TE OGH 1990/7/11 9ObA149/90 (9ObA150/90)

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Veröffentlicht am 11.07.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Jelinek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Martin Meches und Anton Prager als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Partei Walter L***, Landwirt und Bademeister, Telfes 24, vertreten durch Dr.Josef Posch, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei R*** Tenniscamp S*** Gesellschaft mbH & Co.KG., Fulpmes, Bahnstraße 7a, vertreten durch Dr.Hansjörg Mader, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen zusammen S 334.685,63 brutto und S 2.900 netto sA (Revisionsstreitwert S 65.067 brutto sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.Februar 1990, GZ 5 Ra 11, 12/90-23, womit infolge der Berufungen der klagenden und beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 1. September 1989, GZ 46 Cga 259/88 und 46 Cga 9/89-14, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Teilurteil dahin abgeändert, daß die beklagte Partei schuldig erkannt wird, der klagenden Partei weitere S 65.067 brutto samt 4 % Zinsen seit 25.1.1989 binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Die Kostenentscheidung wird dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Revisionsverfahren ist nur strittig, ob dem Kläger eine Abfertigung von 6 oder 9 Monatsgehältern zusteht; der der Höhe nach unstrittige Differenzbetrag beträgt S 65.067 sA.

Die Unterinstanzen trafen, soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist, folgende wesentliche Feststellungen:

Der Kläger trat am 1.5.1970 als Bademeister in ein Dienstverhältnis mit der Bädergemeinschaft Fulpmes-Telfes. Am 13.10.1972 schloß er mit diesem Dienstgeber einen schriftlichen Dienstvertrag, nach dessen Punkt I er "als Bademeister und im Angestelltenverhältnis ab 1.12.1971 beschäftigt" ist und dessen Punkt II lautet:

"Für den Fall, daß das Angestelltenverhältnis ab heutigem Tage mehr als ein Jahr ununterbrochen andauert, wird von Seiten der Fremdenverkehrsverbände dem Dienstnehmer eine Vordienstzeit als Angestellter von weiteren drei Jahren angerechnet. Dies gilt insbesondere für die Berechnung der Urlaubs- bzw. Abfertigungsansprüche im Fall der Auflösung des Dienstverhältnisses."

Am 1.1.1983 wurde der Betrieb der Bädergemeinschaft Fulpmes-Telfes von der beklagten Partei übernommen. Der Kläger hatte bis dahin ohne Unterbrechung für die Bädergemeinschaft gearbeitet. Mit der Betriebsübernahme wurde auch das Beschäftigungsverhältnis des Klägers zu denselben Bedingungen wie beim vorhergehenden Dienstgeber und unter Anrechnung aller Rechte und Pflichten übernommen. Dem Kläger wurde vom Geschäftsführer der beklagten Partei ausdrücklich auch die Anrechnung der Vordienstzeiten nach dem Vertrag vom 13.10.1972 zugesichert.

Am 30.5.1988 wurde der Kläger vom Geschäftsführer der beklagten Partei zum 30.9.1988 gekündigt.

Der Kläger begehrt u.a. eine Abfertigung von neun Monaten, da das Dienstverhältnis unter Anrechnung seiner als Arbeiter vom 1.5.1970 bis 30.11.1971 bei der Bädergemeinschaft Fulpmes-Telfes verbrachten Dienstzeit und der auf Grund des Punktes II seines Dienstvertrages anzurechnenden drei Jahre Vordienstzeiten bis zum 30.9.1988 mehr als 20 Jahre gedauert habe.

Diesen Betrag sprach das Erstgericht (u.a.) dem Kläger zu. Das Berufungsgericht gab (u.a.) der Berufung der beklagten Partei insofern Folge und änderte in seinem Teilurteil das Ersturteil dahin ab, daß es dem Kläger (u.a.) nur eine Abfertigung von sechs Monatsgehältern in der Höhe von S 130.134 brutto sA zusprach, das Mehrbegehren von weiteren drei Monatsgehältern in der Höhe von S 65.067 brutto sA aber abwies. Es vertrat die Rechtsansicht, daß die drei Jahre Vordienstzeit von dem im Dienstvertrag genannten Beginn des Angestelltenverhältnisses am 1.12.1971 rückzurechnen seien; dies ergebe einen fiktiven Beginn des Arbeitsverhältnisses mit 1.12.1968 und daher bis zum Kündigungstermin noch keine 20jährige Dienstzeit. Der Dienstvertrag vom 13.10.1972 sei nämlich vor dem Hintergrund der damaligen Gesetzeslage zu interpretieren. Mit diesem Vertrag sei das Dienstverhältnis des Klägers ab 1.12.1971 als Angestelltenverhältnis vereinbart worden. Erst mit diesem Datum habe daher nach der damaligen Rechtslage und nach dem zum Ausdruck gebrachten Willen der damaligen Vertragsparteien die für die Berechnung der Abfertigung maßgebliche Dienstzeit begonnen. Aus der nachfolgenden Gesetzesänderung durch das ArbAbfG im Jahre 1979, die eine Anrechnung der Arbeitervordienstzeiten des Klägers vom tatsächlichen Beginn des Dienstverhältnisses am 1.5.1970 bis zum Beginn des Angestelltenverhältnisses vorsah, habe der Kläger dann keinen Vorteil mehr gehabt, weil ihm diese Zeit und noch mehr, nämlich insgesamt drei Jahre, vor dem 1.12.1971 bereits mit dem hier genannten Vertrag als Angestelltenvordienstzeit angerechnet worden sei. Dafür, daß sich die Anrechnung von drei Jahren Vordienstzeit auf die Zeit vor dem 1.5.1970 bezogen hätte, fehlten bei der damaligen Gesetzeslage jegliche Anhaltspunkte.

Gegen die Abweisung dieses Teilbegehrens von S 65.067 brutto sA wendet sich die Revision der Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, ihm zusätzlich zu den vom Berufungsgericht in seinem Teilurteil zuerkannten Beträgen auch diese S 65.067 brutto sA zuzusprechen.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Mangels zusätzlicher Anhaltspunkte im Parteienvorbringen oder in den Feststellungen kann die für die Berechnung der Höhe der Abfertigung heranzuziehende Gesamtdienstzeit des Klägers nur aus der Interpretation seines Dienstvertrages im Lichte und im Zusammenhang mit der zur Zeit seines Abschlusses geltenden Rechtslage und der danach eingetretenen Gesetzesänderungen ermittelt werden. Eine Anrechnung von Vordienstzeiten (für die verschiedensten Ansprüche wie Urlaub, Abfertigung, Vorrückungen, höhere Bezüge, längere Kündigungsfrist usw.) kann sich entweder aus dem Gesetz (oder aus kollektiven Rechtsquellen) ergeben oder im Einzeldienstvertrag vereinbart werden. Im letztgenannten Fall sind Streitfragen aus der unklaren Formulierung der Vordienstzeitenanrechnung mit den Mitteln der einfachen oder ergänzenden Vertragsauslegung zu lösen.

Die Vereinbarung der Anrechnung von Vordienstzeiten (für die Bemessung des gesetzlichen Abfertigungsanspruches) kann sich entweder auf tatsächliche Vordienstzeiten (oder gleich zu behandelnde "Ersatzzeiten" wie Studienzeiten) beziehen oder rein fiktiver Natur sein (etwa, daß bei der Berechnung des jeweiligen Abfertigungsanspruches eine bestimmte Anzahl weiterer Beschäftigungsjahre hinzuzurechnen ist).

Eine Vereinbarung der Anrechnung tatsächlicher Vordienstzeiten (oder Ersatzzeiten) kommt für den Abfertigungsanspruch vor allem in Betracht,

a) wenn solche konkrete Zeiten nach dem Gesetz wegen ihrer Art nicht anzurechnen sind, wie z.B. (nach der früheren Rechtslage) Zeiten als Arbeiter oder Zeiten aus einer früheren Beschäftigung, die infolge einer das Entstehen eines gesetzlichen Abfertigungsanspruches hindernden Unterbrechung sonst nicht anzurechnen wären oder

b) wenn die Zeiten nicht beim selben Dienstgeber zugebracht wurden.

Durch die Anrechnung fiktiver Vordienstzeiten wollen die Parteien eine Besserstellung des Arbeitnehmers in bestimmten Bereichen, je nach der zum Ausdruck gebrachten Wirksamkeit der Anrechnung auf Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag, erreichen, ohne daß sie zu einer solchen Anrechnung verpflichtet wären und ohne daß ein Zusammenhang mit tatsächlichen Vordienstzeiten oder gleichgestellten Ersatzzeiten vorliegt.

Die gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vordienstzeitenregelungen beziehen sich - schon naturgemäß - auf tatsächliche Vordienstzeiten oder gleichgestellte Ersatzzeiten. Auch wenn eine Vereinbarung über die Anrechnung von Vordienstzeiten schon wegen des Hintergrundes einer Fülle gesetzlicher und kollektivvertraglicher Regelungen, die an eine frühere Tätigkeit des Anspruchsberechtigten (oder vergleichbare Fakten, wie Studienzeiten) anknüpfen, sich im Zweifel auf tatsächliche Vordienstzeiten des Arbeitnehmers bezieht, ist im vorliegenden Fall eine solche Annahme nicht gerechtfertigt. Daß die Parteien hier mit der fraglichen Anrechnung "weiterer drei Jahre" als Angestellter nur fiktive Vordienstzeiten anrechnen wollten, ergibt sich zunächst schon aus dem Umstand, daß der Kläger im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vom 13.10.1972 bereits seit 1.5.1970, also seit fast zweieinhalb Jahren als Arbeiter beschäftigt war. Es fällt auf, daß im Dienstvertrag nicht etwa diese Gesamtzeit als Vordienstzeiten für das Angestelltenverhältnis, in das der Kläger übernommen wurde, angerechnet wurde (wie zu erwarten gewesen wäre), sondern ohne ersichtlichem Grund lediglich ein Teil dieser effektiven Vordienstzeit, nämlich die Zeit ab 1.12.1971, sohin bloß 10 1/2 Monate. Die restliche effektive Vordienstzeit wird im Dienstvertrag nicht erwähnt.

Dazu kommt, daß die Parteien im Dienstvertrag ohne zeitliche Einordnung die Anrechnung "von weiteren drei Jahren" als Angestelltenvordienstzeit vorgenommen und beigefügt haben, daß dies "insbesondere für die Berechnung der Urlaubs- bzw. Abfertigungsansprüche im Fall der Auflösung des Dienstverhältnisses" gelte. Für die Anrechnung auf den Urlaub bedurfte es aber einer solchen Vereinbarung nicht, weil nach der damaligen Rechtslage (§ 17 Abs 4 AngG) in dem (hier gegebenen) Fall einer Übernahme in das Angestelltenverhältnis die Dienstzeiten als Arbeiter bei demselben Dienstgeber sofort zur Gänze, also ex lege, anzurechnen waren. Aus dem Wort "sofort" folgt, daß die zweijährige Wartefrist des § 17 Abs 4 AngG nicht in Betracht kam; "zur Gänze" bedeutete, daß die zeitliche Beschränkung von fünf Jahren ebenfalls nicht galt, sondern daß die gesamte Dienstzeit angerechnet wurde (Martinek-Schwarz, AngG2 239 f).

Der Kläger durfte davon ausgehen, daß seinem damaligen Arbeitgeber die Rechtslage bekannt war und daher mit der Anrechnung "weiterer drei Jahre" für den Urlaubsanspruch nicht eine vertragliche Anrechnung effektiver Vordienstzeiten vorgenommen werden sollte, die nach dem Gesetz ohnehin (zum Teil) automatisch erfolgt war. Ein gegenteiliges Vorbringen wurde nicht erstattet; das Beweisverfahren hat auch keine gegenteiligen Anhaltspunkte erbracht. Es ist daher aus all diesen Gründen im vorliegenden Fall davon auszugehen, daß für alle dienstzeitabhängigen Ansprüche die Anrechnungsvereinbarung bezüglich der drei Jahre fiktive Dienstzeiten und nur die Anrechnungsvereinbarung bis zum 1.12.1971 tatsächlich geleistete Dienstzeiten zum Gegenstand hatte. Der Kläger mußte mangels entgegenstehender Feststellungen nicht annehmen, daß der damalige Arbeitgeber nicht von der Rechtslage des § 17 Abs 4 AngG ausging, sondern daß die letztgenannte Vereinbarung zum Teil eine fiktive Anrechnung (nämlich soweit Zeiten vor dem 1.5.1970 angerechnet wurden) und zum anderen Teil eine Anrechnung tatsächlich geleisteter Dienstzeiten zum Gegenstand hatte. Die Anwendung der Auslegungsregel des § 915 zweiter Halbsatz ABGB führt zum selben Ergebnis.

Eine im Sinn der Übergangsregelung des Art. VII Abs 5 ArbAbfG zu vermeidende Doppelanrechnung vertraglicher und gesetzlicher (etappenweise eingeführter) Abfertigungsansprüche (Migsch, Abfertigung 227; AB 1215 BlgNR 14. GP 3; vgl. auch Martinek-Schwarz, Abfertigung 433: nur die günstigere Abfertigungsregelung sollte dem Arbeitnehmer erhalten bleiben), ist daher im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Hieraus folgt, daß zu der effektiven Dienstzeit als Angestellter von 16 Jahren und 10 Monaten ein Jahr und 7 Monate kraft gesetzlicher Anordnung auf Grund des Art. II ArbAbfG als tatsächlich zurückgelegte Vordienstzeit als Arbeiter und weitere drei Jahre fiktive Vordienstzeiten kraft rechtsgeschäftlicher Vereinbarung hinzuzurechnen sind, sodaß sich für die Berechnung der Abfertigung eine Gesamtdienstzeit von 21 Jahren und 5 Monaten ergibt. Dem Kläger steht daher eine Abfertigung von 9 Monatsgehältern zu, weil die hiefür maßgebliche Gesamtdienstzeit 20 Jahre übersteigt (§ 23 Abs 1 AngG).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E21233

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00149.9.0711.000

Dokumentnummer

JJT_19900711_OGH0002_009OBA00149_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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