TE OGH 1990/2/27 10ObS373/89

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Veröffentlicht am 27.02.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Elmar Peterlunger (Arbeitgeber) und Karl Klein (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Otto K***, Schiffmühlenstraße 58-64/12/18, vertreten durch Mag. Christa M***, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, diese vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei V*** DER Ö***

E***, Linke Wienzeile 48-52, 1061 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Feststellung von Versicherungszeiten, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. August 1989, GZ 32 Rs 94/89-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 12. Oktober 1988, GZ 24 Cgs 537/88-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei, die mit S 598,- (darin S 108,- Umsatzsteuer) bestimmten Revisionskosten binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über Antrag des Klägers stellte die beklagte Partei mit Bescheid vom 14. Juli 1988 fest, daß der Kläger bis zum Ermittlungsstichtag 1. März 1988 500 Versicherungsmonate für die Wartezeit sowie 483 Versicherungsmonate für die Leistung erworben habe. Der Kläger begehrt, den Zeitraum von September 1948 bis einschließlich Mai 1950, währenddessen er als kaufmännischer Lehrling im elterlichen Betrieb gearbeitet habe, für die Bemessung der Leistung in voller Höhe und nicht nur zur Hälfte zu berücksichtigen.

Das Erstgericht gab der Klage statt und stellte die Gesamtzahl der für die Leistung erworbenen Versicherungsmonate mit 493 fest. Es lehnte die Rechtsansicht der beklagten Partei ab, § 229 Abs.1 Z 4 ASVG stelle gegenüber § 228 Abs.1 Z 9 ASVG eine Spezialnorm dar. Diese Rechtsansicht hätte zur Folge, daß im elterlichen Betrieb tätige Lehrlinge schlechter gestellt würden als jene, die ebenfalls, allerdings aus anderen Gründen, keiner Pflichtversicherung unterworfen gewesen seien. Es könne dem Gesetzgeber, der § 228 Abs.1 Z 9 ASVG wesentlich später erlassen habe, nicht unterstellt werden, daß er Lehrlinge verschiedener Kategorien habe schaffen wollen. Der strittige Zeitraum sei daher nach § 228 Abs.1 Z 9 ASVG als Ersatzzeit zur Gänze zu berücksichtigen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Feststellung von 500 Versicherungsmonaten für die Wartezeit sowie von 483 Versicherungsmonaten für die Leistung bis zum Ermittlungsstichtag 1. März 1988 ab.

Durch die 29. ASVG-Novelle sei die Möglichkeit geschaffen worden, die Ausübung einer Beschäftigung im elterlichen Betrieb vor dem 1. Jänner 1956 als Ersatzzeit, gestaffelt nach Geburtsjahrgängen, mit einer bestimmten Anzahl von Monaten pro Jahr zu berücksichtigen. Personen, die zwischen 1. Jänner 1939 und 31. Dezember 1955 in einem fremden Betrieb als Lehrlinge tätig gewesen seien, hätten diese Möglichkeit nicht gehabt. Um diese Schlechterstellung zu beseitigen, seien mit der 35. ASVG-Novelle die bisher unberücksichtigt gebliebenen Zeiten eines Lehrverhältnisses durch Schaffung der Z 9 des § 228 Abs.1 ASVG als Ersatzzeiten einbezogen worden. Dabei habe es der Gesetzgeber unterlassen, Lehrlinge aus dem Anwendungsbereich des § 229 Abs.1 Z 4 lit.a ASVG auszunehmen. Die beiden Bestimmungen stünden nicht im Verhältnis der Spezialität zueinander, weil sie unterschiedliche Tatbestände regelten. Durch § 229 Abs.1 Z 4 lit.a ASVG seien nicht nur Lehrlinge im elterlichen Betrieb sondern alle Beschäftigten im elterlichen Betrieb bei der Ersatzzeitenanrechnung gegenüber Fremdbeschäftigten benachteiligt. Diese Differenzierung finde aber ihre Begründung in der mangelnden Kontrollmöglichkeit. Es sei daher davon auszugehen, daß § 228 Abs.1 Z 9 ASVG den Anwendungsbereich des § 229 Abs.1 Z 4 lit.a ASVG nicht einschränken solle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision des Klägers kommt keine Berechtigung zu. Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß vor dem Inkrafttreten des ASVG am 1. Jänner 1956 die im elterlichen Betrieb als Dienstnehmer oder unentgeltlich mitarbeitenden Kinder nicht pflichtversichert waren. Durch die 29. ASVG-Novelle, BGBl. 1973/31, wurde erstmals die Möglichkeit geschaffen, die Ausübung einer Beschäftigung vor dem 1. Jänner 1956 im Betrieb der Eltern als Ersatzzeit zu berücksichtigen, wenn diese Beschäftigung bei früherem Wirksamkeitsbeginn des ASVG die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung begründet hätte. Nach den Materialien (404 BlgNR 13. GP, 99) wurde diese Regelung in Anlehnung an andere Fälle geschaffen, in denen bestimmte Personengruppen für die gemäß § 229 Abs.1 Z 4 ASVG (idF der 13. ASVG-Novelle, nunmehr § 229 Abs.1 Z 4 lit.b) durch Einbeziehung in die Pauschalanrechnung eine Ersatzzeitenregelung getroffen wurde. Diese Regelung sollte nunmehr auf die im elterlichen Betrieb tätig gewesenen Kinder ausgedehnt werden, wobei jene Zeiten der Beschäftigung im elterlichen Betrieb erfaßt werden sollten, die bei früherem Wirksamkeitsbeginn der Bestimmungen des ASVG über die Pflichtversicherung dieser Personen diese Pflichtversicherung begründet hätten. Die Höhe der Berücksichtigung als Ersatzzeiten erfolgte ebenfalls in Anlehnung an die für die genannten Personengruppen durch die 13. ASVG-Novelle geschaffene Regelung nach Geburtsjahrgängen, gestaffelt mit 8, 7 bzw. 6 Monaten pro Kalenderjahr.

Durch die 35. ASVG-Novelle, BGBl. 1980/585, wurde dem § 228 Abs.1 ASVG die Z 9 angefügt. Danach gelten als Ersatzzeiten aus der Zeit vor dem 1. Jänner 1956 in jenem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die erste nachfolgende Beitrags- oder Ersatzzeit vorliegt, nach dem 31. Dezember 1938 gelegene, nicht schon als Versicherungszeiten geltende Zeiten eines Lehrverhältnisses. In den Materialien (535 BlgNR 15 GP, 24) wird dazu ausgeführt, daß Lehrlinge in der Zeit ab 1. Jänner 1939 nicht gleichzeitig bei Eintritt in das Lehrverhältnis rentenversichert gewesen seien. Dies habe zur Folge gehabt, daß nach den bis 31. Dezember 1955 in Geltung gestandenen Vorschriften trotz eines durchgehenden Beschäftigungs(Versicherungs-)verlaufes diese Lehrlingszeiten bei Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen in der Pensionsversicherung fehlten. Damit seien diese Personen schlechtergestellt als Lehrlinge im elterlichen Betrieb (§ 229 Abs.1 Z 4 ASVG), denen in allen Fällen ab dem vollendeten 17. Lebensjahr für diese Zeiten Ersatzzeiten angerechnet würden. Um diese ungerechtfertigte Schlechterstellung der eingangs erwähnten Personen zu beseitigen, sollte nunmehr deren in der Pensionsversicherung bisher unberücksichtigt gebliebene Zeiten eines Lehrverhältnisses ebenfalls als Ersatzzeiten anerkannt werden. Eine Anrechnungsbeschränkung dieser Ersatzzeit für die Bemessung der Leistung, wie sie in § 229 Abs.3 ASVG normiert wurde, findet sich nicht.

Aus den zitierten Erläuterungen geht hervor, daß der Gesetzgeber mit § 228 Abs.1 Z 9 ASVG nicht eine Bestimmung schaffen wollte, die nun für alle Lehrlinge gelten sollte, sondern nur eine Lücke für jene Lehrlinge schließen wollte, für die nicht ohnedies schon eine Ersatzzeitenregelung bestanden hat. Dies ergibt sich auch aus der Formulierung "......nach dem 31. Dezember 1938 gelegene nicht schon als Versicherungszeiten geltende Zeiten eines Lehrverhältnisses." Da die in einem Lehrverhältnis stehenden Personen allgemein erst durch das ASVG (§ 4 Abs.1 Z 2) in die Vollversicherung einbezogen wurden, kann sich diese Einschränkung nur auf Lehrverhältnisse beziehen, die schon durch die zeitlich frühere Regelung des § 229 Abs.1 Z 4 erfaßt waren. Es ist daher davon auszugehen, daß Zeiten der Beschäftigung als Lehrling im elterlichen Betrieb nur als Ersatzzeiten § 229 Abs.1 Z 4 lit.a ASVG berücksichtigt werden können, (vgl. auch Germann-Rudolf-Teschner-Fürböck FN 11 d zu § 228 ASVG, 46.ErgLfg). Zutreffend hat das Berufungsgericht auch darauf verwiesen, daß damit zwar keine vollständige Gleichstellung von Lehrlingen im elterlichen Betrieb mit jenen im Fremdenbetrieb gegeben ist, aber es einen wesentlich schwerwiegenderen Wertungswiderspruch darstellen würde, Lehrzeiten im elterlichen Betrieb voll als Ersatzzeiten anzurechnen, während alle übrigen Beschäftigten im elterlichen Betrieb für die Bemessung der Leistung Kürzungen im Sinne des § 229 Abs.3 ASVG hinnehmen müssen. Die unterschiedliche Ersatzzeitenregelung für Personen (einschließlich Lehrlingen), die bei einem fremden Arbeitnehmer beschäftigt waren und solchen, die im elterlichen Betrieb arbeiteten, findet ihre Rechtfertigung in Unterschieden im Tatsächlichen. Im Familienbereich ist der Nachweis, ob tatsächlich alle Kriterien eines Dienst- oder Lehrverhältnisses vorlagen kaum möglich. Darüber hinaus werden von

§ 228 Abs.1 Z 9 ASVG nur die Zeiten zwischen 1. Jänner 1939 und 1. Jänner 1956 erfaßt, während sich § 229 Abs.1 Z 4a auf alle Zeiten vor dem 1. Jänner 1956 bezieht. Der Oberste Gerichtshof sieht daher auch keine Veranlassung zu einer Antragstellung nach Art. 140 Abs.1 B-VG.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Revisionskosten beruht auf

§ 77 Abs.1 Z 2 lit.b ASGG. Da der Oberste Gerichtshof zu der hier entscheidenden Rechtsfrage bisher noch nicht Stellung genommen hat, konnten der klagenden Partei nach Billigkeit die Hälfte der verzeichneten Revisionskosten zugesprochen werden (SSV-NF 1/66).

Anmerkung

E20462

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00373.89.0227.000

Dokumentnummer

JJT_19900227_OGH0002_010OBS00373_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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