TE OGH 1990/3/27 10ObS56/90

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Veröffentlicht am 27.03.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Felix Joklik und Dr. Peter Wolf (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj. Doris P***, vertreten durch den Vormund Heribert L***, Kraftfahrer, beide 2700 Wiener Neustadt, Rebengasse 35, dieser vertreten durch Dr. Gert Trenker, öffentl.Notar, 2700 Wiener Neustadt, Hauptplatz 19, dieser vertreten durch Dr. Ernst Goldsteiner und Dr. Viktor Strebinger, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei A***

U***, Landesstelle Wien, 1203 Wien,

Webergasse 4, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hinterbliebenenleistungen aus einem Arbeitsunfall, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29.November 1989, GZ 33 Rs 176/89-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 4.April 1989, GZ 4 Cgs 312/88-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 1.543,50 (darin S 257,25 Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin die gesetzlichen Hinterbliebenenleistungen nach ihrem am 23.3.1987 verstorbenen Vater zu gewähren, ab. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:

Der Vater der Klägerin war selbständiger Baumeister mit dem Büro und der Wohnung in Walpersdorf (gemeint wohl: Walpersbach). Sein Tagesablauf war üblicherweise der, daß er während der von ihm eingehaltenen Arbeitszeit, die nicht mit der seiner Arbeitnehmer ident war, Baustellen kontrollierte, Kunden besuchte oder im Interesse seiner Berufstätigkeit Behördenwege unternahm oder zu Banken ging. Im Büro arbeitete er Kostenvoranschläge oder Rechnungen aus. Seine Freizeit war eher karg bemessen. Es kam aber auch vor, daß er zwischen den beruflichen auch private Angelegenheiten besorgen mußte oder wollte.

Am 23.3.1987 legte der Kläger bis etwa 7.30 Uhr mit einem Angestellten die Baustellen fest, die jeder von ihnen zu kontrollieren hatte. Der Vater der Klägerin hatte mehrere (jedenfalls über fünf) Baustellen "im Auftrag". Er entfernte sich danach aus dem Büro mit einem nicht feststellbaren Ziel. Zwischen 14.00 Uhr und 14.30 Uhr befand er sich in einer Bank in Pötsching und zahlte dort auf ein Geschäftskonto ein. Gegen 18.15 Uhr fuhr er mit seinem PKW auf der (niederösterreichischen) Landeshauptstraße 142 von Norden nach Süden. Knapp vor dem Ortsteil Harderswörth der Gemeinde Lanzenkirchen stieß er gegen einen Baum und wurde hiedurch getötet. Von dem Ort, in dem sich die Bank befindet, benötigt man mit einem PKW zur Unfallstelle höchstens 40 Minuten.

Aufgrund der vom Vater der Klägerin gewählten Straße und seiner Fahrtrichtung kann vermutet werden, daß er sich auf dem Weg zu seiner Wohnung oder seinem Büro befand. Verläßlich kann es aber nicht festgestellt werden, Ebensowenig kann festgestellt werden, welche Tätigkeit er zuletzt vor der (vermuteten) Heimfahrt ausführte. Geht man vom üblichen Tagesablauf des Verstorbenen aus, so ist wahrscheinlich, daß er in dem nicht auf der Fahrt verbrachten Zeitraum berufliche und nicht private Tätigkeiten verrichtet hat. Konkret kann aber die Tätigkeit nicht festgestellt werden. Rechtlich war das Erstgericht der Meinung, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, daß ihr Vater auf dem direkten Heimweg von einer "Dienstverrichtung" gewesen sei und es sich deshalb um einen unter Versicherungsschutz stehenden Wegunfall handle.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die Klägerin müsse beweisen, daß die im § 175 Abs 1 ASVG genannten Voraussetzungen erfüllt seien. An den Kausalitätsbeweis dürften zwar keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden, weshalb der Beweis eines (sehr) hohen Wahrscheinlichkeitsgrades genüge. In diesem Sinn reiche es für den sogenannten Anscheinsbeweis aus, daß der Beweisbelastete bestimmte Tatsachen beweise, aus denen sich nach der Lebenserfahrung mit erheblicher Wahrscheinlichkeit auf andere Tatsachen schließen läßt. Nach den unbedenklichen Feststellungen des Erstgerichtes sei aber der Klägerin der Kausalitätsbeweis mit der nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes geforderten (sehr) hohen Wahrscheinlichkeit nicht gelungen, weshalb die Anspruchsvoraussetzungen nicht gegeben seien.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne des Klagebegehrens abzuändern. Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Vorauszuschicken ist, daß es sich bei der hier zu entscheidenden Frage entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht um eine Frage der Kausalität handelt. Ist zu entscheiden, ob ein bestimmtes Verhalten durch die Unfallversicherung geschützt ist, geht es vielmehr um den Schutzbereich dieser Versicherung (vgl zuletzt Müller in ZAS 1989, 145 mwN in FN 1, Tomandl, Grundriß4 Rz 136 und 137 und Dusak in ZAS 1990,45).

Die im angefochtenen Urteil und in der Revision zum Anscheinsbeweis enthaltenen Ausführungen sind hier nicht zielführend. Der Anscheinsbeweis ist nämlich dort ausgeschlossen, wo der Ablauf des Geschehens durch den individuellen Willensentschluß eines Menschen bestimmt werden kann (vgl Fasching, ZPR2 Rz 894; SZ 57/20). Dies trifft aber auf den hier zu entscheidenden Fall zu, weil es allein vom Willen des Vaters der Klägerin abhing, aus welchem Grund und nach welcher Tätigkeit er den zum Unfall führenden Weg zurückgelegt hat, zumal nach den Feststellungen des Erstgerichtes auch konkret die Möglichkeit bestand, daß er während seiner Arbeitszeit Wege unternahm, die privaten Interessen dienten. Die Klägerin beruft sich in der Revision ferner zu Unrecht auf die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien SVSlg 33.877, in der - offensichtlich Kuderna, ASGG 438 folgend - die Meinung vertreten wurde, daß wegen des stark ausgeprägten Schutzcharakters des Sozialversicherungsrechts die objektive Beweislast auf den geklagten Versicherungsträger übergehe, wenn die typische Beweislage für den Versicherten spreche und nur atypische Umstände, welche dem Leistungsanspruch entgegenstehen, nicht ausgeschlossen werden können. Ebensowenig ist hier aus den Ausführungen von Fasching (in Tomandl, System, 4.ErgLfg 6.4.2 728/15) etwas zu gewinnen, wonach die Regel des Anscheinsbeweises, die vornehmlich für den Bereich der subjektiven Beweislast erleichternd wirke, um so mehr auch (modifiziert) angewendet werden müsse, um Härten eines unzumutbaren Beweisnotstandes für den Versicherten zu vermeiden, wie sie besonders bei Ansprüchen aus Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten auftreten. Eine Verschiebung der Beweislast kann nämlich nur dann in Betracht kommen, wenn ein allgemein, also für jedermann in gleicher Weise bestehender Beweisnotstand gegeben ist und wenn objektiv typische, also auf allgemein gültigen Erfahrungssätzen beruhende Geschehensabläufe für den Anspruchswerber sprechen. Es ist hingegen nicht zu rechtfertigen, die Beweislast nur deshalb zu verschieben, weil der Kläger wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls in Beweisnotstand ist, dies also für andere vergleichbare Fälle nicht gilt, und der beweisbare Geschehensablauf nur für den Einzelfall etwas aussagt. Dieser Umstand kann nur im Rahmen der Beweiswürdigung zum Tragen kommen.

Hier liegt kein allgemein bestehender Beweisnotstand vor, weil sich auch der Weg, den ein tödlich Verunglückter vor dem Unfall zurücklegte, sehr oft eindeutig klären läßt. Die Klägerin beruft sich überdies auf einen Ablauf des Geschehens, der für ihren Vater typisch gewesen sein mag, dem aber keine allgemein gültigen Erfahrungssätze zugrunde liegen. Die von den Vorinstanzen daraus gezogenen Schlüsse gehören in den Bereich der Beweiswürdigung und können daher vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden. Eine Verschiebung der Beweislast zugunsten der Klägerin kommt aus den angeführten Gründen nicht in Betracht.

Das Bundessozialgericht der Bundesrepublik Deutschland hat in seinem Urteil vom 20.8.1987 BSGE 62, 100 zwar die Meinung vertreten, die objektive Beweislast liege beim Versicherungsträger, wenn es darum gehe, ob die Heimfahrt von der Arbeit durch eine privatwirtschaftliche Kausalkette, die den Versicherungsanspruch ausschließt, unterbrochen wurde. Es muß nicht geprüft werden, ob dem für den österreichischen Rechtsbereich zu folgen ist, weil hier nicht erwiesen ist, daß sich der Versicherte auf dem Weg von der oder zur Arbeitsstätte befand.

Dem Klagebegehren kann daher nach den allgemeinen Regeln über die Beweislast, die - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - auch in Sozialrechtssachen anzuwenden sind (SSV-NF 1/48), nur stattgegeben werden, wenn die anspruchsbegründenden Tatsachen festgestellt sind. Dazu gehören hier aber alle jene Umstände, aus denen abgeleitet werden kann, daß sich der Unfall des Vaters der Klägerin gemäß § 175 Abs 1 ASVG im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung oder daß er sich gemäß dem nachfolgenden Abs 2 Z 1 auf einem mit dieser Beschäftigung zusammenhängenden Weg zwischen den dort näher angeführten Orten ereignete. Es genügt also nicht, daß solche Umstände nach den Feststellungen des Erstgerichtes wahrscheinlich sind, sondern es hätte festgestellt werden müssen, daß sie gegeben waren. Die Ausführungen des Erstgerichtes, daß diese Feststellung nicht möglich sei, fallen in den Tatsachenbereich (JBl 1981, 206 ua), weshalb der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, hievon auszugehen hat. Dies führt aber dazu, daß der Revision nicht Folge zu geben ist, weil die für die Annahme eines Arbeitsunfalls gemäß § 175 ASVG erforderlichen Tatsachen nicht festgestellt wurden. Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Anmerkung

E20783

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00056.9.0327.000

Dokumentnummer

JJT_19900327_OGH0002_010OBS00056_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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