TE OGH 1990/5/31 8Ob538/90

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Veröffentlicht am 31.05.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Schwarz, Dr. Schalich und Dr. Jelinek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Reingard S***, Angestellte, Eisbach, Meierhof 149, 8121 Gratwein, vertreten durch Dr. Harold Schmid, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Franz S***, Kraftfahrzeughändler und Kraftfahrzeugmechanikermeister, Triesterstraße 234, 8073 Feldkirchen, vertreten durch Dr. Martin Lichtenegger, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 63.000 sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 15. November 1989, GZ 2 R 199/89-59, womit infolge Berufungen der klagenden und der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 29. Juni 1989, GZ 19 Cg 405/86-48, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben. Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrte in erster Linie die Aufhebung des zwischen ihr und dem Beklagten abgeschlossenen Kaufvertrages über einen PKW und Rückzahlung des Kaufpreises von S 63.000,- Zug um Zug gegen Rückgabe des PKWs mit der Behauptung, sie sei vom Beklagten dadurch in Irrtum geführt worden, daß dieser einen Totalschaden des PKWs verschwiegen habe. In eventu begehrt sie als Preisminderung S 17.000,-.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, er habe keine Vorschadensfreiheit behauptet und keine Zusagen gemacht, die über den schriftlichen Vertrag hinausgingen. Das Erstgericht stellte im wesentlichen fest, daß der Beklagte den beschädigten PKW (Heck, Stoßstange, Heckklappe, verzogener Rahmen, kaum öffenbare und schließbare Türen) im wiederhergerichteten Zustand um S 34.000,- gekauft hatte, wobei er wahrgenommen hatte, daß im hinteren Bereich der Hinterachse eine Falte vorhanden war. Er konnte daraus zwar einen unfallbedingten Schaden, nicht jedoch den ursprünglichen Schadensumfang erkennen. Er veranlaßte die Lackierung des Fahrzeuges, ließ es "mechanisch durchschauen" und investierte hiefür S 12.000,-.

Die Klägerin kaufte nach einer Probefahrt am 12. Mai 1986 den PKW um S 66.000,-. Im Kaufvertrag stufte der Beklagte das Fahrzeug zwischen Klasse 3 (genügend fahrbereit) und Klasse 4 (defekt) ein. Er erläuterte der Klägerin den Zustand des Fahrzeuges nicht. Nach Vorschäden befragt, erklärte er der Klägerin, daß jedes Kraftfahrzeug einen kleinen Kratzer, einen Schaden haben könne und daß schon ein Kratzer ein Vorschaden sei. Die vorhandenen und ihm kennbar gewesenen Vorschäden erwähnte er der Klägerin gegenüber nicht, die - im Gegensatz zu ihm - nicht erkennen konnte, daß das Kfz bereits einen unfallbedingten Schaden im Heckbereich erlitten hatte.

Am 21. Mai (richtig) 1986 kam die Klägerin zum Beklagten und begehrte für das noch nicht übernommene Fahrzeug, für das sie bereits eine Anzahlung geleistet hatte, einen Preisnachlaß. Der Beklagte gewährte ihr einen solchen von S 4.000,-. Hiebei wurde vereinbart, daß die Klägerin auf jede Gewährleistung und Garantie verzichte, und ein weiteres Kaufvertragsformular ausgefüllt, in dem die Klassifizierungsstufe 5 (ungenügend fahrbereit) eingetragen wurde. Der Beklagte erläuterte der Klägerin diese Bewertungsstufen nicht näher. Über Vorschäden wurde nicht mehr geredet. Am 10. Juni 1986 ließ die Klägerin das Fahrzeug vom A*** überprüfen. Hiebei wurden verschiedene Mängel, darunter die Vorbeschädigung wie z. B. "Längsträger bei der Bodenplatte teilweise deformiert" festgestellt. In der Folge ließ die Klägerin verschiedene Reparaturen durchführen. Im Zeitpunkt des Verkaufes des Fahrzeugs war das Fahrzeug in Stufe 2 bis 3 einzureihen; der Wert des Fahrzeuges betrug S 46.000,-, bei intakter Auspuffanlage S 46.500,-. Das Erstgericht stellte fest, daß das Hauptbegehren nicht, das Eventualbegehren mit S 12.500,- zu Recht, mit S 4.500,- jedoch ebensowenig wie die Gegenforderung des Beklagten zu Recht bestehe, sprach der Klägerin im Rahmen des Eventualbegehrens S 12.500 sA zu und wies das Klagebegehren im übrigen ab. In rechtlicher Hinsicht kam es zum Ergebnis, daß die Voraussetzungen für eine Vertragsaufhebung nicht vorlägen, weil dem Beklagten der tatsächliche Umfang des Schadens am PKW nicht erkennbar gewesen sei. Die Klägerin sei über den Vorschaden nicht informiert worden. Dies und der Umstand, daß tatsächlich verschiedene Mängel vorhanden gewesen seien, rechtfertige einen Abzug vom Wiederbeschaffungswert. Mängel, die den ordentlichen Gebrauch nicht hinderten, hätten nur eine Entgeltminderung zur Folge. Nach der relativen Berechnungsmethode ergebe sich ein Anspruch der Klägerin von S 12.500,-.

Gegen dieses Urteil richteten sich die Berufungen beider Teile. Die Klägerin begehrte das Ersturteil im Sinne der Stattgebung des Hauptbegehrens abzuändern oder es aufzuheben. Der Beklagte beantragte, das Ersturteil dahin abzuändern, daß auch das Eventualbegehren zur Gänze abgewiesen werde.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen Folge, hob das angefochtene Urteil unter Setzung eines Rechtskraftvorbehaltes auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück. Es vertrat die Rechtsansicht, daß die Irrtumsanfechtung der Klägerin berechtigt sei, weil der Irrtum darüber, ob der PKW bereits durch einen Unfall schwer beschädigt worden sei, für die Fahrsicherheit des PKWs von entscheidender Bedeutung und damit wesentlich sei. Dies führe zur Vertragsaufhebung, weil dieser Irrtum der Klägerin vom Beklagten dadurch veranlaßt worden sei, daß er auf die Frage nach der Vorschadensfreiheit ausflüchtend und nichtssagend geantwortet habe und die Klägerin durch den Hinweis auf "kleine Kratzer" geradezu gezielt in die Irre geführt habe. Durch diese Äußerung sei der eingetretene Schaden, der als Unfallschaden vom Beklagten erkannt worden sei, verniedlicht, heruntergespielt und der Klägerin bewußt verschwiegen worden. Die Sache sei jedoch noch nicht spruchreif, weil der Beklagte - zwar nicht ziffernmäßig konkretisiert - in eventu, nämlich bei Stattgebung der Irrtumsanfechtung Gegenforderungen aus mittlerweile eingetretenen Schäden, die die Klägerin zu vertreten habe, eingewendet habe. Die Rückabwicklung des infolge erfolgreicher Irrtumsanfechtung aufgehobenen Vertrages erfolge nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen. Der Wert des Fahrzeuges sei einerseits durch nach Vertragsabschluß von der Klägerin verursachte Blechschäden vermindert, andererseits durch von ihr durchgeführte Reparaturen von Schäden, die zum Zeitpunkt des Verkaufes schon vorhanden gewesen seien, erhöht worden. Um eine Rückabwicklung im Sinn des § 877 ABGB bewerkstelligen zu können, seien daher noch Feststellungen über die nach dem Ankauf eingetretenen wertmindernden und werterhöhenden Handlungen der Klägerin notwendig.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs des Beklagten. Er macht Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses, Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend und beantragt, den angefochtenen Beschluß des Berufungsgerichtes dahingehend abzuändern, daß der Berufung der Klägerin keine, seiner Berufung hingegen Folge gegeben und das Klagebegehren - einschließlich des Eventualbegehrens - vollinhaltlich abgewiesen werde; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag; in eventu beantragt er den angefochtenen Beschluß für nichtig zu erklären und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Der Beklagte macht Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO bzw. Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend, weil das Berufungsgericht zwar im Spruch (beiden) Berufungen Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen habe, sich in der Folge jedoch nur mit der Berufung der Klägerin auseinandergesetzt und in keiner Weise begründet habe, wieso es auch der Berufung des Beklagten Folge gegeben habe. Es ist zwar richtig, daß das Berufungsgericht hiefür keine ausdrückliche Begründung gegeben hat. Dies schadet jedoch nicht; logische Folge des Umstandes, daß das Berufungsgericht die primär geltend gemachte Irrtumsanfechtung, die zur Vertragsaufhebung und Rückabwicklung nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen führt, für berechtigt hielt, ist, daß über das Eventualbegehren auf Preisminderung, gegen dessen Ausmaß sich der Beklagte in seiner Berufung ausschließlich wendete, nicht mehr zu entscheiden war. Ausführungen hierüber hatten daher zu entfallen, wenn auch ein ausdrücklicher Hinweis des Berufungsgerichtes darauf, daß der Beklagte auf die Erledigung der Berufung der Klägerin verwiesen wird, zweckmäßig gewesen wäre. Soweit der Beklagte in seiner Rechtsrüge anstatt vom Klagevorbringen und vom festgestellten Sachverhalt auszugehen, aus den Aussagen der Klägerin ableiten will, daß diese den PKW auf Grund diverser Mängel, die im Zuge der Benützung dieses PKW durch sie selbst eingetreten sind, zurückgeben möchte, geht er nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.

Es ist zwar richtig, daß die Klägerin weder technisch noch juristisch versiert ist und über die Bedeutung des Begriffes "Vorschaden" keine konkrete Vorstellung hatte; desto mehr ist es dem Beklagten anzulasten, daß er die Klägerin auf ihre Frage nach Vorschäden des PKW nicht hinreichend aufklärte, sondern geradezu gezielt in die Irre führte. Der Beklagte wußte, daß der PKW einen groben Vorschaden am Heck hatte, auch wenn er dessen Umfang nicht genau kannte; er antwortete der Klägerin jedoch auf die ausdrückliche Frage nach Vorschäden ausflüchtend und nichtssagend durch den Hinweis, daß jeder gebrauchte PKW einen kleinen Kratzer, einen Schaden haben könne und daß schon ein Kratzer ein Vorschaden sei. Durch diese Verniedlichung und Herabspielung des Begriffes "Vorschaden" und durch das bewußte Verschweigen des ihm bekannten Vorschadens führte er die Klägerin, wie bereits das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, über einen wesentlichen Punkt des Kaufes in Irrtum.

Der Oberste Gerichtshof hat in vergleichbaren Fällen bereits mehrfach dargelegt, daß das Verschweigen von bekannten Vorschäden durch den danach befragten Verkäufer den Käufer zur Irrtumsanfechtung berechtigt: Bei einem Irrtum über das Vorhandensein von Vorschäden handelt es sich um einen wesentlichen Irrtum, weil solche die Fahreigenschaft zu beeinträchtigen grundsätzlich geeignet sind (ZVR 1971/122; SZ 48/103; 5 Ob 538/82 uza). Die wahrheitsgemäße und vollständige Aufklärung über bekannte Vorschädengehört insbesondere dann, wenn sich der Käufer hienach ausdrücklich erkundigt, zu den Sorgfaltspflichten des Verkäufers (ZVR 1985/143), die dieser im vorliegenden Fall verletzt hat. Auf ein Verschulden des Verkäufers kommt es für die Berechtigung der Irrtumsanfechtung nicht an; ein solches ist nur für darauf gestützte Schadenersatzansprüche von Bedeutung (Rummel in Rummel, ABGB, Rz 15 zu § 871).

Zutreffend hat auch das Berufungsgericht erkannt, daß die Sache noch nicht spruchreif ist, weil für die nach bereicherungsrechtlichen Gesichtspunkten vorzunehmende Rückabwicklung (Rummel, aaO Rz 1 zu § 877) noch Feststellungen über wertmindernde und werterhöhende Veränderungen (Wertersatz in Höhe des erlangten Vorteils oder des erlittenen Nachteils, vgl. Rummel aaO Rz 14 f zu § 1041 und Rz 3 zu § 1437) fehlen; gegebenenfalls wird im fortgesetzten Verfahren das diesbezügliche Vorbringen noch zu konkretisieren sein.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E21222

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0080OB00538.9.0531.000

Dokumentnummer

JJT_19900531_OGH0002_0080OB00538_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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