TE OGH 1990/6/27 9ObA170/90

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Veröffentlicht am 27.06.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Alfred Mayer und Mag. Wilhelm Patzold als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsausschuß der C*** M*** A***

G*** MBH, Wien 23., Laxenburgerstraße 246, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei C*** M*** A*** G*** MBH, Wien 23.,

Laxenburgerstraße 246, vertreten durch Dr. Bernhard Hainz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 ASGG (Streitwert S 31.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.Februar 1990, GZ 33 a Ra 142/89-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 1. September 1989, GZ 14 Cga 2541/89-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.292,80 (darin S 548,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, jenen Arbeitnehmern, die vor dem 28. Februar 1989 Freimilch im Ausmaß von einem viertel bzw einem halben Liter täglich erhalten haben, diese Freimilch auch über den 28. Februar 1989 hinaus im bisherigen Ausmaß und unter den bisherigen Voraussetzungen zu gewähren. Bei der Beklagten habe seit über 20 Jahren die betriebliche Übung bestanden, an Arbeitnehmer an bestimmten Arbeitsplätzen täglich zwischen einem viertel und einem halben Liter Milch gratis abzugeben. Die Freimilch sei vorbehaltlos gewährt worden; von einem Widerrufsvorbehalt sei nie die Rede gewesen. Trotz dieser langjährigen vorbehaltlosen Übung, durch die die Leistung Entgeltcharakter erlangt habe, habe die Beklagte diese Leistung mit 28.Februar 1989 einseitig widerrufen und eingestellt. Von dieser Maßnahme seien zumindest drei Arbeitnehmer der Beklagten betroffen. Da die Beklagte den Anspruch bestreite, bestehe ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung. Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Es treffe zu, daß an gewisse Arbeitnehmer an bestimmten Arbeitsplätzen täglich Milch ausgegeben worden sei, um ihre Gesundheit und Rekreationsfähigkeit zu bewahren. Diese Arbeitnehmer hätten nämlich an Arbeitsplätzen gearbeitet, an denen es zur Kontaktnahme mit abfallenden Eisenspänen oder Öl gekommen sei. Die Ausgabe der Freimilch an diesen eingeschränkten Personenkreis sei im Rahmen der Werksküche organisiert gewesen. Die Aktion habe einen eigenen Budgetposten im Bereich "Allgemeine Verwaltung" gebildet und sei als freiwillige Sozialleistung, die keinen materiellen, sondern einen ideellen Zweck verfolgt habe, anzusehen gewesen, der kein Entgeltcharakter zugekommen sei. Die Evidenzhaltung der jeweils Bezugsberechtigten sei im Personalbüro erfolgt. Da das Arbeitsinspektorat bestätigt habe, daß aus Gesundheitsgründen keine Veranlassung bestehe, die Einrichtung, die eine Wohlfahrtseinrichtung im Sinne des § 95 ArbVG gewesen sei, beizubehalten, sei sie eingestellt worden. Die Möglichkeit, eine Wohlfahrtseinrichtung aufzulösen, ergebe sich aus dem Gesetz. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest:

Die Beklagte erzeugt und vertreibt Maschinen zur Kunststoffherstellung, insbesondere Extrusions- und Spritzgießmaschinen. Bei bestimmten Arbeitsvorgängen wie Schleifen, Fräsen, Bohren von Werkstücken etc war ein Kontakt mit abfallenden Eisenspänen oder Öl unumgänglich. Arbeitnehmer, die an solchen Arbeitsplätzen beschäftigt waren, erhielten seit dem Jahr 1969 täglich zwischen einem viertel und einem halben Liter Freimilch. Dieser eingeschränkte Kreis von Beziehern wuchs im Laufe der Zeit an. So gelangten etwa auch Sekretärinnen in den Genuß der Freimilch, die zwar im Büro arbeiteten, aber mit Lichtpausmaschinen zu tun hatten, bei denen damals Salmiak verwendet wurde.

Der Zweck der Freimilchgewährung, die nicht an alle Arbeitnehmer erfolgte, war ein Beitrag des Unternehmens zur Förderung der Gesundheit und Rekreationsfähigkeit der betroffenen Arbeitnehmer. Eine gesetzliche Verpflichtung oder eine Empfehlung des Arbeitsinspektorates bestand dazu ebensowenig wie eine Betriebsvereinbarung. Die Beklagte trug die Kosten der Aktion allein. Die Evidenzhaltung der Bezugsberechtigten erfolgte im Personalbüro. Kostenmäßig bildete die Freimilch einen eigenen Budgetposten im Bereich der allgemeinen Verwaltung; sie wurde den Arbeitnehmern nie als Entgeltbestandteil gewährt. Die Milchausgabe erfolgte im Rahmen der bei der Beklagten eingerichteten Werksküche. Ein Arbeitnehmer der Werksküche besorgte unter Aufsicht des Küchenleiters die Bestellung der benötigten Mengen, die Übernahme, die Kontrolle und die Leergutverwaltung.

Nachdem das Arbeitsinspektorat auf Anfrage bestätigt hatte, daß aus Gesundheitsgründen keine Veranlassung zur Beibehaltung der Einrichtung bestehe, stellte die Beklagte die Gewährung von Freimilch mit Ende Februar 1989 ein.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Freimilchgewährung durch die Beklagte unter den Begriff der Wohlfahrtseinrichtungen im Sinne des § 95 ArbVG falle. Die Aktion sei auf Dauer angelegt und mit einer Organisation ausgestattet gewesen; sie habe dem gesundheitlichen und ideellen Wohl der Arbeitnehmer gedient. Die gesamte Abwicklung sei im Rahmen der Werksküche, die selbst eine Wohlfahrtseinrichtung sei, erfolgt. Ein gegen die Auflösung gerichtetes Anfechtungsrecht des Betriebsrats im Sinne des § 95 Abs. 3 ArbVG bestehe nicht.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 50.000 nicht übersteige und die Revision nicht zulässig sei. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß sowohl die Einrichtung als auch grundsätzlich die Auflösung einer Wohlfahrtseinrichtung im Ermessen des Betriebsinhabers liege (Arb 10.609). Da ein Tatbestand des § 95 Abs. 3 ArbVG nicht gegeben sei, bestehe auch kein Einspruchsrecht des Betriebsrats. Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, obgleich das Berufungsgericht entgegen der Bestimmung des § 45 Abs. 4 ASGG eine den Betrag von S 50.000 nicht übersteigende Bewertung des Streitgegenstandes vornahm und aussprach, daß die Revision nicht zulässig sei. Beim vorliegenden Rechtsstreit handelt es sich nämlich nach dem allein maßgeblichen Klagevorbringen um ein besonderes Feststellungsverfahren im Sinne des § 54 Abs. 1 ASGG, dem die strittige Frage zugrundeliegt, ob einzelne Arbeitnehmer im Wege einer betrieblichen Übung einen Rechtsanspruch auf eine bestimmte Leistung des Arbeitgebers erworben haben, sohin um eine Arbeitsrechtssache gemäß § 50 Abs. 1 Z 1 ASGG. In besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 Abs. 1 ASGG ist aber die Revision auch bei Fehlen der Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 ASGG zulässig (§ 46 Abs. 3 ASGG). Die diesbezüglichen Aussprüche des Berufungsgerichtes sind somit ebenso verfehlt wie die auf § 58 Abs. 1 ASGG gestützte Kostenentscheidung. ein betriebsverfassungsrechtlicher Anspruch im Sinne des II. Teils des ArbVG wurde vom Kläger nicht geltend gemacht.

Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Soweit der Revisionswerber in seiner Rechtsrüge die Ansicht vertritt, bei der Freimilchgewährung habe es sich um eine von der Einrichtung der Werksküche unabhängige vorbehaltlose Naturalzuwendung des Arbeitgebers an individuell bestimmte Arbeitnehmer gehandelt, die im Ergebnis einem Naturalentgelt gleichzuhalten sei, ist ihm entgegenzuhalten, daß sowohl die Organsiation der Einrichtung als auch die Widmung der Aktion gegen eine solche Auffassung sprechen.

Es ist davon auszugehen, daß nach Lehre und Rechtsprechung Werksküchen und Kantinen, Werksläden, Kindergärten, Sport- und Fitneßeinrichtungen, Werkskinos, Erholungs- und Urlaubsheime, Pendlerbusse udgl typischerweise als Wohlfahrtseinrichtungen im Sinne des § 95 ArbVG in Betracht kommen (Strasser in KommzArbVG 512 f; ders in Arbeitsrecht2 II 292; ZAS 1988/23 ÄStöhr-KohlmaierÜ; Cerny, ArbVG8 364; 9 Ob A 288/88 ua). Auch die gegenständliche Freimilchvergabe fällt ihrer Art und ihrem Zweck nach (Schutz vor Gesundheitsgefährdung an bestimmten Arbeitsplätzen) unter den Begriff einer betrieblichen Wohlfahrtsmaßnahme, da sie auch die erforderliche hinreichende Institutionalisierung erfahren hat. Es trifft entgegen der Ansicht des Revisionswerbers nicht zu, daß die Werksküche der Beklagten lediglich als eine Art "Zahlstelle" des Naturalentgelts fungierte. Die jeweils Bezugsberechtigten mußten im Personalbüro in Evidenz gehalten werden, die Verrechnung der Kosten erfolgte im Rahmen eines eigenen Budgetpostens der "allgemeinen Verwaltung" und ein Arbeitnehmer war in der Werksküche damit betraut, die benötigten Mengen an Milch zu bestellen, zu übernehmen, zu kontrollieren und das anfallende Leergut zu verwalten. Es lag somit kein Bündel von Leistungen des Arbeitgebers an einzelne Arbeitnehmer vor, wie zB bei Deputatleistungen oder Leistungen finanzieller Natur (vgl Arb 9.812 - Flugbegünstigungen), sondern es bestand in der Werksküche eine zur Benützung offenstehende Einrichtung, die sich an jene Arbeitnehmer der Beklagten richtete, welche die Benützungsvoraussetzungen erfüllten (vgl Eypeltauer, Die Mitwirkung des Betriebsrats an betrieblichen Wohlfahrtseinrichtungen, DRdA 1986, 194 ff, 201).

Es mag zutreffen, daß auch Sozialleistungen, die regelmäßig und ohne Hinweis auf ihre Unverbindlichkeit und jederzeitige Widerrufbarkeit gewährt werden, gemäß § 863 ABGB Bestandteil des einzelnen Arbeitsvertrages werden können und sohin eine Verpflichtung des Arbeitgebers begründen, diese Leistung auch in Hinkunft zu erbringen. Diese Verbindlichkeit hätte jedoch einen entsprechenden (erkennbaren) Verpflichtungswillen des Arbeitgebers zur Voraussetzung, daß dem einzelnen Arbeitnehmer die Sozialleistung unabhängig davon garantiert werde, ob die dazu erforderliche Einrichtung weiterbesteht oder nicht. Zur Aufrechterhaltung der Wohlfahrtseinrichtung an sich ist der Arbeitgeber diesbezüglich nicht verpflichtet (Eypeltauer aaO 201; 9 Ob A 288/88 ua). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde die Freimilch in abgestuften Mengen nur jenen Arbeitnehmern der Beklagten gewährt, die an bestimmten (exponierten) Arbeitsplätzen gearbeitet haben; sei es wegen des Kontakts mit Eisenspänen oder Öl, sei es wegen des bei den Lichtpausmaschinen verwendeten Salmiaks. Die Leistungen erfolgten sohin nicht personen-, sondern arbeitsplatzbezogen. Die Sozialmaßnahme diente der Vorsorge vor möglicher gesundheitlicher Beeinträchtigung der betroffenen Arbeitnehmer. Insoweit hatte die Evidenzhaltung im Lohnbüro nur den Zweck, den Kreis der (jeweils) Benützungsberechtigten zu erfassen; dies wäre nicht erforderlich gewesen, wenn die Sozialleistung ungeachtet der gesundheitsbezogenen Widmung ohnehin von vornherein ganz bestimmten Arbeitnehmern zugekommen wäre. Dazu hätte es nur einer Namensliste in der Werksküche bedurft. Der Kläger hat dazu gar nicht behauptet, daß etwa auch Arbeitnehmer, die ihren kontaktgefährdeten Arbeitsplatz gewechselt oder die möglicherweise gesundheitsbeeinträchtigende Arbeit aufgegeben haben, allenfalls weiterhin im Genuß der Milchaktion geblieben sind. Demzufolge konnte sich der Verpflichtungswille der Beklagten aber untrennbar nur auf jene (wechselnde) Gruppe von Arbeitnehmern beziehen, die die Benützungsvoraussetzungen tatsächlich erfüllten, so daß die Möglichkeit der Benützung der Wohlfahrtseinrichtung nicht individueller Vertragsbestandteil werden konnte (vgl Eypeltauer aaO; Spielbüchler in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht3, 190). Der Kläger kann sich nach den Feststellungen weder auf anderweitige Einzelzusagen der Beklagten noch auf eine über die aufgezeigte Benützungsmöglichkeit hinausreichende betriebliche Übung mit Erfolg berufen. Hätte die Ausgabe von Freimilch Inhalt bestimmter Einzelarbeitsverträge werden sollen, hätte für die jeweils betroffenen Arbeitnehmer kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln übrig bleiben dürfen (§ 863 ABGB), daß sich die Beklagte bestimmten Arbeitnehmern gegenüber für die Zukunft unwiderruflich verpflichten habe wollen, an sie unabhängig an welchem Arbeitsplatz sie gerade beschäftigt sind und unabhängig von Erwägungen der Gesundheitsvorsorge weiterhin Freimilch auszugeben bzw für den Fall der Auflösung der Wohlfahrtseinrichtung eine finanzielle Abgeltung zu gewähren (ZAS 1988/23 = DRdA 1989/13 = Arb 10.609 mwH; 9 Ob A 288/88). Dies ist hier nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

Anmerkung

E21494

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00170.9.0627.000

Dokumentnummer

JJT_19900627_OGH0002_009OBA00170_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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