TE OGH 1990/9/6 6Ob628/89

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Veröffentlicht am 06.09.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Schlosser, Dr.Redl und Dr.Kellner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*** L*** Aktiengesellschaft, Wien 1., Am Hof 2, vertreten durch Dr.Wilhelm Grünauer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei T*** IS B*** A.S., Macka-Istanbul, Abdi Ipekci Kaddesi 75, Türkei, vertreten durch Dr.Paul Doralt, Rechtsanwalt in Wien, wegen 13,267.500 S samt Nebenforderungen, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 6.April 1989, GZ 1 R 232/88-49, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 1.Juli 1988, GZ 15 Cg 140/86-44, im Ausspruch über den Grund des Anspruches als Zwischenurteil bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird stattgegeben. Das angefochtene Urteil wird derart abgeändert, daß das Begehren auf Zahlung von 13,267.500 S samt 10 % Zinsen aus dem Schilling-Gegenwert von

US-Dollar 463.744,53 seit 23.Dezember 1986 sowie aus dem Schilling-Gegenwert von US-Dollar 401.893,65 seit 24.Dezember 1986 abgewiesen wird.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 725.536,56 bestimmten Kosten aller drei Instanzen (darin enthalten an Umsatzsteuer S 27.269,- und an Barauslagen S 459.435,-) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist eine inländische Kreditunternehmung, die Beklagte eine türkische Bank.

Die Klägerin bestätigte auf Ersuchen der Beklagten ein über Auftrag eines türkischen Warenimporteurs zugunsten einer österreichischen Warenexporteurin eröffnetes Dokumentenakkreditiv. Nach den von der Beklagten der Klägerin mitgeteilten Akkreditivbestimmungen hatte die Begünstigte unter anderem "full set clean on board marine bills of lading ...", das heißt einen vollen Konnossementensatz einzureichen, wobei ausdrücklich vorgesehen war:

"shipment is to be effected from Reni and/or Odessa to Bartin partshipments are permitted transshipments are prohibitted". Der Seetransport hatte also von den (sowjetischen) Häfen Reni oder Odessa nach Bartin zu erfolgen, Teilverschiffung sollte gestattet, Umladungen sollten unstatthaft sein.

Die Begünstigte sollte nach den Anweisungen der Beklagten an die Klägerin das unwiderrufliche Akkreditiv in der Form ausüben können, daß die Klägerin von der Beklagten vorgelegte Wechsel mit einer 90 Tage nach dem Datum der Seetransportdokumente liegenden Verfallstag annimmt.

Das Geschäft sollte den "Einheitlichen Richtlinien und Gebräuchen für Dokumentenakkreditive" in der revidierten Fassung des Jahres 1983 unterliegen.

Die Klägerin nahm die von der Begünstigten bei ihr eingereichten Dokumente an und leitete diese absprachegemäß an die Beklagte weiter. Die Beklagte bestätigte den Erhalt dieser Dokumente ohne jeden Vorbehalt. Dabei hatte die Klägerin der Beklagten - objektiv unrichtig - mitgeteilt, von der Begünstigten vorgelegte Wechsel akzeptiert zu haben. Tatsächlich hatte die Klägerin auf den Akkreditivbetrag weder Zahlungen noch Wechselunterschriften geleistet. Die Begünstigte hatte vielmehr unmittelbar nach der Dokumentenannahme durch die Klägerin ihre daraus entspringende Forderung gegen diese an eine inländische Bank abgetreten. Die von der Begünstigten der Klägerin eingereichten Konnossemente waren nach dem äußeren Anschein von einem türkischen Seefrachtführer ausgestellt und enthielten die Bestätigung, daß eine näher bezeichnete Warenmenge im Verladehafen Odessa mit der Bestimmung Bartin auf ein namentlich genanntes Schiff geladen worden sei.

Zwei Wochen nach Annahme der Dokumente durch die Klägerin, die im Sinne ihrer Bestätigungserklärung und Dokumentenannahme zahlungsbereit gewesen war, aber tatsächlich noch nicht geleistet hatte, setzte die Beklagte die Klägerin mittels Fernschreiben davon in Kenntnis, daß nach Mitteilung des Akkreditivauftraggebers die Ware nicht, wie im Konnossement angeführt, in Odessa, sondern in einem bulgarischen Hafen verschifft worden sei, wodurch türkische Wareneinfuhrbeschränkungen ausgelöst worden wären. Die Reederei habe schriftlich erklärt, daß die Ware entgegen den Angaben in dem mit ihrem Geschäftsstempel auf ihrem Geschäftspapier ausgefertigten Konnossement in Bulgarien verladen worden sei. Die Begünstigte habe als Ablader ihr von der Reederei blanko überlassene Konnossementformulare tatsachenwidrig ausgefüllt und mit dem Geschäftsstempel der Reederei versehen. Die Beklagte folgerte in ihrem Fernschreiben an die Klägerin, die dem äußeren Anschein nach akkreditivgemäßen Konnossemente seien Fälschungen. Sie fügte bei, daß die Ware selbst verschwunden sei. Die Beklagte ersuchte deshalb die Klägerin, ihr zum Akzept vorgelegte Wechsel, falls dies nicht schon geschehen sein sollte, nicht auszufolgen, anderenfalls aber alle Möglichkeiten auszuschöpfen, wieder in den Besitz der Wechsel zu gelangen. Es läge eine Situation vor, die zu einer strafrechtlichen Untersuchung gegen die Begünstigte Anlaß gäbe. Die türkische Reederei teilte der Klägerin schriftlich mit, sie habe zufällig die Fälschungs-Konnossemente gesehen, es handle sich um eine totale Fälschung, die Urkunden seien nicht von ihr ausgestellt.

Auch der türkische Akkreditivauftraggeber unterrichtete die Klägerin in einem Fernschreiben, daß die Konnossemente unter den von ihr angenommenen Dokumenten eine augenfällige Fälschung seien. Nach den der Begünstigten zugegangenen Mitteilungen galt die Ware kurzfristig als verschollen, tauchte dann aber auf einem libanesischen Schiff in einem rumänischen Hafen auf. Etwa vier Wochen nach Annahme der Dokumente durch die Klägerin sprach ein österreichischer Rechtsanwalt als Vertreter des türkischen Akkreditivauftraggebers bei der Dokumentenabteilung der Klägerin vor und drückte nach Darlegung des damals bekannten Sachverhaltes seine Verwunderung darüber aus, daß die Klägerin eine Auszahlung der Akkreditivsumme überhaupt in Erwägung ziehe, erhielt aber die Antwort, daß dem ersten Anschein nach echte und stimmige Dokumente auch honoriert werden müßten.

Tatsächlich leistete die Klägerin nach Ablauf der drei Monate ab dem Datum der ihr vorgelegten Konnossemente Zahlung auf die Akkreditivsumme.

Bereits vier Wochen vorher hatte sie als Bestätigungsbank gegen die Beklagte als Akkreditivbank eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Aufwandersatz (Rembour) angebracht und nach Auszahlung des Akkreditivbetrages ihr Begehren auf Zahlung umgestellt. Nach dem Prozeßstandpunkt der Klägerin hätte sie einer Forderung der Begünstigten auf Zahlung des Akkreditivbetrages nicht wirksam eine Schlechtgläubigkeit der Begünstigten entgegenhalten können.

Die Beklagte wendete eine Verletzung der von der Klägerin übernommenen Interessenwahrung aus der Geschäftsbesorgung ein. Das Prozeßgericht erster Instanz gab dem Aufwandersatzbegehren der Klägerin statt.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil mit seiner vor dem 1. Januar 1990 datierten Entscheidung im Sinne eines anspruchsbejahenden Zwischenurteiles ab.

In rechtlicher Beurteilung hatte das Prozeßgericht erster Instanz gefolgert, die Bestreitung der Echtheit einer nach den Akkreditivbestimmungen angenommenen Urkunde durch die Person, von der sie dem äußeren Anschein nach stamme, berechtigte (gegenüber dem Begünstigten) und verpflichte (gegenüber der Akkreditivbank) die Bestätigungsbank nur im Falle des Vorliegens liquider Beweise der Unechtheit, aber nicht schon aufgrund der bloßen Behauptung zur Zahlungsverweigerung. Ein solcher liquider Beweis eines Rechtsmißbrauches der Begünstigten sei der Klägerin bei Auszahlung des Akkreditivbetrages nicht vorgelegen. Ihr Aufwandersatzanspruch bestehe daher zu Recht.

Das Berufungsgericht teilte die erstinstanzliche Ansicht, daß die Klägerin nur bei Vorliegen liquider Beweismittel für einen Rechtsmißbrauch der Begünstigten im Zeitpunkt der Auszahlung des Akkreditivbetrages dem Wunsch der Beklagten hätte entsprechen müssen, entgegen der aus der Akkreditivbestätigung und Dokumentenaufnahme erwachsenen eigenen Verpflichtung Zahlung zu verweigern. Die von der Reederei stammenden schriftlichen Erklärungen seien aber wegen des Verdachtes eigener Unregelmäßigkeiten der Reederei nicht als liquide Beweismittel anzusehen gewesen. Das Berufungsgericht bejahte daher ebenso wie das Prozeßgericht erster Instanz die klageweise geltend gemachte Aufwandersatzverpflichtung der Beklagten und erachtete lediglich Fragen zur Anspruchshöhe, insbesondere im Hinblick auf den Umrechnungskurs, als aufklärungsbedürftig.

Die Beklagte ficht das Berufungsurteil wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem auf Klageabweisung zielenden Abänderungsantrag und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.

Die Klägerin strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die Vorinstanzen beurteilten den von der Beklagten der Klägerin noch vor deren Leistung mitgeteilten Störfall - in offensichtlichem Anschluß an die rekursgerichtliche Auffassung im Provisorialverfahren - ausschließlich unter dem Gesichtspunkt einer zufolge einer evidenten und liquid beweisbaren Einwendung aus dem Valutaverhältnis zwischen Akkreditivauftraggeber und Begünstigten rechtsmißbräuchlichen Inanspruchnahme der Bankverpflichtung. Das belegt nicht zuletzt das Zitat von Canaris in Großkomm HGB3, III/3, RdN 1023.

Die von der Beklagten geforderte Einwendung durch die Klägerin gegenüber einem Zahlungsbegehren der Begünstigten, daß sich die Dokumente, die bei ihrer Annahme durch die Klägerin von dieser als echt angesehen werden durften, als Fälschungen herausgestellt hätten, ist als eine Einwendung aus dem unmittelbaren Rechtsverhältnis der Klägerin zur Begünstigten zu werten. Der Sache nach forderte die Beklagte von der Klägerin, sie habe gegenüber der Begünstigten geltend zu machen, daß diese sie durch die Vorlage unechter Dokumente irregeführt, zumindest aber einen wesentlichen Irrtum veranlaßt habe. Gefordert wurde also die Geltendmachung eines allgemeinen Anfechtungsgrundes (vgl. Canaris in Großkomm HGB4, Bankvertragsrecht, Rz 1007; vgl. auch Eisemann, Dokumentenakkreditiv3, 204).

Bei begründetem und beweisbarem Verdacht der aus einer Dokumentenakkreditiverklärung verpflichteten Bank, daß eine von ihr als akkreditivgemäß angenommene Urkunde (hier: Konnossement) eine Fälschung sei (hier: Bestreitung der Urheberschaft durch den Seefrachtführer, der nach dem Erscheinungsbild der Urkunde das Konnossement ausgestellt haben soll), ist die Bank (hier: die Klägerin als Bestätigungsbank) gegenüber ihrem Auftraggeber (hier: gegenüber der Beklagten als Akkreditivbank) in Wahrung ihrer aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag fließenden Verpflichtungen gehalten, im Interesse des Auftraggebers vertretbar erscheinende Maßnahmen zu ergreifen, um die vorhandenen Zweifel an der Echtheit des angenommenen Dokumentes zu beseitigen oder zu erhärten, im Falle, daß ein verständiger Kaufmann eine Fälschung annehmen müßte, dies auch gegenüber dem Begünstigten zu vertreten und diesen Standpunkt erforderlichenfalls mittels behördlicher Hilfe gegenüber dem Begünstigten durchzusetzen zu versuchen.

Bei Unterlassung solcher gebotenen, die Auftraggeberinteressen wahrenden Maßnahmen besteht kein Erstattungsanspruch. Die von der Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung zitierten Regelungen nach den Art. 3, 4, 15, 16 und 17 der einheitlichen Richtlinien und Gebräuche für das Dokumentenakkreditiv sind auf den vorliegenden Fall der Annahme eines dem äußeren Anschein nach unbedenklichen Dokumentes, von dem aber nach Annahme und vor Leistung der angebliche Dokumentenaussteller schriftlich erklärte, das Dokument stamme nicht von ihm, nicht anwendbar. Die schriftliche Erklärung dessen, der nach dem äußeren Erscheinungsbild einer den Akkreditivbestimmungen entsprechenden Urkunde als Aussteller angesehen werden darf, nicht Urkundenaussteller gewesen zu sein, macht die Urkunde nachträglich in einem Maße verdächtig, daß dies die Bank entgegen der Ansicht der Klägerin wegen der von ihr im Interesse ihres Auftraggebers zu wahrenden Sorgfalt im Sinne der Einleitung zu den allgemeinen Geschäftsbedingungen der österreichischen Kreditunternehmungen gemäß § 1009 ABGB (§ 38 Abs 1 IPR-Gesetz) mit gebotener Konsequenz gegenüber dem Begünstigten (oder dessen schlichten Zessionar) geltend zu machen gehabt hätte.

Die Klägerin hat aber nicht schlüssig vorgebracht, daß ihr dies aus einem konkreten Umstand unzumutbar gewesen wäre. Die von ihr eingewendete Rücksichtnahme auf das zu wahrende Vertrauen in die Banken im allgemeinen und die Zahlungsbereitschaft ihres eigenen Institutes im besonderen reicht nach dem vorliegenden Sachverhalt jedenfalls nicht hin, sie von ihren Verpflichtungen gegenüber ihrer Auftraggeberin zu entbinden.

Der klageweise geltend gemachte Aufwandersatzanspruch besteht mangels auftragsgemäßer Geschäftsbesorgung nicht zu Recht. In Stattgebung der Revision war daher das zweitinstanzliche Zwischenurteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Entscheidung über die Prozeßkosten beruht auf § 41 ZPO, in Ansehung der Kosten des Rechtsmittelverfahrens im Zusammenhang mit § 50 ZPO. Gegenstand des Leistungsbegehrens war der Betrag von S 13,267.500, kein Schillingwert eines US-Dollarbetrages (AS 18). Dieser Betrag ist Bemessungsgrundlage für alle drei Instanzen. Rekurs und Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung blieben erfolglos. Für das Provisorialverfahren einschließlich des Widerspruchsverfahrens gebührt der Beklagten als Gegnerin der gefährdeten Partei daher kein Kostenersatz. Die Anträge und Urkundenvorlagen in ON 27, 31 und 33 sind als Verfahrenshandlungen des Widerspruchsverfahrens anzusehen. Als Verfahrenshandlungen des Rechtsstreites wäre ihre selbständige Setzung nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlich gewesen. Pauschalgebühren für Berufung und Revision konnten nur in der verzeichneten Höhe zugesprochen werden.

Anmerkung

E21940

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0060OB00628.89.0906.000

Dokumentnummer

JJT_19900906_OGH0002_0060OB00628_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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