TE OGH 1990/6/27 9ObA151/90

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Veröffentlicht am 27.06.1990
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Alfred Mayer und Mag.Wilhelm Patzold als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat der Angestellten der ABB G*** AG, Wien

10., Sonnleithnergasse 5, vertreten durch Dr.Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei ABB G*** AG, Wien 10., Sonnleithnergasse 5, vertreten durch Dr.Bernhard Hainz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unwirksamerklärung einer Kündigung (Streitwert S 31.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26.Februar 1990, GZ 34 Ra 39/89-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 21.Oktober 1988, GZ 23 Cga 1048/88-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.292,80 (darin S 548,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 12.August 1948 in Bulgarien geborene und seit dem Jahre 1972 in Österreich befindliche Ing.Najdenka M*** war bei der Beklagten seit 16.Juni 1981 als technische Angestellte beschäftigt. Sie arbeitete im Bereich der Qualitätssicherung und hatte dort Prüfanweisungen wie zB Prüfblätter und Prüflisten zu erstellen, die Prüfmittel zu überwachen und die Typenprüfung vorzunehmen. Bei einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden hatte sie zuletzt ein Bruttomonatsgehalt von S 23.040 14 x jährlich. Zusätzlich erhielt sie eine Treueprämie von S 8.000 brutto und eine weitere Prämie in Höhe von 2,5 % ihres Gehalts. Überdies hatte sie Anspruch auf einen Zusatzurlaub in der Dauer von zwei Werktagen. Mit Schreiben der Beklagten vom 30.März 1988 wurde sie zum 30.Juni 1988 gekündigt.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der klagende Betriebsrat die Kündigung für unwirksam zu erklären. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, da die gekündigte Arbeitnehmerin aufgrund ihrer Sorgepflichten und finanziellen Belastungen auf ihr Einkommen angewiesen sei. Zum Zeitpunkt der Kündigung sei nicht zu erwarten gewesen, daß sie in absehbarer Zeit eine gleichwertige Stelle erhalten werde. Sie habe zwar in der Folge einen neuen Arbeitsplatz gefunden, verdiene aber dort nur etwa die Hälfte ihres bisherigen Einkommens.

Die wirtschaftliche Lage der Beklagten habe die Kündigung nicht notwendig gemacht. In der Abteilung Qualitätskontrolle sei bereits vorher soviel an Personal abgebaut worden, daß die Abteilung an einer Unterbesetzung leide. Wegen des Mangels an Personal sei die gekündigte Arbeitnehmerin auch in der Endkontrolle eingesetzt gewesen. Ihre Tätigkeit könne von keinem anderen Mitarbeiter übernommen werden. Die gekündigte Arbeitnehmerin sei in der Lage, die nachzubesetzende Position des Leiters der Wareneingangskontrolle einzunehmen; sie hätte auch Projektleiter für ein UdSSR-Projekt werden können, doch sei dafür ein Arbeitnehmer der Muttergesellschaft der Beklagten eingesetzt worden. Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Die Kündigung sei durch betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmerin entgegenstünden, begründet. Zufolge eines Konjunktureinbruchs und stark reduzierter Exportaufträge im Zusammenhalt mit einer Währungsschwäche in den Exportländern sei es im Unternehmen zu erheblichen Verlusten gekommen. Es sei erforderlich geworden, allseits einschneidende Maßnahmen zu setzen. Neben anderen Rationalisierungsmaßnahmen (wie Herausnahme arbeitsintensiver Produkte, Umstellung der Fertigung von Serienproduktionen auf Einzelmontage udgl) sei auch eine Personalreduktion erforderlich geworden. Die verminderte Produktion habe einen verminderten Personalbedarf auch in den Abteilungen Qualitätssicherung und Endkontrolle bewirkt. Die Arbeit der gekündigten Arbeitnehmerin werde von den verbliebenen Arbeitnehmern miterledigt. Ihr Arbeitsplatz werde nicht nachbesetzt. Die Position des Leiters der Wareneingangskontrolle übernehme ohne Personalaufstockung ein anderer Mitarbeiter; für die abteilungsübergreifende und nur vorübergehende Position des Leiters des UdSSR-Auftrags wäre die gekündigte Arbeitnehmerin fachlich nicht geeignet gewesen.

Im übrigen treffe es nicht zu, daß wesentliche Interessen der Arbeitnehmerin beeinträchtigt worden seien, da ihr Ehegatte über ein so hohes Einkommen verfüge, daß es zu keiner Einschränkung ihrer wesentlichen finanziellen Belange und Sorgepflichten komme. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest:

Die Beklagte, eine 90-%ige Tochter des BBC Konzerns, produziert Laborschreiber, Plotter und Digitalgeräte. Sie setzt 90 % ihrer Produktion im Ausland ab. Zufolge erheblicher Auftragsrückgänge der Großabnehmer, starker Konkurrenz aus dem japanischen Raum sowie des Kursverfalls des US-Dollars hatte die Beklagte im Jahre 1987 einen Umsatzeinbruch. Um noch einigermaßen ausgeglichen bilanzieren zu können, wurde eine freie Rücklage in Höhe von 20,9 Millionen S aufgelöst und das Eigenkapital um diesen Betrag vermindert. Auch Änderungen der Bewertung dienten zur Verbesserung der Bilanz. Die Beklagte trat der schlechten Ertragssituation durch verschiedene Maßnahmen entgegen. So wurde etwa die Lagerbewirtschaftung besser organisiert, es erfolgte eine Umstellung von der Serienfertigung auf Einzelmontage und es wurden überhaupt weniger arbeitsintensive Fertigungen forciert. Durch Gründung eigener Vertriebsunternehmen in den Absatzländern und den verstärkten Besuch von Messen und Ausstellungen konnte die Vertriebsorganisation verbessert werden. Zufolge der Dollarschwäche ist es aber erforderlich, mit um 30 % verringerten Preisen zu kalkulieren; dies wirkt sich auf den Deckungsbeitrag aus. Bei den Kosten für Investitionen, Instandhaltungsarbeiten, Werbebudget, Reisekosten udgl sparte die Beklagte bereits ca 6 Millionen S ein. Ihre Geschäftsführer wurden von drei auf zwei und letztlich auf nur einen verringert. Für das Jahr 1988 budgetierte die Beklagte mit einem Umsatz von 385 Millionen S und einem positiven Betriebsergebnis von 7 Millionen S. Die Entwicklung im ersten Halbjahr verlief jedoch so, daß lediglich ein Umsatz von 165,5 Millionen S bei einem Verlust von 12,5 Millionen S erwirtschaftet werden konnte. In diesem Verlust ist ein Investitionsfreibetrag in Höhe von 1,5 Millionen S enthalten. Die Personalkosten der Beklagten machen 50 % der Gesamtkosten aus. Ausgehend von einem Jahresumsatz von 357 Millionen S könnte die Beklagte den "break-even-point" (amerikanischer Ausdruck für Nutz- bzw Gewinnschwelle) bei einem Personalstand von 390 Arbeitnehmern erreichen. Bei Aufrechterhaltung der Kündigung von Ing.Najdenka M*** hat die Beklagte aber noch einen Personalstand von 405 Mitarbeitern, so daß von der Unternehmensleitung in diesem Bereich noch weitere Rationalisierungsmaßnahmen ergriffen werden müssen.

Die Vorgangsweise dabei ist so, daß vorerst Personalreserven in den Abteilungen ausgelotet werden. In Absprache mit den Abteilungsleitern werden dann mit den einzelnen Arbeitnehmern Gespräche geführt, um zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen. Diese Rationalisierungsmaßnahmen begangen vorerst im Bereich der Fertigung, wo der Personalstand von Mitte 1986 bis April 1988 von 242 auf 173 verringert wurde. Nunmehr wird der Personalstand auch in den Gemeinkostenbereichen an die veränderte Umsatzsituation angepaßt. So wurden etwa in der Abteilung Entwicklung seit 1.Jänner 1987 7 Arbeitnehmer und im Marketingbereich 9 Arbeitnehmer abgebaut. Der Personalstand der Hauptabteilung Qualitätswesen, der in drei Abteilungen gegliedert ist, von denen eine die Qualitätssicherung ist, war bisher von den Einsparungsmaßnahmen noch nicht betroffen. Die gekündigte Arbeitnehmerin arbeitete zuletzt ausschließlich im Qualitätslabor; vorher hatte sie, wenn es erforderlich war, auch in der Endkontrolle und im Kalibrierdienst ausgeholfen. Nach dem Ausscheiden der gekündigten Arbeitnehmerin wurde ihre Arbeit von vier Arbeitnehmern, darunter zwei Abteilungsleitern, mitverrichtet, die dafür 15 Überstunden pro Woche leisten. Damit wurde aber auch die Mehrarbeit, die durch Urlaube anderer Arbeitnehmer oder Engpässe anfiel, abgedeckt. Der Unternehmensleitung erscheint Umfang und Qualität der nunmehr erbrachten Leistungen ausreichend. Der Posten der Gekündigten wurde nicht nachbesetzt.

Der Leiter der Wareneingangskontrolle, Ing.B***, wurde von der Beklagten zum 30.Juni 1988 gekündigt. Der Posten, der vorher schon ein Jahr unbesetzt war, war im Jahr 1987 betriebsintern ausgeschrieben worden, doch hatte sich niemand darum beworben. Die Stelle wird nicht mehr nachbesetzt, da sich die Geschäftsleitung bemüht, einen Personalstand von 390 Mitarbeitern zu erreichen, bisher aber noch 405 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Die diesbezügliche Tätigkeit wird von einem anderen Gruppenleiter bzw einem Arbeitnehmer dieser Gruppe übernommen werden. Die gekündigte Arbeitnehmerin wäre nach ihrer Ausbildung zwar für die Position geeignet; ob sie aber über die starke Persönlichkeit verfügt, um die Qualität der gelieferten Waren zu verbessern, was selbst bei einschlägig tätig gewesenen Arbeitnehmern nicht leicht vorauszusetzen ist, kann nicht festgestellt werden. Die Position eines Projektleiters des UdSSR-Auftrags konnte betriebsintern offenbar überhaupt nicht besetzt werden. Dies wurde zwar versucht, aber dafür letztlich doch ein Spezialist der Muttergesellschaft BBC herangezogen. Dem Projektleiter obliegt die Koordination, Erstattung von Zwischenberichten und die Kontrolle. Für diese Funktion sind auch umfangreiche kaufmännische Kenntnisse und Kenntnisse hinsichtlich der Interpretation des 200 Seiten umfassenden Vertragswerkes erforderlich, die die gekündigte Arbeitnehmerin nicht aufweist. Selbst der Leiter der Hauptabteilung Qualitätswesen würde sich derartige Tätigkeiten, die im wesentlichen in einer abteilungsübergreifenden Koordination bestehen, nicht zutrauen. Ing.Najdenka M*** ist verheiratet und hat eine 15-jährige Tochter. Ihr Ehegatte verdient etwa S 19.000 bis S 20.000 netto pro Monat. Im gemeinsamen Haushalt laufen neben den Auslagen für den Lebensunterhalt monatliche Fixkosten von S 3.300 für Miete inklusive Betriebskosten und S 200 für eine Garage auf. Die Lage am Arbeitsmarkt stellte sich für sie als weibliche Elektrotechnikerin schwieriger dar, als für männliche Techniker. Dazu kam als zusätzliche Erschwernis ihre Ausbildung im Ausland. Seit 5.September 1988 ist sie bei den Wiener Stadtwerken beschäftigt und hat einen Bruttobezug von rund S 13.000.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Kündigung zwar wesentliche Interessen der Arbeitnehmerin beeinträchtigt habe, da sich ihr Beitrag zum Familieneinkommen um fast 50 % vermindert habe und sie auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt gewesen, daß die Kündigung aber in den betrieblichen Erfordernissen der Beklagten begründet sei. Die wirtschaftliche Lage der Beklagten habe sich in den Jahren 1987 und 1988 stark und nicht nur vorübergehend verschlechtert. Die Beklagte sei dagegen nicht nur mit einer Personalreduktion vorgegangen und es sei im Bereich der Qualitätssicherung nicht überproportional zu Kündigungen gekommen. Es falle in den Kernbereich der wirtschaftlichen Unternehmensentscheidungen, ob für Kontrollmaßnahmen mehr oder weniger investiert werde.

Durch das Ausscheiden der gekündigten Arbeitnehmerin seien der Beklagten nur geringfügige Kosten durch möglicherweise etwas vermehrte Überstunden erwachsen, wobei aber berücksichtigt werden müsse, daß diese zum Teil auf urlaubsbedingte Abwesenheiten anderer Arbeitnehmer und Engpässe zurückzuführen seien. Demgegenüber wäre die Beklagte bei Unwirksamerklärung der Kündigung gezwungen, weiterhin etwa eine halbe Million S jährlich für die durch die Weiterbeschäftigung entstehenden erhöhten Verluste zuzuschießen. Sollten die von der Konzernmutter vorgegebenen Richtlinien nicht eingehalten werden, bestehe allenfalls auch die Gefahr der Schließung des gesamten Betriebes. Die gekündigte Arbeitnehmerin habe die erforderliche Qualifikation weder für den Arbeitsplatz des Koordinators des UdSSR-Auftrags noch für jenen eines Leiters der Wareneingangskontrolle nachweisen können, abgesehen davon, daß dieser Posten ohnehin nicht neu besetzt werde. Somit stünden bereits betriebliche Erfordernisse einer Weiterbeschäftigung der Gekündigten entgegen, ohne daß noch weiter abzuwägen wäre, ob die Kündigung wegen Beeinträchtigung wesentlicher Interessen der Gekündigten nicht doch sozial ungerechtfertigt sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 50.000 übersteige. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß die Kündigung von Ing.M*** eine durch die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens notwendig gewordene Rationalisierungsmaßnahme und keine unsachliche oder willkürliche Entscheidung sei. Damit fehle es schon an den Voraussetzungen für eine Kündigungsanfechtung. Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Dem Einwand der Beklagten, daß die Revision unzulässig sei, weil der Kläger die Rechtsgestaltungsklage nur mit S 31.000 bewertet habe, ist entgegenzuhalten, daß das Berufungsgericht an eine im Sinne des § 56 Abs 2 JN vorgenommenen Bewertung durch den Kläger nicht gebunden ist. Diese Bewertung bleibt zwar ua als Bemessungsgrundlage gemäß den §§ 3 f RATG weiterhin beachtlich, für die Revisionszulässigkeit ist aber allein der unanfechtbare Wertausspruch des Berufungsgerichtes maßgeblich (vgl Fasching, Lehrbuch2 Rz 1830; Kuderna, ASGG § 45 Erl 1 je mwH; Arb 8.825 uva). Der Rechtsrüge des Revisionswerbers, das Verfahren habe nicht ergeben, daß ein Mangel an Bedarf gerade hinsichtlich der gekündigten Arbeitnehmerin gegeben sei, daß es ferner dem Arbeitgeber nicht freistehe, ohne soziale Auswahl jeden beliebigen Arbeitnehmer zu kündigen und daß die Vorinstanzen keine Interessenabwägung vorgenommen hätten, ist für den vorliegenden Fall entgegenzuhalten:

Bei Prüfung der Frage, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, muß vorerst ohne Rücksicht auf andere Anfechtungsvoraussetzungen und ohne Koppelung mit anderen Tatbeständen geprüft werden, ob durch sie wesentliche Interessen des betroffenen Arbeitnehmers beeinträchtigt werden. Für diese Umstände ist der anfechtende Kläger behauptungs- und beweispflichtig. Dabei ist auf den Zeitpunkt der durch die angefochtene Kündigung herbeigeführten Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzustellen (Konkretisierungszeitpunkt). Entscheidend ist hiefür eine vom Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgehende Prognose über die nach diesem Zeitpunkt aller Voraussicht nach wirksam werdenden Folgen der Kündigung für die wesentlichen Interessen des Arbeitnehmers (vgl DRdA 1989/24 mwH ÄFlorettaÜ). Abgestellt auf den 30.Juni 1988 bestand für die gekündigte Arbeitnehmerin aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Ausbildung im Ausland keine günstige Prognose, in absehbarer Zeit einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten. Auch wenn sie etwa drei Monate später wieder eine Stelle bei den Wiener Stadtwerken erhielt, entsprach die Gesamtheit ihrer bisherigen wirtschaftlichen Verhältnisse (vgl Kuderna, Die sozial ungerechtfertigte Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG, DRdA 1975/9 ff, 11) bei weitem noch nicht der Situation am neuen Arbeitsplatz. Entgegen der Ansicht der Beklagten wurden daher durch die Kündigung wesentliche Interessen der Gekündigten beeinträchtigt.

Die Verwirklichung eines Ausnahmetatbestandes im Sinne des § 105 Abs 3 Z 2 lit a und b ArbVG hebt die Sozialwidrigkeit der Kündigung zwar grundsätzlich auf, doch ist damit entgegen der Ansicht der Vorinstanzen die Frage, ob bei nachgewiesenem Vorliegen der Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestandes der Grundtatbestand des Kündigungsschutzes nicht mehr geprüft werden muß, noch nicht gelöst. Wenn der Grundtatbestand gegeben ist und auch ein Ausnahmetatbestand vorliegt, treten die Interessen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers notwendigerweise in eine Wechselwirkung (DRdA 1989/24 mwH).

Richtig ist, daß den Arbeitgeber im Rahmen des allgemeinen Kündigungsschutzes bei Kündigungen aus wirtschaftlichen Gründen eine soziale Gestaltungspflicht trifft. Der Arbeitgeber hat alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um seine bisherigen Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen (vgl DRdA 1989/23 mwH ÄFlorettaÜ). Die wirtschaftliche Bedingtheit der Kündigung muß vom Arbeitgeber in rational nachvollziehbarer Weise im Kündigungsverfahren dargetan werden (vgl zuletzt Floretta, DRdA 1989/24).

Dem Erstgericht ist darin beizupflichten, daß der Arbeitgeber dieser Obliegenheit im vorliegenden Fall nachgekommen ist. Die Beklagte konnte nachweisen, daß die Kündigung der Arbeitnehmerin im Zuge eines alle Abteilungen treffenden Rationalisierungskonzepts erfolgte, das den Zweck hat, das Unternehmen aus der Verlustzone zu bringen. Der Arbeitsplatz der Gekündigten wurde nicht neu besetzt; eine Weiterbeschäftigung der Gekündigten an einem anderen Arbeitsplatz war nach den Feststellungen nicht möglich, weil sie für die Stelle eines Koordinators des UdSSR-Auftrags nicht hinreichend qualifiziert war und der Posten eines Leiters der Wareneingangskontrolle nicht mehr neu besetzt wird. Die Beklagte konnte ihr sohin aus diesen Gründen und zufolge der alle Abteilungen treffenden Personaleinsparungen keine einschlägige freie Stelle anbieten. Da für den Personalabbau die vom Erstgericht festgestellten objektiven Gründe maßgeblich waren, ist die Kündigung betrieblich gerechtfertigt (vgl Grillberger, Neue Tendenzen im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz, WBl 1990, 7 ff, 12). Insoweit kam der Beklagten als Betriebsinhaberin das freie Entscheidungsrecht darüber zu, welche Maßnahmen sie zweckmäßigerweise ergreift, um den betrieblichen Erfordernissen Rechnung zu tragen. Der Einwand des Revisionswerbers, das Vorligen der betrieblichen Erfordernisse hätte im Wege einer sozialen Auswahl für jeden einzelnen der verbliebenen Arbeitnehmer geprüft werden müssen, ist in diesem Zusammenhang nicht stichhältig und läuft auf den in diesem Verfahren nicht erhobenen Einwand eines Sozialvergleichs hinaus. Der Unterschied zwischen der Gestaltungspflicht des Arbeitgebers, die diesen verpflichtet zu prüfen, ob noch einschlägige Stellen im Betrieb vorhanden sind, die er dem Gekündigten anbieten muß, und zum Sozialvergleich bestehe eben darin, daß beim Sozialvergleich ein anderer Arbeitnehmer gekündigt werden soll, während es dort um die Besetzung eines freien Arbeitsplatzes geht (vgl Grillberger aaO 10). Soweit der Arbeitgeber dabei soziale Gesichtspunkte vernachlässigt, trägt er ohnehin das Risiko, daß die Kündigung trotz bestehender betrieblicher Interessen als sozial ungerechtfertigt für unwirksam erklärt wird. Ob nämlich diese festgestellten wirtschaftlichen Umstände als betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Gekündigten entgegenstehen und daher die Sozialwidrigkeit der Kündigung ausschließen, anzusehen sind, ist durch Vornahme einer Abwägung der beeinträchtigten wesentlichen Interessen der Gekündigten mit den Interessen des Betriebes zu ermitteln. Überwiegen die betrieblichen Interessen die wesentlichen Interessen der Gekündigten an der Aufrechterhaltung des Arbeitsplatzes, ist die Kündigung sozial gerechtfertigt. Überwiegen dagegen die wesentlichen Interessen der Gekündigten die betrieblichen Nachteile, ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist die Reduzierung der Personalkosten, die 50 % der Gesamtkosten ausmachen, Voraussetzung für die Beklagte, die durch Konjunktureinbrüche bedingten erheblichen Verluste zu mindern. Die Beklagte wird die sogenannte Gewinnschwelle erst bei einem Personalstand von rund 390 Mitarbeitern erreichen. In diesem Stadium der Konsolidierung ist eine Kostenbelastung von fast einer halben Million Schilling jährlich von ganz erheblicher Bedeutung für die Gesundung der Finanzlage des Unternehmens.

Hinsichtlich der Gekündigten wird die wesentliche Beeinträchtigung ihrer Interessen dadurch gemildert, daß ihr Ehegatte ein Einkommen bezieht, von dem eine dreiköpfige Familie jedenfalls leben kann. Insoweit ist auch hier auf die gesamte wirtschaftliche Situation des Arbeitnehmers und daher auch auf das Einkommen des Ehegatten Bedacht zu nehmen (Kuderna aaO, 11; WBl 1989, 124). Auch wenn die gekündigte Arbeitnehmerin an ihrem neuen Arbeitsplatz vorerst weniger verdient als bei der Beklagten, ist sie daher insgesamt durch die Kündigung nicht so in ihren Interessen beeinträchtigt wie es die Beklagte im Falle der Unmöglichkeit wäre, ihre existenzbedrohenden Verluste durch Kostenreduzierung abzubauen. Die abschließend vorzunehmende Abwägung der beeinträchtigten wesentlichen Interessen der Gekündigten mit den Interessen des Betriebes führt sohin zu dem auch von den Vorinstanzen - wenngleich mit zum Teil unrichtiger

Begründung - angenommenen Ergebnis, daß die Kündigung der Arbeitnehmerin sozial gerechtfertigt war (DRdA 1989/23 ÄFlorettaÜ; DRdA 1989/24 ÄFlorettaÜ = WBl 1989, 217).

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet. Hinsichtlich der Bemessungsgrundlage gilt das zu den Einwänden der Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung Ausgeführte.

Anmerkung

E21519

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00151.9.0627.000

Dokumentnummer

JJT_19900627_OGH0002_009OBA00151_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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