TE OGH 1990/8/29 9ObA175/90 (9ObA176/90)

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Veröffentlicht am 29.08.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisiongericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. phil. Eberhard Piso und Dr. Gerhard Dengscherz als weitere Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Partei Irmela K***, Angestellte, Wien 20, Forsthausgasse 15/2/16, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Elisabeth B***, Inhaberin der Fahrschule "C***", Wien 9, Porzellangasse 2, vertreten durch Dr. Tassilo Neuwirth und Dr. Wolfgang Wagner, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 50.924,27 brutto sA, S 17.560,- brutto sA und Feststellung (S 31.000,-), Streitwert im Revisionsverfahren S 63.216,25 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. April 1990, GZ 33 Ra 9/90-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11. Oktober 1989, GZ 6 Cga 3586/88 (6 Cga 3589/88)-24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.706,20 (darin S 617,70 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der Beklagten seit 1. September 1980 als Angestellte beschäftigt. Bei der Betriebsratswahl am 31. Jänner 1985 wurde sie zum ersten Ersatzmitglied gewählt. Als der Betriebsratsvorsitzende Peter P*** am 21. Jänner 1988 in einen (bis zur Pension andauernden) Krankenstand ging, rückte sie gemäß § 65 Abs.1 ArbVG auf die Stelle eines Betriebsratsmitglieds nach. Die Beklagte wurde von diesem Nachrücken der Klägerin nicht verständigt. Am 22. Februar 1988 beschlossen das Betriebsratsmitglied Heinz B*** und das zweite Ersatzmitglied Franz S*** eine Betriebsversammlung zum Zweck der Abwahl des Betriebsrats einzuberufen und machten dies durch Aushang im Betrieb kund.

Die Klägerin war vom 23. Februar 1988 bis 22. April 1988 im Krankenstand. Am 9. März 1988 fand die von B*** und S*** einberufene Betriebsversammlung statt. In dieser wurde bei Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Arbeitnehmer in geheimer Wahl mit einer zwei Drittel übersteigenden Mehrheit die Enthebung des Betriebsrats beschlossen. Daraufhin kündigte die Beklagte die Klägerin am 28. März 1988 zum 30. Juni 1988 und stellte sie bis dahin dienstfrei. Die Beklagte meldete die Klägerin mit 30. Juni 1988 bei der Gebietskrankenkasse ab und übermittelte ihr ein Dienstzeugnis, in dem das Ende ihres Dienstverhältnisses mit 30. Juni 1988 bestätigt war.

Mit den vorliegenden, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen begehrt die Klägerin die Zahlung von S 68.484,27 brotto sA an Kündigungs- und Urlaubsentschädigung sowie in eventu die Feststellung, daß ihr Dienstverhältnis über den 30. Juni 1988 hinaus aufrecht fortbestehe. Die Enthebung des Betriebsrats am 9. März 1988 sei gesetzwidrig erfolgt und nichtig. Die Einberufung der Betriebsversammlung sei nicht vom gesamten Betriebsrat beschlossen worden, von der Abhaltung der Betriebsversammlung seien drei stimmberechtigte Dienstnehmer nicht verständigt worden. Der diesbezügliche Aushang habe nicht die Beschlußerfordernisse für eine Abwahl enthalten und es sei bei der Versammlung keine Niederschrift angefertigt worden. Die Klägerin sei daher nach wie vor unter dem besonderen Kündigungsschutz des § 120 ArbVG gestanden, so daß ihre Kündigung vom 28. März 1988 wirkungslos gewesen sei. Der Betriebsrat sei von dieser Kündigung auch nicht verständigt worden.

Die Klägerin nehme aber die einseitige Beendigung des Dienstverhältnisses am 30. Juni 1988 durch die Beklagte zur Kenntnis, mache Fristwidrigkeit dieser Auflösung geltend, da sie zu diesem Zeitpunkt nur zum 30. September 1988 gekündigt hätte werden dürfen, und erhebe die ihr gemäß § 29 AngG zustehenden Ansprüche. Die Beklagte beantragte, die Klagebegehren abzuweisen. Die Klägerin sei nie Mitglied des Betriebsrats geworden. Die Klägerin und Peter P*** hätten die Wahl am 31. Jänner 1985 nämlich so organisiert, daß jeder Angestellte den Stimmzettel vor ihnen ausfüllen habe müssen. Die Betriebsratswahl sei somit absolut nichtig. Im übrigen sei die Klägerin durch die Betriebsversammlung am 9. März 1988 als Ersatzmitglied gemeinsam mit dem Betriebsrat wirksam enthoben worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren hinsichtlich eines Teilbetrages von S 5.268,02 brutto sA (rechtskräftig) statt und wies die Mehrbegehren ab. Es traf im wesentlichen noch folgende wesentliche Feststellungen:

Die Betriebsratswahl vom 31. Jänner 1985 erfolgte in geheimer Abstimmung. Neben der Wahlurne lagen im Aufenthaltsraum Stimmzettel und Kuverts auf, welche die Wähler entnehmen konnten. Die Wahl wurde nicht angefochten.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die nicht angefochtene Betriebsratswahl vom 31. Jänner 1985 nicht nichtig sei. Die Klägerin sei aber nicht unter dem besonderen Kündigungsschutz des § 120 ArbVG gestanden, da die Beklagte als Betriebsinhaberin entgegen der Bestimmung des § 120 Abs.4 Z 1 ArbVG nicht von der Vertretung verständigt worden sei. Die ebenfalls nicht angefochtene Enthebung des Betriebsrats durch die Betriebsversammlung am 9. März 1988 sei zwar zufolge mehrerer Verstöße gegen die Betriebsratswahlordnung fehlerhaft gewesen, doch komme diesen Mängeln in ihrer Gesamtheit nicht das Gewicht einer Nichtigkeit im Sinne des § 60 ArbVG zu. Es habe somit zum Zeitpunkt der Kündigung der Klägerin durch die Beklagte keinen Betriebsrat mehr gegeben, so daß eine Verständigung des Betriebsrates von der Kündigung nicht möglich gewesen sei. Die Kündigung sei somit rechtswirksam erfolgt; der Klägerin stehe nur eine Urlaubsentschädigung für die nicht verbrauchten Urlaubstage zu, nicht aber die Kündigungsentschädigung für weitere drei Monate und die Urlaubsentschädigung für das am 1. September 1988 neu begonnene Urlaubsjahr.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne der Hauptbegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Klägerin durch die Geltendmachung von Ansprüchen gemäß § 29 AngG auf den Kündigungsschutz als nachgerücktes Betriebsratsmitglied gegen die "Kündigung" vom 30. Juni 1988 verzichtet habe. Es sei daher zu prüfen, ob die Beklagte die Klägerin bereits am 28. März 1988 wirksam habe kündigen können. Dies sei nicht der Fall, da die Klägerin auch als nachgerücktes Ersatzmitglied bis zum Ende ihrer Vertretungstätigkeit kündigungsgeschützt gewesen sei. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Betriebsinhaberin von der Vertretung verständigt worden sei. Auch wenn die Klägerin durch ihre Erkrankung selbst vorübergehend an der Ausübung ihres Betriebsratsmandats verhindert gewesen sei, ändere dies nichts daran, daß ihre Vertretungstätigkeit erst mit dem Wegfall der Verhinderung des Betriebsratsvorsitzenden beendet gewesen wäre. Da ihre Vertretungstätigkeit jedoch noch bis zur Abwahl des Betriebsrats angedauert habe, hätte sie nur mit Zustimmung des Gerichts gekündigt werden dürfen. Ihr Kündigungsschutz habe nämlich erst drei Monate nach dem Erlöschen der Mitgliedschaft zum Betriebsrat geendet und sei somit zum Zeitpunkt der Zustellung der Kündigung am 28. März 1988 noch aufrecht gewesen. Zufolge der Rechtsunwirksamkeit dieser Auflösungserklärung stünden der Klägerin die im Berufungsverfahren der Höhe nach außer Streit gestellten Ansprüche auf Kündigungs- und Urlaubsentschädigung zu.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung abzuändern. Hilfsweise wird eine Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Den Ausführungen der Revisionswerberin, Kündigungsschutz für ein nachgerücktes Ersatzmitglied bestehe nur dann, wenn der Betriebsinhaber vom Nachrücken des Ersatzmitgliedes verständigt worden sei, und ein nachgerücktes Ersatzmitglied verliere den Kündigungsschutz bereits wieder mit seiner eigenen vorübergehenden Verhinderung, ist insbesondere entgegenzuhalten:

Wie das Berufungsgericht richtig erkannte, bieten die Feststellungen und Verfahrensergebnisse keinen Hinweis darauf, daß bei der Betriebsratswahl am 31. Jänner 1985 die elementären Grundsätze einer freien und geheimen Wahl verletzt worden seien. Es ist daher davon auszugehen, daß die Klägerin zum ersten Ersatzmitglied des Betriebsrats gewählt wurde und demzufolge nach der andauernden Erkrankung des Betriebsratsvorsitzenden unabhängig davon, ob diese als vorübergehende oder dauernde Verhinderung anzusehen ist, gemäß § 65 Abs.1 ArbVG am 21. Jänner 1988 ex lege nachgerückt und hinsichtlich aller Funktionen an die Stelle des verhinderten Betriebsratsmitglieds getreten ist. Nach Lehre und Rechtsprechung ist die Verständigung des Betriebsinhabers nicht Voraussetzung dafür, daß das nachrückende Ersatzmitglied seine Rechte und Pflichten als Mandatar ausüben darf und den besonderen Kündigungsschutz des § 120 ArbVG genießt. Das Nachrücken erstreckt sich auf das volle Mandat (Floretta in Floretta-Strasser, Handkommentar zum ArbVG 368 f und 815; Cerny, ArbVG8 § 120 Erl. 15; Arb 9411 ua.). Die Voraussetzungen der zweiwöchigen Dauer des Nachrückens sowie der Verständigung des Betriebsinhabers sind lediglich dafür entscheidend, ob das Ersatzmitglied nach der Beendigung der Vertretungstätigkeit für das verhinderte aktive Betriebsratsmitglied kündigungsgeschützt bleibt. Für die Zeit der Vertretung gilt für Ersatzmitglieder der Schutz der aktiven Betriebsratsmitglieder gemäß § 120 Abs.1 ArbVG, da sie in dieser Zeit selbst aktive Betriebsratsmitglieder sind (Cerny aaO). Es entspricht weiters herrschender Auffassung, daß das Mandat des nachgerückten Ersatzmitgliedes erst mit dem Wegfall der Verhinderung des zu vertretenden Betriebsratsmitglieds endet. Der Sonderschutz erstreckt sich demnach auf die gesamte Dauer des Nachrückens (Floretta aaO 368 f). Daraus folgt, daß das nachgerückte und zum aktiven Betriebsratsmitglied gewordene Ersatzmitglied den besonderen Kündigungsschutz auch dann nicht verliert, wenn es selbst vorübergehend an der Ausübung des Mandats verhindert ist. Aus der Unterscheidung in § 65 Abs.1 ArbVG ergibt sich, daß die vorübergehende Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds nicht zum Erlöschen der Mitgliedschaft oder des Mandats führt. Es entspricht dem Sinn des Gesetzes, daß das Ersatzmitglied für die Zeit der Übernahme des Mandats auch den Sonderschutz nach den §§ 120 ff ArbVG genießt (Floretta aaO 368 und 815). Das Ersatzmitglied soll in dieser Zeit das Mandat mit der gleichen Unabhängigkeit ausüben können wie jedes andere Mitglied des Betriebsrats. Dies wäre aber nicht der Fall, wenn es befürchten müßte, im Fall einer vorübergehenden Verhinderung etwa durch Krankheit, den Besuch eines Fortbildungskurses oder Urlaub gezielt gekündigt zu werden. Da die Klägerin das letztlich dauernd verhinderte Mitglied des Betriebsrats P*** jedenfalls zum Zeitpunkt der vorzeitigen Beendigung der Tätigkeitsdauer des Betriebsrats gemäß § 62 Z 3 ArbVG noch vertreten hatte - eine dauernde Verhinderung hätte ohnehin bereits zum Erlöschen des Mandats des verhinderten Betriebsratsmitglieds geführt (vgl. Floretta-Strasser, ArbVG-Kurzkommentar § 65 Anm.2), - endete der sich aus den §§ 120 bis 122 ArbVG ergebende Schutz gemäß § 120 Abs.3 ArbVG drei Monate nach dem Erlöschen ihrer Mitgliedschaft zum Betriebsrat. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob der Beschluß der Betriebsversammlung auf Enthebung des Betriebsrats wirksam wurde. Selbst unter der Annahme der Wirksamkeit dieses Beschlusses fiel die Kündigung vom 28. März 1988 in diese Frist und war daher ungültig (Floretta aaO 369).

Die Beklagte war demnach nicht berechtigt, das Dienstverhältnis mit der Klägerin zum 30. Juni 1988 ohne Zustimmung des Gerichts zu kündigen. Soweit die Klägerin die faktische Beendigung des Dienstverhältnisses durch die Beklagte als Kündigung zur Kenntnis nahm (vgl. für den Fall des Weiterbestehens des besonderen Bestandschutzes: Kuderna, Einige Probleme des besonderen Kündigungsschutzes, DRdA 1990, 1 ff; insbes. 11 f), stehen ihr die geltend gemachten und der Höhe nach unbestrittenen Ansprüche zu. Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

Anmerkung

E21514

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00175.9.0829.000

Dokumentnummer

JJT_19900829_OGH0002_009OBA00175_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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