TE OGH 1990/2/6 10ObS30/90

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Veröffentlicht am 06.02.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Ernst Chlan (AG) und Anton Tauber (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Adolf H***, ohne Beschäftigung, 2130 Lanzendorf, Altenberg 7, vertreten durch Dr.Hellfried Stadler, Rechtsanwalt in Mistelbach, wider die beklagte Partei P*** DER

A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6.September 1989, GZ 32 Rs 176/89-31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 7. April 1989, GZ 17 Cgs 1334/87-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 18.11.1987 wies die beklagte Partei den Antrag des am 29.4.1941 geborenen Klägers vom 18.8.1987 auf eine Berufsunfähigkeitspension mangels Berufsunfähigkeit ab. Die dagegen rechtzeitig erhobene, auf eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab Anfallstag gemäß § 86 ASVG gerichtete Klage stützte sich darauf, daß der Kläger, der - wie er später vorbrachte - als Angestellter der W*** M*** UND V*** G*** in die Verwendungsgruppe 4 eingestuft sei und seit 1.1.1987 ein monatliches Bruttogehalt von 19.976 S beziehe, infolge seines Gesundheitszustandes seinen Beruf oder eine andere geregelte Tätigkeit nicht mehr ausüben könne.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und wendete ein, der Kläger könne noch seine bisherige Berufstätigkeit als Einkäufer oder eine ähnliche ihm zumutbare Beschäftigung ausüben. Das Erstgericht erkannte das Klagebegehren seit dem 1.9.1987 als dem Grunde nach zu Recht bestehend und trug der beklagten Partei auf, dem Kläger vom 1.9.1987 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Leistung von 1.000 S monatlich zu erbringen.

Zur Arbeitsfähigkeit des Klägers stellte es fest, daß dieser wegen seines im einzelnen beschriebenen Gesundheitszustandes seit dem Pensionsantrag während der gesamten normalen Arbeitszeit bei Einhalten der üblichen Arbeitsunterbrechungen leichte Arbeiten im Sitzen, während insgesamt eines Drittels der täglichen Arbeitszeit auch im Gehen und Stehen ausüben kann, wenn es sich nicht um Arbeiten "über Schulterhöhe", in Kälte und Nässe, auf Leitern und Gerüsten oder in knieender Stellung handelt und nicht mehr als 5 kg gehoben und getragen werden müssen. Der Kläger kann unterwiesen und für "einfache" Berufe, die eine Anlernzeit "von ein paar Monaten" verlangen, angelernt werden, jedoch keinen Lehrberuf mit Gesellenprüfung erlernen. Die Anmarschwege sind nicht eingeschränkt, ein Fußweg bis 1.200 m ist zumutbar.

Zur Ausbildung und zum Berufsleben des Klägers stellte das Erstgericht fest, daß er keinen Beruf erlernt hat und in den letzten 15 Jahren vor dem Pensionsantrag bei der "N***

V***" als Viehein- und -verkäufer im Außendienst in der "Beschäftigungsgruppe 4" (Angestellter mit selbständiger Tätigkeit) tätig war. Im Jänner 1987 betrug sein Bruttomonatslohn

19.976 S. Der Kläger war für den Viehtransport und den Ein- und Verkauf von Schlacht- und Nutzvieh zuständig, disponierte seinen Arbeitsablauf selbständig, hatte bei den Abschlüssen ständig die Marktlage zu beobachten, wußte über den jeweiligen Viehbestand und die Viehhaltung Bescheid und konnte die Gesundheit der Tiere sowie Klasse und Qualität des Fleisches bewerten. Abgesehen von den Viehtransporten verrichtete er seine Tätigkeiten überwiegend im Gehen und Stehen. Dabei fielen Arbeiten aller drei Schweregrade an. Der Kläger erhielt keine innerbetriebliche Einschulung oder irgendeine kaufmännische Einschulung und übte auch keinerlei Bürotätigkeiten aus.

Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes sei der Kläger berufsunfähig, weil er weder seinen Beruf als Viehein- und -verkäufer noch einen zumutbaren Verweisungsberuf ausüben könne. Die zur Beschäftigungsgruppe 3 zählende, mit einem Bruttoverdienst von ca 13.000 S monatlich entlohnte Tätigkeit eines Telefonisten an einer Telefonvermittlungsanlage mit mindestens fünf Amtsleitungen entspräche zwar seiner Leistungsfähigkeit, wäre ihm aber schon wegen des mit der Gehaltseinbuße von ca 7.000 S brutto verbundenen sozialen Abstieges nicht zumutbar.

Das Berufungsgericht gab der inhaltlich nur wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im klageabweisenden Sinne ab.

Die Verweisung auf die nächstniedrigere Verwendungsgruppe eines Kollektivvertrages bedeute nach ständiger Rechtsprechung keinen unzumutbaren sozialen Abstieg. Im vorliegenden Fall übersteige die Entgelteinbuße von 65 % (richtig 35 %) noch nicht den nach § 273 Abs 1 ASVG maßgeblichen Schwellwert von 50 %. Diese Differenz sei auch weniger auf die hohe Berufsqualifikation des Klägers, sondern überwiegend auf das überdurchschnittlich hohe Entgelt beim früheren Dienstgeber zurückzuführen. Wegen der noch zumutbaren Verweisung auf die Tätigkeit eines Telefonisten (der Beschäftigungsgruppe 3) sei eine Berufsunfähigkeit nach § 273 Abs 1 ASVG zu verneinen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der erstinstanzlichen Entscheidung abzuändern. Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben. Das nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Rechtsmittel ist nicht berechtigt. Weil der Kläger das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist seine Berufsunfähigkeit nach § 273 Abs 1 ASVG zu beurteilen. Er würde daher als berufsunfähig gelten, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken wäre.

Rechtliche Beurteilung

Die Pensionsversicherung der Angestellten ist eine Berufs(gruppen)versicherung, deren Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit, die Berufsunfähigkeitspension, bereits einsetzt, wenn der Versicherte infolge seines körperlichen und/oder geistigen Zustandes einen Beruf seiner Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann. Dabei ist von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den der Versicherte zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübt hat. Dieser Beruf bestimmt das Verweisungsfeld, dh die Summe aller Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (SSV-NF 2/73, 92 mwN uva). Dabei kommt es allerdings nur darauf an, welcher Berufsart die Tätigkeit des Versicherten allgemein und nicht nach ihrer besonderen Ausprägung an einem bestimmten Arbeitsplatz zuzuordnen ist. Die arbeitsplatzbezogene besondere Art der Tätigkeit ist nur entscheidend, wenn nach § 273 Abs 3 lit c ASVG zu prüfen ist, ob ein Versicherter während bestimmter Zeit eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hat. Reichen Ausbildung, Kenntnisse und Fähigkeiten eines Versicherten nicht aus, auch andere (allgemein) zu einer Berufs(Beschäftigungs)gruppe gehörende Tätigkeiten auszuüben, dann kann er nur den Berufsschutz der Berufsgruppe beanspruchen, der Versicherte von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten angehören (SSV-NF 3/41).

Daraus ergibt sich im vorliegenden Fall:

Aus den Feststellungen im Zusammenhalt mit dem diesbezüglich unbestrittenen Akteninhalt ergibt sich, daß der Kläger nach dem Besuch der Volksschule in der elterlichen Landwirtschaft, als Autoverkäufer und als Kraftfahrer tätig war, wobei

er - wahrscheinlich während der erstgenannten

Tätigkeit - verschiedene Kurse im landwirtschaftlichen Bereich besuchte. Für seine folgende Tätigkeit als Viehein- und -verkäufer im Außendienst erfuhr er keine innerbetriebliche Einschulung, insbesondere keinerlei kaufmännische Einschulung. Er übte keine Bürotätigkeiten aus und hatte auch nichts mit der Verrechnung zu tun. Wenn er keine Kunden besuchte, führte er Viehtransporte durch. Daraus folgt, daß der Kläger weder über eine kaufmännische Ausbildung, noch über jene kommerziellen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die für kaufmännische Angestellte mit selbständiger Tätigkeit (Beschäftigungsgruppe 4) oder auch nur für solche Angestellte, die auf Anweisung schwierige Tätigkeiten selbständig ausüben (Beschäftigungsgruppe 3), allgemein üblich sind. Seine Ausbildung, seine Kenntnisse und Fähigkeiten beschränken sich vielmehr auf den für seine Tätigkeit bei der W*** erforderlichen, verhältnismäßig engen Bereich. Wie schon das Erstgericht ausgeführt hat, war dieses mangelnde kaufmännische Fachwissen - und nicht etwa gesundheitliche Einschränkungen - der Grund, weshalb der berufskundliche Sachverständige und ihm folgend auch die Vorinstanzen in der Beschäftigungsgruppe 4 keine Verweisungstätigkeiten und in der Beschäftigungsgruppe 3 nur noch die eines Telefonisten nennen konnten.

Deshalb kann der Kläger nicht den Berufsschutz eines Angehörigen der Beschäftigungsgruppen 3 oder gar 4, sondern nur eines Angestellten der Beschäftigungsgruppe 2 beanspruchen, weil seine Ausbildung und seine Kenntnisse und Fähigkeiten üblicherweise nur zur Ausführung der in die letztgenannte Beschäftigungsgruppe fallenden einfachen Angestelltentätigkeiten ausreichen. Andernfalls wären Versicherte, die zwar die gleiche Tätigkeit wie der Kläger ausübten, aber auch über eine in den Beschäftigungsgruppen 3 und 4 allgemein übliche kaufmännische Ausbildung verfügten, gegenüber dem Kläger schlechter gestellt, weil sie sich auf Tätigkeiten dieser Gruppen im Innendienst verweisen lassen müßten. Geringere Kenntnisse und Fähigkeiten und eine schlechtere Ausbildung können aber in der Frage, ob eine Verweisungstätigkeit mit einem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden wäre, zu keiner günstigeren Beurteilung gegenüber besser ausgebildeten Versicherten, welche die gleiche Tätigkeit verrichtet haben, führen.

Daß es in der Beschäftigungsgruppe 2, insbesondere im Büro- und Rechnungswesen, eine Reihe von Tätigkeiten gibt, für welche die Arbeitsfähigkeit des Klägers noch ausreicht, ist gerichtsbekannt. Aus den dargelegten Gründen ist die Verweisung auf diese Tätigkeiten auch nicht mit einem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden.

Eine Berufsunfähigkeit des Klägers im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG wurde daher vom Berufungsgericht mit Recht verneint, weshalb der Revision nicht Folge zu geben war, ohne daß auf die den Schwerpunkt der Rechtsrüge bildende Frage näher eingegangen werden mußte, ob der Kläger auf die Tätigkeit eines Telefonisten an Apparaten mit mindestens fünf Amtsanschlüssen verwiesen werden darf. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG (SSV-NF 1/19; 2/26, 27).

Anmerkung

E20168

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00030.9.0206.000

Dokumentnummer

JJT_19900206_OGH0002_010OBS00030_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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