TE OGH 1990/1/30 5Ob514/90

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Veröffentlicht am 30.01.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Jensik, Dr.Zehetner, Dr.Klinger und Dr.Schwarz als Richter in der Pflegschaftssache der mj. Synve L***, geboren am 27.April 1972, infolge der Revisionsrekurse der Mutter Mag.Ulrike L***, AHS-Lehrerin, Wien 17., Zeillergasse 13/25, vertreten durch Dr.Maria-Christina Engelhardt, Rechtsanwalt in Wien, und des Vaters Olav L***, Oslo 3, Kirekeveien 65 C, vertreten durch Dr.Michael Mäntler, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 30.November 1989, GZ 47 R 755/89-131, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 9.Oktober 1989, GZ 2 P 89/74-124, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs der Mutter wird zurückgewiesen. Dem Revisionsrekurs des Vaters wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird in Ansehung der Entziehung der der Mutter Mag.Ulrike L*** zukommenden Obsorge für die mj. Synve sowie der Übertragung der Obsorge an den Vater Olav L***, soweit es die gesetzliche Vertretung und die Vermögensverwaltung der Minderjährigen betrifft, und hinsichtlich der Anordnung des sofortigen Vollzuges bestätigt.

Im übrigen, d.h. in Ansehung der Bestellung des Jugendwohlfahrtsträgers zum Sachwalter der mj. Synve hinsichtlich der Pflege und Erziehung sowie der Abweisung des Antrages des Vaters, ihm auch die Pflege und Erziehung der Minderjährigen zu übertragen, wird der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Erstgericht im Umfang der Aufhebung eine neue Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung:

Die am 27.April 1972 geborene Synve entstammt der am 6. Oktober 1976 geschiedenen Ehe des norwegischen Staatsbürgers Olav L*** und der österreichischen Staatsbürgerin Mag.Ulrike L***. Die Minderjährige, die zunächst norwegische Staatsbürgerin war, hat inzwischen die österreichische Staatsbürgerschaft erworben. Mit Beschluß vom 25.Juni 1976, ON 64, wurde das Personensorgerecht über die Minderjährige der Mutter übertragen und der Antrag des Vaters, das Personensorgerecht ihm zu übertragen und ihm ein Besuchsrecht einzuräumen, abgewiesen.

Die Minderjährige wohnte bei ihrer Mutter. Der Vater lebt seit Jahren in Norwegen. Er hat sich wieder verehelicht; aus dieser Ehe stammt ein weiteres Kind.

Aufgrund einer problematischen Mutter-Tochter-Beziehung befand und befindet sich die Minderjährige in einem äußerst schlechten psychischen Zustand. Dies führte im Jahr 1988 zu einer mehrmonatigen Aufnahme der Minderjährigen in die Universitätsklinik für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters. Die Minderjährige hat mehrere Selbstmordversuche (so im Jänner 1987, im Februar 1988 und um die Jahreswende 1988/89) hinter sich. Die von der Psychiatrischen Universitätsklinik zunächst vorgeschlagene "Äquidistanz" der Minderjährigen gegenüber beiden Eltern durch Unterbringung in einem Internat ist daran gescheitert, daß die Minderjährige das von ihr besuchte Internat um die Jahreswende 1988/89 nach ihrem Selbstmordversuch verlassen mußte.

In der Folge stimmte die Minderjährige im Frühjahr 1989 einem mehrwöchigen Besuch bei ihrem Vater in Norwegen während des Sommers 1989 zu. Sie war aus der Klinik weg im Sommer 1988 bereits einmal mit ihrem Vater auf Urlaub gewesen. Kurz vor dem Sommer 1989 erklärte sie unter Hinweis auf geänderte Umstände, daß sie ihren Vater doch nicht besuchen wolle. Die zuletzt genannte Willensäußerung der Minderjährigen ist mit Sicherheit auf ihre problematische Beziehung zu ihrer Mutter und auf deren Einfluß zurückzuführen.

In der ersten Oktoberwoche des Jahres 1989 kam es wieder zu einem massiven Konflikt zwischen Mutter und Tochter, der darin gipfelte, daß die Mutter am 5.Oktober 1989 mit ihrer Tochter in das Psychiatrische Krankenhaus Baumgartner Höhe fuhr und ihr erklärte, sie wolle nicht mehr mit ihr zusammenwohnen, sie halte ihre Tochter nicht mehr aus. Auf ihren ausdrücklichen Wunsch und gegen den Willen ihrer Mutter wurde die Minderjährige sodann vom Psychiatrischen Krankenhaus Baumgartner Höhe in die Universitätsklinik gebracht. Die Minderjährige selbst will nicht mehr zu ihrer Mutter zurückkehren und erklärte auch, daß sie das aufgrund der Äußerungen ihrer Mutter nicht mehr könne. Sie will in einem Heim wohnen. Dies ist auch aus medizinischer Sicht derzeit die beste Lösung für die Minderjährige. Eine Rückkehr der Minderjährigen zu ihrer Mutter würde aufgrund des psychischen Zustandes der Minderjährigen deren Wohl gefährden. Der Vater beantragte bereits im Jahre 1988, ihm die Obsorge hinsichtlich der Minderjährigen zu übertragen. Die Mutter sprach sich dagegen aus.

Das Erstgericht entzog der Mutter die Obsorge, übertrug diese an den Vater, nahm die Erklärung des Vaters, seine Tochter Synve weiter in Wien wohnen zu lassen, zur Kenntnis und setzte den Beschluß in sofortigen Vollzug. Es stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und führte in rechtlicher Hinsicht zusammengefaßt aus, die Obsorge für die Minderjährige sei der Mutter gemäß § 176 ABGB zu entziehen gewesen, weil das Wohl der Minderjährigen durch das Zusammenleben mit der Mutter gefährdet sei. Daß das Verhalten der Mutter nicht schuldhaft gewesen sei, stehe dieser Maßnahme nicht entgegen. Die Obsorge für die Minderjährige sei gemäß § 145 Abs 1 ABGB dem Vater zu übertragen gewesen. Der Umstand, daß der Vater seinen Wohnsitz in Norwegen habe, könne daran nichts ändern. Es stehe ihm frei, die unmittelbare Ausübung der Pflege und Erziehung an andere Personen oder Institutionen (Heim der Gemeinde Wien) zu übertragen. Da sich die Minderjährige derzeit in der Universitätsklinik aufhalte und dieser Aufenthalt nicht allzu lange dauern solle, werde es notwendig sein, für eine anderweitige Unterbringung der Minderjährigen, voraussichtlich in einem Heim, Sorge zu tragen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter teilweise Folge. Es bestätigte den erstgerichtlichen Beschluß in Ansehung der Entziehung der der Mutter zukommenden Obsorge für die Minderjährige sowie der Übertragung der Obsorge an den Vater, soweit es die gesetzliche Vertretung und die Vermögensverwaltung der Minderjährigen betrifft, sowie hinsichtlich der Anordnung des sofortigen Vollzuges und änderte ihn im übrigen, d.h. in Ansehung der Übertragung des Rechtes zur Pflege und Erziehung der Minderjährigen auf den Vater, dahin ab, daß zu diesem Zweck als Sachwalter der Jugendwohlfahrtsträger bestellt und der Antrag des Vaters, ihm auch die Pflege und Erziehung der Minderjährigen zu übertragen, abgewiesen werde. Es trat der Ansicht des Erstgerichtes bei, daß bei dem gegebenen Sachverhalt ein weiteres Belassen der Minderjährigen bei der Mutter im Interesse des Wohles der Minderjährigen unter keinen Umständen in Frage komme und der Mutter die Obsorge für die Minderjährige zu entziehen sei. Das Rekursgericht hatte auch keine Bedenken dagegen, dem Vater die Obsorge für die Minderjährige zu übertragen, soweit es die gesetzliche Vertretung und die Vermögensverwaltung anlangt. Im übrigen führte das Rekursgericht aus, daß der Vater aufgrund der gegebenen Situation, nämlich wegen seines ständigen Aufenthaltes in Norwegen sowie wegen der aus medizinischen Gründen zumindest derzeit nicht in Frage kommenden Übersiedlung der Minderjährigen zum Vater, objektiv nicht in der Lage sei, die Minderjährige zu pflegen und zu erziehen, d.h., ihr die in diesem Rahmen nötige Betreuung zu bieten. Ein Elternteil könne sich zwar grundsätzlich bei der Erfüllung dieser Aufgaben auch Dritter bedienen und diesen die an sich ihm obliegenden Aufgaben weitgehend übertragen. Voraussetzung hiefür sei allerdings, daß er in der Lage sei, effizient zumindest eine gewisse Oberaufsicht zu führen; d.h., er müßte fähig sein, ohne ausschließlich auf Informationen von dritter Seite angewiesen zu sein, sich jederzeit ein Bild von der Situation des Kindes zu verschaffen und allenfalls nötige Maßnahmen unverzüglich zu treffen. Im vorliegenden Fall müsse dies allein zufolge der räumlichen und auf absehbare Zeit nicht vermeidbaren Distanz zur Minderjährigen verneint werden. Die Großeltern der Minderjährigen mütterlicherseits seien verstorben. Väterliche Großeltern befänden sich nicht in Österreich. Im Sinne des § 145 b ABGB sei demnach für die Pflege und Erziehung der Minderjährigen ein Sachwalter zu bestellen. Gemäß § 213 ABGB sei diese Aufgabe, falls sich hiefür sonst eine geeignete Person nicht finden lasse, dem Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen. Angesichts des Umstandes, daß seitens der behandelnden Ärzte im Psychiatrischen Krankenhaus bereits Kontakte mit dem Jugendamt und der Gemeinde Wien, somit faktisch mit dem Jugendwohlfahrtsträger, aufgenommen wurden, und zwar dahingehend, daß die Minderjährige in ein Heim der Stadt Wien, voraussichtlich in die "Stadt des Kindes", kommen solle, entspreche diese Lösung auch am meisten dem Interesse der Minderjährigen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den bestätigenden Teil der rekursgerichtlichen Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs der Mutter ist unzulässig, der gegen den abändernden Teil der rekursgerichtlichen Entscheidung erhobene Revisionsrekurs des Vaters ist im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, daß die Vorinstanzen im Hinblick auf die österreichische Staatsbürgerschaft der Minderjährigen zutreffend das österreichische Familienrecht angewendet haben (§ 24 IPRG; Schwiemann in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 24 IPRG).

1.) Zum Revisionsrekurs der Mutter:

Gegen den - wie hier - in trennbarer Weise bestätigenden Teil einer rekursgerichtlichen Entscheidung ist der Revisionsrekurs nur aus den im § 16 Abs 1 AußStrG genannten Beschwerdegründen der offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit oder einer Nichtigkeit zulässig (EFSlg 46.980/3 ua, zuletzt etwa EFSlg 55.625, 6 Ob 670/89). Keiner dieser Gründe wird von der Revisionsrekurswerberin geltend gemacht.

Verfahrensmängel können in einem außerordentlichen Revisionsrekurs nur dann mit Erfolg releviert werden, wenn sie das Gewicht einer Nichtigkeit erreichen (EFSlg 49.980, 52.804 ua, zuletzt etwa 7 Ob 592/89). Derartige Verfahrensmängel vermag die Revisionsrekurswerberin nicht aufzuzeigen. Verstößen gegen die Stoffsammlungspflicht kommt grundsätzlich nicht das Gewicht einer Nichtigkeit zu (EFSlg 52.802, 7 Ob 592/89). Von einer Nichtigkeit bewirkenden Verletzung des rechtlichen Gehörs kann keine Rede sein, weil die Revisionsrekurswerberin nicht nur im erstinstanzlichen Verfahren, sondern auch im Rekurs Gelegenheit hatte, ihren Standpunkt zu vertreten (EFSlg 46.964, 52.519 ua, zuletzt etwa 3 Ob 557/89).

Eine Aktenwidrigkeit wird nicht dargetan. Die Bekämpfung der Beweiswürdigung der Vorinstanzen mit außerordentlichem Revisionsrekurs ist ausgeschlossen (EFSlg 52.744, 7 Ob 592/89 ua). Eine offenbare Gesetzwidrigkeit läge nur dann vor, wenn gegen die klar ausgedrückte Absicht des Gesetzgebers entschieden oder gegen die Grundprinzipien des Rechtes verstoßen, etwa das Kindeswohl gänzlich mißachtet wird (EFSlg 52.757, 52.759, 55.638 ua, zuletzt etwa 3 Ob 557/89). Bei einer Ermessensentscheidung wie der hier zu treffenden käme dies nur dann in Betracht, wenn der Ermessensspielraum überschritten oder willkürlich vorgegangen wird (EFSlg 55.673, 55.675, 55.679 ua). Die genannten Voraussetzungen sind im gegenständlichen Fall aufgrund des von den Vorinstanzen erhobenen Sachverhaltsbildes nicht gegeben.

Soweit der Revisionsrekurs Neuerungen enthält, kann auf diese im Rahmen des § 16 Abs 1 AußStrG nicht eingegangen werden (JBl. 1958, 100; EFSlg 39.777 ua, zuletzt etwa 6 Ob 660/89).

Der Revisionsrekurs der Mutter war daher zurückzuweisen.

2. Zum Revisionsrekurs des Vaters:

Der Revisionsrekursweber weist zutreffend darauf hin, daß der Elternteil, dem die Pflege und Erziehung des Kindes übertragen wurde, diese keineswegs selbst besorgen muß, sondern auch anderen Personen überlassen kann (EvBl. 1978/127, EFSlg 35.982, 43.389, 48.273 ua, zuletzt etwa 7 Ob 566/89). Das Rekursgericht hat dies auch nicht verkannt, sondern ausführlich die Gründe dargelegt, aus denen es sich bestimmt fand, zur Pflege und Erziehung der Minderjährigen den Jugendwohlfahrtsträger zu bestellen. Der Vater führt dagegen im (ordentlichen) Revisionsrekurs - zulässigerweise, weil es um das Wohl der Minderjährigen geht (EFSlg 34.969, 47.079 ua, zuletzt etwa 3 Ob 557/89) - Tatsachen ins Treffen, die sich zum Teil erst nach der Beschlußfassung des Rekursgerichtes ereignet haben und dartun sollen, daß er durch regelmäßige Reisen von Norwegen nach Österreich sehr wohl in der Lage sei, den notwendigen Kontakt mit der Minderjährigen zu halten und seiner Aufsichtspflicht entsprechend nachzukommen. Darüber hinaus habe er die Minderjährige nach ihrer Entlassung aus der Universitätsklinik nicht in einem Heim der Stadt Wien - in welchem Falle, von dem das Rekursgericht ausgehe, die Übertragung der Pflege und Erziehung auf den Jugendwohlfahrtsträger möglicherweise angezeigt gewesen wäre -, sondern bei der Familie S*** untergebracht. Die Eheleute Wolfgang und Christa S*** habe er, wie aus einer dem Revisionsrekurs beigelegten Fotokopie hervorgehe, mittels notariell beglaubigter Vollmacht ermächtigt und beauftragt, die ihm nach § 144 ABGB zustehenden Rechte wahrzunehmen, seinen Rechtsfreund habe er mit der Oberaufsicht über die Minderjährige betraut, sodaß auch dafür während seiner Abwesenheit aus Österreich gesorgt sei. Bevor dieses mit Beweisanboten versehene Vorbringen des Revisionsrekurswerbers überprüft ist, kann die Frage, wem die Pflege und Erziehung der Minderjährigen zu übertragen ist, nicht abschließend beurteilt werden.

Es war daher dem Revisionsrekurs des Vaters Folge zu geben und spruchgemäß zu beschließen. Die Beurteilung der Frage, ob es notwendig ist, bis zur endgültigen Entscheidung darüber, wem die Pflege und Erziehung der Minderjährigen übertragen wird, diesbezüglich eine vorläufige Anordnung zu treffen (vgl. dazu Pichler in Rummel, ABGB, Rz 8 zu § 176; 6 Ob 604/88), bleibt dem Erstgericht überlassen.

Anmerkung

E19777

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0050OB00514.9.0130.000

Dokumentnummer

JJT_19900130_OGH0002_0050OB00514_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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