TE OGH 1990/9/18 10ObS346/89

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Veröffentlicht am 18.09.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Franz Trabauer (Arbeitgeber) und Gerhard Gotschy (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elisabeth F***, ohne Beschäftigung, 5023 Salzburg, Wüstenrotstraße 8A, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension infolge Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Juli 1989, GZ 12 Rs 118/89-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 15.März 1989, GZ 20 Cgs 78/88-22, als Teilurteil bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil und der dadurch als Teilurteil bestätigte Teil des erstgerichtlichen Urteils werden dahin abgeändert, daß sie als Teilurteile zu lauten haben:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin vom 1.1.1988 an eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, wird abgewiesen".

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 15.2.1988 wies die beklagte Partei den Antrag der am 17.1.1938 geborenen Klägerin auf Berufsunfähigkeitspension vom 18.5.1987 mangels Berufsunfähigkeit ab.

Die dagegen rechtzeitig erhobene, auf die beantragte Leistung im gesetzlichen Ausmaß vom 1.6.1987 an gerichtete Klage stützte sich im wesentlichen darauf, daß die Klägerin, die nach der Pflichtschule eine dreijährige Haushaltsschule (nach dem im Pensionsakt erliegenden Abschlußzeugnis handelt es sich um eine dreijährige Fachschule für Damenkleidermacher) zunächst etwa fünf Jahre als Dekorateurin und nach einem WIFI-Kurs während der letzten 17 Jahre als Büroangestellte bei einem Steuerberater beschäftigt gewesen sei, wegen näher angeführter Leiden keiner zumutbaren Beschäftigung mehr nachgehen könne.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage, weil die Klägerin ihre bisherige Berufstätigkeit oder eine ähnliche ihr zumutbare Beschäftigung ausüben könne.

Das Erstgericht erledigte die Rechtsstreitigkeit dadurch, daß es das Klagebegehren vom 1.6.1987 an als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannte und der beklagten Partei auftrug, der Klägerin vom 15.3.1989 an eine vorläufige Zahlung von S 6.000,-- monatlich zu erbringen.

Nach den wesentlichen erstgerichtlichen Feststellungen kann die Klägerin mit ihrem mindestens seit 1.1.1988 bestehenden, näher beschriebenen körperlichen und geistigen Zustand leichte, bis zu einem Drittel der Arbeitszeit auch mittelschwere körperliche Arbeiten, bei denen keine 5 kg übersteigenden Lasten zu heben und zu tragen sind, im Sitzen, Stehen und Gehen bei häufigem Haltungswechsel - nach einstündiger Arbeit in einer Körperhaltung muß sie mindestens 15 Minuten in einer anderen arbeiten - ohne häufiges Bücken, häufiges Treppensteigen und nicht auf Leitern oder Gerüsten verrichten, soweit sie dabei nicht der Nässe oder Kälte ausgesetzt ist. Die tägliche Arbeitszeit kann acht Stunden betragen, nur nach längeren Arbeiten mit hohen Anforderungen an Tempo, Konzentrationsfähigkeit, Auffassung usw braucht sie über das physiologische Ausmaß hinausgehende Pausen, etwa nach 1 1/2- stündiger Arbeit unter so hohen Anforderungen eine Ruhepause von 20 Minuten. Dabei sind jedoch nur ein ausgesprochen hektischer Arbeitsstil und ausgesprochen streßbelastete Tätigkeiten ausgeschlossen. Eine Umstellbarkeit auf Berufe, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem bisher ausgeübten aufweisen, ist möglich, nicht aber auf ein völlig neues Berufsmilieu.

Die Klägerin hat den Beruf einer Kleidermacherin (in einer Fachschule) erlernt, aber nie ausgeübt. Sie war zunächst als Auslagendekorateurin, dann als Verkäuferin in einem Textilgeschäft tätig. Seit 1974 ist sie bei Steuerberatern beschäftigt. Bei ihrer letztgenannten Tätigkeit war sie im wesentlichen mit der Klientenbuchführung betraut. Bei Personalengpässen in Urlaubszeiten oder bei besonderem Arbeitsanfall auch mit der Telefonbedienung. Im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Buchhalterin mußte sie die notwendigen Unterlagen von den Klienten beschaffen, allenfalls auch holen, die Belege vorkontieren, die Buchhaltungsunterlagen in den Computer eingeben, die ausgedruckten Konten überprüfen, sämtliche Buchaltungsunterlagen auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüfen, die monatlich von den Klienten zu erbringenden Steuerleistungen hinsichtlich der Lohnabgaben bzw der Umsatzsteuer zusammenstellen und die Klienten teils schriftlich, teils telefonisch verständigen, sämtliche Belege nach dem jeweils für die einzelnen Klienten gültigen Schema ablegen und Maßnahmen bei unvollständig vorgelegten Unterlagen setzen. Die Arbeitszeit war zum Großteil hektisch, weil Buchhaltungsunterlagen immer relativ knapp kamen und daher vor Steuerterminen der Arbeitsanfall immer unter diesem Termindruck stand. Auch aus der Zusammenarbeit mit dem die Buchhaltung verarbeitenden Rechenzentrum ergaben sich immer wieder wegen Terminschwierigkeiten oder Fehlerbereinigungsproblemen hektische Tätigkeiten. Dem letzten Dienstverhältnis wurde der Kollektivvertrag für Handelsangestellte zugrunde gelegt, obwohl die Klägerin dem Kollektivvertrag für Wirtschaftstreuhänder unterlegen wäre. Sie kann die von ihr bisher in der Steuerberatungskanzlei verrichtete Tätigkeit nicht mehr ausüben. Es gibt aber Tätigkeiten, die Ähnlichkeiten mit dieser aufweisen, zB die Tätigkeit einer Karteikraft und Bürohilfskraft, die nach dem Handelsangestellten-Kollektivvertrag in die Beschäftigungsgruppe 2

fallen. Der Tätigkeit einer Verkäuferin ist die Klägerin nicht mehr gewachsen.

Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes sei der Klägerin, deren Tätigkeit als Buchhalterin in die Beschäftigungsgruppe 4 einzustufen und durch besondere geistige und psychische Anforderungen geprägt und sehr qualifiziert und eigenständig gewesen sei, eine Verweisung auf Bürotätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2 wegen des damit verbundenen sozialen Abstieges nicht zumutbar, weshalb sie berufsunfähig im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG sei. Dagegen erhob die beklagte Partei wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung eine auf Klageabweisung, allenfalls Zurückverweisung an die erste Instanz gerichtete Berufung. Das Erstgericht habe aktenwidrig festgestellt, daß die Klägerin nach einstündiger Arbeit in einer Körperhaltung mindestens und nicht etwa 15 Minuten in einer anderen arbeiten müsse, und daß nach langer Arbeit mit hohen, statt sehr hohen Anforderungen eine Ruhepause von 20 Minuten nötig sei. Als Mangel des erstgerichtlichen Verfahrens wurden das Fehlen eines Leistungskalküls für die Zeit vom 1.6. bis 31.12.1987, die Nichtklärung, was unter "sehr hohen Anforderungen" zu verstehen ist und die Nichteinholung eines weiteren berufskundlichen Gutachtens gerügt. In der Beweisrüge wurde die Richtigkeit des berufskundlichen Gutachtens bestritten, insbesondere hinsichtlich der Zuordnung zu den Beschäftigungsgruppen des Handelsangestellten-Kollektivvertrages. Die letzte Tätigkeit der Klägerin könne höchstens der Beschäftigungsgruppe 3 zugeordnet werden. In der Rechtsrüge wurde neben Feststellungsmängeln geltend gemacht, daß die Klägerin ohne unzumutbaren sozialen Abstieg auf Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2 verwiesen werden könne. Das Berufungsgericht gab der Berufung teilweise Folge, bestätigte mit Teilurteil das angefochtene Urteil hinsichtlich der Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß vom 1.1.1988 an und hinsichtlich der aufgetragenen vorläufigen Leistungen als Teilurteil, hob es jedoch im übrigen mit Beschluß auf und trug dem Erstgericht insoweit unter Rechtskraftvorbehalt eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Den Aufhebungsbeschluß begründete es damit, daß für die Zeit vom 1.6. bis 31.12.1987 kein Leistungskalkül vorliege.

Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit sei nicht wesentlich, die gerügten Verfahrensmängel lägen nicht vor. Selbst wenn man davon ausginge, daß die letzte Tätigkeit der Klägerin in die Beschäftigungsgruppe 3 einzustufen sei, wäre die Verweisung auf Bürotätigkeiten der nächstniedrigeren Beschäftigungsgruppe wegen des damit verbundenen sozialen Abstieges unzumutbar, weil das bisherige Betätigungsfeld der Klägerin durch überdurchschnittliche Anforderungen an Selbständigkeit geprägt gewesen und als qualifizierte und verantwortliche Arbeit einzustufen sei, während für die dem Leistungskalkül entsprechenden untergeordneten Verweisungstätigkeiten weder besondere Fähigkeiten, noch irgendeine Einschulung notwendig seien.

Nur gegen das Teilurteil des Berufungsgerichtes richtet sich die nicht beantwortete Revision der beklagten Partei wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, es im klageabweisenden Sinne abzuändern oder allenfalls die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die Klägerin, die das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, würde nach § 273 Abs 1 ASVG dann als berufsunfähig gelten, wenn ihre Arbeitsfähigkeit infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken wäre.

Der erkennende Senat hat in der Entscheidung SSV-NF 2/73 ausführlich begründet, daß es sich bei der Pensionsversicherung der Angestellten um eine Berufs(Gruppen)versicherung handelt, deren Leistungen bereits einsetzen, wenn der Versicherte infolge seines körperlichen und/oder geistigen Zustandes einen Beruf seiner Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann. Dabei ist von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den er zuletzt ausgeübt hat. Dieser Beruf bestimmt das Verweisungsfeld, das sind alle Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen. Dies ist seither ständige Rechtsprechung (SSV-NF 2/92, 3/108, 156 ua).

Daß ein Angestellter nur auf Berufe verwiesen werden darf, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen wie sein zuletzt ausgeübter Angestelltenberuf, gewährt ihm den sogenannten Berufsschutz.

Dazu hat der erkennende Senat insbesondere in SSV-NF 3/108 ausgesprochen, daß ein Angestellter auch innerhalb seiner Berufsgruppe nicht auf Berufe verwiesen werden darf, die für ihn einen unzumutbaren sozialen Abstieg bedeuten würden. Dabei komme es auf den sozialen Wert an, den die Allgemeinheit der Ausbildung und den Kenntnissen und Fähigkeiten des Versicherten (am Stichtag) beimesse. Die Einstufung einer Tätigkeit im Kollektivvertrag könne dafür ein Indiz bilden und daher zur Beurteilung des sozialen Wertes herangezogen werden.

In diesem Sinne hat der erkennende Senat schon wiederholt ausgesprochen, daß die Verweisung einer Handelsangestellten der Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrages auf Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2 in der Regel mit keinem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden ist, auch wenn es sich dabei um Arbeiten mit weniger Eigenverantwortung handelt. Gewisse Einbußen an Entlohnung und Sozialprestige muß ein Versicherter hinnehmen (zB SSV-NF 3/13, 80 und 156).

Nach richtiger rechtlicher Beurteilung verlangte die zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit der Klägerin als (angelernte) Buchhalterin keine Ausbildung und keine Kenntnisse und Fähigkeiten, die über die zB für Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrages für Handelsangestellte erforderlichen hinausgingen. Diese Tätigkeit ging bei richtiger rechtlicher Beurteilung auch nicht über diese Beschäftigungsgruppe hinaus, in die Angestellte einzureihen sind, die auf Anweisung schwierige Tätigkeiten selbständig ausführen, während es sich bei Angestellten der Beschäftigungsgruppe 4 um solche mit selbständiger Tätigkeit handelt, die in größerem Umfang Entscheidungs- und Verfügungsbefugnisse besitzen und besonders qualifizierte Arbeiten verrichten (SSV-NF 3/13 und 80), wovon bei der Klägerin keine Rede sein kann.

Ihre Tätigkeit, auf die übrigens der für alle Angestellten der Mitglieder der Kammer der Wirtschaftstreuhänder geltende Kollektivvertrag zwischen dieser Kammer und der Gewerkschaft der Privatangestellten, Sektion Handel, Verkehr, Vereine und Fremdenverkehr anzuwenden ist, weist sowohl Tätigkeitsmerkmale der Gruppe II (Angestellte, die einfache buchhalterische Arbeiten oder Büroarbeiten mit und ohne Verwendung maschineller Behelfe verrichten) als auch der Gruppe III (Durchführung buchhalterischer Arbeiten mit Fähigkeit zur Erstellung einfacher Bilanzen..., Lohnbuchhalter und Lohnabrechner), keinesfalls aber der Gruppe IV (Bilanzbuchhalter) des genannten Kollektivvertrages auf. Diese Mischtätigkeit kann daher höchstens mit den in der Beschäftigungsgruppe 3 lit c des Handelsangestellten-Kollektivvertrages genannten Tätigkeiten im Büro- und Rechnungswesen verglichen werden.

Entgegen der Meinung der Vorinstanzen kann die Klägerin daher ohne unzumutbaren sozialen Abstieg auf die ihrer seit 1.1.1988 festgestellten Arbeitsfähigkeit entsprechenden Bürotätigkeiten zB der Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrages für Handelsangestellte verwiesen werden, so daß sie seither nicht als berufsunfähig im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG gilt; weil sie deshalb - jedenfalls seit 1.1.1988 - keinen Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension hat, war der Revision Folge zu geben und waren die Urteile der Vorinstanzen insoweit im klageabweisenden Sinne abzuändern.

Über den Anspruch der Klägerin auf Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß für die Zeit vom 1.6. bis 31.12.1987 wird das Erstgericht aufgrund des mangels Anfechtung bereits rechtskräftigen Aufhebungsbeschlusses des Berufungsgerichtes nach der ihm darin aufgetragenen Ergänzung des Verfahrens neuerlich zu entscheiden haben.

Anmerkung

E22051

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00346.89.0918.000

Dokumentnummer

JJT_19900918_OGH0002_010OBS00346_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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