TE OGH 1990/7/11 9ObA166/90

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Veröffentlicht am 11.07.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Martin Meches und Anton Prager als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Harald Z***, Angestellter, Wien 2., Schönburgstraße 52/9, vertreten durch Dr.Otto Philp, Wien und andere Rechtsanwälte, wider die beklagten Parteien 1. Helen R*** KG, Wien 1., Kärntnerstraße 18,

2. Helene R***, Alleininhaberin der erstbeklagten Partei, ebendort, beide vertreten durch Dr.Karl Muzik, Rechtsanwalt in Wien, wegen

S 96.245,88 sA (Streitwert im Revisionsverfahren S 79.183,38 netto sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26.März 1990, GZ 34 Ra 5/90-45, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 21.September 1989, GZ 10 Cg 5002/88-37, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, den Beklagten die mit S 5.092,56 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 848,76 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 1.4.1985 bei der Erstbeklagten, der Helene R*** KG, deren Alleininhaberin die Zweitbeklagte ist, angestellt. Am Vormittag des 18.12.1985 meldete sich der Kläger beim Ehemann der Zweitbeklagten telefonisch krank. Der Kläger litt damals an einem grippalen Infekt mit Fieber und Schnupfen. Um dem Kläger den Weg in die Ordination zu ersparen, suchte ihn sein Hausarzt in seiner Wohnung auf und verschrieb ihm fiebersenkende Mittel. In diesem Zustand war Bettruhe angezeigt und zur Gesundung notwendig. Trotz dieses Zustandes besuchte der Kläger am Abend des 18.12.1985 in Gesellschaft von Freunden die "Motto"-Bar (Disco), eine Art Privatklub; er wurde dort um 21.30 Uhr gesehen und blieb (mindestens) bis etwa Mitternacht. Die Zweitbeklagte sprach - unter anderem auch deswegen - am 19.2.1985 die Entlassung des Klägers aus (die übrigen Entlassungsgründe sowie die Bestreitung der Passivlegitimation der Zweibeklagten sind nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens).

Der Kläger behauptet, ungerechtfertigt entlassen worden zu sein, und begehrt von den Beklagten zuletzt Zahlung von S 96.245,88 netto sA; daß hievon S 15.464,50 netto sA und S 1.598 netto auf entlassungsunabhängige Ansprüche und S 79.983,38 netto sA auf entlassungsabhängige Ansprüche (Kündigungs- und Urlaubsentschädigung) entfallen, ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und brachten (im zweiten Rechtsgang ergänzend) vor, der Kläger hätte auf Grund seines Zustands am 18.12.1985 nicht mehr ausgehen dürfen. Das Erstgericht verurteilte die Beklagten im zweiten Rechtsgang mit Endurteil zur Zahlung von S 94.647,88 netto sA und die Erstbeklagte überdies zur Zahlung eines der Zweitbeklagten schon mit rechtskräftigem Teilurteil auferlegten Betrages von S 1.598 netto; es war der Ansicht, der Kläger hätte zwar aus dem Hausbesuch seines Arztes und der Verschreibung fiebersenkender Mittel erkennen müssen, daß er wegen des Fiebers Bettruhe halten müsse; nach der bindenden Rechtsansicht des Berufungsgerichtes im ersten Rechtsgang erfülle jedoch der Lokalbesuch des Klägers während des Krankenstandes nicht den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge; es verpflichtete die Beklagten - insoweit unbekämpft - zur Zahlung von S 15.464,50 netto sA zur ungeteilten Hand und die Erstbeklagte zur Zahlung von weiteren S 1.598 netto zur ungeteilten Hand mit der bereits abgesondert verurteilten Zweitbeklagten und wies das Mehrbegehren von S 78.183,38 netto sA ab. Da nunmehr feststehe, daß der Kläger am 18.12.1985 an einem grippalen Infekt mit Fieber (mindestes 37,5oC) gelitten habe und deshalb die Einhaltung von Bettruhe angezeigt gewesen sei, habe der im ersten Rechtsgang vorliegende Sachverhalt eine wesentliche Änderung erfahren, die auch zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führe. Der Kläger habe mit dem Besuch des Nachtlokals trotz Fiebers ein Verhalten gesetzt, das geeignet gewesen sei, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen und den Heilungsverlauf zu verzögern. Darin liege eine Vertrauensverwirkung im Sinne des dritten Tatbestandes des § 27 Z 1 AngG. Dieser Verstoß des Klägers gegen seine Dienstpflichten sei so schwerwiegend, daß den Beklagten die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht mehr zugemutet werden könne. Als erschwerend falle dem Kläger zur Last, daß sich der Vorfall in der Vorweihnachtszeit ereignet habe, in der bekanntermaßen im Schmuck- und Juwelenhandel starker Geschäftsgang herrsche. Die Beklagten wären damals auf den Einsatz der Arbeitskraft des Klägers besonders angewiesen gewesen. Der Kläger erhebt gegen den abweisenden Teil des Urteiles des Berufungsgerichtes Revision wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, die Entscheidung dahin abzuändern, daß ihm auch der Betrag von S 79.183,38 sA zugesprochen werde. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Es ist zwar richtig, daß zur Frage, ob der Aufenthalt des erkrankten Klägers in einem Nachtlokal auf den Heilungsverlauf tatsächlich nachteilige Auswirkungen hatte, einschlägige Beweisaufnahmen und Feststellungen fehlen. Es genügt aber die bloße Eignung, den Genesungsprozeß zu verzögern (RdW 1987, 268 = WBl 1987, 250; vgl auch Arb 8.449), die schon auf Grund allgemeiner Erfahrungssätze zu beurteilen ist. Daß aber das Verhalten des Klägers an sich geeignet war, die Wiederherstellung seiner Gesundheit zu verzögern, kann schon nach der Lebenserfahrung nicht zweifelhaft sein. Auch der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist nicht gegeben. Das Berufungsgericht hat wohl im ersten Rechtsgang die für das Erstgericht bindende (§ 499 Abs 2 ZPO) Rechtsansicht ausgesprochen, daß der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 AngG nicht vorliege, wenn der Kläger am ersten Tag seines Krankenstandes wegen Grippe ein Lokal besucht habe; Bettruhe sei auch bei einem grippalen Infekt nicht zwingend anzunehmen. Dieser Sachverhalt erfuhr im zweiten Rechtsgang nur insofern eine Ergänzung, als dort festgestellt wurde, daß der Kläger Fieber hatte (was wohl schon die im ersten Rechtsgang festgestellte Diagnose eines grippalen Infekts in sich schloß), der Hausarzt ihn in seiner Wohnung aufsuchte und ihm fiebersenkende Mittel verschrieb und Bettruhe angezeigt war.

Ob diese Sachverhaltsfeststellungen ein Abgehen von der rechtlichen Beurteilung im ersten Rechtsgang rechtfertigten, bedarf keiner Erörterung, weil eine allfällige Verletzung der Vorschrift des § 499 Abs 2 ZPO durch das Berufungsgericht selbst (JBl 1962, 325; SZ 42/177 = JBl 1970, 627; SZ 55/95 = JBl 1983, 541 = EvBl 1983/13 ua) ohne Bedeutung ist. Der Oberste Gerichtshof hat nämlich - wenn er nach den bestehenden Anfechtungsvorschriften angerufen werden kann (vgl etwa den früheren § 503 Abs 3 ZPO idF der WGN 1983 und den § 502 Abs 5 ZPO idF vor der WGN 1983) - die rechtliche Beurteilung als letzte Instanz zu überprüfen, so daß es ohne Auswirkungen bleibt, wenn das Berufungsgericht von seiner

ursprünglichen Rechtsansicht abgegangen ist (stRsp; zB SZ 42/177 =

JBl 1970, 627; Arb 9.200 = ZAS 1975, 27). Das gilt auch dann, wenn

der Oberste Gerichtshof der in der zweiten Entscheidung des Berufungsgerichtes zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht nicht beitritt (6 Ob 724/78).

Im vorliegenden Fall ist aber die angefochtene Rechtsansicht der zweiten instanz ohnehin zu billigen. Unter den dritten Tatbestand des § 27 Z 1 AngG fällt jede Handlung oder Unterlassung eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens des Arbeitgebers unwüdrig erscheinen läßt, weil dieser befürchten muß, der Angestellte werde seine Pflicht nicht mehr getreulich erfüllen, so daß dadurch die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers gefährdet sind. Entscheidend ist, daß das Verhalten des Angestellten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise als so schwerwiegend angesehen werden muß, daß das Vertrauen des Arbeitgebers derart heftig erschüttert wird, daß ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Hiefür genügt Fahrlässigkeit; Schädigungsabsicht oder ein Schadenseintritt ist nicht erforderlich. Entscheidend ist das Vorliegen der Vertrauensverwirkung (Arb 1o.o72 mwN; SZ 58/94; Arb 10.614 uva).

Ein Arbeitnehmer, der sich im Krankenstand befindet, ist grundsätzlich verpflichtet, den auf die Wiederherstellung seiner Gesundheit abzielenden Anordnungen des Arztes nach Tunlichkeit nachzukommen und ihnen jedenfalls nicht so schwerwiegend zuwiderzuhandeln, daß der Krankheitsverlauf negativ beeinflußt und/oder der Heilungsverlauf verzögert werden könnte (Arb 8.449; 10.614; vgl auch Schaub, Arbeitsrechtshandbuch6, 869). Verhältnismäßig geringfügiges Zuwiderhandeln, wie es immer vorkommen mag, wird bei der Beurteilung der Vertrauensunwürdigkeit nicht ins Gewicht fallen. Mißachtet aber ein infolge Krankheit arbeitsunfähiger Arbeitnehmer die Anordnungen seines Arztes betont und in erheblichem Maße und ist dieses Verhalten geeignet, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen oder den Heilungsverlauf zu verzögern, so liegt darin eine Vertrauensverwirkung im Sinne des dritten Tatbestandes des § 27 Z 1 AngG (Arb 10.614; ähnlich RdW 1987, 268 = WBl 1987, 250). Der Arbeitgeber muß dann befürchten, daß seine dienstlichen Interessen gefährdet sind, weil der Arbeitnehmer nicht die für die Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit notwendigen ärztlichen Anordnungen befolgt, sondern diesen offenbar zuwiderhandelt und damit auch die auf Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gerichteten dienstlichen Interessen des Arbeitgebers verletzt (Arb 10.614). Auch wenn ausdrückliche Anordnungen des Arztes über das Verhalten im Krankenstand fehlen, darf der Arbeitnehmer die nach der allgemeinen Lebenserfahrung üblichen Verhaltensweisen nicht betont und offenkundig verletzen (RdW 1987, 268 = WBl 1987, 250). Der Kläger hat wegen eines grippalen Infekts mit Schnupfen und Fieber den Hausarzt nicht selbst aufgesucht, sondern zu sich kommen lassen. Der Arzt verschrieb ihm wegen des von ihm festgestellten Fiebers fiebersenkende Mittel. Der Kläger hätte daher, auch wenn eine ausdrückliche ärztliche Anordnung gefehlt haben sollte, wissen müssen, daß er - jedenfalls so weit, als es sich nicht um unbedingt notwendige Verrichtungen handelte - Bettruhe zu halten habe. Diesem Gebot der allgemein üblichen Verhaltensweise während einer Krankheit widersprach es aber grob, daß der Kläger am selben Abend ein Nachtlokal aufsuchte und sich dort bis (mindestens) Mitternacht aufhielt, mußte er doch damit rechnen, daß der Aufenthalt in solchen, erfahrungsgemäß stark verrauchten Räumen während eines grippalen Infekts zu einer zusätzlichen Belastung des Kreislaufs und der Atemwege führen und damit den Heilungsverlauf zumindest beeinträchtigen konnte. Der Kläger hat damit ein Verhalten gesetzt, das geeignet war, den Krankheitsverlauf nachteilig zu beeinflussen oder den Heilungsverlauf zu verzögern. Durch dieses Verhalten des Klägers wurden die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers an der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers empfindlich getroffen, herrscht doch in der Vorweihnachtszeit in dem Geschäftszweig der Beklagten erfahrungsgemäß starker Geschäftsgang, so daß sie auf den Einsatz der Arbeitskraft des Klägers besonders angewiesen gewesen wären.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E21231

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00166.9.0711.000

Dokumentnummer

JJT_19900711_OGH0002_009OBA00166_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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