TE OGH 1990/3/7 1Ob38/89

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Veröffentlicht am 07.03.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** W***, vertreten durch Dr. Wolfgang Mayer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Marktgemeinde M***, vertreten durch Dr. Hans Estermann, Rechtsanwalt in Mattighofen, wegen S 3,586.595 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 12. Juli 1989, GZ 12 R 47/89-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 1. März 1989, GZ 2 Cg 220/88-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben, die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Auf die Kosten des Rechtsmittelverfahrens ist gleich weiteren Verfahrenskosten Bedacht zu nehmen.

Text

Begründung:

Die von der R***-E***

Zeitschriftenverlags-Gesellschaft mbH (im folgenden R***-E*** Verlag) herausgegebenen Zeitschriften "R***-E***" und "B***" enthalten Anzeigen, wofür sowohl in Wien als auch in Oberösterreich Anzeigenabgaben zu entrichten sind. Mit rechtskräftigem Bescheid vom 3. Mai 1984, Zl. 941/8-1984, stellte die beklagte Partei fest, daß der R***-E*** Verlag für die Zeit vom 1. Jänner 1980 bis 31. Dezember 1983 in Mattighofen abgabenpflichtig war; sie stellte die zu entrichtende Anzeigenabgabe für die Zeitschriften "R***-E***" und "B***" mit insgesamt S 4,715.745,03 fest. Mit Bescheid vom 29. Dezember 1986, MA 4/4-R 92/85, setzte der Magistrat der S*** W*** über Antrag des R***-E*** Verlag die von dieser Gesellschaft zu entrichtende Anzeigenabgabe für die Zeit von Jänner 1980 bis Dezember 1983 mit der Hälfte von S 7,167.190,--, sohin mit dem Betrag von S 3,583.595,--

fest. Mit Bescheid der Abgabenberufungskommission der S*** W*** vom 5. Juni 1987, MDR-R 3-5/87, wurde die Höhe der Abgabenschuld auf S 3,586.595,-- (Hälfte von S 7,173.190,--) berichtigt. Die klagende Partei begehrt den Zuspruch des Betrages von S 3,586.595,-- sA aus dem Rechtsgrunde der Amtshaftung und brachte zur Begründung ihres Begehrens vor, die beklagte Partei habe die Anzeigenabgaben zu Unrecht eingehoben, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Abgabeverpflichtung in Mattighofen beim R***-E*** Verlag nicht vorgelegen seien. Der Schaden der klagenden Partei bestehe im Entgang von Abgaben. Gemäß den Doppelbesteuerungsvorschriften im Wiener Anzeigenabgabengesetz sei die klagende Partei wegen der bindenden Wirkung des Steuerbescheides der beklagten Partei nur berechtigt, vom R***-E*** Verlag die Hälfte der der klagenden Partei sonst zustehenden Anzeigenabgaben einzuheben. Die beklagte Partei habe eine zumutbare Sachverhaltsüberprüfung unterlassen, durch eine solche wäre hervorgekommen, daß der beklagten Partei die Abgabeberechtigung fehlte, weil kein Anknüpfungstatbestand nach dem Oberösterriechischen Anzeigeabgabengesetz verwirklicht worden sei. Weder der Standort noch die Verwaltung noch der Erscheinungsort der Zeitschriften seien in Mattighofen gewesen. Die Unterlassung eines zumutbaren Ermittlungsverfahrens stelle ein schuldhaftes Organverhalten dar.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, sie habe die strittige Abgabe zu Recht vorgeschrieben. Eine Sachverhaltsprüfung oder ein Ermittlungsverfahren sei im Gesetz nicht vorgesehen. Der Anspruch der klagenden Partei sei darüber hinaus verjährt. Jedenfalls liege kein Verschulden der beklagten Partei vor, weil der von ihr erlassene Bescheid auf einer vertretbaren Rechtsansicht beruhe. Zwischen einer allfälligen Rechtswirdigkeit und dem Schaden bestehe aber auch kein Zusammenhang. Die klagende Partei habe auch ihre Rettungspflicht verletzt, weil sie Aufsichtsbeschwerde hätte erheben können.

Das Erstgericht wies die von der beklagten Partei erhobene Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges aus dem Grunde des § 137 B-VG (rechtskräftig) zurück und das Klagebegehren ab. Es verneinte die Berechtigung des Klagebegehrens mangels Rechtswidrigkeitszusammenhanges zwischen der allenfalls übertretenen Norm und dem eingetretenen Schaden. Weder die Oberösterreichische Landesabgabenordnung noch das Oberösterreichische Anzeigenabgabengesetz hätten die Funktion, durch ein geordnetes Verfahren allfällige Steuereinnahmen der klagenden Partei zu schützen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge. Es billigte im wesentlichen die Rechtsauffassung des Erstgerichtes, daß der Rechtswidrigkeitszusammenhang fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobene Revision der klagenden Partei ist gerechtfertigt.

§ 6 Finanz-Verfassungsgesetz 1948, BGBl. 45, unterscheidet ausschließliche Bundesabgaben, zwischen Bund und Ländern (Gemeinden) geteilte Abgaben, ausschließliche Landesabgaben, zwischen Ländern und Gemeinde geteilte Abgaben und ausschließliche Gemeindeabgaben. Die Anzeigenabgabe kann als Landes-, Gemeinde- oder zwischen Ländern und Gemeinden geteilte Abgabe erhoben werden. Derzeit werden Anzeigenabgaben in den Bundesländern Wien, Niederösterreich und Oberösterreich als Gemeindeabgaben erhoben. § 7 Abs. 4 F-VG ermächtigt die Bundesgesetzgebung, hinsichtlich der Landes- und Gemeindeabgaben Bestimmungen zur Verhinderung der Doppelbesteuerung oder einer sonst übermäßigen Belastung zu treffen. Solche Bestimmungen wurden bisher nicht erlassen (Höld, Kommentar zu den Anzeigenabgabe- und Ankündigungsabgabegesetzen 10). Ein Ausgleich zwischen mehreren hebeberechtigten Gebietskörperschaften, wie er etwa durch § 196 BAO in einem Verwaltungsverfahren ermöglicht wird, kommt bei den vorliegenden, von verschiedenen Gemeinden eingehobenen Anzeigenabgaben nicht in Betracht, weil ein Bundesgesetz in Ausführung des § 7 Abs. 4 F-VG nicht erlassen wurde. Daß der Steuerpflichtige die Anzeigenabgabe vom selben Besteuerungsgegenstand zweimal, im ungünstigsten Fall sogar mehrmals in voller Höhe zu entrichten hätte, stellte aber eine zweifellos nicht gewollte Härte dar. Deshalb einigten sich in der Praxis die anspruchsberechtigten Gebietskörperschaften in der Vergangenheit, d. h. bis zur Einführung von Doppelbesteuerungsregelungen in den Landesabgabegesetzen zumeist auf eine Einhebung der Abgabe durch nur eine Gebietskörperschaft und die Teilung dieser Abgabe unter den anspruchsberechtigten Gebietskörperschaften. Um die mögliche Doppelbesteuerung in Hinkunft aber auszuschließen, war eine entsprechende landesgesetzliche Regelung unerläßlich, zumal andernfalls damit gerechnet werden mußte, daß der Bundesgesetzgeber im Rahmen seiner Zuständigkeit nach § 7 Abs. 4 F-VG Bestimmungen zur Vermeidung einer solchen Doppelbesteuerung erläßt. In diesem Sinne faßte auch die Landesfinanzreferentenkonferenz am 13. September 1964 einhellig den Beschluß, Doppelbesteuerungsregelungen in die Landesabgabengesetze aufzunehmen (vgl. Beilage 212/1965 zum kurzschriftlichen Bericht des o.ö. Landtages, XIX GP., 2). Sowohl das Wiener Anzeigenabgabengesetz 1983 als auch das Oberösterreichische Anzeigenabgabe-Gesetz 1952 enthalten und enthielten auch bereits im Mai 1984 Doppelbesteuerungsregelungen:

Weist in Wien der Abgabenpflichtige innerhalb der Verjährungszeit nach, wegen der gleichen Anzeige auf Grund eines Tatbestandes, der einem der Tatbestände des § 1 Abs. 2 entspricht, auch gegenüber anderen inländischen Gebietskörperschaften abgabepflichtig zu sein, so ist die Abgabe mit dem der Anzahl der einhebungsberechtigten Gebietskörperschaften entsprechenden Bruchteil festzusetzen. Die Abgabenbehörde hat die anderen einhebungsberechtigten Gebietskörperschaften hievon zu benachrichtigen (§ 4 Abs. 2 Wiener Anzeigenabgabengesetz idF vor der Novelle 1984). Eine inhaltlich gleichartige Regelung enthält § 4 Abs. 5 des Oberösterreichischen Anzeigeabgaben-Gesetzes.

Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 3. Dezember 1984, VFSlg. 10.292/1984 = JBl. 1985, 482 ausgesprochen, daß der den Bundesstaat konstituierenden Bundesverfassung unterstellt werden muß, die Grundlage einer harmonischen Rechtsordnung zu sein, in der (allenfalls divergierende) Interessen von Bund und Ländern, auch soweit sie in Akten der Gesetzgebung ihren Niederschlag finden, aufeinander abgestimmt sind. Der rechtspolitische Gestaltungsfreiraum des Bundesgesetzgebers sei deshalb insoweit eingeschränkt, als es ihm verwehrt sei, Regelungen zu treffen, die sich als sachlich nicht gerechtfertigte Beeinträchtigungen der Effektivität landesgesetzlicher Regelungen darstellen; dasselbe gelte auch umgekehrt im Verhältnis des Landesgesetzgebers zum Bundesgesetzgeber. Diese der Bundesverfassung innewohnende Rücksichtnahmepflicht verbiete dem Gesetzgeber einer Gebietskörperschaft die vom Gesetzgeber der anderen Gebietskörperschaft wahrgenommenen Interessen zu negieren und dessen gesetzliche Regelungen zu unterlaufen. Diese Pflicht verhalte ihn dazu, eine zu einem angemessenen Ausgleich führende Abwägung der eigenen Interessen mit jenen der anderen Gebietskörperschaft vorzunehmen und nur eine Regelung zu treffen, die zu einem solchen Interessenausgleich führe. Diese Pflicht bestehe dann und insoweit, als die Gesetze der gegenbeteiligten Gebietskörperschaft ihrerseits die Rücksichtnahmepflicht nicht verletzten. Der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis die in Rechtsprechung und Lehre längst selbstverständliche Befugnis von Bund und Ländern in Wahrnehmung ihrer Kompetenzen "alle öffentlichen Zwecke" zu berücksichtigen, also auch die Interessen der gegenbeteiligten Gebietskörpferschaften zu einer Pflicht weiterentwickelt (Morscher, Wechselseitige Rücksichtnahmepflicht Bund-Länder, JBl. 1985, 479; vgl. auch Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts2 Rz 298).

Dieser öffentlich-rechtlichen Rücksichtnahmepflicht entsprechen im Privatrecht die im vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnis bestehenden umfassenden Schutzpflichten gegenüber der Person und dem Vermögen des Partners. Diese Schutzpflichten bestehen unabhängig vom Willen der Parteien auf Grund einer gesetzlichen Ergänzung des Schulsverhältnisses. Der Grund für ihr Entstehen liegt darin, daß durch den rechtsgeschäftlichen Kontakt und den Vertragsabschluß im besonderen die Einflußmöglichkeit jedes Teiles auf die Sphäre des anderen verstärkt wird. Dieser Erhöhung der Gefährdung entspricht ein erhöhtes Schutzbedürfnis. Für dessen Berücksichtigung spricht auch das allgemeine Interesse an einer möglichst reibungslosen Abwicklung der Rechtsgeschäfte (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 II 79; SZ 51/26; JBl. 1979, 433). Der Oberste Gerichtshof hegt keine Bedenken, eine solche Schutzpflicht auch im vorliegenden Fall zu bejahen. Die Doppelbesteuerungsvorschriften der Anzeigenabgabengesetze der Länder beruhen zwar auf formal selbständigen Akten des Landesgesetzgebers, sie finden jedoch ihre Grundlage in einem einhelligen Beschluß der Landesfinanzreferentenkonferenz vom 13. September 1964. Das so geschaffene System der Doppelbesteuerungsvorschriften eröffnet den einzelnen Gebietskörperschaften insoferne eine Einflußmöglichkeit auf die Sphäre der gegenbeteiligten Gebietskörperschaft, als diese beim Nachweis, daß der Abgabenschuldner gegenüber einer anderen Gebietskörperschaft abgabepflichtig ist, nur mehr berechtigt ist, die Abgabe mit einem entsprechenden Bruchteil, der der Anzahl der einhebungsberechtigten Gebietskörperschaften entspricht, festzusetzen. Der durch die Einflußmöglichkeit bewirkten Erhöhung der Gefährdung entspricht auch hier ein erhöhtes Schutzbedürfnis. Eine reibungslose Abwicklung der in einem inneren Zusammenhang stehenden Doppelbesteuerungsvorschriften setzt voraus, daß eine Gebietskörperschaft die Anzeigenabgabe nur dann einhebt, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür tatsächlich gegeben sind. Die schuldhafte Verletzung dieser Verpflichtung kann demnach im Amtshaftungsweg geltend zu machende Schadenersatzansprüche begründen. Im fortgesetzten Verfahren wird daher zu prüfen sein, auf Grund welcher tatsächlichen Voraussetzungen die beklagte Partei ihren von der klagenden Partei als rechtswidrig bezeichneten Bescheid vom 3. Mai 1984 erlassen hat. Insbesondere wird die Behauptung der klagenden Partei zu prüfen sein, der Bescheid vom 3. Mai 1984 gehe insoferne von unrichtigen Sachverhaltsannahmen aus, als keines der im Oberösterreichischen Anzeigenabgabe-Gesetz als maßgeblich für die Abgabeberechtigung der beklagten Partei angeführten Kriterien (Standort des Verlages, Standort der verwaltenden Tätigkeit, erstmalige Verbreitung der Druckwerke; vgl. dazu Höld aaO 63, 91) gegeben gewesen sei und die beklagte Partei die ihr zumutbare Sachverhaltsprüfung vor Bescheiderlassung unterlassen habe. Es wird weiters die behauptete Verjährung sowie der relative Ausschluß des Ersatzanspruches nach § 2 Abs. 2 AHG zu prüfen sein. Gegebenenfalls wird auch auf die Bestimmung des § 11 Abs. 1 AHG Bedacht zu nehmen sein.

Demzufolge ist der Revision Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E21346

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0010OB00038.89.0307.000

Dokumentnummer

JJT_19900307_OGH0002_0010OB00038_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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