilte ihm die beklagte Partei mit, daß der Vorstand in seiner Sitzung vom 4.6.1987 den einstimmigen Beschluß gefaßt habe, ihn gemäß § 7 Abs 1 lit c der Satzung als Mitglied des Institutes auszuschließen (Beilage B). Gegen diesen Ausschluß erhob der Kläger mit Schreiben vom 12.6.1987 Beschwerde. Der Aufsichtsrat gab dem Kläger mit Schreiben vom 18.12.1987 bekannt, daß er in seiner Sitzung vom 3.12.1987 der Beschwerde keine Folge gegeben habe.

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß sein Rechtsverhältnis als Genossenschafter der beklagten Partei infolge Unwirksamkeit seines Ausschlusses unverändert aufrecht bestehe; hilfsweise beantragt er die Aufhebung des Ausschließungsbeschlusses. Er habe keine Ausschließungsgründe gesetzt. Davon abgesehen hätten die ihm seitens der beklagten Partei vorgeworfenen Handlungen nichts mit seiner Stellung als Genossenschafter zu tun. Die Sitzung vom 4.6.1987 sei nicht ordnungsgemäß einberufen worden; der Aufsichtsrat sei nicht statutengemäß besetzt gewesen.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Der Kläger habe Handlungen begangen, die geeignet gewesen seien, ihre Interessen oder ihr Ansehen zu schädigen. Er habe mutwillig den Arbeitsgerichtsprozeß und auch weitere Verfahren vor dem Landesgericht Klagenfurt angestrengt, habe sich geweigert, an der Gesundung des Unternehmens der beklagten Partei mitzuwirken und habe den Vorstand der AG und Obmann der Genossenschaft, Dr. Hans K***, in ein schlechtes Licht gerückt. Die Forderungen des Klägers im Schreiben Beilage ./A seien gemäß den ihm bekannten Bestimmungen der Satzung unerfüllbar gewesen. Der Kläger habe im Arbeitsgerichtsverfahren Protokolle und Unterlagen vorgelegt, die der Geheimhaltung unterlägen und die er zuvor unberechtigterweise an sich genommen habe. Nach der Aufsichtsratssitzung vom 3.12.1987 hätten sich weitere, von der beklagten Partei im einzelnen dargelegte, Ausschließungsgründe herausgestellt.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt und traf folgende Feststellungen:

Dr. Hans K*** wurde im Jahr 1981 zum Geschäftsleiter der beklagten Partei bestellt. Da sich im Jahr 1984 herausstellte, daß die Ertrags- und die Eigenkapitalentwicklung der Bank ungenügend waren, wurde der Kläger mit der Untersuchung von Auswirkungen bestimmter Einsparungsmaßnahmen beauftragt. Er weigerte sich, in seiner Abteilung eine derartige Untersuchung vorzunehmen, sodaß sein Stellvertreter damit beauftragt wurde. Der Kläger vertrat die Ansicht, es läge eine Interessenkollision zwischen Untersuchungsleiter und Abteilungsleiter vor.

Die Geschäftsleitung wollte Ende März oder Anfang April 1985 einen personellen Überhang abbauen. Der Kläger nannte in einer Sitzung vom 6.5.1985 gegenüber Dr. Hans K*** keine Namen von zu kündigenden oder zu versetzenden Mitarbeiter. Er weigerte sich unter anderem deshalb, weil er dagegen war, daß ältere Mitarbeiter der Bank gekündigt werden. Seines Erachtens hätte man von Kündigungen Abstand nehmen können.

Zwischen dem Kläger und Dr. Hans K*** war es wiederholt zu Meinungsverschiedenheiten betreffend einen Personalüberhang, die Kündigung oder Versetzung von Mitarbeitern und die Einführung von Neuerungen in der Bank gekommen. Der Kläger setzte sich dafür ein, Mitarbeitern die Möglichkeit einer Definitivstellung zu eröffnen. Die Tatsache, daß der Kläger mit den vorgesehenen Umstrukturierungen nicht einverstanden war, brachte er auch in einem Schreiben an den Vorstand und Aufsichtsrat zum Ausdruck. Er meinte darin, daß die Bank in ein Chaos geführt werde.

Das Schreiben des Klägers vom 25.5.1987, Beilage ./A, war für Dr. Hans K*** Anlaß, den Ausschluß des Klägers in die Wege zu leiten. Es wurde für den 4.6.1987 eine Vorstandssitzung mit dem auf den Ladungen aufscheinenden Tagesordnungspunkt "Robert M***" einberufen. In dieser Sitzung meinte Dr. Hans K***, daß der Kläger das Arbeitsgerichtsverfahren offensichtlich mutwillig und wider besseres Wissen angestrengt habe. Die Interessen der Genossenschaft würden dadurch geschädigt. Der Kläger habe sich geweigert, an der Gesundung des Unternehmens mitzuwirken und habe versucht, die Mitarbeiter gegen die Geschäftsleitung aufzuwiegeln. Er habe auch erklärt, daß die beabsichtigten Maßnahmen die Bank in ein Chaos führen werden und habe dadurch versucht, ihn, Dr. Hans K***, in ein schlechtes Licht zu rücken. Die von Dr. Hans K*** vorgetragenen Gründe waren für den Vorstand ausreichend, um den Kläger aus der Genossenschaft auszuschließen.

Auf Grund der Beschwerde des Klägers gegen den Ausschließungsbeschluß kam es am 3.12.1987 zu einer Sitzung des Aufsichtsrates, wobei die schriftlichen Einladungen den Tagesordnungspunkt "Robert M***" aufwiesen. Dr. Hans K*** sagte, es seien weitere Gründe bekannt geworden. Der Kläger habe im Arbeitsgerichtsverfahren Fotokopien von Protokollen über Besprechungen der Genossenschaftsführung und über eine Betriebsuntersuchung, des Geschäftsleiterprotokolles vom 13.1.1982, des Protokolles der Vorstandssitzung vom 7.2.1982, der Berechnungen der Betriebsergebnisse der Bank für die letzten Jahre und der Aufstellung über das Ergebnis der Aufgabenanalyse vorgelegt. Der Kläger habe sich widerrechtlich die bezüglichen Fotokopien beschafft, obwohl er zum Teil gar keinen Zutritt zu den Unterlagen gehabt habe. Danach beschloß der Aufsichtsrat einstimmig, der Beschwerde des Klägers gegen den Ausschließungsbeschluß des Vorstandes keine Folge zu geben.

Die vom Kläger im Zuge des Arbeitsgerichtsverfahrens vorgelegten Fotokopien von Urkunden, die in der Sitzung des Aufsichtsrates vom 3.12.1987 eine Rolle spielten, waren teilweise ausschließlich für den Dienstgebrauch bestimmt. Der Kläger kopierte Protokolle über die Geschäftsleitersitzung sowie die Aufsichtsratssitzung vom 13.1.1982 und über die Vorstandssitzung vom 7.2.1982, wobei er die bezüglichen Fotokopien entweder anläßlich des Ersuchens der Sekretärin Margarete S***, das Protokollbuch zum Revisor zu bringen, oder anläßlich eines solchen Auftrages des Revisors anfertigte.

Der Kläger fragte nie, ob er Unterlagen kopieren oder nach Hause mitnehmen dürfe. Dies ist ihm auch nie verboten worden. Ungefähr im Jahr 1974 hat der Kläger beim Autohaus G*** einen PKW gekauft. In weiterer Folge kam er zu G*** und hielt ihm vor, daß er auf Grund seines Einkaufspreises das Fahrzeug eigentlich billiger hätte abgeben müssen. Daß er seine diesbezüglichen Kenntnisse aus einem Beleg eines anderen Autohändlers hatte, der Kunde bei der beklagten Partei war, kann nicht festgestellt werden, auch nicht, daß er einen diesbezüglichen Beleg G*** vorgewiesen hätte.

Im Herbst 1986 wurde der Kläger vom Sektionsobmann des ASKÖ gefragt, ob er in der Sektion Tennis Kassier werden wolle. Der Kläger lehnte dies ab, weil er bei der beklagten Partei gerade Hausverbot hatte und wußte, daß der Verein sein Konto bei der beklagten Partei hatte.

Im Jahr 1987 führte der Kläger im Gasthaus SATZ mit drei oder vier Leuten ein Gespräch über Kontokorrentkredite, wobei er darauf hinwies, daß es möglich wäre, verschiedene Zinssätze auszuhandeln. Er nannte in diesem Zusammenhang nicht den Namen der beklagten Partei; von einem "Hineinlegen" war nicht die Rede. Im Jahr 1987 wurde der Kläger von Ursula H*** zweimal angesprochen, was er denn in Zukunft tun werde. Er antwortete sinngemäß, er sei in Pension und werde nicht mehr arbeiten. Der Kläger sprach nicht davon, daß er vor habe, die Bank zu schädigen. Nach der Kündigung des Dienstverhältnisses des Klägers haben Verwandte des Klägers ihre Geschäftsbeziehung zur beklagten Partei aufgelöst. Die Kündigung war für diese Verwandten zwar zumeist der Anlaß, die Geschäftsbeziehungen aufzulösen, doch hat sie der Kläger hiezu nicht veranlaßt.

Zur Zeit hat der Kläger bei der Beklagten lediglich sein Gehaltekonto, auf dem ein Betrag von etwa S 2.000 aufscheint. Prämiensparkonto und Sparbuch hat der Kläger nach Auflösung des Dienstverhältnisses von der beklagten Partei abgezogen. Von den zuletzt festgestellten Vorfällen, beginnend mit dem Vorfall "G***", hat die beklagte Partei erst nach dem Ausschluß des Klägers erfahren.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, der Ausschluß eines Genossenschafters müsse wegen der mit dem Verlust der Mitgliedschaft verbundenen Nachteile grundsätzlich rigoros geprüft werden. Die von der beklagten Partei ins Treffen geführten Ausschließungsgründe hielten einer solchen Prüfung nicht stand. Der Kläger habe das Arbeitsgerichtsverfahren unter Bedachtnahme auf die dort vorliegenden Beweisergebnisse nicht mutwillig angestrengt oder betrieben. Der Vorwurf der beklagten Partei, der Kläger habe an der Gesundung des Bankunternehmens nicht mitgewirkt, habe mit seiner Stellung als Genossenschafter nichts zu tun; seine Weigerung könne höchstens in arbeitsrechtlicher Sicht von Bedeutung sein. Dasselbe gelte für den Vorwurf, er habe durch Verwendung des Wortes "Chaos" versucht, Dr. Hans K*** in ein schlechtes Licht zu rücken. Der Inhalt des Schreibens Beilage ./A sei nicht geeignet, die Interessen oder das Ansehen der Beklagten zu schädigen. Dasselbe gelte für die vom Kläger kopierten Protokolle, die er zur Untermauerung seines Standpunktes im Arbeitsgerichtsverfahren habe verwenden dürfen. Das Verhalten des Klägers sei sohin nicht geeignet gewesen, die Interessen oder das Ansehen der beklagten Partei zu schädigen.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 60.000, aber nicht S 300.000 übersteigt, und daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig ist. Das Berufungsgericht vertrat die Meinung, daß es auf die von der beklagten Partei bekämpften und begehrten Feststellungen, die angebliche Handlungen des Klägers betreffen, die nicht Gegenstand des Ausschließungsverfahrens waren, nicht ankomme. Es übernahm im übrigen die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich. In seiner rechtlichen Beurteilung führte die zweite Instanz aus, das Gericht habe einen Ausschließungsbeschluß in formeller und materieller Hinsicht zu überprüfen. Dabei habe das Gericht auch zu beurteilen, ob die von der Genossenschaft als erwiesen angenommenen Tatsachen den geltend gemachten Ausschließungsgrund rechtfertigten. Es sei aber nicht zulässig, der Beschlußfassung nicht zugrundeliegende Ausschließungsgründe geltend zu machen, diese also "nachzuschieben". Gegenstand der gerichtlichen Nachprüfung sei der Sachverhalt, wie er sich bei der Beschlußfassung durch den Vorstand bzw. Aufsichtsrat dargestellt habe. Es stehe einer Genossenschaft frei, bei Auftauchen weiterer Ausschließungstatbestände einen entsprechenden Beschluß zu fassen. Eine Ausschließung im Sinne des § 7 Abs 1 lit c der Statuten der beklagten Partei sei gerechtfertigt, wenn das Mitglied Handlungen setze, die geeignet sind, die Interessen oder das Ansehen der beklagten Partei zu schädigen. Die dem Kläger vorgeworfenen Handlungen erfüllten diesen Tatbestand nicht. Das Ersuchen des Klägers vom 25.5.1987 habe nur genossenschaftsinterne Belange betroffen und keine Wirkung nach außen entfaltet. Auch bei der dem Kläger vorgeworfenen Weigerung, an der Gesundung des Unternehmens der beklagten Partei mitzuwirken, handle es sich nur um bankinterne Belange. Überdies müsse dem Kläger als seinerzeit leitendem Angestellten zugebilligt werden, eine eigene Meinung zu den beabsichtigten Maßnahmen zu äußern und auch zu vertreten. Von einer mutwilligen Prozeßführung des Klägers durch Einleitung und Fortführung des Verfahrens 32 Cga 1021/87 des Erstgerichtes könne schon deshalb keine Rede sein, weil der Berufung des Klägers gegen das abweisende Ersturteil teilweise, wenn auch noch nicht rechtskräftig, Folge gegeben worden sei. Welche weiteren Gerichtsverfahren vom Kläger mutwillig und wider besseres Wissen gegen die beklagte Partei eingeleitet worden seien, habe die beklagte Partei im Verfahren vor dem Erstgericht nicht angegeben. Habe der Kläger im arbeitsgerichtlichen Verfahren Protokolle und Urkunden vorgelegt, die er kopiert und nach Hause mitgenommen habe, sei zu berücksichtigen, daß es sich hiebei um Beweismittel zur Stützung seiner Ansprüche handle. Die an dem Verfahren beteiligten Rechtsanwälte und Gerichtspersonen seien zur Verschwiegenheit verpflichtet. Daß etwa Zuhörern Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse bekannt geworden seien, wodurch Interessen oder Ansehen der beklagten Partei hätten geschädigt werden können, habe die beklagte Partei nicht behauptet. Die Revision sei zuzulassen gewesen, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage, ob ein "Nachschieben" von Ausschlußtatbeständen bei Ausschließung eines Genossenschafters zulässig ist, noch nicht ausdrücklich Stellung genommen habe. Gegen das Urteil der zweiten Instanz richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist begründet.

Die beklagte Partei wendet sich gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, das "Nachschieben" von Ausschlußgründen im "nachkontrollierenden" Gerichtsverfahren sei nicht zulässig. Sie stellt dabei insbesondere Vergleiche zwischen einem Verfahren wie dem vorliegenden und einem arbeitsgerichtlichen Verfahren wegen ungerechtfertigter Entlassung an, bei dem das "Nachschieberecht" unbestritten Geltung habe. Die Durchführung eines zweiten Ausschlußverfahrens wegen erst nach dem Ausschluß bekannt gewordener, zum Zeitpunkt des Ausschlusses aber bereits verwirklichter Tatbestände widerspreche dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und erfordere einen unnötigen prozessualen Aufwand. In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und in der österreichischen Lehre (vgl. Kastner, Grundriß des Österreichischen Gesellschaftsrechtes4; Hämmerle-Wünsch, Handelsrecht3; Kainert, Österreichisches Genossenschaftsrecht) wurde zur Frage, ob es zulässig ist, im Verfahren über die sich gegen den Ausschließungsbeschluß richtende Feststellungsklage Ausschließungsgründe "nachzuschieben", die nicht Grundlage des Ausschließungsbeschlusses gewesen waren, obwohl sie im Zeitpunkt der Ausschließung bereits vorlagen, bisher nicht Stellung genommen. Die deutsche Lehre (Lang/Weidmüller, Genossenschaftsgesetz32, Rz 65 zu § 68; Müller, Die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, II, Rz 56 zu § 68) und ebenso die deutsche Rechtsprechung vertreten die Ansicht, es sei unzulässig, daß die Genossenschaft im gerichtlichen Verfahren Ausschließungsgründe nachschiebe, die nicht Grundlage des Ausschließungsbeschlusses gewesen seien. Das Gericht habe nur zu prüfen, ob der von der Genossenschaft im Ausschließungsbeschluß geltend gemachte Ausschließungsgrund die Ausschließung rechtfertige. Bei der Prüfung der vorerwähnten Frage darf allerdings nicht übersehen werden, daß sich das Ausschließungsverfahren im deutschen Rechtsbereich wesentlich von dem Verfahren unterscheidet, das zur Ausschließung des Klägers geführt hat. Nach im deutschen Rechtsbereich einheitlich vertretener Ansicht (Müller aaO Rz 31 ff; Lang/Weidmüller aaO Rz 28 ff) hat der Auszuschließende Anspruch auf rechtliches Gehör. Einem Genossenschaftsmitglied, das ausgeschlossen werden soll, ist danach deshalb zwecks Vermeidung der Unwirksamkeit der Ausschließung von der beabsichtigten Ausschließung unter Mitteilung der Gründe Kenntnis und vor der Beschlußfassung über die Ausschließung Gelegenheit zur Rechtfertigung zu geben. Dem Auszuschließenden ist eine angemessene Frist für die Stellungnahme einzuräumen. Die Mitteilung muß alle wesentlichen Gesichtspunkte umfassen, der Sachverhalt muß so genau umschrieben werden, daß das Mitglied zuverlässig erkennen kann, was ihm zum Vorwurf gemacht werden soll. Entsprechendes gilt für den Ausschließungsbeschluß. Der Betroffene muß wissen, gegen welche Feststellungen und Wertungen er sich im einzelnen zu wehren hat.

Der Oberste Gerichtshof hat sich der Ansicht, es müsse dem Genossenschafter vor dem Ausschluß bei sonstiger Unwirksamkeit das rechtliche Gehör zur Darlegung seines Standpunktes gewährt werden, unter Ablehnung der deutschen Judikatur und Literatur, "die im Gesetz selbst keine Stütze habe", nicht angeschlossen. Das rechtliche Gehör werde dem Auszuschließenden dadurch gewährt, daß er im "Anfechtungsprozeß" zu Wort komme (SZ 30/30). Nur dann, wenn dies in den Statuten vorgesehen ist, ist nach der Rechtsprechung des Revisionsgerichtes dem Auszuschließenden die Möglichkeit zu geben, sich zur Ausschließung zu äußern (was wiederum voraussetzt, daß dem Auszuschließenden konkretisierte und substantiierte Anschuldigungen vorgehalten werden, weil ihm sonst nicht die Möglichkeit gegeben ist, sich zur Ausschließung entsprechend zu äußern - HS Erg/124; vgl. Hämmerle-Wünsch aaO 498 und Kainert aaO Rz 702). Waren aber dem Auszuschließenden die Gründe seines Ausschlusses nicht bekanntzugeben, besteht (ähnlich wie in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren, in dem von einem entlassenen Dienstnehmer das Vorliegen eines vom Gesetz gebilligten Entlassungsgrundes bekämpft wird, und in dem nach einhelliger Ansicht der Dienstgeber alle Entlassungsgründe geltend machen kann, soferne sie nur im Zeitpunkt der Entlassung bereits vorgelegen sind und das Entlassungsrecht insoweit nicht untergegangen ist - auch solche, die der Dienstgeber erst nach der Entlassung erfahren hat - Kuderna, Das Entlassungsrecht 30; Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht I3, 304) keine Veranlassung, der Genossenschaft im gerichtlichen Verfahren das "Nachschieben" weiterer, im Ausschließungsverfahren nicht erörterter oder auch ihr zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bekannter, aber bereits vorhandener Ausschließungsgründe zu verwehren. Denn der - nicht bestehende - Anspruch des Auszuschließenden auf rechtliches Gehör wird hiedurch nicht verletzt (vgl. hiezu auch die Entscheidung RGZ 88, 193 sowie Lang/Weidmüller aaO, Rz 34). Im vorliegenden Fall sehen die Statuten der beklagten Partei eine Anhörung des Auszuschließenden und eine Bekanntgabe der Ausschlußgründe in der Mitteilung des Ausschlusses nicht vor. Die beklagte Partei war daher nicht gehindert, im gerichtlichen Verfahren neue Ausschließungstatbestände, die zur Zeit des Ausschlusses bereits bestanden haben, "nachzuschieben". Mit diesen Ausführungen im Einklang steht die Rechtsauffassung, aus dem Umstand, daß der Ausschließungsbeschluß (mangels entgegenstehender Bestimmungen in der Satzung) nicht zu begründen ist, könne geschlossen werden, daß es genügt, wenn die erforderliche Mehrheit den Beschluß faßt und zur Zeit der Beschlußfassung ein den Ausschluß rechtfertigender Grund vorhanden ist, es aber nicht erforderlich ist, daß gerade dieser Grund die Abstimmung in dem die Ausschließung beschließenden Organ motiviert hat (SZ 28/243). Das Berufungsgericht wird sich deshalb im fortgesetzten Verfahren mit der Tatsachen- und Beweisrüge, betreffend angebliche Handlungen des Klägers, die nicht Gegenstand des Ausschließungsverfahrens waren, zu befassen haben.

Verfehlt ist der Vorwurf der beklagten Partei, die Vorinstanzen hätten es "offenbar aus Gründen einer unrichtigen Rechtsauffassung" unterlassen, Feststellungen darüber zu treffen, daß der Kläger seine auf Sparkonto befindlichen Einlagen abgezogen und bei einem Konkurrenzunternehmen angelegt habe. Denn er habe damit gegen § 2 der Satzung verstoßen und zu erkennen gegeben, daß er nicht bereit sei, den Zweck der Genossenschaft zu fördern und zu unterstützen. Nach § 2 Abs 1 der Satzung (vgl. § 1 Abs 1 GenG) ist zwar Zweck der beklagten Partei im wesentlichen die Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder; es sollen im weitesten Sinn für die Mitglieder ökonomische Leistungen erbracht werden (Lang/Weidmüller aaO, Rz 27 ff zu § 1). Daß aus diesem Grund aber die Mitglieder der Genossenschaft verpflichtet wären, Spareinlagen ausschließlich bei der beklagten Partei zu tätigen, ist der Satzung der beklagten Partei nicht zu entnehmen.

Daß die Frage, ob ein Genossenschafter ausgeschlossen werden kann, wegen der mit dem Verlust der Mitgliedschaftsrechte verbundenen Nachteile grundsätzlich streng zu prüfen ist, entspricht ständiger Rechtsprechung (HS 9694). Dieser Beurteilungsmaßstab ist keineswegs auf den Ausschluß des Mitgliedes einer Wohnungsgenossenschaft (HS 4474/48) beschränkt.

Das Berufungsgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, daß die von ihm geprüften Ausschließungsgründe einen Ausschluß des Klägers aus der beklagten Partei nicht rechtfertigen. Es ist zwar richtig, daß das Arbeitsgerichtsverfahren öffentlich ist und daß sich die Verschwiegenheitsverpflichtung eines Rechtsanwaltes auf sein Verhältnis zu seinem Mandanten bezieht und nicht absolut ist. Doch schließt sich das Revisionsgericht der Ansicht der Vorinstanzen an, daß die Vorlage fotokopierter Vorstands- und Aufsichtsratsprotokolle der beklagten Partei im arbeitsgerichtlichen Verfahren durch den Kläger zur Stützung seines Rechtsstandpunktes an sich noch nicht geeignet war, die Interessen oder das Ansehen der beklagten Partei zu schädigen. Die Eignung zu einer solchen Schädigung der beklagten Partei unter den gegebenen Umständen wurde von der beklagten Partei (ungeachtet ihrer Ausführungen in der Tagsatzung vom 27.9.1988, AS 95 ff) im übrigen nicht entsprechend konkretisiert.

Nicht berechtigt sind aber auch die Ausführungen in der Revisionsbeantwortung des Klägers über angeblich formelle Fehler des Ausschließungsverfahrens.

Nach § 7 Abs 2 der Satzung (alt) erfolgt der Ausschluß eines Mitgliedes durch Vorstandsbeschluß und ist dem Betroffenen von der R***-B*** (jetzt: von der V***)

mittels eingeschriebenen Briefes unverzüglich mitzuteilen. Sieht man aber auch in dieser Mitteilung eine Durchführung des Ausschließungsbeschlusses im Sinne des § 12 Abs 5 der Satzung (alt), handelt es sich doch dabei um eine bloße Ordnungsvorschrift (Lang/Weidmüller aaO, Rz 36 zu § 68); die allenfalls nicht satzungsgemäße Unterfertigung der Mitteilung ist daher unbeachtlich. Eine fehlerhafte Einberufung der Aufsichtsratssitzung vom 3.12.1987, weil diese, da es sich um eine gemeinsame Sitzung des Vorstandes und des Aufsichtsrates gehandelt habe, durch den Obmann des Vorstandes hätte erfolgen sollen, wurde im Verfahren vor dem Erstgericht nicht geltend gemacht. Ein derartiger Fehler wäre im übrigen - die Sitzung wurde ordnungsgemäß abgehalten - unerheblich, da nicht ersichtlich ist, welche Folgerungen daraus für oder gegen den Kläger abgeleitet werden könnten.

Der Beschluß, der Beschwerde des Klägers gegen den Ausschließungsbeschluß des Vorstandes nicht Folge zu geben, wurde satzungsgemäß allein vom Aufsichtsrat gefaßt. Daß dieser Beschluß nicht in einer gemeinsamen Sitzung des Aufsichtsrates und des Vorstandes gefaßt werden dürfe, ist der Satzung nicht zu entnehmen. Das angefochtene Urteil war aus den dargestellten Gründen aufzuheben und der zweiten Instanz eine neue Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt erfolgte nach § 52 ZPO.

Anmerkung

E20089

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0070OB00734.89.0125.000

Dokumentnummer

JJT_19900125_OGH0002_0070OB00734_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten