TE OGH 1990/6/28 6Ob611/90

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Veröffentlicht am 28.06.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Maria S***, geboren am 6. September 1931 in St.Stefan ob Leoben, Pensionistin, Leoben, Kärntnerstraße 34, vertreten durch Dr. Sonja Jutta Sturm-Wedenig, Rechtsanwältin in Leoben, wider den Beklagten und Gegner der gefährdeten Partei Josef S***, geboren am 29.Februar 1932 in Göss, Pensionist, Leoben, Kärntnerstraße 34, vertreten durch den einstweiligen Sachwalter Dr. Kurt Hanusch, Rechtsanwalt in Leoben, wegen Ehescheidung und Wohnungsausweisung gemäß § 382 Abs 1 Z 8 Buchstabe b EO infolge Revisionsrekurses der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Leoben als Rekursgerichtes vom 4.Mai 1990, GZ R 294/90-13, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Leoben vom 30.März 1990, GZ 2 C 3/90p-5, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird stattgegeben. Die angefochtene Entscheidung und der erstinstanzliche Beschluß werden aufgehoben. Dem Prozeßgericht erster Instanz wird eine neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung über den Sicherungsantrag unter Bedachtnahme auf das Widerspruchsvorbringen als Äußerung des Antragsgegners aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind Kosten des weiteren Sicherungsverfahrens.

Text

Begründung:

Die Parteien haben am 16.Mai 1970 die Ehe geschlossen. Sie standen damals beide im 39.Lebensjahr. Der Mann war Kranführer, die Frau Brauereibedienstete. Beide wohnten nach der Angabe in der Heiratsurkunde bereits als Brautleute unter der nunmehrigen Anschrift.

Nach den Klagsangaben habe die Frau siebeneinhalb Monate nach der Eheschließung am 29.Dezember 1970 einen Sohn geboren, dessen Minderjährigkeit wegen psychischer Erkrankung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres verlängert worden sei.

Am 16.Januar 1990 brachte die Frau eine auf § 49 EheG gestützte Scheidungsklage an. Nach der Klagserzählung sei die Ehe nur anfangs harmonisch verlaufen und sehr bald aus alleinigem Verschulden des Mannes zerrüttet worden.

Beide Streitteile sind nach ihren eigenen Beschäftigungsangaben nunmehr Pensionisten. Nach den Antragsbehauptungen der Frau beziehe der Mann eine monatliche Nettopension von 13.000 S, während sie selbst nur eine solche von 8.000 S erhalte.

Zu der über die Scheidungsklage der Frau abgehaltenen Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 8.Februar 1990 erschienen beide Streitteile persönlich, die Klägerin in Begleitung ihrer anwaltlichen Prozeßbevollmächtigten. Die Richterin wertete die Äußerungen des Beklagten als derart konfus, daß sie Bedenken gegen die Verhandlungsfähigkeit des Beklagten erweckten. Mit pflegschaftsgerichtlichem Beschluß vom 5.April 1990 wurde für den Beklagten ein Rechtsanwalt zum einstweiligen Sachwalter mit dem besonderen Aufgabenkreis der Vertretung im anhängigen Ehescheidungsverfahren bestellt.

Inzwischen brachte die Klägerin am 29.März 1990 einen Antrag auf Ausweisung des Mannes aus der Ehewohnung im Sinne des § 382 Abs 1 Z 8 Buchstabe b EO ein.

Über Art, Größe und Einteilung der Ehewohnung fehlt jeder aktenkundige Hinweis. Die Nutzung an der Ehewohnung beruht nach dem Antragsvorbringen, der Mann hätte "in den letzten Monaten nicht einmal die Miete für die Ehewohnung und die Betriebskosten bezahlt", offenbar auf einem Bestandvertrag.

Eine Ausweichmöglichkeit steht offenbar keinem Eheteil zu Gebote, zumal die gefährdete Partei behauptete, der Antragsgegner sei finanziell in der Lage, sich eine andere Unterkunft zu suchen. Der Ehefrau kann trotz Fehlens ausdrücklicher diesbezüglicher Behauptungen der Standpunkt unterstellt werden, sie wäre zur Befriedigung ihres Wohnbedürfnisses auf die Benützung der Ehewohnung angewiesen, innerhalb der eine den behaupteten Beeinträchtigungen angemessene Absonderung zweier Benützungsbereiche für Mann und Frau nicht möglich sei.

Die Notwendigkeit einer Aufhebung der Wohngemeinschaft und damit einer Ausweisung des Mannes aus der Ehewohnung begründete die Frau in ihrem Sicherungsantrag mit den Behauptungen, der im Zorn unbeherrschte und unberechenbare Mann habe seit der Tagsatzung vom 8. Februar 1990 seinen gegen sie ausgeübten "Psychoterror" wesentlich verstärkt, er, der sie in den vergangenen Jahren bereits mehrmals mißhandelt, wiederholt bedroht und aus der Wohnung hinausgeworfen habe, habe zweimal die Türe zum Schlafzimmer, in dem sie sich wegen der wiederholten Drohung des Mannes, er werde sie im Schlafe erwürgen, eingesperrt habe, aufgebrochen, seine Drohungen wiederholt und am 28.März 1990 morgens im Zuge einer Auseinandersetzung an sie in feindseliger Absicht Hand angelegt. Der Mann habe sie auch in diesem Zusammenhang wieder zum Verlassen der Ehewohnung aufgefordert. Zur Bescheinigung ihres Antragsvorbringens legte die Frau eine ärztliche Bestätigung vom 28.März 1990 über ihre an diesem Tage davongetragenen Verletzungsspuren, einen Bericht ihres Hausarztes vom 12.März 1990 sowie die Ablichtung eines Schreibens ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 15.Januar 1988 vor. Im übrigen berief sie sich auf ihre Einvernahme, also auf das Bescheinigungsmittel der - grundsätzlich beiderseitigen - Parteienvernehmung. Das Prozeßgericht erster Instanz erließ die beantragte einstweilige Verfügung ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners. Dabei sah das Gericht aufgrund der vorgelegten Urkunden als bescheinigt an, daß die gefährdete Partei ständig einem unerhörten psychischen Druck seitens ihres Mannes ausgesetzt sei, der sie bedrohe und immer wieder tätlich angreife. Die gefährdete Partei lebe infolge der Drohungen ihres Mannes in ständiger Angst. Nach der ärztlichen Bestätigung vom 28.März 1990 habe die gefährdete Partei an diesem Tag erneut schwere Verletzungen erlitten. Das Rekursgericht änderte die erstinstanzliche Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Sicherungsantrages ab. Dazu sprach es aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteigt und der (ordentliche) Revisionsrekurs zulässig sei.

Das Rekursgericht ging zwar davon aus, daß es zwischen den Streitteilen ständig Differenzen gäbe, erachtete es aber aufgrund der vorgelegten Urkunden nicht als bescheinigt, daß die ärztlich bestätigten Verletzungen der Frau die Folgen grundloser Angriffe des Mannes seien. Zum einen müsse überhaupt eine Täterschaft des Mannes offenbleiben, zum anderen seien vorangegangene Provokationen der Frau nicht auszuschließen.

Daraus folgerte das Rekursgericht: Insgesamt ergäben sich aus den Verletzungen der Frau und dem übrigen Akteninhalt keine ausreichenden Anhaltspunkte, um den Mann derzeit aus der Ehewohnung auszuweisen.

Die gefährdete Partei ficht die abändernde Rekursentscheidung wegen unrichtiger Lösung qualifizierter Verfahrensfragen mit einem auf Wiederherstellung der erstinstanzlichen einstweiligen Verfügung zielenden Abänderungsantrag und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.

Der Antragsgegner erachtet das Rechtsmittel mangels Vorliegens der Voraussetzungen im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO als unzulässig. Hilfsweise strebt er die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Das Prozeßgericht hat die einstweilige Verfügung ohne Anhörung des Antragsgegners erlassen. Das Gericht zweiter Instanz hat dem Rekurs des Antragsgegners stattgegeben und den Sicherungsantrag abgewiesen. § 402 Abs 1, zweiter Halbsatz EO ordnet die Einseitigkeit des Rekursverfahrens an, wenn der Sicherungsantrag abgewiesen wurde, ohne daß der Antragsgegner zu diesem gehört worden wäre, der Antragsgegner am Sicherungsverfahren daher noch nicht beteiligt wurde. Erläßt das Gericht erster Instanz ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners eine einstweilige Verfügung, wird der Antragsgegner durch die Zustellung dieser Entscheidung an ihn am Sicherungsverfahren formell beteiligt. Hat sein Rekurs Erfolg und erhebt die gefährdete Partei gegen die abändernde Rekursentscheidung einen ordentlichen Revisionsrekurs, ist dieses Verfahren immer zweiseitig. Das hat der erkennende Senat bereits in der Entscheidung vom 6.Oktober 1988, 6 Ob 681/88, ausgesprochen und er hält diese berichtigende Auslegung des Gesetzes aus den dargelegten Erwägungen weiterhin aufrecht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Der Sicherungsantrag im Sinne des § 382 Abs 1 Z 8 Buchstabe b EO ist nicht als unschlüssig zu werten: Die gefährdete Partei hat Tätlichkeiten ihres als unberechenbar bezeichneten Mannes und Drohungen mit schwerwiegendem körperlichen Übel behauptet. Dem Antragsvorbringen der gefährdeten Partei kann keinesfalls die Parteienbehauptung unterstellt werden, die gefährdete Partei habe ihren Ehemann zu den behaupteten wörtlichen und tätlichen Angriffen auf sie herausgefordert. Daß die ärztlich bescheinigten Verletzungsspuren nicht von Angriffen des Mannes herrühren könnten, steht mit den Behauptungen der gefährdeten Partei in einem direkten Widerspruch. Diese Annahmen dürfen dem einseitigen Antragsvorbringen der gefährdeten Partei nicht unterstellt werden.

Sie dürfen aber auch so lange nicht als mögliche Sachverhaltsspielart zugrunde gelegt werden, als das Erhebungsverfahren nicht durch Aufnahme sämtlicher angebotener und zur Beweisaufnahme im Sinne des § 274 ZPO geeigneter Bescheinigungsmittel abgeschlossen ist.

In diesem Sinne rügt die Revisionsrekurswerberin der Sache nach zu Recht eine im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO qualifizierte Mangelhaftigkeit des Verfahrens, weil ein in sich nicht unschlüssiger Sicherungsantrag nicht vor Aufnahme aller im Sinne des § 274 ZPO geeigneten von der gefährdeten Partei angebotenen Bescheinigungsmittel abgewiesen, ihm andererseits aber erst dann stattgegeben werden darf, wenn die zur Antragsbegründung vorgetragenen konkreten Umstände, soweit dies im Einzelfall erforderlich ist, einer verläßlichen Gewichtung und Wertung unterzogen werden können.

Aus diesem Grunde war dem Prozeßgericht erster Instanz unter Aufhebung beider vorinstanzlichen Entscheidungen eine neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung über den Sicherungsantrag aufzutragen. Dabei wird nach dem Verfahrensstand nicht wieder ohne Anhörung des Antragsgegners entschieden werden können, sondern auf dessen gleichzeitig mit dem Rekurs gegen die Entscheidung erster Instanz ausgeführten Widerspruch wie auf eine Äußerung des Antragsgegners zum Sicherungsantrag Bedacht zu nehmen sein.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf dem § 52 ZPO, § 402 Abs 2 und § 78 EO.

Anmerkung

E20977

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0060OB00611.9.0628.000

Dokumentnummer

JJT_19900628_OGH0002_0060OB00611_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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