TE OGH 1990/6/27 3Ob626/89

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.06.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Marianne R***, im Haushalt tätig, Lehen 25, 5621 St. Veit im Pongau, vertreten durch Dr. Norbert Bergmüller, Rechtsanwalt in Schladming, wider die beklagte Partei Herbert H***, Postbeamter, Bach 1, 5611 Großarl, vertreten durch Dr.Dipl.Ing.Christoph Aigner und Dr. Thomas Feichtinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen S 63.000 und Feststellung (Streitwert S 20.000), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 18. September 1989, GZ 1 R 120/89-27, womit das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 20.Dezember 1988, GZ 4 Cg 250/87-20, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst das Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt. Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit S 12.536,15 (darin S 2.057,40 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin wurde am 27.September 1986 schwer verletzt, als sie vom Ziegenbock des Beklagten vor der Ledererhütte im Rastötzengebiet im Bundesland Salzburg zu Boden gestoßen wurde.

Sie verlangt vom Beklagten als Tierhalter Schadenersatz wegen mangelhafter Beaufsichtigung seines Ziegenbocks und begehrt Zahlung von S 50.000 Schmerzengeld, S 8.000 für ihren Verdienstentgang und S 5.000 an Heilungskosten für die Fahrten zur Krankenbehandlung, sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle ihr weiter durch das Schadensereignis künftig erwachsenden Schäden. Der Beklagte habe gewußt, daß es sich um ein angriffslustiges Tier handle, und sich um den Verbleib des im Frühjahr auf die Hubalm aufgetriebenen Ziegenbockes bis September 1986 nicht gekümmert, so daß das Tier zur Ledererhütte überwechseln und sich dort zwei Monate aufhalten konnte, wo es zu dem Angriff auf die Klägerin kam. Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Es sei üblich, Ziegen auf Almen ohne Beaufsichtigung und Verwahrung weiden zu lassen. Das Tier sei weder bösartig noch angriffslustig gewesen. Der Beklagte habe die zumutbaren Pflichten zur Verwahrung nicht vernachlässigt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest, daß der beklagte Postbeamte den Ziegenbock im Frühjahr 1984 erworben und in den Sommern 1984 und 1985 auf die Hubalm aufgetrieben hatte, wo sich der Bock den Milchziegen des Almbesitzers Rupert G*** anschloß, mit diesen jeden Abend in den Stall kam und sich sonst im Almgebiet frei bewegte. Das Tier kam auf der Alm mit Menschen zusammen, griff nie an und hatte auch Kontakt zu Kindern, ohne daß je Probleme auftauchten oder sich eine Aggressivität gezeigt hätte.

Im Sommer 1986 trieb der Beklagte das große kräftige Tier mit einigen seiner Kitzen auf die Gewolf-Alm auf der Großarler Seite des Almweidegebietes um den Gamskarkogel auf. Seit Bestehen der Almwirtschaft wird dieses Gebiet wegen seiner Steilheit und Höhenlage als Weideland für Schafe und Ziegen genutzt. Im ganzen Land Salzburg werden etwa 26.000 Schafe und Ziegen in die schwierigen und hochgelegenen Almweidegebiete aufgetrieben, wo es für Rinder zu steil und zu karg wird. Die Tiere lassen sich durch die üblichen dreizeiligen Stacheldrahtzäune nicht vom Übertritt auf andere Weiden abhalten und suchen im Weidewechsel mehrere Almen auf. Dies ist günstig, weil im August und September der Graswuchs nachläßt und die Tiere frischen Weideaufwuchs nur mehr in großer Höhe in entlegenen Gebieten finden. Es bilden sich Herden, die aus Zuchtgründen von Böcken begleitet werden. Auf den dem Gasteinertal zu abfallenden Hängen des Bergkammes liegt die Rastötzen-Alm in Hofgastein, die mit 367 ha Almfläche einen großen Anteil an dem Almgebiet einnimmt und mit einem Höhenunterschied von 800 Metern ein Weidegebiet zwischen 1600 und 2400 Meter Seehöhe umfaßt. Im Rastötzengebiet der Agrargemeinschaft ist seit Jahren der gemeinschaftliche Weidegang üblich. Wegen der Schattenlage gibt es auf der Seite des Gasteinertals auch im späten Sommer noch frisches Gras. Schafe und Ziegen wechseln daher zu dieser Zeit gerne auf die Rastötzenalm, wo im Jahr 1986 noch 50 Stück Rind und 40 Stück Schafe und Ziegen aufgetrieben worden waren. Der grenzüberschreitende Almweidegang der Schafe und Ziegen verlief in dem Almgebiet zwischen dem Großarler und dem Gasteiner Tal immer problemlos. Der Ziegenbock des Beklagten lief bis etwa Ende Juli oder Anfang August frei mit den Tieren des Bauern auf der Gewolf-Alm frei umher, war weder bösartig noch angriffslustig und wanderte dann mit anderen Tieren von der Gewolf-Alm in das Rastötzengebiet, wo um die etwa drei Wegstunden entfernte Ledererhütte der tiefstgelegene und beste Teil dieses Almweidelandes beginnt.

Die Klägerin betreute schon den sechsten Sommer ihre Ziegen und die Kühe ihres Sohnes von der Ledererhütte aus. Sie bemerkte den Bock des Beklagten in einem Rudel von etwa 30 fremden Ziegen erstmals im August 1986 rund 45 Gehminuten oberhalb der Ledererhütte. Zwei Tage später kam die Herde mit den Ziegen der Klägerin zur Ledererhütte und lief dann immer mit diesen Ziegen. Die Herde entfernte sich immer wieder für einige Tage und kehrte regelmäßig in den Bereich um die Ledererhütte zurück. Ende August 1986 stieß der Ziegenbock den Enkel der Klägerin nieder, der ihn gestreichelt hatte. Ein anderes Mal versetzte der Bock einem Mann, der ihm zu nahe gekommen war, einen Hieb gegen den Oberschenkel. Es kam nur zu geringfügigen Verletzungen (Rötungen), der Beklagte erfuhr davon nichts. Er war bei Schönwetter meist am Wochenende zur Gewolf-Alm aufgestiegen, um nach seinen Tieren zu sehen, und wußte, daß sein Ziegenbock ab August 1986 im Rastötzengebiet war, wo er ihn bei jedem Almgang in der Ziegenherde, zu der auch ein Bock eines anderen Bauern gehörte, sah. Bis zur Ledererhütte kam der Beklagte bei den Almgängen nicht. Er hatte auch kein Gespräch mit der Klägerin.

Am 27. September 1986 warf der Ziegenbock des Beklagten die Klägerin durch einen Stoß zu Boden. Sie erlitt eine Gehirnerschütterung, eine Halswirbelsäulenverletzung und mehrfache Prellungen. Die Ursache des Angriffs ist ungeklärt. Der Bock hatte offenbar in der Herde die Stellung des "Platzhirschen" eingenommen, ein normales Tierverhalten, das bedeutet, daß sich der Bock für die Tiere der Herde, der er sich angeschlossen hatte, verantwortlich fühlt und sich jeder Art von Trennung widersetzt. Dies wird von tiererfahrenen Menschen berücksichtigt. Sind in der Herde brünstige Ziegen, kümmert sich der Bock noch mehr um die weiblichen Tiere, kann agiler und aggressiver werden als sonst und kann auch Menschen angreifen, die in das Geschehen eingreifen und den Versuch unternehmen, die weiblichen Tiere vom Bock zu trennen. Man läßt die Böcke mit den Geißen gehen, damit sie belegt werden. Ein Tierhalter hat keinen Anlaß, während der Brunftzeit sichernde Vorkehrungen zu treffen. Der Mensch muß darauf achten, sich in dieser Zeit nicht unter die Herde zu mischen. Zu einer Bösartigkeit von Ziegenböcken kann es nur durch schwere Haltungsfehler kommen, etwa dann, wenn das jugendliche Tier einen einseitigen übertriebenen Kontakt mit Menschen hatte und diese als Artgenossen einstuft. Es ist auszuschließen, daß sich ein Ziegenbock jahrelang normal verhält und dann erst aggressiv wird. Wohl aber kommt es vereinzelt und wieder nur durch schwere Haltungsfehler bedingt zu einer Bösartigkeit älterer Böcke. Für den Beklagten bestand kein Grund zur Annahme, daß sein Ziegenbock bösartig sei, und es steht auch nicht fest, daß das Tier während des Sommers 1986 bösartig geworden war. Darauf deutet auch nicht unbedingt der Umstand, daß er einmal ein Kind niedergestoßen hatte. Nach dem Vorfall vom 27.September 1986 wurde der Beklagte als Tierhalter ausgeforscht. Er holte seinen Ziegenbock etwa Ende September oder Anfang Oktober 1986 von der Alm ab. Das Tier reagierte nicht bösartig, und der Beklagte konnte keine Wesensveränderung feststellen. Nur weil er kein Risiko eingehen wollte, ließ er das Tier schlachten.

Üblich ist es, während des Almweideganges Tiere etwa einmal in der Woche aufzusuchen, sie zu zählen, ihnen Salz zu geben, den Gesundheitszustand zu überprüfen und sie allenfalls auf bessere Weideplätze zu treiben. Diese Übung dient der besseren Betreuung und Ernährung der Nutztiere zur Erreichung einer besseren Qualität. Damit soll nur einem Verlust durch Krankheit, Tod oder mangelnde Nahrungsaufnahme von Tieren vorgebeugt werden. Aus wirtschaftlichen Gründen ist es ratsam, daß ein Tierhalter auf der benachbarten Alm nachfrägt, ob alles in Ordnung ist, wenn sein Bock dorthin gewechselt ist. Aus Sicherheitsgründen ist eine solche Nachfrage nur geboten, wenn Grund zur Annahme vorliegt, daß das Tier aggressiv ist. Sonst besteht während des gemeinschaftlichen Almweideganges keine Veranlassung des Tierhalters, regelmäßig Nachschau zu halten. Die Unterlassung der regelmäßigen Aufsicht über ein Tier bedeutet bloß ein wirtschaftliches Risiko für den Tierhalter; das Aufsuchen einmal in der Woche stellt eine nicht immer einhaltbare intensive Art der Tierbetreuung dar, die nur dem Erfordernis der Qualitätsproduktion dient. Bleibt ein Tier durch längere Zeit sich selbst überlassen, führt dies nicht zu einem aggressiven Verhalten gegen Menschen, sondern nur dazu, daß sie Menschen eher aus dem Weg gehen und am Ende der Weidezeit schwieriger aufzufinden und einzufangen sind. Der Ausdruck "Verwilderung" bedeutet dabei eine Annäherung an die vor Menschen flüchtende Wildform. Bei diesem Sachverhalt lehnte das Erstgericht eine Haftung des Beklagten für den Schaden der Klägerin ab. Er habe bewiesen, daß er für die übliche und ausreichende Verwahrung sorgte, wozu die gelegentliche Nachschau nach dem während der Weidezeit im Almgebiet mit anderen Tieren frei umherlaufenden Ziegenbock genügte, weil für den Beklagten keine Anzeichen einer Angriffslust oder Bösartigkeit des Tieres erkennbar waren und schon zwei Sommer zuvor der Weidegang ohne Probleme abgelaufen war. Die Anforderungen an den Tierhalter zur Verwahrung und Beaufsichtigung eines nicht bösartigen Haustieres dürften nicht überspannt werden.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil des Erstgerichts mit Setzung des Rechtskraftvorbehaltes auf, verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurück und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes insgesamt S 300.000 nicht übersteigt. Das Berufungsgericht meinte, der Beklagte habe für den Schaden einzustehen. Tiere stellten eine besondere Gefahrenquelle dar, die der Halter schaffe und aufrecht halte, so daß es nur recht und billig sei, ihm das volle Risiko aufzuerlegen. Die Bestimmung des Maßes der erforderlichen Verwahrung und Beaufsichtigung habe dem Einzelfall Rechnung zu tragen und richte sich nach den dem Tierhalter bekannten und erkennbaren Eigenschaften des Tieres. In Almgebieten seien Vorkehrungen zum Schutz vor weidendem Vieh in der Regel entbehrlich, wenn dort der unbeaufsichtigte Weidegang nach altem Herkommen üblich sei. Das Verhalten eines Ziegenbocks sei aber nicht mit dem einer Kuh vergleichbar. Habe der Beklagte noch bis Ende Juli oder Anfang August gewöhnlich bei Schönwetter wöchentlich die Gewolf-Alm aufgesucht, so habe er sich seither nicht mehr so oft um seinen Ziegenbock gekümmert und das Tier nur beobachtet, wenn er auf die Alm ging, nicht aber mit der Klägerin gesprochen, die auf der Ledererhütte als Sennerin tätig war. Der Beklagte habe gewußt, daß sich sein Ziegenbock im Rastötzengebiet aufhält, und damit rechnen müssen, daß das Tier mit Menschen zusammenkomme. Er habe wissen müssen, daß ein aggressives Verhalten des Ziegenbocks nicht auszuschließen ist, wenn ein Mensch versucht, die weiblichen Tiere vom Bock zu trennen, und habe damit die für Menschen geschaffene Gefahrenquelle erkennen und entsprechend handeln müssen. Ein Gespräch mit der Klägerin hätte genügt, den Beklagten zu unterrichten, daß sein Ziegenbock schon zweimal Menschen angefallen hatte, und ihn zu veranlassen, den Ziegenbock aus dem Gefahrenbereich für Menschen in der Gegend der Ledererhütte zu entfernen. Der Beklagte habe daher nicht nachgewiesen, daß er bei Anlegen eines vernünftigen Maßstabs die gegebene Gefahrenquelle in einer ihm zumutbaren Weise gebannt hätte, und hafte für die der Höhe nach zu klärenden Schäden der Klägerin.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Beklagten gegen den Aufhebungsbeschluß erhobene Rekurs ist zulässig und berechtigt.

Das Berufungsgericht hat bei den festgestellten Umständen des Einzelfalles einen zu strengen Maßstab an die Verwahrungspflicht des Tierhalters angelegt. Wird jemand durch ein Tier beschädigt, so ist der Tierhalter verantwortlich, wenn er nicht beweist, daß er für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung gesorgt hat (§ 1320 Satz 2 ABGB). Darauf, ob eine reine Zufallshaftung eintritt oder ein Fall der Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast vorliegt (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht2 II 406; Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 20, 21 zu § 1320; Koziol-Welser8 453; EvBl. 1982/43 = JBl. 1982, 150 mit Anm von Koziol; EvBl. 1986/111 ua), kommt es hier nicht an. Es genügt zwar eine objektive Gefahrenlage, die durch das Tier besteht und der durch den Tierhalter in geeigneter Weise zu begegnen ist, um Schäden an Personen und Sachen tunlichst zu vermeiden; doch müssen die vom Halter verlangten Vorkehrungen nach der Verkehrsauffassung zumutbar sein. Die Haftung des Halters für durch sein Tier verursachte Schäden tritt nicht schon dann ein, wenn nicht jede Schadenszufügung durch das Tier ausgeschlossen ist, sondern nur dann, wenn die nach den Umständen gebotenen Maßnahmen unterblieben sind (SZ 25/278; EvBl 1986/111 uva). Tiere auf der Alm bedürfen einer geringeren Beaufsichtigung und Verwahrung. Der Halter muß nicht jede Möglichkeit einer Schädigung durch das Tier ausschließen (Koziol, Haftpflichtrecht2 II 408; SZ 52/86; SZ 55/62 ua). Bei einem nicht als bösartig bekannten Tier dürfen die Anforderungen an den Halter nicht überspannt werden (ZVR 1974/40). Das Maß der Verwahrungspflicht ist nach einer sorgfältigen Abwägung der Interessen an der Tierhaltung (hier ortsübliche freie Almweide) und an der zu schützenden Unversehrtheit des Menschen zu finden (Koziol aaO, Reischauer aaO Rz 12 zu § 1320; JBl 1982, 150). Der Beklagte ließ seinen Ziegenbock den dritten Sommer im Almgebiet in der dort üblichen freien Weide und beschränkte seine Beaufsichtigung des Tieres auf die Beobachtung bei wiederkehrenden Almgängen, wenn er bei Schönwetter an Wochenenden zur Alm aufstieg. Die Böcke schließen sich einer Ziegenherde an und wechseln ihren Aufenthalt mit der Herde im Verlaufe des Sommers im gemeinschaftlichen Weidegang, um auch noch im August und September frischen Graswuchs aufzusuchen. Diese Art der Tierhaltung dient der Zucht und der Almwirtschaft, und der Weidewechsel von einer Alm zur anderen ist üblich. Da dem Beklagten eine für Menschen gefährliche Eigenschaft des Ziegenbockes nicht bekannt war - hatte es doch in den Vorjahren und auch bis Ende Juli 1986 keinen Anstand gegeben, obwohl der Ziegenbock von den die Almen aufsuchenden Wanderern und Kindern nicht abgeschirmt war -, so bestand für ihn weder eine Veranlassung, in kürzeren Abständen nach seinem Tier zu sehen, noch dazu, sich gerade bei der Klägerin zu erkundigen, ob der Bock nicht etwa Angriffshandlungen gesetzt habe. Daß dem Beklagten verborgen blieb, daß während der freien Weide im Bereich der Ledererhütte bei zwei Vorfällen im August Menschen geringfügig verletzt worden waren, ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes kein ausreichender Grund, ihn zur Haftung heranzuziehen. Es leuchtet ein, daß das regelmäßige Aufsuchen der Tiere durch den Halter seinen Interessen dient, aber weder nötig noch auch geeignet ist, um Menschen vor dem Tier zu schützen und Schäden zu vermeiden. Vor dem Angriff auf die Klägerin bestand für den Beklagten kein Grund, die Art der Tierhaltung zu ändern. Daß in dem Almweidegebiet neben Bauern auch Wanderer zu den frei weidenden Ziegenherden gelangen, ist zwar naheliegend, es kann aber von Menschen erwartet werden, die Tiere nicht zu stören oder Anlaß zu Angriffen durch den Ziegenbock zu geben. Müßte jede Möglichkeit eines Angriffes auf Menschen ausgeschlossen sein, so hätte der Halter entweder für eine durchgehende Beaufsichtigung des Ziegenbockes zu sorgen oder diesen in einem für Menschen unzugänglichen umzäunten Gebiet zu halten. Beide Maßnahmen würden eine Überspannung der Anforderungen an den Tierhalter bei üblichem freiem Almweidegang bedeuten und die Viehhaltung in reinem Almgebiet - daß etwa Straßenbenützer gefährdet gewesen wären, wurde nie behauptet (vgl. ZVR 1977/59) - unerträglich erschweren. Zu Recht hat daher das Erstgericht angenommen, daß dem Beklagten der ihm obliegende Beweis gelang, daß er das bis dahin nicht bösartig oder angriffslustig in Erscheinung getretene Tier entsprechend den üblichen Gepflogenheiten nach dem Almauftrieb ausreichend verwahrt und beaufsichtigt hatte, durfte er doch auch damit rechnen, daß die übrigen Tierhalter die vermischten Herden unter einer losen Aufsicht halten und ihn benachrichtigen, falls sein Einschreiten geboten wäre, weil der Bock nicht mehr wie früher unauffällig war.

Da eine Schadenersatzpflicht des Beklagten nach § 1320 ABGB nicht besteht, ist nach Behebung des Aufhebungsbeschlusses die abschließende Entscheidung in der Sache durch Wiederherstellung des abweisenden Urteiles des Erstgerichtes zu treffen (§ 519 Abs. 2 letzter Satz ZPO idF vor WGN 1989).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E21149

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0030OB00626.89.0627.000

Dokumentnummer

JJT_19900627_OGH0002_0030OB00626_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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