TE OGH 1990/3/13 10ObS15/90

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Veröffentlicht am 13.03.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Dietmar Strimitzer (Arbeitgeber) und Norbert Kunc (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elisabeth K***, 8454 Arnfels, Hardegger Straße 148, vertreten durch Dr.Leo Kaltenbäck, Dr.Elisabeth Simma und Dr.Helwig Keber, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei P*** DER

A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20.Juli 1989, GZ 7 Rs 76/89-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 6.April 1989, GZ 33 Cgs 110/88-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt von der beklagten Partei die Leistung der Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.Jänner 1988. Das Erstgericht gab dem Begehren statt und trug der beklagten Partei eine vorläufige Zahlung von monatlich S 5.134,-- ab dem 29. März 1989 auf. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die am 22.Dezember 1938 geborene Klägerin erlernte nach dem Besuch der Pflichtschule keinen Beruf, sondern arbeitete zunächst von 1952 bis 1956 als Kochlehrling, Serviererin, Taglöhnerin und Kindermädchen und sodann rund 30 Jahre lang als angelernte Köchin im Landesschülerheim Arnfels als Vertragsbedienstete des Landes Steiermark. Dort war die Klägerin, die über durchschnittlich zwei bis drei Küchengehilfinnen gebot, die einzige Köchin. Auf Grund der (hauptsächlich im orthopädischen Bereich) bestehenden krankhaften Veränderungen kann die Klägerin nur noch leichte und mittelschwere Arbeiten mit Hebe- und Zutragarbeiten nicht über 10 kg durchführen, wobei Tätigkeiten im Sitzen, Stehen und in gebückter Stellung in Summe bei gleichmäßiger Verteilung jeweils nur mehr bis zur Hälfte eines Arbeitstages erbringbar sind. Arbeiten unter Akkord- und Fließbandbedingungen sind nicht mehr zumutbar. Verweisbarkeit besteht auf alle bisher durchgeführten, aber auch auf andere Tätigkeiten in prinzipiell auch gänzlich neuen Bereichen. Die Köchin, deren Tätigkeit in der Regel eine 3-jährige Lehrausbildung voraussetzt, aber auch innerbetrieblich angelernt werden kann, stellt die für die Zubereitung der Speisen notwendigen Nahrungsmittel usw. zusammen, bereitet diese vor und daraus die einzelnen Gerichte zu. Sie arbeitet in geschlossenen Räumen dauernd, nämlich über zwei Drittel der Arbeitszeit, im Stehen, von Gehen und fallweisem Sitzen unterbrochen. Die körperliche Belastung ist eine leichte, gelegentlich - bis zu einem Drittel der Arbeitszeit - auch mittelschwere. Eine Qualifikation einer Köchin in Richtung der demgegenüber gehobenen Tätigkeit einer Küchenchefin bedarf aus der Sicht des österreichischen Arbeitsmarktes einer möglichst großen betrieblichen Erfahrung in verschiedenen, auch im Ausland gelegenen Gastronomiebetrieben; diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin, die ihre gesamte Berufslaufbahn als Köchin an einem einzigen Arbeitsplatz verbrachte, nicht. Bei der gegenüber einer Köchin ebenfalls gehobenen Position einer Küchenleiterin fallen in großem Umfang administrative Tätigkeiten wie Bestellungen, Erstellung des Speiseplanes, bis zu einem gewissen Grad auch Buchführung udgl. an, sodaß das gewöhnliche, übliche Anforderungsprofil das Erfordernis des Sitzens auch über die Hälfte eines Arbeitstages umfaßt. In rechtlicher Hinsicht erachtete das Erstgericht die Klägerin als berufsunfähig im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG. Den Beruf als Köchin könne sie nicht mehr ausüben, weil dabei die mit 10 kg begrenzte Hebe- und Tragfähigkeit überschritten werde und mehr als die Hälfte der täglichen Arbeitszeit im Stehen zu arbeiten sei. Andererseits würden die nach Ausbildung und Berufslaufbahn der Klägerin in Frage kommenden Verweisungstätigkeiten einer Küchenleiterin oder Küchenchefin ausscheiden. Ganz abgesehen davon, daß sie über die für die Position einer Küchenchefin im engeren Sinn nötigen umfassenden Erfahrungen nicht verfüge, sei in diesen Berufen infolge Überwiegens der administrativen gegenüber der handwerklichen Arbeit üblicherweise und gewöhnlich mehr als die Hälfte des Arbeitstages im Sitzen zuzubringen, wozu die Klägerin nicht in der Lage sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und führte aus, die Klägerin verfüge nicht über jene praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten, die ein Küchenchef brauche. Sie könne weder den bisher ausgeübten Beruf einer Köchin verrichten noch auf die Tätigkeiten einer Küchenchefin oder Küchenleiterin verwiesen werden, weshalb sie als berufsunfähig im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG gelte. Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der beklagten Partei aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne ihres Eventualantrages berechtigt. Daß die Klägerin, die am Stichtag das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, als angelernte Köchin Berufsschutz genießt, wurde von der beklagten Partei nie in Zweifel gezogen. Unerörtert blieb allerdings, ob die Klägerin überhaupt Tätigkeiten im Sinne des § 1 AngG verrichtete, also kaufmännische Dienste, höhere nicht kaufmännische Dienste oder Kanzleiarbeiten. Grundsätzlich wäre aus der Zugehörigkeit zum Küchenpersonal noch nicht schlüssig abzuleiten, ob ein Arbeitnehmer als Arbeiter oder als Angestellter anzusehen ist (vgl. MartinekSchwarz, AngG6 65 unter Hinweis auf OGH 25. März 1980, 4 Ob 35/80, ARD 3253/21/80). Der Anspruch eines Pensionswerbers, der trotz seiner Versicherung als Angestellter Arbeitertätigkeiten verrichtet hat, ist nach dem Invaliditätsbegriff des § 255 ASVG zu beurteilen (SSV-NF 3/2 mwH); im Falle der Klägerin wäre - wenn sie Arbeitertätigkeiten verrichtet

hätte - § 255 Abs 1 ASVG anzuwenden. Während § 273 ASVG auf die zuletzt ausgeübte Angestelltentätigkeit abstellt (SSV-NF 2/73 mwN), kommt es nach § 255 Abs 1 ASVG in Verbindung mit Abs 2 leg. cit. auf die in den letzten 15 Jahren überwiegend ausgeübte Berufstätigkeit an. Die Vorinstanzen haben, wie in der Revision zutreffend bemängelt wird, keine Feststellungen darüber getroffen, welche Tätigkeiten die Klägerin im Landesschülerheim Arnfeld überhaupt tatsächlich ausgeübt hat, sondern sich mit der lapidaren Aussage begnügt, daß die Klägerin, die über durchschnittlich zwei bis drei Küchengehilfinnen gebot, die einzige Köchin war. Zur Beurteilung der Frage, nach welcher gesetzlichen Bestimmung der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit der Klägerin zu prüfen ist, bedarf es daher ergänzender Feststellungen über die von ihr als Köchin im Landesschülerheim Arnfeld verrichteten Tätigkeiten. Unbestritten ist zwar, daß die Klägerin den Beruf einer Köchin im allgemeinen nicht mehr ausüben kann, geht man vom festgestellten Anforderungsprofil einer Köchin aus, weil ihr das dabei erforderliche überwiegende Arbeiten im Stehen (vgl. dazu auch Berufslexikon "Lehrberufe" 1987, 184 Stichwort "Koch/Köchin"; OLG Wien SVSlg. 24.559) nicht mehr zumutbar ist. Ob die Klägerin auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz überwiegend im Stehen arbeiten mußte, ist nicht festgestellt, sondern wird von den Vorinstanzen stillschweigend angenommen. Auch dem berufskundlichen Sachverständigengutachten läßt sich diesbezüglich nichts entnehmen. Zutreffend macht die beklagte Partei ferner geltend, daß die bisherigen Verhandlungsergebnisse auch nicht ausreichen, um die Verweisbarkeit der Klägerin innerhalb ihrer Berufsgruppe auf solche Tätigkeiten zu beurteilen, bei denen Arbeiten im Stehen und im Sitzen jeweils die Hälfte eines Arbeitstages nicht übersteigen. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen kann die Klägerin noch alle leichten und mittelschweren Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen ausüben, wobei Tätigkeiten im Sitzen, Stehen und in gebückter Stellung "in Summe" bei gleichmäßiger Verteilung jeweils nur mehr bis zur Hälfte eines Arbeitstages erbringbar sind. Dies bedeutet, daß die Klägerin nicht auf Tätigkeiten verwiesen werden kann, bei denen sie mehr als die Hälfte der Arbeitszeit stehen oder sitzen müßte; das Leistungskalkül kann jedoch nicht im Sinne der Ausführungen des Berufungsgerichtes so verstanden werden, daß die Klägerin die Hälfte der Arbeitszeit gehen müßte. Diese Auffassung wird von der Revision zu Recht gerügt, ohne daß hier allerdings eine Aktenwidrigkeit gegeben ist: auf Seite 6 des Urteiles des Berufungsgerichtes wurde wohl nur irrtümlich (infolge eines Diktat- oder Schreibfehlers) "Arbeiten im Stehen" statt richtig "Arbeiten im Gehen" genannt.

Was nun die Tätigkeit einer Küchenchefin (vgl. "Chef de cuisine, Küchenchef mit Brigade" im Sinne der Lohntabelle für alle Arbeiter der steirischen Hotel- und Gastgewerbebetriebe, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung am 25.November 1989) betrifft, so fehlen der Klägerin die hiefür notwendigen Voraussetzungen einer großen Erfahrung in verschiedenen Gastronomiebetrieben und einer Tätigkeit auch im Ausland. Derartige Arbeitsplätze gibt es, wie allgemein bekannt ist, in großen Hotels und in der gehobenen Gastronomie, wo sie freilich vorwiegend männlichen Arbeitnehmern offenstehen, während Frauen hauptsächlich in Kleinbetrieben und im ländlichen Bereich beschäftigt werden (Berufslexikon aaO 185). Da die Klägerin daher auf die Tätigkeit einer Küchenchefin nicht verwiesen werden kann, muß nicht geprüft werden, ob es sich dabei um eine Arbeiter- oder um eine Angestelltentätigkeit handelt. Anders ist dies wohl bei Küchenleitern wie etwa beim Leiter einer Betriebsküche oder eines Pensionistenheimes. Nach den erstgerichtlichen, auf dem berufskundlichen Sachverständigengutachten fußenden Feststellungen wäre der Klägerin eine Tätigkeit als Küchenleiterin nach ihrer Ausbildung und bisherigen Berufslaufbahn durchaus zumutbar, sieht man von der Einschränkung ab, daß die Klägerin nicht mehr als die Hälfte der Arbeitszeit sitzen kann. Es trifft zu, daß ein Küchenleiter auch administrative Aufgaben zu erledigen hat; daneben muß er aber den Kochvorgang überwachen, Anleitungen geben und bei kleineren Betrieben fallweise mitkochen (vgl. OLG Wien SSV 23/6). Der Übergang von der Tätigkeit einer Alleinköchin zu der einer Küchenleiterin ist offensichtlich je nach der Größe des Betriebes, was die körperliche Beanspruchung anlangt, fließend: demzufolge führte der berufskundliche Sachverständige aus: "Je nachdem, ob man als Köchin im Wortsinn in einem kleinen Betrieb tätig ist, wo das Kochen überwiegt, oder im anderen Extrem als Leiter einer Großküche mehr oder weniger nur im administrativen Bereich tätig ist oder sein muß, verschieben sich die Erfordernisse hinsichtlich des Stehens bzw. Sitzens vom Ersten zum Letzteren, während in beiden diesen Tätigkeiten Arbeiten im Gehen praktisch kaum vorkommen". Aus dem bisher Gesagten folgt, daß die Klägerin nur dann nicht verweisbar wäre, wenn es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen (SSV-NF 3/70) in der Berufsgruppe der Köchinnen gäbe, auf denen weder Arbeiten im Stehen noch Arbeiten im Sitzen jeweils die Hälfte der Arbeitszeit übersteigen. Auch in dieser Richtung erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig.

Im fortgesetzen Verfahren wird es daher vornehmlich einer Ergänzung des berufskundlichen Gutachtens bedürfen; die Aussage des Sachverständigen, bei einer Küchenleiterin könne "nach den üblichen und gewöhnlichen Berufsvoraussetzungen nicht ausgeschlossen werden", daß sie mehr als die Hälfte des Arbeitstages im Sitzen zubringen müsse, ist zu unbestimmt und nicht nachvollziehbar, weil nicht genannt ist, um welche Tätigkeiten es sich dabei handeln soll. Während gewisse Tätigkeiten einer Küchenleiterin (etwa Kontrollgänge in der Küche, im Keller und in Vorratsräumen), wie in der Revision zutreffend ausgeführt wird, zweifellos auch im Gehen verrichtet werden (vgl. auch OLG Wien SSV 10/70), ist nicht ersichtlich, inwieweit die beispielsweise aufgezählten administrativen Arbeiten wie Bestellung, Buchführung, Erstellung des Speiseplanes udgl. ausschließlich im Sitzen verrichtet werden müssen und ein vorübergehendes Arbeiten im Stehen oder Gehen ausschließen. Überdies müßte geprüft werden, ob es sich bei der Tätigkeit einer Küchenleiterin um eine Arbeiteroder um eine Angestelltentätigkeit handelt, da eine Verweisung der Klägerin nur auf eine solche Tätigkeit in Frage käme, bei der ihr Berufsschutz erhalten bliebe (SSV-NF 3/29 mwN). Dies wird im Zusammenhang mit der Erörterung, ob die Klägerin in ihrem bisherigen Beruf Arbeiter- oder Angestelltentätigkeiten verrichtet hat, zu beurteilen sein. Da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, war gemäß § 510 Abs 1 ZPO die Zurückverweisung an das Erstgericht geboten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E20780

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00015.9.0313.000

Dokumentnummer

JJT_19900313_OGH0002_010OBS00015_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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