TE OGH 1990/3/15 6Ob745/89

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Veröffentlicht am 15.03.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*** L***, vertreten durch Dr.Ekkehard Erlacher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Dr.Elisabeth M***-H***, Ärztin, 6105 Leutasch, Gemeindehaus, vertreten durch Dr.Tilman Luchner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Räumung (Streitwert: 30.000 S) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 31.August 1989, GZ 1 a R 308/89 (ON 29) womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 17.März 1989, GZ 11 C 41/89b-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1. den

B e s c h l u ß

gefaßt:

Spruch

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Verwerfung der Nichtigkeitsberufung wendet, zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Im übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.087 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 514,50 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Gemeinde ist Eigentümerin des Gemeindehauses. Mit Gemeinderatsbeschluß vom 10.März 1981 stellte sie der Tochter der Beklagten Dr.Monika P*** die im Gemeindehaus liegenden Ordinationsräume vorerst für ein Jahr unentgeltlich zur Verfügung (Beilage A zu 11 C 1115/89, vormals 11 C 202/87a). Mit Gemeinderatsbeschluß vom 11.November 1981 wurde festgelegt, daß von Dr.Monika P*** auch für ein weiteres Jahr keine Miete bzw. Heizkosten verlangt werden. Auch nach diesem Zeitraum benützte Dr.Monika P*** die Ordinationsräume unentgeltlich weiter. Ihr wurde von der Klägerin niemals die Bezahlung eines Betrages für die Benützung der Räumlichkeiten vorgeschrieben. Am 29.März 1984 beschloß der Gemeinderat der Klägerin "für die angemieteten Ordinationsräume der Frau Dr.Monika P*** .... im Gemeindehaus eine monatliche Miete von 5.000 S zuzüglich MwSt einzuheben". Die Klägerin teilte Dr.Monika P*** diesen Gemeinderatsbeschluß erst mit Schreiben vom 21.August 1985 mit. Seit April 1984 war die Beklagte, der von ihrer Tochter mitgeteilt worden war, daß für die Benützung der Räumlichkeiten nichts zu bezahlen sei, in Vertretung ihrer Tochter in den Ordinationsräumen als praktische Ärztin tätig. Ab Oktober 1985 war die Beklagte anstelle ihrer Tochter alleinige Vertragsärztin (Wahlärztin für alle Kassen). Seit 1.Jänner 1986 überweist sie an die Klägerin unter dem Titel Miete einschließlich Umsatzsteuer monatlich 2.200 S. Mittels "Abgabenmahnung" wurde die Beklagte am 21.April 1986 von der Klägerin aufgefordert, laut Gemeinderatsbeschluß vom 29.März 1984 als "Pacht für die Ordinationsräume" für die Zeit vom 1.April 1984 bis 31.Dezember 1985 den Betrag von 105.000 S und für die Monate Jänner bis April 1986 den Differenzbetrag von 12.000 S zuzüglich Mehrwertsteuer zu bezahlen. Die Beklagte bezahlte aber weiterhin monatlich nur Beträge von 2.200 S.

Zunächst mit der Behauptung, die Beklagte benütze die Ordinationsräume titellos, weil die Klägerin wegen schuldhaftem Mietzinsrückstand die Auflösung des Bestandvertrages gemäß § 1118 ABGB erklärt habe, später auch mit der Behauptung, es sei weder zwischen den Streitteilen noch zwischen der Klägerin und der Tochter der Beklagten jemals ein Bestandvertrag zustandegekommen (ON 12, AS 41; ON 14, AS 53), stellte die Klägerin als Eigentümerin des Gemeindehauses das Begehren, die Beklagte sei schuldig, die im Gemeindehaus in Leutasch im Hochparterre rechts gelegenen Ordinationsräumlichkeiten, bestehend aus 6 Räumen und WC im Gesamtausmaß von 90,3 m2, zu räumen und der Klägerin geräumt zu übergeben.

Die Beklagte hielt dem entgegen, sie benütze die Ordinationsräume nicht ohne Rechtstitel, sondern sie sei deren Mieterin. Es liege auch kein Mietzinsrückstand vor. Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren der Klägerin statt. Es stellte im wesentlichen den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und folgerte daraus rechtlich, daß die ursprüngliche Raumleihe an Dr.Monika P*** mit der Aufgabe von deren ärztlicher Tätigkeit in diesen Räumlichkeiten geendet habe. Zwischen den Streitteilen sei eine Vereinbarung über die Benutzung der Ordinationsräume durch die Beklagte nicht zustande gekommen. Durch die kurzfristige Annahme der Monatszahlungen der Beklagten bis zur "Abgabenmahnung" der Klägerin vom 21.April 1986 sei ein Bestandvertrag auch nicht schlüssig zustande gekommen. Die Beklagte benütze die Räumlichkeiten daher tatsächlich seit Oktober 1985 titellos.

Das Gericht zweiter Instanz verwarf - mit Beschluß die wegen Nichtigkeit (Fortsetzung des erstgerichtlichen Verfahrens trotz dessen Unterbrechung "bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens 11 C 202/87a") erhobene Berufung, gab im übrigen der Berufung nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 300.000 S übersteige. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis eines mangelfreien Verfahrens und einer unbedenklichen Beweiswürdigung. In rechtlicher Hinsicht billigte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des angefochtenen Ersturteils, wonach durch die kurzfristige Annahme der Monatszahlungen von 2.200 S die Klägerin keineswegs schlüssig ihre Zustimmung zum Abschluß eines Bestandvertrages mit der Beklagten zum Ausdruck gebracht habe. Eine Deutung des Verhaltens der Klägerin als dementsprechende rechtsgeschäftliche Willenserklärung scheitere schon daran, daß es nicht von den zu ihrer Vertretung berufenen Organen gesetzt worden sei. Da die Beklagte keinen aufrechten Rechtstitel für die Benützung der Ordinationsräumlichkeiten bewiesen habe, sei das Räumungsbegehren der Klägerin berechtigt. Im übrigen sei die Berufung nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil ihrer Rechtsrüge ein urteilsfremder Sachverhalt zugrundeliege.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten wegen Nichtigkeit, "widersprüchlicher Voraussetzungen" (offenbar gemeint: Aktenwidrigkeit) und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen als nichtig aufzuheben und "das Verfahren in den Stand zurückzuversetzen", in dem es sich vor seiner Fortsetzung in erster Instanz befunden habe. Hilfsweise wird beantragt, das angefochtene Urteil "aufzuheben" und dahin abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde. Die Klägerin beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

I. Soweit die Beklagte mit Revision wegen Nichtigkeit (§ 503 Abs. 1 Z 1 ZPO) die Entscheidung des Berufungsgerichtes bekämpft, mit der die von ihr geltend gemachte Nichtigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens wegen dessen Fortsetzung entgegen einem Unterbrechungsbeschluß verworfen wurde, ist das Rechtsmittel unzulässig:

Über diesen Teil der Berufung hatte das Berufungsgericht in nichtöffentlicher Sitzung (§ 471 Z 5 ZPO) mit Beschluß zu entscheiden (§ 473 Abs. 1 ZPO). Gegen Beschlüsse des Berufungsgerichtes ist aber der Rekurs nur in den Fällen des § 519 ZPO zulässig, zu denen die Verwerfung einer Nichtigkeitsberufung nicht gehört (Fasching IV, 299 f; SZ 44/76; SZ 54/190 uva). Die Revision war daher, soweit sie unter dem Rechtsmittelgrund des § 503 Abs. 1 Z 1 ZPO - in Wahrheit als Rekurs - den berufungsgerichtlichen Beschluß bekämpft, als unzulässig zurückzuweisen. Die die Nichtigkeitsberufung verwerfende Entscheidung ist damit bindend im Sinne des § 42 Abs. 3 JN und steht auch einer amtswegigen Wahrnehmung der Nichtigkeit entgegen (JB 63 = SZ 28/265; SZ 54/190 uva; zuletzt etwa 4 Ob 541/89). II. Im übrigen ist die Revision entgegen der Meinung der Klägerin zwar zulässig, sie ist aber nicht berechtigt. Wenn die Beklagte die Bewertung des Streitgegenstandes durch das Berufungsgericht als gesetzwidrig und daher für den Obersten Gerichtshof offenbar nicht bindend bezeichnet, so kann ihr nicht gefolgt werden.

Ein Ausspruch nach § 500 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist eine Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof grundsätzlich entzogen; er könnte das Revisionsgericht nur dann nicht binden, wenn das Berufungsgericht die dort gezogenen Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis überschritten, also insbesondere bei der Ermittlung des Wertes eines nicht in einem Geldbetrag bestehenden Streitgegenstandes die im zweiten Satz der angeführten Gesetzesstelle vorgeschriebene sinngemäße Anwendung der §§ 54 bis 60 JN unterlassen hätte (ÖBl 1985, 166; ÖBl 1987, 63 ua). Inwiefern dem Berufungsgericht hier ein solcher Verfahrensverstoß unterlaufen wäre, ist aber nicht zu ersehen. Gemäß § 500 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist das Berufungsgericht bei seinem Ausspruch nach dem ersten Satz dieser Gesetzesstelle (ua) nicht an die Geldsumme gebunden, die die Klägerin - hier gemäß § 56 Abs. 2 JN und einvernehmlich mit der Beklagten (ON 14, AS 53) - als Wert des Streitgegenstandes angegeben hat. Das Gericht zweiter Instanz war daher berechtigt, die wirtschaftliche Bedeutung des Rechtsstreites und damit das Interesse der Klägerin an der von ihr begehrten Räumung selbständig und ohne Bindung an diese Bewertung nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen einzuschätzen. Es hat dabei entgegen der Meinung der Beklagten nicht die Bestimmung des § 58 Abs. 2 JN herangezogen, sondern die wirtschaftliche Bedeutung lediglich an Hand eines von ihm mit einem zehnfachen Jahresmietzins angenommenen "Mietwertes" der in Rede stehenden Ordinationsräumlichkeiten bemessen.

In der Sache selbst liegt die von der Beklagten geltend gemachte Aktenwidrigkeit nicht vor (§ 510 Abs. 3 ZPO).

Auch die Rechtsausführungen der Beklagten sind nicht stichhältig:

Soweit sie davon ausgeht, es sei durch Jahre hindurch - ohne jede Zurückweisung - eine Zahlung und Annahme von "Mietzinsen" erfolgt, verläßt sie die festgestellte Sachverhaltsgrundlage. In diesem Umfang ist daher auf die nicht gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge nicht näher einzugehen. Im übrigen ist, wie der Oberste Gerichtshof bereits in seiner im Parallelverfahren 11 C 202/87a (nunmehr 11 C 1115/89) ergangenen Entscheidung vom 9.November 1988, 1 Ob 664/88, an Hand derselben Feststellungen ausgeführt hat, weder mit der Tochter der Beklagten noch mit dieser selbst ein Bestandverhältnis zustandegekommen. Der Beklagten war ja schon zu Beginn ihrer monatlichen Zahlungen bekannt, daß die von ihr überwiesenen Beträge von monatlich 2.200 S nicht mit den von der Klägerin geforderten monatlichen Bestandzinszahlungen übereinstimmten. Bereits nach 4 Zahlungen wurde die Beklagte mit "Abgabenmahnung" der Klägerin ausdrücklich darauf hingewiesen, daß nach Ansicht der Klägerin die Höhe des Bestandzinses monatlich 5.500 S betrage und schon immer betragen habe. Diesen Standpunkt hat die Beklagte nicht akzeptiert. Ihr mußte daher von allem Anfang an klar gewesen sein, daß ein Vertragswille der Klägerin, mit ihr einen Mietvertrag mit einem monatlichen Bestandzins von 2.200 S zu schließen, nicht vorlag. Ein solcher Vertragswille durfte von ihr daher nicht angenommen werden. Die unbeanstandete Annahme ihrer geringeren Monatszahlungen - durch lediglich 3 Monate - konnte demnach mit Überlegung aller Umstände unter Berücksichtigung der im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche niemals den zwingenden Schluß zulassen, die Klägerin hätte unter diesen Bedingungen mit ihr einen Bestandvertrag abschließen wollen. Da die Beklagte somit ein Recht zur Innehabung der Ordinationsräumlichkeiten weder aus einer entsprechenden vertraglichen Berechtigung ihrer Tochter noch aus einer eigenen Vertragsbeziehung zur Klägerin ableiten kann, war die auf Räumung gerichtete und zumindest auch auf § 366 ABGB gestützte Eigentumsklage berechtigt. Der Revision mußte deshalb ein Erfolg versagt bleiben.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E20688

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0060OB00745.89.0315.000

Dokumentnummer

JJT_19900315_OGH0002_0060OB00745_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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