TE OGH 1990/8/29 3Ob49/90

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Veröffentlicht am 29.08.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Klinger, Dr. Kellner und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der betreibenden Parteien Karl und Inge D***, beide Wirtschaftsbesitzer in Göllersdorf, Pfarrgasse 28 und vertreten durch Dr. Werner Stolarz, Rechtsanwalt in Hollabrunn, wider die verpflichtete Partei Johann H***, Steinmetzmeister, Hollabrunn, Znaimerstraße 68, vertreten durch Dr. Robert Mack ua, Rechtsanwälte in Korneuburg, wegen Erwirkung vertretbarer Handlungen, infolge Revisionsrekurses der betreibenden Parteien gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Korneuburg als Rekursgerichtes vom 30.Jänner 1990, GZ 5 R 30/90-13, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hollabrunn vom 21.Dezember 1989, GZ E 1285/89-10, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wieder hergestellt wird. Die Kosten des Revisionsrekurses werden mit S 2.899,20 (darin S 483,20 Umsatzsteuer) als weitere Exekutionskosten bestimmt.

Text

Begründung:

Die Parteien schlossen am 16.11.1988 im Verfahren 1 C 25/88 vor dem Erstgericht einen bedingten Vergleich, in dem der Beklagte, nunmehr Verpflichtete, den Klägern, nunmehr Betreibenden diverse Mängelbehebungsarbeiten an einer von ihm errichteten Terrasse auf deren Anwesen zusagte. Laut Punkt 6 sollte der Vergleich wirksam werden, wenn er nicht von der beklagten Partei mittels Schriftsatzes, der bis spätestens 9.12.1988 eingelangt sein müsse, widerrufen wird. Der an diesem Tag beim Bezirksgericht Hollabrunn eingelangte "Vergleichswiderruf" enthält folgenden Text: "In oben bezeichneter Rechtssache widerruft die beklagte Partei in offener Frist den Vergleich vom 16.11.1988. Bemerkt wird, daß der Vergleichswiderruf lediglich vorläufig erfolgt und nach Einlangen der Stellungnahme der Haftpflichtversicherung der beklagten Partei zurückgezogen werden könnte. Es wird daher ersucht, vorläufig keinen Verhandlungstermin anzuberaumen....". Über telefonische Anfrage vom 7.3.1989 erklärte der Beklagtenvertreter dem Verhandlungsrichter des Erstgerichtes laut dessen Amtsvermerk, daß dieser Schriftsatz nicht als Vergleichswiderruf anzusehen und der Vergleich nicht widerrufen worden sei. Mit Beschluß vom 9.3.1989 nahm das Erstgericht sodann "zur Kenntnis, daß die Eingabe vom 9.12.1988 nicht als Vergleichswiderruf zu werten sei und der bedingt abgeschlossene Vergleich vom 16.9.1988 rechtswirksam geworden ist." Dieser Beschluß wurde den Parteienvertretern zugestellt und unangefochten rechtskräftig.

Mit Beschluß vom 1.8.1989 bewilligte das Erstgericht der betreibenden Partei auf Grund des zitierten Vergleiches die Exekution nach § 353 EO und die Fahrnisexekution zur Hereinbringung der Kosten des Exekutionsverfahrens.

In dem dagegen erhobenen Rekurs beantragte der Verpflichtete zwar die Behebung der Exekutionsbewilligung, machte aber nicht geltend, daß kein tauglicher Exekutionstitel vorliege. Das Rekursgericht gab diesem Rechtsmittel nur in einem Detail teilweise Folge. In der Begründung dieser Entscheidung wies das Rekursgericht auf das mögliche Fehlen eines tauglichen Titels zufolge Vergleichswiderrufes hin. Ein Eingehen darauf sei dem Rekursgericht aber verwehrt, weil die verpflichtete Partei keinen Einstellungsantrag erhoben habe.

Der nun vom Verpflichteten erhobene Einstellungsantrag wurde vom Erstgericht unter Hinweis auf die Rechtswirksamkeit des Vergleiches und die Rechtskraft der Exekutionsbewilligung abgewiesen. Mit der angefochtenen Entscheidung gab das Rekursgericht dem Rekurs der verpflichteten Partei Folge und stellte das Exekutionsverfahren nach § 39 Abs 1 Z 1 EO ein. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß der Vergleich vom 16.11.1988 zufolge rechtzeitig und wirksam erhobenen Widerrufes nicht zustande gekommen sei. Die in der Folge telefonisch abgegebene Erklärung des Beklagtenvertreters, der Schriftsatz vom 9.12.1988 beinhalte keinen Vergleichswiderruf und habe nicht zur Schaffung eines Exekutionstitels geführt, ändere daran nichts. Da für die bewilligte Exekution kein tauglicher Titel vorliege, sei das Exekutionsverfahren zur Einstellung zu bringen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der betreibenden Partei ist berechtigt. Der gerichtliche Vergleich hat zwar den Charakter eines zivilrechtlichen Rechtsgeschäftes und einer Prozeßhandlung (MGA ZPO14 § 204/1). Eine Vereinbarung über den Widerruf eines Vergleiches ist im Zweifel als eine prozeßrechtliche Vereinbarung anzusehen (JBl 1977, 428 = EvBl 1977/72). Der rechtzeitig erhobene Widerruf verhindert den Eintritt der prozeßrechtlichen Wirkung des Vergleiches (SZ 54/14 ua; Fasching LB2 Rz 1350) und damit das Entstehen eines Exekutionstitels. Einer später abgegebenen Erklärung, den Widerruf zurückzuziehen, um die Wirkungen des Vergleiches wieder eintreten zu lassen, kommt nur mehr rechtsgeschäftlicher Charakter zu, sie kann aber nicht mehr die durch den Widerruf beseitigte Wirksamkeit des Vergleiches wiederherstellen.

Ob und welche andere Bedeutung einem "vorläufigen" Widerruf des Vergleiches zukommt, wie er hier erklärt wurde, kann unerörtert bleiben. Denn es hat nicht nur das Titelgericht rechtskräftig die Rechtswirksamkeit des Vergleiches festgestellt, sondern auch die Exekutionsbewilligung erwuchs in dem noch strittigen Umfang in Rechtskraft.

Die Frage, ob die Gesetzwidrigkeit einer Exekutionsbewilligung durch den Eintritt der formellen Rechtskraft beseitigt wird, ist in Lehre und Rechtsprechung verschieden beantwortet worden (vgl Heller-Berger-Stix, EO4 159 ff mwN sowie MGA EO12 § 3/47). Der erkennende Senat hat aber bereits in mehreren Entscheidungen ausgesprochen, daß der Eintritt der formellen Rechtskraft der Exekutionsbewilligung deren Gesetzwidrigkeit in der Regel heilt und daß die Exekution dann nur noch in den Ausnahmsfällen der sogenannten perplexen Exekution eingestellt werden kann, bei welcher die getroffenen Anordnungen ihrer Natur nach nicht durchsetzbar oder verboten sind (JBl 1989, 119 ua). Der Exekutionsbewilligungsbeschluß ist nämlich der Rechtskraft fähig, das Gericht und die Parteien sind an die Entscheidung ohne Rücksicht auf deren materiellrechtliche Richtigkeit und etwaige bei ihrer Schaffung unterlaufenen Vrfahrensverstöße gebunden (EFSlg 34.541). Das Vorliegen eines Exekutionstitels ist allerdings wesentliche Voraussetzung jeder Exekution. Nach herrschender Ansicht ist aber nicht einmal eine titellose Exekution nichtig (SZ 28/184; RZ 1963, 74). Wenn die entscheidenden Tatsachen dem Bewilligungsgericht nicht vorlagen, steht die Rechtskraft der Exekutionsbewilligung jedoch einer Einstellung nicht entgegen (Heller-Berger-Stix, EO4 161 f). Hier war das ungewöhnliche Schicksal des Vergleiches aber sowohl dem Erstrichter (der ihn im Titelverfahren für rechtswirksam erklärt hatte) als auch dem Rekursgericht (infolge der Exekutionsbewilligung durch das Titelgericht) bekannt (so daß das Rekursgericht entgegen seiner Meinung berechtigt gewesen wäre, eine Untauglichkeit des Exekutionstitels wahrzunehmen). Ob trotz dieser Sachlage infolge der Nichtbeachtung des Hindernisses die Gesetzwidrigkeit der Exekutionsführung auch noch über einen Einstellungsantrag wahrgenommen werden kann (vgl Heller-Berger-Stix 162), bedarf aber hier keiner weiteren Prüfung. Der vorliegende Fall eines nur möglicherweise fehlerhaften oder fraglichen Exekutionstitels ist nämlich dem des völligen Fehlens eines solchen nicht gleichzuhalten. Bereits im Titelverfahren wurde die Rechtswirksamkeit des zunächst bedingt geschlossenen und dann mit Vorbehalt widerrufenen Vergleiches durch ausdrücklichen Beschluß festgestellt, der in Rechtskraft erwuchs. In diesem Fall kann die mögliche Mangelhaftigkeit des der Exekutionsbewilligung zugrunde liegenden Titels nicht mehr aufgegriffen werden, wenn überdies die Exekution trotz Kenntnis dieses Sachverhaltes von beiden Instanzen und somit rechtskräftig bewilligt wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 78 EO, 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E21381

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0030OB00049.9.0829.000

Dokumentnummer

JJT_19900829_OGH0002_0030OB00049_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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