TE OGH 1990/2/22 7Ob3/90

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Veröffentlicht am 22.02.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DER A*** Allgemeine Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 1., Hoher Markt 10-12, vertreten durch Dr. Karl Haas, Rechtsanwalt in St. Pölten, wider die beklagte Partei Ing. Manfred S***, Angestellter, Oberwölbling 12, vertreten durch Dr. Markus Distelberger, Rechtsanwalt in Herzogenburg, wegen S 16.787,-- s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Berufungsgerichtes vom 9. Mai 1989, GZ. R 187/89-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Herzogenburg vom 15. November 1988, GZ. 1 C 215/88t-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.993,12 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten S 1.500,-- Barauslagen und S 905,92 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Firma Autohaus S*** hat für ihren PKW-Toyota, pol. Kennzeichen N 117.332, bei der beklagten Partei eine Kaskoversicherung. Dem Versicherungsverhältnis liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Fahrzeug-Kaskoversicherung die die Fahrzeuginsassen-Unfallversicherung (AFIB 1986) und die Allgemeinen Bedingungen für die Fahrzeug-Kollisionskaskoversicherung (KKB 1986) zugrunde. Art. 5 3.1 der AFIB bestimmt als Obliegenheit im Sinne des § 6 Abs. 3 VersVG, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen. Nach Art. 6 der KKB findet § 67 VersVG gegenüber dem berechtigten Lenker nur dann Anwendung, wenn auch einem Versicherungsnehmer bei gleichem Sachverhalt Leistungsfreiheit einzuwenden gewesen wäre.

Am 7. August 1987 verschuldete der Beklagte als berechtigter Lenker mit dem PKW einen Verkehrsunfall. Die klagende Partei leistete an ihre Versicherungsnehmerin eine Entschädigung von S 16.787 und begehrt deren Ersatz vom Beklagten. Strittig ist, ob der Regreßverzicht nach Art. 6 KKB wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach Art. 5 3.1 AFIB zum Tragen kommt. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen ließ sich der Beklagte am 7. August 1987 von der Firma Autohaus S*** kostenlos den PKW zur Verfügung stellen und streifte damit an seinem Haus in Oberwölbling die Hausmauer. Am nächsten Tag, einem Samstag, gab er den PKW an die Firma Autohaus S*** zurück und ließ einen Unfallbericht ausfüllen, der im wesentlichen nur die Angabe enthält, daß der namentlich bezeichnete Lenker eine Mauer gestreift habe und sichtbare Schäden an der linken Seite des PKW's vorhanden seien. Da der Unfallsbericht unvollständig war, schrieb die klagende Partei am 7. Oktober 1987 dem Beklagten und ersuchte um Bekanntgabe, wann sich der Unfall ereignet hat (Tag und Uhrzeit), wo sich der genaue Schadensort befindet, welche Gendarmeriedienststelle ein Protokoll aufgenommen hat, ob es für den Unfall Zeugen gibt und ob auch die Mauer beschädigt wurde. Weiters wurde um eine genaue Unfallsschilderung ersucht. Der Beklagte erhielt dieses Schreiben sowie auch die Urgenz vom 10. Dezember 1987, die im wesentlichen die gleichen Fragen enthielt. Daraufhin suchte der Beklagte den Kurt K*** von der Firma Autohaus S*** auf, um ihn darauf hinzuweisen, daß etwas beim Unfallsbericht nicht in Ordnung sei. Kurt K*** rief den Versicherungsberater der klagenden Partei S*** an. Ob und welche Vereinbarungen zwischen diesen beiden getroffen wurde, ist nicht bekannt. Mit Schreiben vom 21. Jänner 1988 ersuchte die klagende Partei den Beklagten letztmalig, die an ihn gestellten Fragen zu beantworten, da ansonsten der Betrag von S 16.787 zurückgefordert werde. Auch diesem Schreiben entsprach der Beklagte nicht.

Nach der Ansicht des Erstgerichtes sei die klagende Partei schon allein aufgrund des § 67 Abs. 1 VersVG berechtigt, vom Beklagten Ersatz der Versicherungsleistung zu begehren.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab und sprach aus, daß die Revision zulässig ist.

Nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes könnten zwar Obliegenheiten nicht nur den Versicherungsnehmer, sondern auch Dritte treffen, insbesondere Personen, die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag geltend machten oder sonst kraft eines Interesses in einer Sonderrechtsbeziehung zum Versicherer stünden. Hier bestehe aber weder gegenüber dem Lenker eine Leistungs- oder eine Deckungspflicht des Versicherers noch ein unmittelbares Rechtsverhältnis zwischen Versicherer und Lenker. Den Lenker träfe daher nicht die vereinbarte Aufklärungsobliegenheit, sodaß ihm gegenüber auch keine Leistungsfreiheit wegen Verletzung dieser Obliegenheit eintreten könne. Der Lenker könne insoweit einen gleichartigen Sachverhalt wie der Versicherungsnehmer nicht setzen. Eine andere Auslegung des Art. 6 KKB würde zu einer nicht gerechtfertigten Beweislastverschiebung führen. Grundsätzlich habe der Schädiger den Kausalitätsnachweis zu erbringen. Könnte sich der Versicherer dem Lenker gegenüber auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht berufen, käme dies einer Verschiebung der Beweislast gleich. Dies sei durch § 67 VersVG nicht gedeckt. Der berechtigte Lenker dürfe weder unmittelbar noch im Wege einer Auslegung des Art. 6 KKB im Verhältnis zum Versicherer gezwungen werden, an der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken bzw. allenfalls ihm nachteilige Umstände bekanntzugeben. Im Anwendungsbereich der KKB sei § 67 VersVG gegenüber dem berechtigten Lenker nicht anwendbar, wenn dieser Handlungen gesetzt habe, die einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht darstellten, wenn sie der Versicherungsnehmer begangen hätte.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der klagenden Partei ist berechtigt.

Grundsätzlich ist der Lenker in der Kaskoversicherung nicht Mitversicherter, sondern Dritter im Sinne des § 67 VersVG (SZ 59/214 mwN). Verursacht daher der Lenker schuldhaft eine Beschädigung des Fahrzeugs, steht dem Versicherungsnehmer gegen ihn ein Anspruch auf Ersatz des Schadens zu, der gemäß § 67 Abs. 1 VersVG auf den Versicherer übergeht, soweit dieser dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt. Der Versicherer kann jedoch auf das Regreßrecht nach § 67 Abs. 1 VersVG verzichten. Ein solcher Verzicht zugunsten des berechtigten Lenkers bewirkt dessen Befreiung vom Risiko, zum Ersatz des von ihm verursachten Schadens herangezogen zu werden. Die auf die Versicherung eigener Sachen gerichtete Versicherung des Versicherungsnehmers umfaßt in einem solchen Fall auch eine Fremdversicherung. Der Verzicht zugunsten des Schädigers ist nichts anderes als eine Form der - wenn auch nur

teilweisen - Mitversicherung des Sachersatzinteresses dieses Schädigers (Martin SVR2 J I 11; vgl. auch Prölss-Martin24 499). Kommt dem berechtigten Lenker aber insoweit die Stellung eines Mitversicherten zu, gilt für ihn auch § 79 VersVG, der auch dem (Mit-)Versicherten die Beachtung der vereinbarten Obliegenheiten auferlegt (Bruck-Möller-Sieg VVG8 II 981; Prölss-Martin aaO 501 und 511). Nichts anderes ergibt sich aus der Einschränkung des Regreßrechtes des Versicherers gemäß Art. 6 KKB, wonach § 67 VersVG gegenüber dem berechtigten Lenker nur dann Anwendung findet, wenn auch einem Versicherungsnehmer als Lenker bei gleichem Sachverhalt Leistungsfreiheit einzuwenden gewesen wäre. Beruft sich der berechtigte Lenker, der vom Versicherer im Regreßweg in Anspruch genommen wird, auf die mit dem Versicherungsnehmer vereinbarte Einschränkung des Regreßrechtes des Versicherers - der Beklagte hat ausdrücklich auf die Bestimmung des Art. 6 KKB verwiesen; AS 16 ON 4 - muß er sich auch einen Leistungsfreiheit bewirkenden Sachverhalt entgegenhalten lassen. Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichtes ist daher abzulehnen.

Die Verpflichtung, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen, besteht darin, daß der Versicherungsnehmer alles Zweckdienliche zur Aufklärung des Unfallsereignisses zu unternehmen hat, dies selbst dann, wenn es seinen eigenen Interessen zum Nachteil gereicht. Durch die Aufklärung soll der Versicherer in die Lage versetzt werden, sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalles zu treffen. Die Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers soll insbesondere auch die nötigen Feststellungen über den Unfallsablauf ermöglichen. Es genügt, daß die begehrte Auskunft abstrakt zur Aufklärung des Schadensereignisses geeignet ist (ZVR 1983/348 uva.). Daß letzteres auf die von der klagenden Partei vom Beklagten begehrten Auskünfte zutrifft, kann nicht zweifelhaft sein, enthält doch die erstattete Schadensmeldung nur die lapidare Angabe, daß der Lenker eine Mauer streifte. An näheren Angaben über den Unfallsort und den Unfallshergang besteht zur Beurteilung des Verschuldensgrades ein berechtigtes Interesse des Versicherers. Ebenso fällt die Benennung von Zeugen unter die Auskunftspflicht (vgl. Prölss-Martin aaO 221). Da der Beklagte diese Auskünfte nicht erteilte, liegt ein Sachverhalt vor, der objektiv eine Obliegenheitsverletzung darstellt. Dem Beklagten oblag daher ebenso wie einem Versicherungsnehmer sowohl der Beweis eines geringeren oder fehlenden Verschuldens als auch der Kausalitätsgegenbeweis (SZ 49/129; SZ 47/116; Petrasch, Obliegenheitsverletzung und Leistungsfreiheit in den Kfz-Versicherungen in ZVR 1985/68). Es kann unerörtert bleiben, ob dem Beklagten nicht ohnedies schon Vorsatz zur Last fällt, in welchem Fall volle Leistungsfreiheit des Versicherers gegeben und ein Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen wäre (SZ 50/37). Da der Beklagte mehrfach von der klagenden Partei um Auskunft ersucht und auf die Folgen der Unterlassung hingewiesen wurde, ist ihm jedenfalls grobe Fahrlässigkeit anzulasten. Für den in diesem Fall zulässigen Kausalitätsgegenbeweis hätten aber jene Tatsachen behauptet und nachgewiesen werden müssen, aus denen sich ergibt, daß die Verletzung der Aufklärungsobliegenheit weder Einfluß auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung oder den Umfang der Versicherungsleistung gehabt hat. In dieser Richtung fehlt es aber schon an entsprechenden Tatsachenbehauptungen in erster Instanz.

Das Erstgericht hat daher im Ergebnis zu Recht im Sinne des Klagebegehrens erkannt.

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E20395

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0070OB00003.9.0222.000

Dokumentnummer

JJT_19900222_OGH0002_0070OB00003_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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