TE OGH 1990/4/25 7Ob561/90

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Veröffentlicht am 25.04.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Egermann, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kurt S***, Pensionist, Graz, Fröhlichgasse 82, vertreten durch Dr.Gerald Stenitzer, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Gottfried B***, Tankstellenpächter, Graz, Ulmgasse 14 c, vertreten durch Dr.Alois Ruschitzger und Dr.W.Muchitsch, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 80.000,-- s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 21. November 1989, GZ 4 a R 157/89-37, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 8. Mai 1989, GZ 14 Cg 196/87-31, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 12.344,40 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten S 2.057,40 USt) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte ist Pächter einer in Graz an der Kreuzung der Conrad von Hötzendorf-Straße und der Fröhlichgasse gelegenen Tankstelle. Der Tankstellenbereich wird von einem Gehsteig begrenzt, der von der Conrad von Hötzendorf-Straße in einer Rundung in die Fröhlichgasse weiterführt und an dem dort befindlichen Bahndamm endet. Die dem Eigentümer der Tankstellenbetriebsliegenschaft obliegende Verpflichtung zur Säuberung und Bestreuung des Gehsteiges nach § 93 Abs. 1 StVO wurde rechtsgeschäftlich dem Beklagten übertragen. Der Kläger kam am 3.2.1987 gegen 3.50 Uhr auf dem Gehsteig vor der Tankstelle aufgrund eines vereisten Schneebuckels zu Sturz und zog sich eine Außenknöchelfraktur zu. Er begehrt ein Schmerzengeld von S 80.000 s.A.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen hatte der Beklagte die Verpflichtung zur Säuberung und Bestreuung des Gehsteiges den jeweils diensthabenden Tankwarten übertragen. Am 2.2.1987 und am Morgen des 3.2.1987 war Dieter B*** für die Säuberung und Bestreuung des Gehsteiges zuständig. Die Lufttemperatur in den Morgenstunden des 3.2.1987 betrug -10 bis -12 Grad. Auf dem Gehsteig befand sich ein parallel zur Fahrbahnlängsachse der Fröhlichgasse verlaufender, von Schneeräumungsarbeiten durch einen Schneepflug stammender, etwa 30 bis 40 cm hoher Schneewall, der ca. bis zur Hälfte der Breite des Gehsteiges reichte. Der übrige Gehsteig war nicht geräumt, sondern mit hart gefrorenem, festgetretenem Schnee bedeckt, der - bedingt durch ständiges Begehen bzw. Betreten - aufgrund der vorherrschenden niedrigen Temperatur gefrorene Unebenheiten in Form kleiner Schneehügel aufwies. Auf dem gesamten südlich der Tankstelle befindlichen Teil des Gehsteiges bis zur Bahnübersetzung war Rollsplitt gestreut, der im Unfallszeitpunkt jedoch bereits großteils im Schnee eingetreten war. Am Abend des 2.2.1987 wurde vom Beklagten bzw. seinen Tankwarten kurz vor Schließung der Tankstelle kein Rollsplitt mehr gestreut. Wann die letzte Streuung erfolgte, konnte nicht festgestellt werden.

Der Kläger wurde nach dem Sturz mit der Rettung in die Zweite Chirurgische Universitätsklinik gebracht, wo am 6.2.1987 eine operative Reposition und Osteosynthese erfolgte. Der postoperative Heilungsverlauf war komplikationslos, sodaß der Kläger am 16.2.1987 mit einem Gipsverband und Stützkrücken entlassen werden konnte. Körperliche oder funktionelle Dauerschäden sind nicht eingetreten, Spätfolgen sind nicht wahrscheinlich. Eine zweite Operation zur Entfernung der Metalle ist noch erforderlich. Mit der Verletzung des Klägers waren 3 Tage starke, 8 Tage mittelstarke und 48 Tage leichte Schmerzen verbunden.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes hat der Kläger die Schutznorm des § 93 StVO übertreten. Trotz der niedrigen Außentemperatur und der damit verbundenen Vereisung des Gehsteigs habe weder der Kläger noch ein von ihm beauftragter Tankwart am Vorabend des Unfalls den Gehsteig bestreut. Der Kläger sei daher dem Beklagten zum Schadenersatz verpflichtet. Ein Mitverschulden könne dem Kläger nicht angelastet werden. Der Beklagte habe weder eine Alkoholisierung noch eine Unaufmerksamkeit oder eine unzureichende Ausrüstung des Klägers nachweisen können. Aufgrund der Schwere der Verletzung des Klägers und der damit verbundenen psychischen Schmerzen sowie unter Bedachtnahme auf die seelische Beeinträchtigung sei das begehrte Schmerzengeld angemessen. Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab und erklärte die Revision für zulässig. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß auch derjenige, dem die Verpflichtung nach § 93 Abs. 1 StVO rechtsgeschäftlich übertragen worden sei, sich zur Erfüllung dieser Verpflichtung Dritter bedienen könne. Für diese hafte er aber nur unter den Voraussetzungen des § 1315 ABGB. Ein Eigenverschulden falle dem Verpflichteten nur dann zur Last, wenn er den Gehilfen mangelhaft instruiert oder eine gebotene Überwachungspflicht vernachlässigt habe. Eine Überwachungspflicht bestehe nur dann, wenn Umstände bekannt seien, die eine Überwachung notwendig machten. Der hiefür behauptungspflichtige Kläger habe in dieser Richtung kein Sachvorbringen erstattet. Aber auch für die Untüchtigkeit des Gehilfen des Beklagten sei der Kläger beweispflichtig. Er habe diesen Beweis nicht erbracht. Selbst wenn am 2.2.1987 bei Dienstschluß um ca. 21.30 Uhr eine frische Streuung des Gehsteigs erforderlich gewesen wäre, sei der Sorgfaltsverstoß des Tankwartes nicht sehr gravierend, weil der gesamte südlich der Tankstelle gelegene Bereich, in dem der Kläger zu Sturz gekommen sei, mit Rollsplitt bestreut gewesen sei. Die Nachlässigkeit des Tankwartes könnte nur darin bestehen, die noch vorhandene Streuung für ausreichend gehalten zu haben, obwohl letzteres nicht mehr zur Gänze der Fall gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision des Klägers ist berechtigt.

Beizupflichten ist dem Berufungsgericht darin, daß der Auftrag an die Dienstnehmer, den Gehsteig zu säubern und zu bestreuen, eine rechtsgeschäftliche Übertragung der Verpflichtung im Sinne des § 93 Abs. 5 StVO ist und daß eine Haftung des Verpflichteten in einem solchen Fall nur dann in Betracht kommt, wenn ihm selbst ein Verschulden zur Last fällt, wie etwa im Falle mangelhafter Instruktion oder bei Verletzung der gebotenen Überwachungspflicht. Darüber hinaus haftet der Verpflichtete der Allgemeinheit gegenüber nur unter den Voraussetzungen des § 1315 ABGB (MietSlg. 27.224; ZVR 1968/148). Richtig ist auch, daß ein einmaliges Versagen selbst bei grober Fahrlässigkeit noch keine Untüchtigkeit des Gehilfen begründet, doch kann auch ein einmaliges Fehlverhalten die Annahme der Untüchtigkeit des Gehilfen rechtfertigen, wenn aus den Umständen auf einen habituellen Hang zur Nachlässigkeit geschlossen werden kann (Koziol-Welser8 I 449 f; Koziol, Haftpflichtrecht2 II 357;

Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 1315; Schwimann-Harrer, ABGB V Rz 10 zu § 1315; Wilburg in ZBl. 1930, 725; SZ 54/21; JBl. 1978, 91;

JBl. 1971, 308; SZ 26/96). Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls und die Schwere der Mangelhaftigkeit des Verhaltens an (Koziol aaO). Grobe Fahrlässigkeit läßt aber naturgemäß eher auf Untüchtigkeit schließen (Reischauer aaO).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat aber das Berufungsgericht im vorliegenden Fall zu Unrecht eine Untüchtigkeit der Besorgungsgehilfen des Beklagten verneint. Aus den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes ergibt sich, daß trotz Vorhandenseins nicht unbeträchtlicher Schneemengen der Gehsteig nicht geräumt worden war. Der Gehsteig war mit hart gefrorenem und - bedingt durch das ständige Begehen und Betreten - festgetretenem Schnee bedeckt. Daraus folgt zwangsläufig, daß der Gehsteig schon längere Zeit nicht geräumt worden war, zumal ein Schneefall am 2.2.1987 und auch in der Nacht vom 2. auf den 3.2.1987 auszuschließen ist (ON 19). § 93 Abs. 1 StVO enthält aber nicht nur die Verpflichtung, die Gehsteige zu bestreuen, sondern auch die Verpflichtung, sie von Schnee zu säubern. Die Verpflichtung ist zwar auf die Zeit von 6 bis 22 Uhr eingeschränkt, ihre Verletzung kann aber auch darin liegen, daß der Verpflichtete es unterlassen hat, vor 22 Uhr des Vortags den Gehsteig entsprechend von Schnee zu säubern (ZVR 1970/197). Die Säuberungspflicht wurde vom Berufungsgericht ebenso übersehen wie vom Beklagten, der lediglich vorbrachte (ON 2 AS 11), daß am Vortag, vor Schließung der Tankstelle, nochmals gestreut worden sei, was überdies nach den Feststellungen nicht der Fall war. Es liegt auf der Hand, daß zusammengetretener und gefrorener Schnee infolge der hiebei entstehenden Glätte und Höckerbildung eine besondere Gefahrenquelle für die Fußgänger darstellt. Eine Bestreuung allein bildet, abgesehen von der positiv-rechtlichen Anordnung der Säuberung von Schnee, keine ausreichende Sicherung, zumal das Streugut, wie hier auch festgestellt wurde, in den Schnee eingetreten wird. Läßt daher der Besorgungsgehilfe die Verpflichtung zur Säuberung des Gehsteigs von Schnee völlig außer acht und beschränkt sich darauf, zu streuen, stellt dies einen schweren Verhaltensmangel dar, der den Schluß auf einen habituellen Hang zur Nachlässigkeit rechtfertigt. Nach den obigen Darlegungen ist dann aber auch die Annahme der Untüchtigkeit gerechtfertigt. Die Frage der Beweislastverteilung stellt sich dann nicht mehr. Die Angemessenheit des Schmerzengeldes wurde vom Beklagten schon in der Berufung nicht mehr bekämpft. Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Zuspruch von mehr als 10 % Umsatzsteuer für das Verfahren erster Instanz an den Kläger, ausgenommen für die letzte Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung, kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil eine höhere Umsatzsteuer gar nicht verzeichnet wurde.

Anmerkung

E20696

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0070OB00561.9.0425.000

Dokumentnummer

JJT_19900425_OGH0002_0070OB00561_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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