TE OGH 1990/7/12 6Ob615/90

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Veröffentlicht am 12.07.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Lieselotte S***, geboren 21.Februar 1939 in Wien, Hausfrau, 1100 Wien, Grenzackerstraße 7/21/6, vertreten durch Dr. Helene Klaar, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ing. Erich S***, geboren 14.September 1930 in Göpfritz an der Wild, Informatiker, derzeit ohne Beschäftigung, 1100 Wien, Grenzackerstraße 7/21/6, vertreten durch Dr. Robert Brande, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 19.Dezember 1989, GZ 12 R 220/89-53, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Teilurteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 15.März 1989, GZ 40 Cg 292/86-39, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.706,20 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten S 617,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben 1964 die jeweils erste Ehe geschlossen, welcher die bereits volljährigen Kinder Robert und Martina sowie der noch mj. Johannes entstammen.

Die Klägerin begehrte neben einer Unterhaltsleistung die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten mit dem Vorbringen, der Beklagte zeige kein Interesse an der Familie, sei eigenwillig, unduldsam, unverträglich und aggressiv. Er beschimpfe die Klägerin und unterhalte homosexuelle Beziehungen. Die Ehe sei deshalb unheilbar zerrüttet.

Der Beklagte bestritt das Klagsvorbringen, beantragte die Abweisung des Scheidungsbegehrens und wandte für den Fall der Scheidung das überwiegende Mitverschulden der Klägerin ein. Er behauptete, die Klägerin zeige ein hysterisches, paranoides Erscheinungsbild. Sie hetze die Kinder gegen ihn auf, habe sich geweigert, eine Abtreibung vorzunehmen, koche in den letzten zwei Jahren nur "minderwertiges Zeug", beschimpfe den Beklagte und habe ihm nach seiner Entlassung sowie bei seinem Jus-Studium keinen ehelichen Beistand gewährt.

Das Erstgericht hat mit Teilurteil die Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten geschieden. Es stellte im wesentlichen fest, daß die Ehe von Anbeginn nicht glücklich war. Der Beklagte verbrachte viel Freizeit allein, ging abends alleine fort und zeigte wenig Interesse an der Familie. Er mißachtet Frauen. Eine ständig wiederkehrende Redewendung ist, daß Frauen unter "Geschlechtskuratel" des Mannes gestellt gehören, Frauen fehle die Denkfähigkeit. Mit seiner Geringschätzung der Klägerin hielt er nicht zurück und bezeichnete sie als "Gebärmutter, die drei Kinder geboren hat". Er beträgt sich unduldsam, herrisch, auffahrend und verträgt keinen Widerspruch. Da er ein solches Verhalten auch gegenüber den Kindern an den Tag legte, versuchte die Klägerin immer wieder, einzuschreiten und streitschlichtend zu wirken, wobei sie die Partei der Kinder ergriff. Dies wurde vom Beklagten mit Beschimpfungen der Klägerin beantwortet, der sie mit den Worten "halt's Maul, du deppertes Weib" aufforderte, ruhig zu sein. Es kam daher, vorwiegend in Erziehungsfragen, zu Auseinandersetzungen der Streitteile, in denen der Beklagte schrie und die Klägerin mit Kraftausdrücken beschimpfte. Es gab nur wenige Tage, an denen es zu keiner vom "Kläger" (sollte wohl Beklagten heißen) provozierten Auseinandersetzung kam.

Der Beklagte ist zu einer partnerschaftlichen Einstellung und einem solchen Verhalten gegenüber seiner Ehefrau nicht fähig. Die Ehe dient seiner Auffassung nach nur "der Zeugung und Aufzucht der Nachkommen", die Frau hat ausschließlich für das leibliche Wohl des Mannes zu sorgen und sich diesem völlig unterzuordnen. Der Beklagte unterhielt zu Männern schon in der Jugend sexuelle Beziehungen und nahm diese im Jahre 1967 wieder auf. Er unterhält seither laufend sexuelle Beziehungen zu Männern. An einem ehelichen Verkehr zeigt er kein Interesse. Er verkehrte im Jahre 1975 sechs mal mit seiner Frau, während deren Schwangerschaften lehnte er einen Geschlechtsverkehr ab. Im Jahre 1977 übertrug er wegen seiner außerehelichen geschlechtlichen Beziehungen eine Geschlechtskrankheit auf die Klägerin. Seither findet kein ehelicher Verkehr mehr statt.

Schon seit dem Jahre 1973 war das Zusammenleben für die Klägerin unerträglich, sodaß sie ab 1975 die vom Beklagten geführten Tagebuchaufzeichnungen, in denen dieser alle Vorkommnisse und Gefühle, auch seine Intimbeziehungen schriftlich festhielt, las. Diese Tagebuchaufzeichnungen trug der Beklagte in seiner Aktentasche mit sich und legte sie unversperrt im Bücherregal ab. Die Klägerin nahm im November 1986 eine alte Tante in ihre Wohnung auf, um sie zu pflegen. Auf Grund des Widerstandes des Beklagten mußte diese Verwandte aus der Ehewohnung wieder entfernt werden. Die Klägerin nahm nie an den Beklagten gerichtete Schreiben an sich, dieser hingegen unterdrückte an die Klägerin gerichtete Korrespondenz ihrer Rechtsvertreterin.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Ehe sei aus dem Alleinverschulden des Beklagten zerrüttet, dessen Verhaltensweisen eine ständige und fortgesetzte Aneinanderreihung von Eheverfehlungen darstellten. Eine Verjährung oder Verfristung sei daher nicht eingetreten. Der Klägerin hingegen könnten keine Eheverfehlungen zur Last gelegt werden. Für die Beurteilung der Person des Vaters durch die volljährigen Kinder und deren Verhalten diesem gegenüber sei die Klägerin ebensowenig verantwortlich wie für die Studienmißerfolge des "Klägers" (richtig: Beklagten).

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und billigte dessen rechtliche Beurteilung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Nach § 57 Abs 1 EheG erlischt das Recht auf Scheidung wegen Verschuldens, wenn der Ehegatte nicht binnen sechs Monaten die Klage erhebt. Ein fortgesetztes Verhalten ist aber als Einheit aufzufassen, weshalb der Fristablauf auf die letzte Handlung abzustellen ist (EFSlg. 41.266, 51.639, 57.199 uva). Feststeht, daß der Beklagte seit dem Jahre 1967 laufend sexuelle Beziehungen zu Männern unterhält und diese Beziehungen jedenfalls bis zur Einbringung der Scheidungsklage durch die Klägerin nicht aufgegeben hat. Darüber hinaus reichen nicht nur die übrigen vom Beklagten fortlaufend gesetzten Scheidungsgründe für eine Ehescheidung aus seinem Alleinverschulden aus, nach § 59 Abs 2 EheG können auch Eheverfehlungen, auf die eine Scheidungsklage nach Ablauf der Frist des § 57 EheG nicht mehr gegründet werden kann, zur Unterstützung der auf diese Eheverfehlungen gegründeten Scheidungsklage herangezogen werden. Dort aber, wo ein Scheidungsgrund nicht in einem punktuellen Verhalten besteht, sondern sich eine Reihe von Vorfällen in ihrer Gesamtheit allmählich zu einem Scheidungsgrund verdichtet, läuft die Frist des § 57 Abs 1 EheG erst von der letzten, in diesem Zusammenhang konkretisierten ehewidrigen Handlung des Partners. Nach den Feststellungen hat das schon Jahre andauernde Gesamtverhalten des Beklagten im Laufe der Zeit dazu geführt, daß es für die Klägerin die Grenze der Erträglichkeit überschritten hat, sodaß ihr eine weitere Verzeihung nicht mehr möglich war. Die Vorinstanzen haben daher zutreffend das Scheidungsbegehren der Klägerin aus dem Alleinverschulden des Beklagten für berechtigt erachtet.

Der Ausspruch über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E20969

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0060OB00615.9.0712.000

Dokumentnummer

JJT_19900712_OGH0002_0060OB00615_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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