TE OGH 1990/3/7 1Ob518/90

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Veröffentlicht am 07.03.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Univ.Prof. DDr. Walter H***, geboren am 7. September 1942 in Villach, Wals bei Salzburg, St. Peter-Weg 182, vertreten durch Dr. Rudolf Zitta und Dr. Iris Harrer-Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei Dr. Susanne H***, geboren K***, geboren am 29. Jänner 1952 in Linz, Hausfrau, Wals bei Salzburg, St. Peter-Weg 182, vertreten durch Dr. Franz Kreibich und Dr. Alois Bixner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Ehescheidung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes vom 27. September 1989, GZ 21 a R 10/89-32, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 22. März 1989, GZ 20 C 31/87-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.706,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 617,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind österreichische Staatsbürger. Sie schlossen am 28. August 1976 die Ehe. Aus der Ehe entstammen zwei in den Jahren 1978 und 1983 geborene Kinder. Die Beklagte, eine Juristin, war zum Zeitpunkt der Eheschließung Universitätsassistentin. Der Kläger ist seit Oktober 1977 an der Universität Salzburg tätig. Er ist seit 1981 Vorstand der neu gegründeten Interfakultären Forschungsstelle für Rechtspsychologie. Anläßlich der Übersiedlung nach Salzburg waren sich die Streitteile einig, daß die Beklagte die Erziehung der Kinder und die Führung des Haushaltes übernehme. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit ist der Kläger Verteidiger in Strafsachen. Im Jahre 1979 erwarben die Streitteile eine Liegenschaft in Wals, auf der ein Wohnhaus, in dem sich die Ehewohnung befindet, errichtet wurde. Die Beklagte ist zu einem Viertel Miteigentümerin dieser Liegenschaft. Die Interfakultäre Forschungsstelle für Rechtspsychologie war bei ihrer Gründung personalmäßig vollkommen unzulänglich besetzt. Der Kläger war daher beruflich auf das Äußerste belastet. Geringfügige Verbesserungen im Personalstand der Forschungsstelle erfolgten in den Jahren 1983 und 1987. Aufgrund der beruflichen und außerberuflichen Belastungen (Hausbau) kam es bereits im Jahre 1982 dazu, daß der Kläger häufig an Erschöpfungszuständen litt, die sich einige Male auch zu Erschöpfungsdepressionen ausweiteten. Um die Arbeitsfähigkeit des Klägers zu erhalten und die vegetative Symptomatik dieses Zustandsbildes in Grenzen zu halten, wurden dem Kläger bereits damals von seinem Arzt Psychopharmaka verordnet. Zwar ging die berufliche Belastung des Klägers an dem von ihm geleiteten Institut in der Folge langsam zurück, doch arbeitete der Kläger an einem Buch und schrieb Artikel für diverse Zeitschriften, sodaß sich im Zusammenhang mit den wachsenden familiären Problemen sein Gesundheitszustand nicht besserte. In den Sommermonaten 1987 stellte der Hausarzt beim Kläger Bluthochdruck, Herzbeschwerden und auch eine Stoffwechselstörung fest und verordnete nach Beiziehung eines Internisten einen "Beta-Blocker", Diät und ein Medikament zur Senkung des Blutfettspiegels. Im Februar 1988 wurde der Kläger aufgrund seines unbefriedigenden Allgemeinzustandes stationär im Krankenhaus Oberndorf aufgenommen. Nach erfolgter Durchsuchung wurde eine Erhöhung der Medikamentendosis vorgenommen und der Kläger auf eine erweiterte Kombinationstherapie mit Psychopharmaka eingestellt. Der Kläger litt zusätzlich an chronischen Gelenksergüssen beider Kniegelenke, die eine operative Behandlung notwendig machten. Im Juni 1988 bezeichnete der Hausarzt den Zustand des Klägers als stabil. Die Beklagte hatte neben der Geburt der beiden Söhne drei Fehlgeburten. Beim älteren Sohn Werner handelt es sich um ein äußerst unruhiges und lebhaftes Kind das von Anfang an den Streitteilen, insbesondere der die Pflege und Erziehung ausübenden Beklagten, große Probleme bereitete. Diese Probleme, die vornehmlich in aggressivem Verhalten bestanden, setzten sich bis in das Schulalter des Kindes fort. Sie gingen ua so weit, daß der Knabe Klassenkameraden mit einem Messer bedrohte. Im Herbst 1985 führte eine vom beigezogenen Kinderarzt zusammengestellte aufwendige Diät zu einer Verbesserung der Situation. Das Zubereiten dieser Diät stellt für die Klägerin eine zusätzliche Belastung dar, da es bereits bei geringen Diätfehlern zu starken Rückfällen, die mindestens drei Tage dauern, kommt. Trotz dieser Probleme ist Werner ein ausgezeichneter Schüler. Der jüngere Sohn Wolfgang kam nach einer Risikoschwangerschaft zur Welt. Es handelt sich bei ihm um eine sogenannte "Mangelgeburt". Dies hatte zur Folge, daß er einer besonders intensiven Pflege bedurfte. Wegen mangelnder psychisch-physischer Belastbarkeit beider Streitteile kam es schon aus geringsten Anlässen, die in einer intakten Ehe nicht einmal Erwähnung finden würden, zu heftigsten stundenlangen verbalen Auseinandersetzungen, Diskussionen, in denen kein Teil von seiner (vorgefaßten) Meinung abgehen wollte. Der beruflich äußerst in Anspruch genommene Kläger zieht sich zu Hause häufig in sein Arbeitszimmer zurück. Er verbringt kaum Freizeit mit seiner Familie. Die Streitteile leben auch während des Scheidungsverfahrens gemeinsam in der Ehewohnung in Wals.

Der Kläger begehrt mit der am 30. Jänner 1987 eingebrachten Klage die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten. Als Scheidungsgründe macht er die Streit- und Widerspruchssucht der Beklagten, die Verletzung der Beistandspflicht und der Pflicht zur anständigen Begegnung geltend. Die Beklagte sei nicht in der Lage, den Haushalt ordentlich zu besorgen. Ihr Gesamtverhalten führe für den Kläger zu einem qualvollen Zustand. Ein Arzt halte den Kläger wegen dieses Verhaltens der Beklagten sogar für selbstmordgefährdet. Die Beklagte habe es darauf angelegt, den Kläger zu provozieren und ihm das Leben unerträglich zu machen. Sie versuche ständig, ihn in schlechtes Licht zu setzen. Die Beklagte sei gewohnt, wahrheitswidrig zu übertreiben. Dies habe bewirkt, daß der Kläger seit Jahren gesellschaftlich und beruflich weitgehend isoliert sei. Der Beklagten gehe es gar nicht um die Aufrechterhaltung der persönlichen Beziehungen, sondern sie verfolge unter der Behauptung, die Ehe aufrecht erhalten zu wollen, ausschließlich finanzielle Interessen. Um dieses seiner Ansicht nach ehewidrige Gesamtverhalten der Beklagten zu dokumentieren, führt der Kläger eine Reihe von Vorfällen an, die sich teils während der letzten sechs Monate vor Klagseinbringung, teils vorher ereignet hätten (Weigerung der Beklagten, die Polstermöbel im Arbeitsraum des Klägers an der Universität anläßlich einer Übersiedlung zu säubern, Androhnung einer Zivilklage, wenn der Kläger der Beklagten nicht die ihr gehörige Kamera herausgebe, Drohung mit Verständigung der Gendarmerie und Drohung mit Einweisung in eine geschlossene Anstalt, Auseinandersetzung wegen der Heizanlage und Wärmepumpe im Wohnhaus, falsche Beschuldigung, der Kläger habe von der Beklagten anläßlich der Einverleibung des Eigentumsrechtes eine Unterschrift abgepreßt, falsche Vorhalte, er habe einen angesparten Betrag von S 5.000,-

seinem älteren Sohn vorenthalten und das Kind deswegen sogar körperlich mißhandelt, Herabsetzung des Klägers im Gespräch vor Dritten, Behauptung, der Kläger habe durchgedreht und sei größenwahnsinnig geworden, falsche Behauptung, er habe einen Betrag von S 20.000,-, den er von den Schwiegereltern für den Ankauf eines Kinderzimmers erhalten habe, veruntreut, Ablehnung des Empfanges beruflicher Besuche, die Beklagte bereite dem Kläger nicht das Abendessen, sie habe sich auch geweigert, dem Kläger in der Früh Kaffee zuzubereiten, sie informiere dritte Personen unrichtig, werfe dem Kläger vor, er habe sich unter Vernachlässigung der Familie zwischen November 1984 und Februar 1985 zu sehr um seine kranke Mutter gekümmert, Äußerung der Beklagten, sie freue sich schon, einen Universitätsprofessor vor dem Strafrichter zu sehen). Der Kläger gestand Anfang 1988 zu, die Beklagte habe seit Zustellung der Scheidungsklage, als sie habe erkennen müssen, daß ihr ehewidriges Verhalten zu entscheidenden Konsequenzen führen werde, ernstere Provokationen unterlassen. Später machte er aber als weiteren Scheidungsgrund geltend, die Beklagte habe gegen seinen Willen im Juli 1988 einen 14tägigen Urlaub bei ihren Eltern angetreten. Der Kläger hätte in dieser Zeit besonders des Beistandes der Beklagten bedurft.

Die Beklagte beantragte vorerst, das Klagebegehren abzuweisen. Später stellte sie, falls wider ihren Erwartungen dem Scheidungsbegehren stattgegeben werden sollte, den Antrag, auszusprechen, daß den Kläger das überwiegende Verschulden treffe. Sie bestritt, Eheverfehlungen begangen zu haben. Im übrigen handle es sich, selbst wenn das Vorbringen des Klägers richtig sein sollte, um Lappalien, die einen so schwerwiegenden Eingriff wie die Trennung einer langjährigen Ehe, aus der zwei mj. Kinder stammten, nicht rechtfertigen würden. Dem von Natur aus hektischen und ruhelosen Kläger gehe es nur darum, aus der ihm lästig gewordenen Ehe herauszukommen, um sich ganz seinen wissenschaftlichen Arbeiten und seinen Neigungen ohne Rücksicht auf familiäre Verpflichtungen hingeben zu können. Sie halte trotz der ihr vom Kläger zugefügten schweren Kränkungen an der Ehe fest und sei bereit, im Interesse der Aufrechterhaltung der Ehe und mit Rücksicht auf die bei einer Trennung schwer betroffenen Kinder sich dem Dominanzbedürfnis des Klägers zu fügen. Diese Dominanz des Klägers zeige sich etwa darin, daß er behauptet habe, eine Frau könne nicht 50 % der Aktien in einer Ehe haben. Vorwürfe, die sie gegen den Kläger erhoben habe, seien zu Recht erfolgt. Bei dem Verlangen des Klägers, die Beklagte solle die Polstermöbel in seinem Arbeitszimmer in der Universität reinigen, sei es dem Kläger nicht so sehr um die Durchführung der Putzarbeiten, sondern darum gegangen, daß er bestimmen könne, die Beklagte müsse diese Arbeiten durchführen. Die Beklagte habe aufgrund der Zuwendungen ihrer Eltern gewünscht, daß sie zur Hälfte Eigentümerin des Grundstückes in Wals werde. Nur unter Druck des Klägers sei sie damit einverstanden gewesen, sich mit einem Viertelanteil zufriedenzugeben. Was den Besuch bei ihren Eltern im Sommer 1988 betreffe, habe der Kläger erst kurz vor ihrer Abreise in schikanöser Weise erklärt, er wünsche nicht, daß sie zu ihren Eltern fahre. Den hilfsweise gestellten Antrag auf Ausspruch der überwiegenden Mitschuld des Klägers begründet die Beklagte mit Verletzung der Beistandspflicht durch den Kläger, seinem familienfeindlichen Verhalten, Drohungen und Beschimpfungen, schikanösen Anweisungen sowie Vernachlässigung ihrer Person. Sie machte in diesem Zusammenhang eine Vielzahl von Eheverfehlungen des Klägers geltend, die wiederum von diesem bestritten wurden. Das Scheidungsbegehren des Klägers sei wegen seiner Eheverfehlungen auch sittlich nicht gerechtfertigt.

Das Erstgericht wies das Scheidungsbegehren ab. Es stellte fest, die Pflege und Erziehung der beiden Kinder würde praktisch ausschließlich von der Beklagten wahrgenommen. In der Beziehung zwischen den Streitteilen dominiere der Kläger eindeutig und ausschließlich. Es sei der Beklagten, deren Arbeit im Haushalt und für die Kinder vom Kläger gering geschätzt werde, und von deren Intelligenz der Kläger wenig halte, nicht möglich, Meinungen gegen ihn durchzusetzen. Partnerschaftlichkeit, Gleichberechtigung und Anerkennung der Beklagten existierten für den Kläger nicht. Er schäme sich auch ihres Äußeren. Der Kläger stehe auf dem Standpunkt, er sei für körperliche Arbeiten nicht geschaffen. Im Zuge verbaler Auseinandersetzungen komme es vor, daß der Kläger weiß im Gesicht werde, einen Schweißausbruch erleide und am ganzen Körper zitiere. Dabei sei es auch des öfteren zu Drohungen des Klägers gekommen, so habe er etwa angekündigt, er werde die Beklagte beim Fenster hinauswerfen. Der Kläger stehe auf dem Standpunkt, daß selbst der Viertelanteil der Beklagten an der ehelichen Liegenschaft wegen zu geringer finanzieller Leistungen von Seiten der Beklagten zu groß sei. Zu den das Scheidungsbegehren begründenden Vorfällen traf das Gericht detaillierte Feststellungen, aus denen sich die oben wiedergegebene Gesamteinstellung des Klägers zur Ehe mit der Beklagten wiederspiegelt. Das Verhalten der Beklagten betreffend stellte das Erstgericht in diesem Zusammenhang fest, die Beklagte habe vorerst die Reinigung der Sitzgarnitur des Klägers in seinem Arbeitszimmer in der Universität abgelehnt, sei dann aber doch dem Wunsch des Klägers nachgekommen. Dabei habe sie wohl die Sitzgarnitur, nicht aber den Stuhl des Klägers abgesaugt. Sie lüfte auch gerade in jener Zeit das Obergeschoß des Hauses, in der der Kläger sein morgendliches Duschbad nehme. Im Zuge einer verbalen Auseinandersetzung sei sie dem Kläger, als dieser die Notdurft verrichtet habe, sogar ins Bad nachgefolgt, um die Debatte weiterzuführen. Die Beklagte habe dem Kläger mit der Gendarmerie, der Einweisung in eine geschlossene Abteilung, dem Strafrichter, einem jungen Familienrichter gedroht und angekündigt, sie werde das Verhalten des Klägers an der Universität unter seinen Kollegen publik machen. Tatsächlich habe sie sich an einen Berufskollegen des Klägers gewendet, dem sie eine Schilderung der finanziellen Probleme gegeben und bei dem sie darüber geklagte habe, daß sie grundbücherlich zu wenig bedacht worden sei. Besuchen von Berufskollegen des Klägers sei sie nicht ausgesprochen wohlwollend gegenübergestanden. Mehreren Besuchen gegenüber habe sie sich auffällig abweisend verhalten. Weil der Kläger seine Mutter im Spital öfters besucht habe, habe sie ihm Vorwürfe gemacht, daß er sich zu wenig um seinen Sohn Werner kümmere. Als die Beklagte im Juli 1988 mit den Kindern einen Urlaub bei ihren Eltern in Linz habe antreten wollen, habe der Kläger vorgegeben, er brauche die Beklagte im Haushalt, zusätzlich sei er beruflich stark engagiert, da er Fahnen für ein von ihm verfaßtes Buch zu lesen habe. Es stehe eine Operation an seinen Knien bevor, es dürfe das Haus in der Zeit seines Krankenhausaufenthaltes nicht alleine stehen. Es wäre möglich, daß ihn einer seiner (fünf bis sechs) Klienten als Strafverteidiger anrufe, zudem habe er einen Aufsatz für die Zeitschrift "Der Staatsbürger" zu schreiben. Er benötige daher die Beklagte zur Führung des Haushaltes und zur Versorgung seiner Person. Er habe der Beklagten angeboten, daß ihre Eltern nach Wals kommen könnten, und habe zudem einen gemeinsamen Urlaub im August in Aussicht gestellt. Die Beklagte habe vor ihrer Abfahrt die auch sonst zur Verfügung stehende Putzfrau verständigt. Der Kläger habe diese jedoch nicht in Anspruch genommen. Er habe sogar sein Geschirr selbst abgewaschen, da er nicht in der Lage sei, den Geschirrspüler zu bedienen. Die Beklagte sei nach wie vor bereit, an der Ehe festzuhalten. Für den Kläger sei die Ehe unheilbar zerrüttet. Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß das Scheidungsbegehren des Klägers sittlich nicht als zulässig erkannt werden könne. Die Eheverfehlungen der Beklagten lägen darin, daß sie den Ansichten des Klägers häufig widersprochen habe, was stunden- und tagelang verbale Auseinandersetzungen zur Folge gehabt habe, daß sie dem Kläger angedroht habe, sie werde Gendarmerie, Kollegen oder Strafgericht von seinem Verhalten verständigen, daß sie nicht in dem vom Kläger gewünschten Ausmaß Besuche zugelassen und manche Gäste nicht entsprechend behandelt habe. Der Kläger hingegen habe die Beklagte während der Ehe dominiert und beherrscht. Er habe ihr deutlich zu erkennen gegeben, daß er die Meinung vertrete, nur er sei in der Lage, die erste Geige zu spielen. Er habe sich der Familie so gut wie nicht gewidmet und alles seinem beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen untergeordnet. All das und für ihn zum Teil nicht zu vermeidende berufliche Belastungen hätten dazu geführt, daß er sich in einem Gesundheitszustand befinde, der ständiger ärztlicher Behandlung bedürfe. In diesem Lichte müsse das Verhalten der Beklagten als berechtigtes Auflehnen gegen das Beherrschen durch den Kläger und Streben nach Gleichberechtigung gesehen werden. Mit wenigen zu vernachlässigenden Ausnahmen stelle das Verhalten der Beklagten eine Gegenwehr zur Dominanz des Klägers dar.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die aufgrund eines mängelfreien Verfahrens getroffenen Feststellungen des Erstgerichtes. Grundvoraussetzung für eine Scheidung nach § 49 EheG sei, daß die Ehe der Streitteile unheilbar zerrüttet sei. Dies sei dann gegeben, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört habe, wobei es ausreiche, daß die eheliche Gesinnung nur bei einem Ehegatten zerstört sei. Diese Zerrüttung habe das Erstgericht unangefochten auf Seiten des Klägers in objektiver und subjektiver Hinsicht festgestellt, auch die Beklagte gehe in der Berufungsbeantwortung offensichtlich von der eingetretenen Zerrüttung der Ehe aus, wobei sie diese jedoch nicht als unheilbar bezeichne. Allerdings erscheine auch für den erkennenden Senat im Hinblick auf die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen, die sich auf die von beiden Streitteilen vor dem Erstgericht getätigten Aussagen stützten, die unheilbare Zerrüttung der Ehe nachvollziehbar als gegeben. Dafür, daß ein dem Wesen der Ehe entsprechender Zustand zwischen den Parteien dieses Verfahrens wiederhergestellt werden könne, hätten weder das erstinstanzliche noch das Berufungsverfahren Anhaltspunkte erbracht. Die von der Beklagten gesetzten Eheverfehlungen seien allerdings vernachlässigbar. Weder im einzelnen noch insgesamt betrachtet erfüllten sie die rechtliche Qualifikation einer schweren Eheverfehlung. Eine Verfehlung sei dann als schwer im Sinn des § 49 EheG zu bezeichnen, wenn sie im allgemeinen und objektiv in den Lebens- und Berufskreisen der Gatten bei einem selbst mit rechter ehelicher Gesinnung erfüllten und daher auch zur Nachsicht bereiten Ehegatten eine völlige Entfremdung herbeiführen würde, wobei aber auch eine Mehrheit von nicht schweren Eheverfehlungen in ihrer Gesamtheit einen Scheidungsgrund bilden könnten. Dabei stelle eine Eheverfehlung jedes Verhalten eines Ehegatten dar, das mit dem Wesen der Ehe als einer alle Lebensbereiche umfassenden Lebensgemeinschaft unvereinbar sei. Die Ehe der Streitteile sei dadurch gekennzeichnet, daß beide Partner aufgrund äußerer Umstände sich offensichtlich in einer körperlichen und seelischen Situation befänden und seit Jahren schon befunden hätten, in der sie ihre eigenen Kräfte allein schon zur Durchführung der normalen und üblichen Verrichtungen und zur Bewältigung von durchaus nicht außergewöhnlichen Lebenssituationen bis aufs Äußerste anspannen müßten und sich in einer Art psychischem Dauerstreß befänden, der bei der kleinsten zusätzlichen Belastung zur Eskalation habe führen müssen. Im Rahmen dieser Eskalation sei dann der Ehepartner offensichtlich zum "Reibebaum" geworden, an dem die Streitteile wechselseitig den seelischen Überdruck abzulassen versuchten, wobei der Ehepartner aufgrund seiner eigenen Situation aber nicht in der Lage gewesen sei, kalmierend oder ausgleichend zu wirken, sondern seinerseits wieder Aggressionen abzubauen versucht habe, was dann zu den vom Erstgericht festgestellten endlosen Debatten, Streitereien und Diskussionen geführt habe. Was bei andersgelagerten Persönlichkeitsstrukturen möglicherweise zu ernsthaften körperlichen Attacken hätte führen könne, hätten die Streitteile offensichtlich durch Wortgefechte, die noch dazu durch juristische Spitzfindigkeiten und Scheinargumente angeheizt worden seien, sublimiert. Dabei könne zwar nicht übersehen werden, daß auch das Verhalten der Beklagten nicht dem entspreche, was man überlicherweise in einer harmonischen Ehe erwarten könne, doch stelle es ganz offensichtlich eine Reaktion, allenfalls eine Schutzreaktion auf das wohl nicht mehr zu billigende Verhalten des Klägers dar und müsse auch von dieser Warte gesehen werden. Der Kläger sei es gewesen, der seine Familie vernachlässigt und sie seinen eigenen Interessen in einer nicht mehr zu billigenden Weise untergeordnet habe. Dieses Fehlverhalten des Klägers stehe im Zusammenhang damit, daß er eindeutig und ausschließlich in der Ehe dominiere, die Beklagte und ihre Arbeit geringschätze, von ihrer Intelligenz wenig halte und sich ihres Äußeren schäme. Konsequente Folge sei, daß für ihn Partnerschaft, Gleichberechtigung und Anerkennung nicht existierten. Er sei nicht bereit gewesen, der Beklagten einen gleichberechtigten Platz an seiner Seite einzuräumen. Er vertrete die Meinung, die Beklagte sei ihm gegenüber als zweitrangig zu betrachten. Diese Einstellung sei aufgrund des in der Gesellschaft erfolgten Wertewandels und der dadurch bedingten Neugestaltung des Familienrechts in den letzten Jahren nicht zu billigen. In den Kreisen der Hochschullehrer könne es nicht mehr als milieubedingte Entgleisung angesehen werden, wenn der Ehemann seiner Frau wiederholt damit drohe, sie aus dem Fenster zu werfen. Die Funktionstüchtigkeit der Heizanlage sei für beide Teile ständige Ursache von Streitigkeiten gewesen, die in keinem Verhältnis zur eigentlichen Ursache gestanden seien. Offensichtlich sei dies für beide Teile der Anlaß (Vorwand) gewesen, wieder einen Streit vom Zaun zu brechen. Die vom Erstgericht exemplarisch aufgezeigten Vorfälle zeigten, daß schon aus kleinsten Anlaßfällen oft quälende Streitigkeiten entstanden seien, bei denen sich die Ehegatten wechselseitig nichts geschenkt hätten. Es sei allerdings auch zu berücksichtigen, daß für die Beklagte wohl ein ständiges Nachgeben ohne Persönlichkeitsverlust unmöglich gewesen wäre. Im gesamten Verfahren hätten die Streitteile insbesondere aber der Kläger versucht, bei Ausbruch oder Eskalation dieser Vorfälle die eigene Rolle herunterzuspielen, und die Schuld auf den anderen zu überwälzen. Die Ehe habe sich dadurch eben als Aneinanderreihung von Rechthabereien, Sticheleien und Streitigkeiten, an denen die Beklagte keineswegs unbeteiligt gewesen sei, gestaltet. Die Rechthabereien seien Ausdruck eines Versuches gewesen, sich einer völligen Unterjochung zu entziehen. Der Kläger habe allerdings nicht davor zurückgeschreckt, im Zuge der Streitigkeiten der Beklagten ihre Enterbung anzudrohen. Der Vorfall mit der Sitzgarnitur stelle sich als Versuch des Klägers dar, die Beklagte zu demütigen. Das festgestellte Verhalten der Beklagten sei offenbar Ausdruck dafür gewesen, daß auf ihre Bedürfnisse und Wünsche nicht eingegangen worden sei, die Beklagte habe sich durch ihr Verhalten davor schützen wollen, vom Kläger völlig überrollt und in den Hintergrund gestellt zu werden. Daß sie mit ihrern Widersprechen und Beharren allerdings zum Teil übertrieben habe und offensichtlich auch eine Provokation des Klägers zumindest in Kauf genommen habe, könne aber nicht übersehen werden. Zum Rechtsbegriff werde die Eheverfehlung aber erst dann, wenn sie ihrem Grade nach geeignet sei, die menschliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten zu zerstören. Einen derartigen Grad hätten die jeweils gesetzten Eheverfehlungen in Summe zwar auf jeden Fall auf Seiten des Klägers erreicht. Das Erstgericht habe die Eheverfehlungen der Beklagten als Reaktion auf das Verhalten des Klägers qualifiziert und deshalb die sittliche Rechtfertigung des Scheidungsbegehrens verneint. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes brauche dies aber nicht geprüft zu werden, da die Eheverfehlungen der Beklagten als Reaktion auf das Verhalten des Klägers zu sehen seien und daher nicht einmal in Summe das Gewicht einer schweren Eheverfehlung erhielten. Habe die Beklagte aber keine schwere Eheverfehlungen gesetzt, so gehe das Klagebegehren schon deshalb fehl. Selbst wenn man aber schwere Eheverfehlungen der Beklagten annehmen wollte, sei das Scheidungsbegehren des Klägers wegen des Zusammenhanges mit seinem Verschulden sittlich nicht gerechtfertigt, selbst wenn die Beklagte an dieser Ehe derzeit vorwiegend deshalb festhalte, weil ihr die bestehende Ehe die soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Basis für sich selbst und ihre Kinder darstelle.

Rechtliche Beurteilung

Die ausschließlich aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers, mit der er in erster Linie die Abänderung der Urteile der Vorinstanzen im Sinne der Stattgebung seines Scheidungsbegehrens anstrebt, hilfsweise aber selbst den Ausspruch, daß ihn das überwiegende Verschulden treffe, hinnehmen würde, ist nicht berechtigt.

Ein Scheidungsbegehren nach § 49 EheG ist nicht schon dann berechtigt, wenn ein Eheteil sonstige schwere Eheverfehlungen begangen hat, durch diese Eheverfehlungen muß auch die Ehe schuldhaft so tief zerrüttet sein, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden kann. Eheverfehlungen, die nicht zur Zerrüttung geführt haben, bilden keinen Scheidungsgrund (Pichler in Rummel, ABGB, Rz 3 zu § 49 EheG). Die Annahem einer Zerrüttung der Ehe setzt damit in erster Linie voraus, daß die seelisch-körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten subjektiv zu bestehen aufgehört hat (EFSlg. 57.129, 54.385, 51.601, 48.763, 43.629 uva). Daß der Kläger seine Ehe subjektiv als unheilbar zerrüttet ansieht, stellten die Vorinstanzen irrevisibel (EFSlg. 57.133) fest. Die Beurteilung, ob eine Ehe aber auch objektiv und zwar unheilbar (Pichler aaO) zerrüttet ist, ist eine auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen nach objektivem Maßstab zu beurteilende Rechtsfrage (EFSlg. 57.132, 54.390 ua). Der erkennende Senat kann der Beurteilung durch das Berufungsgericht, die Ehe der Streitteile sei unheilbar zerrüttet, nicht beitreten. Bei der für die Beurteilung der Unheilbarkeit der Zerrüttung anzustellenden Prognose kommt es auf die vom Richter als außenstehendem Dritten (Wolf in Münchener Kommentar2 Rz 44 zu § 1565 BGB; Soergel-Heintzmann12 Rz 24 zu § 1565 BGB) zu erfolgende Überprüfung der Möglichkeiten an, ob ungeachtet der bestehenden Ehekrise in Zukunft angenommen werden kann, daß der Eheteil, der subjektiv die Bereitschaft zur Fortsetzung der Ehe derzeit ablehnt, die eheliche Lebensgemeinschaft wieder aufnehmen wird (Soergel-Heintzmann aaO Rz 24), ob es den Eheleuten somit möglich sein werde, eine entsprechende Form des Zusammenlebens erneut zu finden (Wolf aaO Rz 33). Die Frage, ob eine Ehe bereits unheilbar zerrüttet ist, wird gerade dann besonders umsichtig zu prüfen sein, wenn während der Dauer des Jahre währenden Scheidungsstreites die Eheleute räumlich nicht getrennt leben (Wolf aaO Rz 73 b) und in diesem Zeitraum vom Kläger Eheverfehlungen der Beklagten nicht behauptet oder wie hier nicht festgestellt werden können. Erhofften sich etwa die Ehegatten eine mustergültige Ehe ohne Streit und Auseinandersetzung mit der völligen Befriedigung ihrer persönlichen Wünsche und scheitert diese Erwartung, so ist die Ehe dennoch nicht unheilbar zerrüttet, wenn angenommen werden kann, daß es ihnen gelingen werde, sich auf eine weniger idealistische gemeinsame Lebensform zu einigen und danach in Zukunft die Ehe zu gestalten (Wolf aaO Rz 26).

Geht man von diesen Grundsätzen aus, kann eine nicht nur funktionell, sondern auch personal zufriedenstellende Lebensgemeinschaft in Zukunft sehr wohl noch erwartet werden. Die Beurteilung der Vorinstanzen, daß die Zerrüttung hauptsächlich wenn nicht zur Gänze auf das gegen fundamentale Grundsätze der Ehe verstoßende Verhalten des Klägers herbeigeführt wurde, ist beizutreten. Das festgestellte Fehlverhalten der Beklagten, dem wenn überhaupt nur geringes Gewicht beizumessen wäre, hat sich nach den eigenen Behauptungen des Klägers seit Einbringung der Scheidungsklage gelegt. Die einzige von ihm in diesem Zeitraum behauptete Eheverfehlung liegt schon deshalb nicht vor, weil er nach den Feststellungen der Vorinstanzen die Gründe, die den Verzicht der Beklagten zu einem Besuch bei ihren Eltern rechtfertigen sollten, nur vorgegeben hat, d.h. daß diese Gründe in Wirklichkeit nicht bestanden, sodaß das unberechtigte Verlangen des Klägers nicht der Beklagten, sondern ihm selbst als Eheverfehlung zuzurechnen wäre. Da nicht von der Hand zu weisen ist, daß die Verhaltensweise des Klägers jedenfalls auch auf seine beeinträchtigte aber offensichtlich verbesserungsfähige psychische und physische Verfassung zurückzuführen ist, besteht bei dem vom Kläger selbst zugestandenen, dem Wesen der Ehe nun mehr entsprechenden Verhalten der Beklagten berechtigte Hoffnung, daß sich die Streitteile, die sehr wohl aus Interessen der Kindererziehung als auch des Zusammenhaltes des gemeinsam geschaffenen Vermögens eine Reihe von rationalen Gründen hätten, die Ehe fortzusetzen, in Zukunft sich auch menschlich wieder finden werden.

Ist die Ehe aber nicht unheilbar zerrüttet, versagt das Scheidungsbegehren des Klägers schon aus diesem Grund, sodaß auf seine weiteren Ausführungen in der Revision nicht mehr einzugehen ist.

Der Revision ist der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E19938

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0010OB00518.9.0307.000

Dokumentnummer

JJT_19900307_OGH0002_0010OB00518_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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