TE OGH 1990/9/6 6Ob654/90

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Veröffentlicht am 06.09.1990
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Schlosser, Dr.Redl und Dr.Kellner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Gerald L***, geboren am 24.Mai 1976, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Vaters Erwin L***, derzeit ohne Beschäftigung, Buchenweg 2, 2362 Biedermannsdorf, vertreten durch Dr.Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 1. Februar 1990, GZ 47 R 40/90-95, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 16.November 1989, GZ 2 P 73/76-92, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der Vater stellte am 28.September 1989 den Antrag, seine monatliche Unterhaltsverpflichtung dem Minderjährigen gegenüber ab 1. August 1989 von S 5.800,-- auf S 979,-- beziehungsweise auf S 1.500,-- herabzusetzen, und brachte hiezu vor, der letzten Unterhaltsbemessung sei die vom Vater bezogene Abfertigung zugrunde gelegt worden. Bisher sei es ihm vor allem wegen seines Alters nicht gelungen, eine Anstellung zu finden. Er beziehe weiterhin die Notstandshilfe.

Das Erstgericht setzte die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters vom 1.August 1989 an von S 5.800,-- auf S 1.800,-- herab und wies das Mehrbegehren ab. Es stellte fest:

Der Vater ist seit 19.Jänner 1989 als arbeitslos gemeldet, bezog die Arbeitslosenunterstützung und bezieht seit 15.Juli 1989 die Notstandshilfe. Im Zeitraum vom 1.August bis 15.November 1989 betrug sein Nettoeinkommen S 43.858,40. Seither beträgt es monatlich S 12.296,--. In diesem Betrag ist der für den Minderjährigen gewährte Familienzuschlag, der unmittelbar an den Unterhaltssachwalter überwiesen wird, enthalten.

Der Vater und seine Ehegattin Maria L*** waren nach seiner am 28. September 1988 gestorbenen Mutter je zur Hälfte zu Erben berufen. Zum Nachlaß gehörten eine Liegenschaft in Wien-Mauer mit einem Einheitswert von S 191.000,-- und eine Eigentumswohnung in Wien-Döbling mit einem solchen von S 147.987,-- sowie ein Pensions- und Sparguthaben von insgesamt S 22.897,20. Das Recht zur Verfügung über das Guthaben wurde dem Vater übertragen und das Eigentumsrecht auf der Liegenschaft in Wien-Mauer für ihn einverleibt. Die Rechte an der Eigentumswohnung in Wien-Döbling wurden seiner Ehegattin zugeschrieben. Sonstiges Vermögen war nicht nachweisbar. Der Vater hat zwar zugestanden, daß die Erblasserin zu ihren Lebzeiten auch über Golddukaten und Wertpapiere verfügte, konnte jedoch über den Verbleib keine weiteren Angaben machen. Die Eigentumswohnung in Wien-Döbling ist um monatlich S 8.000,-- vermietet worden, doch laufen monatliche Aufwendungen von S 2.625,-- auf. Der Mietertrag steht zur Gänze der Ehegattin des Vaters zu. Die dem Vater übertragene Liegenschaft in Wien-Mauer ist ein ertragloses Grundstück mit einem Gartenhaus, das nur im Sommer bewohnbar ist. Am Tage der Beerdigung der Erblasserin folgte der Vater dem mj. Gerald und dessen volljährigen Brunder Martin zwei Sparbücher mit einem Einlagestand von insgesamt S 45.000,-- aus. Diese Sparbücher waren ihm schon vor Jahren von seiner Mutter für die Kinder mit diesem Auftrag übergeben worden. Der Vater und seine Ehegattin gaben im Verlassenschaftsverfahren unbedingte Erbserklärungen ab.

Der Minderjährige lebt im Haushalt seiner Mutter, die als Versicherungsangestellte ein monatliches Einkommen von etwa S 13.000,-- sowie die Familienbeihilfe für ihren Sohn bezieht. Rechtlich meinte das Erstgericht, der herabgesetzte monatliche Unterhaltsbetrag entspreche den gerichtsüblichen Hundertsätzen unter Bedachtnahme auf die Sorgepflichten des Vaters für seine Ehegattin und drei weitere Kinder.

Das Rekursgericht setzte die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters in Stattgebung des Rekurses des Minderjährigen vom 1. August 1989 an von S 5.800,-- auf S 4.200,-- herab, wies das Mehrbegehren des Vaters ab und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Es traf aufgrund des Akteninhaltes ergänzende Feststellungen:

Der 49-jährige Vater war seit 1969 bei mehreren Unternehmen in der Datenverarbeitung und schließlich als EDV-Leiter, Verkaufsleiter für den Osten und bei der M*** T*** Gesellschaft mbH in Wien bis 31.Juli 1988 als Marketing-Leiter tätig. In der Zeit vom 9. August bis 31.August 1988 bezog er Arbeitslosengeld. Vom 1. September bis 31.Dezember 1988 verdiente er bei der K + S C*** Handelsgesellschaft mbH als Verkaufsrepräsentant monatlich durchschnittlich S 27.700,-- netto. Das Dienstverhältnis wurde einvernehmlich aufgelöst, weil "Diskrepanzen bezüglich der Vertriebsstrategien und -stile sowie des Ausmaßes der Selbständigkeit in der Vertriebsaktivität bestanden". Vom Arbeitsamt Mödling wurden dem Vater seither etwa fünf Stellenangebote nachgewiesen. Es ist jedoch keine Anstellung zustande gekommen, teils wegen seines Alters, teils aber auch wegen seiner "Vorstellungen über seine Tätigkeit infolge seiner bisherigen beruflichen Erfahrung".

In rechtlicher Hinsicht führte das Gericht zweiter Instanz aus, der Vater befände sich zwar bereits in einem Alter, in dem die Stellenvermittlung Schwierigkeiten begegne, doch müsse er diesen Umstand angesichts seiner Sorgepflichten sowohl bei der Aufgabe eines angemessenen Arbeitsplatzes als auch bei der Annahme solcher Stellenangebote entsprechend verantwortungsvoll berücksichtigen. Der Vater habe im September 1988 nach nur dreiwöchiger Arbeitslosigkeit einen adäquaten Arbeitsplatz gefunden. Er habe ferner selbst ausgesagt, das Arbeitsamt habe ihm bisher etwa fünf Stellenangebote zugewiesen, es sei aber auch wegen seiner Vorstellungen von seiner beruflichen Aufgabe im Hinblick auf seine bisherige Erfahrung zu keiner Anstellung gekommen. Dies lasse nur den Schluß zu, daß der Vater offenbar nicht gewillt sei, sich den vom Arbeitgeber vorgegebenen Arbeitsbedingungen anzupassen. Keinesfalls könne daraus geschlossen werden, daß es ihm trotz entsprechender Bemühungen unmöglich sei, einen einigermaßen entsprechenden Arbeitsplatz mit angemessener Entlohnung zu finden. Das habe zur Folge, daß die Leistungskraft des Vaters auf das zuletzt bezogene Einkommen von monatlich S 27.700,-- (einschließlich anteiliger Sonderzahlungen) anzuspannen sei. Bei dieser Bemessungsgrundlage könne dem Vater trotz seiner weiteren Sorgepflichten ein monatlicher Unterhaltsbetrag von S 4.200,-- zugemutet werden.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Vater gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist zwar zulässig, weil die Rechtsprechung der Gerichte zweiter Instanz zur Frage, ob die anspannende Bemessung auf den Regelbedarf beschränkt ist, uneinheitlich zu sein scheint (EFSlg 56.154 ua gegen EFSlg 53.366 ua), er ist aber nicht berechtigt.

Die geltend gemachten Anfechtungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der Aktenwidrigkeit liegen, wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat, nicht vor (§ 16 Abs. 3 AußStrG in Verbindung mit § 510 Abs. 3 ZPO). Soweit der Vater die Ergänzung der Tatsachenfeststellungen durch das Rekursgericht ohne Beweiswiederholung rügt, übersieht er, daß das Gericht zweiter Instanz nicht etwa Beweise umgewürdigt und abweichende Feststellungen getroffen, sondern den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt lediglich aufgrund der erstinstanzlichen Beweisergebnisse ergänzt hat. Im übrigen wird das Verfahren außer Streitsachen nicht vom Grundsatz der Unmittelbarkeit beherrscht, so daß das Rekursgericht auch unabhängig von der Beweiswürdigung des Erstgerichtes aus dem Akt Feststellungen treffen darf (SZ 54/124 mwN). Soweit der Vater bei der gerügten Vorgangsweise die Wahrung des Parteiengehörs vermißt, ist ihm entgegenzuhalten, daß das Rekursgericht bei den Sachverhaltsergänzungen - abgesehen von der Bekanntgabe der Gründe der Beendigung des Dienstverhältnisses durch den letzten Arbeitgeber - ohnehin ausschließlich der Aussage des Vaters (ON 91) folgte, die dieser in Gegenwart seines Bevollmächtigten vor dem Erstgericht abgelegt hatte. Das Schwergewicht des Rechtsmittels des Vaters liegt bei den Ausführungen, seine Leistungskraft sei vom Rekursgericht über Gebühr angespannt worden; nach überwiegender zweitinstanzlicher Rechtsprechung dürfe sie nämlich bloß bis zur Deckung des durchschnittlichen Bedarfes (= Regelbedarf) angespannt werden. Eine solche Rechtsprechung scheint zwar tatsächlich vorzuherrschen (vgl nur etwa EFSlg 56.160, 56.157, 56.154, 50.534 und 42.846), doch dürfte es sich dabei um Fälle gehandelt haben, in welchen der Unterhaltspflichtige keinen Beruf ausübte oder sich die Kenntnisse für eine berufliche Tätigkeit nicht angeeignet hatte (vgl EFSlg 53.366). Im übrigen kann einer solchen Beschränkung der Anspannung der Leistungskraft des Unterhaltspflichtigen keineswegs beigepflichtet werden.

Gemäß § 140 Abs. 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Sie müssen somit ihre gesamten persönlichen Möglichkeiten, besonders ihre Leistungskraft unter Berücksichtigung ihrer Ausbildung, ihrer beruflichen Möglichkeiten und ihrer Fähigkeiten ausschöpfen, um ihrer Unterhaltspflicht nachkommen zu können. Damit wurde die bis dahin von der Rechtsprechung - freilich nur sehr vorsichtig - angewendete Anspannungstheorie im Gesetz verankert (RV, 60 BlgNR, XIV.GP, 21; Pichler in Rummel, ABGB2, § 140 Rz 6). Mit der Anspannung der Leistungskraft des Unterhaltspflichtigen kann der Unterhalt auf der Grundlage eines zwar tatsächlich nicht erzielten, aber erzielbaren Einkommens bemessen werden (Pichler, aaO). Hat der Unterhaltspflichtige seine bisherige gut entlohnte Beschäftigung, in der er durch jahrzehntelangen Einsatz - wie hier der Vater - besondere Kenntnisse und eine reiche Erfahrung angesammelt hatte, ohne triftigen Grund aufgegeben, so mag ihm dies im Rahmen seiner Erwerbsfreiheit zwar gundsätzlich unbenommen bleiben, kann aber nicht die Rechtsstellung ihm gegenüber unterhaltsberechtigter Personen, vor allem minderjähriger Kinder, beschweren, die zur Bestreitung ihres Unterhaltes auf seinen Erwerb angewiesen sind und ihre Bedürfnisse auf dessen angemessene Unterhaltsleistungen - berechtigterweise - eingerichtet haben. Wäre der Unterhaltspflichtige aufgrund eines bei seinen Kenntnissen und Fähigkeiten erzielbaren Einkommens zu Unterhaltsleistungen imstande, die über die Deckung des Regelbedarfes des unterhaltsberechtigten Kindes hinausgehen, so ist seine Leistungskraft auch über den Regelbedarf hinaus anzuspannen (vgl Pichler, aaO), sofern ihm entsprechende Arbeitsplätze angeboten wurden und die angebotene Beschäftigung zumutbar war, so daß ein familienbewußter Vater in dessen Lage die Arbeit angenommen hätte, selbst wenn sie seinen Berufsvorstellungen nicht in allen Belangen gerecht werden konnte (vgl Schlemmer in Schwimann, ABGB, § 140 Rz 42 unter Berufung auf die zweitinstanzliche Rechtsprechung). Das Rekursgericht hat aufgrund einer vom Vater gar nicht ernstlich bestrittenen Auskunft seines letzten Dienstgebers sowie der eigenen Aussage des Vaters festgestellt, daß der Vater, nachdem sein langjähriges, überaus gut entlohntes Dienstverhältnis einvernehmlich aufgelöst worden war, trotz seines Alters wenige Wochen danach bereits eine gleichfalls weit überdurchschnittlich honorierte Beschäftigung aufnahm und diese im Einvernehmen mit dem Dienstgeber wenige Monate später aufgab, weil es zu Differenzen im Vertriebsstil gekommen war (ON 72). Er sagte selbst aus, daß ihm vom Arbeitsamt in der Folge mehrere Stellen angeboten worden waren, die er jedoch auch im Hinblick auf seine Vorstellungen aufgrund seiner bisherigen beruflichen Erfahrungen ausschlug (ON 91). Der vom Rekursgericht im Bereich des Tatsächlichen gezogene und somit in dritter Instanz nicht mehr bekämpfbare Schluß, daß der Vater offenbar nicht gewillt sei, sich vom Arbeitgeber vorgegebenen Richtlinien unterzuordnen, rechtfertigt im Zusammenhang mit den vorher wiedergegebenen Feststellungen auch die weitere Schlußfolgerung durch das Gericht zweiter Instanz, daß der Vater trotz seines Alters bei entsprechenden Bemühungen einen seinen Fähigkeiten und seiner beruflichen Erfahrung angemessenen Arbeitsplatz mit einer seinem bisherigen Einkommensniveau einigermaßen entsprechenden Entlohnung hätte finden können. Der Anspannung seiner Leistungskraft steht auch nicht entgegen, daß er ohnedies beim Arbeitsamt als arbeitssuchend gemeldet ist. Ausschlaggebend ist allein, inwieweit der Unterhaltspflichtige auch bemüht ist, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Gerade diese Bemühungen hat der Vater den rekursgerichtlichen Feststellungen zufolge aber vermissen lassen.

Der Vater rügt ferner zwar einen Verstoß gegen den im Verhältnis zwischen Unterhaltspflichtigem und Unterhaltsberechtigtem zu wahrenden Gleichbehandlungsgrundsatz, zeigt aber in seinen Rechtsmittelausführungen nicht auf, weshalb ein Unterhaltsbetrag im Ausmaß von etwa 15 % der (fiktiven) Bemessungsgrundlage diesem Grundsatz nicht gerecht werde.

Soweit der Vater seine mit monatlich S 7.000,-- bemessene Unterhaltsverpflichtung seinem mittlerweile volljährig gewordenen Sohn Martin gegenüber ins Treffen führt, die bei der hier zur Beurteilung stehenden Unterhaltsbemessung nicht entsprechend berücksichtigt worden sei, ist ihm entgegenzuhalten, daß es an ihm gelegen wäre, im streitigen Rechtsweg auf die Herabsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung diesem Sohn gegenüber zu dringen und eine Säumnis in dieser Hinsicht nicht dem Minderjährigen zum Nachteil gereichen darf.

Schließlich beharrt der Vater auch jetzt noch auf seinem Standpunkt, daß die unmittelbar an den Unterhaltsberechtigten geleisteten Zahlungen des Arbeitsamtes bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen seien. Dem ist - wie der erkennende Senat bereits ausgesprochen hat (JBl 1987, 521) - zu entgegnen, daß die Auszahlung eines Teiles des dem unterhaltspflichtigen Vaters zustehenden Arbeitslosengeldes (Familienzuschlag) an das unterhaltsberechtigte Kind nicht die vom Rekursgericht ausgesprochene Herabsetzung der titelmäßigen Verpflichtung rechtfertigt. Soweit das Kind zu Handen des Jugendamtes Zahlungen vom Arbeitsamt erhält, sind diese auf die titelmäßige monatliche Verpflichtung als schuldtilgend anzurechnen, so daß der Vater aus den ihm unmittelbar ausbezahlten Beträgen nur den Unterschiedsbetrag zu leisten hat.

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs war deshalb ein Erfolg zu versagen.

Anmerkung

E21714

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0060OB00654.9.0906.000

Dokumentnummer

JJT_19900906_OGH0002_0060OB00654_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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