TE OGH 1990/3/9 8Ob543/90

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Veröffentlicht am 09.03.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Graf und Dr. Schalich als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Natascha M***, geboren am 21. November 1981, infolge Revisionsrekurses des Vaters Alfred M***, zuletzt Kellner, Sterneckstraße 87, 9020 Klagenfurt, derzeit unbekannten Aufenthaltes, vertreten durch den Abwesenheitskurator Dr. Josef Brugger, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgerichtes vom 19. Jänner 1990, GZ 1 R 23/90-56, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 4.Dezember 1989, GZ 2 P 144/88-53, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Ein Ersatz der Rechtsmittelkosten findet nicht statt.

Text

Begründung:

Natascha M*** wurde am 21.11.1981 geboren. Die Ehe ihrer Eltern Ulrike und Alfred M*** wurde mit dem Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 31.Jänner 1986, GZ 19 Cg 380/85-4, rechtskräftig geschieden. Die Obsorge für die Minderjährige ist der Mutter übertragen worden. Eine Unterhaltsvereinbarung bezüglich des Kindes kam zwischen den Eltern nicht zustande. Der Vater war bis Frühjahr 1986 in mehreren gastgewerblichen Betrieben in Österreich als Kellner beschäftigt. Zuletzt war er nur für Natasche sorgepflichtig. Das Kind befand sich bis Ende Mai 1989 im Haushalt ihrer Tante Karin A*** und wird seit Juni 1989 wieder von ihrer Mutter betreut. Diese bezog vom 2.2.1988 bis 4.12.1988 Karenzurlaubsgeld in Höhe von monatlich rund S 6.630 und erhält seither Sondernotstandshilfe, und zwar bekam sie vom 5.12.1988 bis 31.8.1989 monatlich rund S 4.300 und seit 1.9.1989 monatlich rund S 5.647. Die Mutter trifft noch eine weitere Sorgepflicht für die am 4.12.1987 unehelich geborene Tochter Katharina T***.

Der mj. Natascha wurde von Juli 1986 bis Ende Oktober 1987 gemäß § 4 Z 2 UVG Unterhaltsvorschuß in Höhe eines Viertels, ab 1.11.1987 bis 30.6.1989 in Höhe der Hälfte des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen gewährt; zuletzt waren dies monatlich S 1.698.

Der Magistrat der Landeshauptstadt Klagenfurt als der zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche für die Minderjährige bestellte Sondersachwalter beantragte, den Vater für die Zeit vom 1.9.1988 bis 31.8.1989 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung in Höhe von S 1.700 und ab 1.9.1989 in Höhe von S 2.200 zu verpflichten. Der Vater sei unbekannten Aufenthaltes und von Beruf Kellner; bei Ausübung dieses Berufes sei es ihm möglich, ein Einkommen zu erzielen, das ihn in die Lage versetzte, den begehrten und zur Deckung der Bedürfnisse des Kindes erforderlichen Unterhaltsbetrag, der unter dem Regelbedarf (von monatlich S 2.500) liege, zu leisten. Der für den Vater bestellte Abwesenheitskurator trat diesem Antrag entgegen und wendete ein: Ein Kellner sei zwar in der Lage, den begehrten monatlichen Unterhaltsbetrag zu leisten, derzeit sei aber nicht einmal bekannt, ob der Vater seinen Beruf als Kellner noch ausübe, allenfalls weitere Sorgepflichten habe oder überhaupt ein Einkommen beziehe.

Das Erstgericht gab dem Unterhaltsfestsetzungsantrag statt und führte zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen an: Nach dem Akteninhalt bestünden Anhaltspunkte dafür, daß der Vater als Kellner auf einem Schiff tätig gewesen sei oder immer noch tätig sei, und daß er sich im Ausland (Schweiz, England) aufhalte. Konkrete Hinweise dafür, daß er in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sei oder diese gar aufgehoben wäre, lägen nicht vor. Unter Anwendung der in § 140 Abs 1 ABGB festgelegten Anspannungstheorie sei trotz des unbekannten Aufenthaltes des Vaters ein fiktives und für den Kellnerberuf auch gerichtsbekanntes Einkommen in Höhe von zumindest S 15.000 feststellbar gewesen, das den Vater zur Leistung des begehrten Unterhaltsbetrages befähige. Den allenfalls übersteigenden Bedarf der Minderjährigen habe ohnehin die Mutter abzudecken, die aber auch ihren Beitrag durch die Obsorge für die Minderjährige leiste.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs gemäß § 14 Abs 1 AußStrG zu. Es führte aus: Dem Erstgericht sei beizupflichten, daß die Anspannungstheorie auch dann anwendbar sei, wenn der Unterhaltspflichtige unbekannten Aufenthaltes ist. Die Lösung des Problemes erfolge durch die Beweislastverteilung. Auch in einem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahren (hier dem Unterhaltsfestsetzungsverfahren) treffe die Partei die subjektive Beweislast für die ihr günstigen rechtserheblichen Tatsachen, so daß derjenige, der ein Recht in Anspruch nehme, die rechtsbegründenden und rechtsgestaltenden Tatsachen und derjenige, der sich auf den Nichteintritt oder die Beseitigung eines rechtserheblichen Tatbestandes berufe, die rechtshindernden oder rechtsvernichtenden Tatsachen zu beweisen habe. Im Unterhaltsverfahren müsse daher der Unterhaltsberechtigte neben der (hier durch die eheliche Geburt feststehenden) Abstammung das Wissen des Unterhaltspflichtigen von seiner Unterhaltsverpflichtung (im allgemeinen) und seinen Unterhaltsbedarf, der Unterhaltspflichtige hingegen seine Unfähigkeit zur Leistung der gesetzlichen Verpflichtung trotz Anspannung seiner Kräfte beweisen. Im vorliegenden Fall hätte daher der Vater bei bloßer Beibehaltung der im Zeitpunkt seines Verschwindens ausgeübten Beschäftigung als Kellner nach allgemeiner Lebenserfahrung und unter Anspannung seiner Kräfte zumindest S 15.000 monatlich netto verdienen können, so daß er in Kenntnis seiner allgemeinen Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Minderjährigen den geforderten, unter dem Durchschnittsbedarf liegenden Unterhaltsbetrag zu leisten habe. Der Einwand, daß die Minderjährige schon bisher Unterhaltsvorschüsse beziehe und es deshalb keinen zwingenden Grund gebe, unter allen Umständen einen Unterhaltsfestsetzungsbeschluß zu erwirken, sei schon deshalb verfehlt, weil auf Grund eines Unterhaltstitels die Minderjährige - bei vorauszusetzender Uneinbringlichkeit des festgesetzten Unterhaltes - Anspruch auf Unterhaltsvorschuß in Höhe des festgesetzten (höheren) Betrages habe. Da Entscheidungen über die Anwendung der Anspannungstheorie bei Erstfestsetzung des Unterhaltes und unbekanntem Aufenthalt des Unterhaltspflichtigen nicht vorlägen, sei der Revisionsrekurs für zulässig erachtet worden. Der vom Abwesenheitskurator namens des Vaters erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Entscheidung der Sache von der Beantwortung (Lösung) der materiellrechtlichen Rechtsfrage abhängt, ob die sogenannte Anspannungstheorie auch im Verfahren zur erstmaligen Festsetzung des gesetzlichen Unterhalts gegen einen Unterhaltspflichtigen mit unbekanntem Aufenthalt anzuwenden ist.

Rechtliche Beurteilung

Das zulässige Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt. Den Vorinstanzen ist zunächst grundsätzlich in der Ansicht beizustimmen, daß der gemäß § 140 Abs 1 ABGB zur Deckung der angemessenen Bedürfnisse seines minderjährigen Kindes "nach seinen Kräften" beitragspflichtige Vater, dem seine Unterhaltsverpflichtung bekannt ist, ungeachtet seines unbekannten Auslandsaufenthaltes im Sinne der sogenannten Anspannungstheorie (siehe dazu Pichler in ÖA 1976, 53 ff; EFSlg 55.560, 55.561 uva; zuletzt 8 Ob 644/89; 1 Ob 700/89; 7 Ob 708/89) zu einer Unterhaltsleistung verpflichtet werden kann. Dies wurde vom 1.Senat des Obersten Gerichtshofes in SZ 53/54 (= RZ 1981/7 = ÖA 1980, 23 = EFSlg 37.338) jedenfalls zur Neufestsetzung der Unterhaltsverpflichtung, die vorher vertraglich festgelegt worden war, anläßlich der Entscheidung über einen Antrag auf Erhöhung des Unterhaltsbeitrages ausgesprochen. Pichler hat dem in der Entscheidungsbesprechung "Zur Beweislastverteilung in der Unterhaltsbemessung" (ÖA 1981/3) zugestimmt und die Ansicht geäußert, es gelten dann die vom Verpflichteten "unwidersprochenen Verhältnisse z.Z. der letzten Bemessung vorbehaltlich der allgemeinen, realen Änderungen".

Der 1.Senat des Obersten Gerichtshofes hat in jener Entscheidung die Ansicht ausgedrückt, daß bis zum Beweis des Gegenteiles in einem solchen Fall von jenen Verhältnissen auszugehen sei, die der erstmaligen Festsetzung des Unterhaltsbeitrages ("Erstfestsetzung") zugrunde lagen. Sache des Unterhaltsverpflichteten sei es dann nach den allgemeinen Beweislastregeln, eine ihn entlastende Änderung der Verhältnisse im Sinne einer verminderten Leistungsfähigkeit zu beweisen. Diese Ansicht teilt auch der hier erkennende 8.Senat. In der Tat sind auch für ein vom Untersuchungsgrundsatz beherrschtes Verfahren die allgemeinen Beweislastregeln von Bedeutung, wenn auch die subjektive Beweislast durch die Verpflichtung des Gerichts ergänzt wird, auch ohne entsprechende Behauptungen der Parteien die zur Entscheidung erforderlichen Tatsachen zu erheben. Wird aber trotz des Untesuchungsgrundsatzes der Beweis für erhebliche Tatsachen nicht erbracht, so richtet sich nach allgemeinen Beweislastregeln, zu wessen Lasten die Unmöglichkeit der Beweisführung geht (SZ 53/54 mwH). Im Unterhaltsverfahren hat demnach der Unterhaltspflichtige die Abstammung, das Wissen des Unterhaltspflichtigen von seiner Unterhaltsverpflichtung und seinen Unterhaltsbedarf, der Unterhaltspflichtige hingegen seine Unfähigkeit zur Leistung der vollen geestzlichen Verpflichtung trotz Anspannung seiner Kräfte zu beweisen. Das antragstellende minderjährige Kind hat hier den ihm obliegenden Beweis der für seinen Unterhaltsanspruch maßgebenden Tatsachen erbracht; dagegen wird im Revisionsrekurs des Verpflichteten auch nichts mehr vorgebracht.

Was aber die für die Unterhaltsverpflichtung des Vaters maßgebenden Tatsachenvoraussetzungen auf seiner Seite betrifft, so ist der erkennende 8.Senat des Obersten Gerichtshofs der Ansicht, daß die Anwendung der dargelegten Beweislastregel nicht nur dann statthaft ist, wenn die dem abwesenden und unbekannten Aufenthalts befindlichen Vater bekannte gesetzliche Unterhaltsverpflichtung bereits durch einen noch unter seiner Beteiligung geschaffenen Titel individuell konkretisiert wurde, sondern auch dann, wenn ein solcher Titel nicht vorliegt, aber die dafür zur Zeit seines letzten bekannten Aufenthalts maßgeblichen Tatsachenprämissen noch festgestellt werden können. Auf dieser Grundlage ist dann auch gegen einen unterhaltsverpflichteten Vater unbekannten Aufenthaltes unter Anwendung der Anspannungstheorie zu entscheiden, wenn entlastende Veränderungen der Verhältnisse von ihm nicht bewiesen werden können. Es kann nämlich keinen Unterschied machen, ob die entscheidungsrelevante Sachverhaltsgrundlage, von der auszugehen ist, in einem noch unter Beteiligung oder doch Beteiligungsmöglichkeit des bekannten Aufenthaltes befindlichen Vaters geschaffenen Unterhaltstitel (Gerichtsentscheidung, Vergleich, Vertrag etc) Niederschlag gefunden hat oder erstmals in einem Verfahren gegen den Verpflichteten mit unbekanntem Aufenthalt ermittelt wird. Die erforderlichen Feststellungen über die berufliche Tätigkeit und die Sorgepflichten des Vaters zum Zeitpunkt seines letzten bekannten Aufenthaltes im Inlande und über die von ihm seither ausgeübten Berufstätigkeiten liegen hier vor. Dem Argument des Abwesenheitskurators, er könne für den unbekannten Aufenthaltes weilenden Vater nur rechtliche, aber keine tatsächlichen Entlastungsumstände vorbringen, solche müßten vielmehr die Tatsacheninstanzen von Amts wegen in einem fortgesetzten Ermittlungsverfahren erforschen, ist mit der dargestellten Beweislastregel zu begegnen, wonach dem Vater das Mißlingen des ihm für die Behauptung der fehlenden oder eingeschränkten Leistungsfähigkeit obliegenden Beweises zur Last fällt. Ein dem Vater im Wege der Anspannungstheorie zusinnbares Einkommen von monatlich S 15.000 (im unteren Bereich) befähigt ihn aber selbst nach Ansicht des Revisionsrekurses zur Leistung der festgesetzten Unterhaltsbeträge, wenn im Sinne der Ausführungen zur Beweispflicht weitere Sorgepflichten des Vaters außer Betracht stehen. Der vorliegenden Erledigung steht auch nicht entgegen, daß die Minderjährige - auch ohne oder vor Erlangung des von ihr angestrebten Unterhaltstitels - Unterhaltsvorschuß gemäß § 4 Z 2 UVG erhalten konnte, weil die Schaffung des Unterhaltstitels einen (sodann auf § 4 Z 1 UVG gründbaren) höheren Unterhaltsvorschußanspruch bewirken kann und im vorliegenden Fall auch bewirken wird, worauf das Gericht zweiter Instanz zutreffend hinwies.

Das vom Abwesenheitskurator erhobene Rechtsmittel bleibt damit erfolglos. Im außerstreitigen Verfahren zur Festsetzung des Unterhalts findet ein (Rechtsmittel-)Kostenersatz nicht statt.

Anmerkung

E20412

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0080OB00543.9.0309.000

Dokumentnummer

JJT_19900309_OGH0002_0080OB00543_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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