TE OGH 1990/9/18 10ObS428/89

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Veröffentlicht am 18.09.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Franz Trabauer (AG) und Gerhard Gotschy (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Nicole M***, 5020 Salzburg, Ganshofstraße 16, vertreten durch Dr.Alex Pratter und Dr.Peter Lechenauer, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei P*** DER A***,

1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.September 1989, GZ 12 Rs 143/89-40, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 17.Mai 1989, GZ 20 Cgs 41/88-36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin vom 1.5.1987 an eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, wird abgewiesen."

Die Klägerin hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 25.1.1988 wies die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 6.4.1987 auf Berufsunfähigkeitspension mangels Berufsunfähigkeit ab.

Die dagegen rechtzeitig erhobene, auf die abgewiesene Leistung im gesetzlichen Ausmaß vom 1.5.1987 an gerichtete Klage stützte sich im wesentlichen darauf, daß die ausschließlich als Verkäuferin für Tabakwaren tätig gewesene Klägerin wegen eines schwer einstellbaren Diabetes mellitus, einer schweren Myasthenie und eines Zustandes nach einer Netzhautoperation keiner zumutbaren Tätigkeit nachgehen könne.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage, weil die als kaufmännische Angestellte tätig gewesene Klägerin ihre bisherige Berufstätigkeit oder eine ähnliche zumutbare Beschäftigung ausüben könne.

Das Erstgericht erkannte das Klagebegehren vom 1.5.1987 an als dem Grunde nach zu Recht bestehend und trug der beklagten Partei mit 17.5.1989 an eine vorläufige Zahlung von 6.000 S monatlich auf.

Dabei ging es im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Die am 26.3.1948 geborene Klägerin leidet an einem mit Diät und Insulin gut eingestellten Diabetes mellitus, an einer Myasthenie, die sich besonders auf die Augen auswirkt, und an einem Zustand nach Entfernung der Thymusdrüse. Weiters bestehen eine hochgradige beiderseitige Kurzsichtigkeit und ein Zustand nach Operation einer Netzhautablösung des rechten Auges. Die seit Kindheit bestehende Kurzsichtigkeit wird mit gut verträglichen Kontaktlinsen korrigiert, womit eine ausreichende Sehschärfe erreicht wird. Die Sehschärfe des rechten Auges ist nach der Operation der Netzhautablösung etwas vermindert. Die Maysthenie ist seit der Entfernung eines Thymustumors aus dem Brustraum wesentlich gebessert und durch Schonung kompensiert. Die Restbeschwerden könnten nur durch einen während einer stationären Durchuntersuchung durchzuführenden, von der Klägerin aber abgelehnten Curare-Test exakt beurteilt werden. Trotz dieser Leiden kann die Klägerin seit der Antragstellung körperlich ausschließlich leichte Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen, im Freien und in geschlossenen Räumen verrichten und Lasten bis zu 5 kg heben und tragen. Eine regelmäßige Diäternährung muß möglich sein. Ein Achtstundentag ist nur bei monotoneren Arbeiten zumutbar, wobei alle ein bis zwei Stunden die Möglichkeit zu Pausen von fünf bis zehn Minuten eingeräumt werden muß. Die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes ist nicht eingeschränkt.

Die Klägerin studierte nach der Matura mehrere Jahre an einer französischen Universität Germanistik. Sie lebt seit 1972 in Österreich, wo sie zwei Jahre als Austauschassistentin an Gymnasien arbeitete. Ein Jahr war sie Vertragslehrerin am Gymnasium Bad Reichenhall. Dann hielt sie freiberuflich Französischkurse an Volkshochschulen. Seit 1980 war sie kaufmännische Angestellte im Handelsbetrieb ihres Mannes. Dabei führte sie einfache Büroarbeiten durch, zeitweise war sie als Verkäuferin in der Tabaktrafik (ihres Mannes) tätig. Die geforderten Arbeitspausen würden den Arbeitsablauf in einem Betrieb erheblich stören. Bei Bürotätigkeiten wäre deshalb ein besonderes Entgegenkommen des Dienstgebers notwendig. Auch bei Verkaufstätigkeiten wäre mit Schwierigkeiten zu rechnen. In manchen weniger frequentierten Verkaufsgeschäften könnten die geforderten Pausen eingehalten werden, doch wäre die Arbeitsfähigkeit erheblich gestört, würden bei der Bedienung unerwartet Doppelbilder auftreten.

Deshalb erachtete das Erstgericht die Berufsunfähigkeit als gegeben.

In der wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung bekämpfte die beklagte Partei die Annahme noch bestehender Myastheniefolgen. Die Klägerin hätte die behauptete Myasthenie nicht beweisen können, weil sie den Curare-Test verweigert habe. Auch dann, wenn man von dem unter Bedachtnahme auf diese Krankheit erstellten Leistungskalkül ausgehe, wäre die Klägerin wegen der notwendigen zusätzlichen Arbeitspausen nicht berufsunfähig.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.

Es übernahm die bekämpfte Feststellung und führte zur Rechtsrüge im wesentlichen aus, daß so häufige Arbeitsunterbrechungen über das tolerierbare Maß hinausgingen, weil solche Zusatzpausen üblicherweise in kaufmännischen Betrieben nicht gewährt würden. Die Klägerin sei daher auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr verweisbar.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die Klägerin würde als berufsunfähig gelten, wenn ihre Arbeitsfähigkeit infolge eines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken wäre (§ 273 Abs 1 ASVG). Bei dieser Prüfung ist von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den die Klägerin zuletzt ausgeübt hat. Dieser Beruf bestimmt das Verweisungsfeld, das sind alle Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (zB SSV-NF 2/73 mwN).

Die Klägerin hatte seit 1980 im Minigolfzubehör vertreibenden Handelsbetrieb ihres Mannes nach dessen Anweisungen verschiedene einfache Bürotätigkeiten (Vorarbeiten für die Buchführung, Warenbestellung, Korrespondenzen mit Geschäftspartnern, Rechnungsausstellung, Versand bestellter Waren) zu verrichten. Daneben war sie auch als Verkäuferin in der Tabaktrafik ihres Mannes beschäftigt. Sie war daher eine kaufmännische Angestellte, die einfache Tätigkeiten im Büro und Rechnungswesen sowie im Verkauf iS der Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrages für die Angestellten und Lehrlinge der der Sektion Handel der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft angehörenden Betriebe ausgeführt hat. Deshalb kann sie jedenfalls auf ihrer Arbeitsfähigkeit entsprechende Tätigkeiten dieser Beschäftigungsgruppe verwiesen werden. Beträgt die Gesamtdauer der Tagesarbeitszeit mehr als sechs Stunden, so ist die Arbeitszeit nach § 11 Abs 1 Satz 1 AZG durch eine Ruhepause von mindestens einer halben Stunde zu unterbrechen. Wenn es im Interesse der Arbeitnehmer des Betriebes gelegen oder aus betrieblichen Gründen notwendig ist, können nach Satz 2 des zitierten Abs anstelle einer halbstündigen Ruhepause zwei Ruhepausen von je einer Viertelstunde oder drei Ruhepausen von je zehn Minute gewährt werden.

Nach diesen Bestimmungen hat die Klägerin keinen gesetzlichen Anspruch auf die von ihr alle ein bis zwei Stunden benötigten fünf bis zehnminütigen Arbeitspausen.

Der erkennende Senat hat es aber schon in der Entscheidung SSV-NF 2/97 als wahrscheinlich angesehen, daß es insbesondere bei Bürotätigkeiten, bei denen sich der Arbeitnehmer seine Arbeit häufig selbst einteilen könne, eine ausreichende Zahl von Betrieben gebe, die allen, einzelnen Gruppen oder einzelnen Arbeitnehmern neben der halbstündigen Mittagspause am Vor- und am Nachmittag je eine mindestens zehnminütige Kurzpause ohne oder sogar mit Einrechnung in die Arbeitszeit ausdrücklich einräumen oder stillschweigend zugestehen. Auch ohne Einrechnen dieser zusätzlichen Kurzpausen in die Arbeitszeit würde diese nicht verlängert, weil die Arbeitszeit iS des AZG nach dessen § 2 Abs 1 Z 1 die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Arbeitspausen ist. Sollte es eine ausreichende Zahl von zumutbaren Arbeitsplätzen mit den benötigten zusätzlichen Ruhepausen geben, dann wäre ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers nicht erforderlich und auch kein Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt gegeben (ähnlich SSV-NF 2/106, in welchem Fall die Klägerin neben einer Mittagspause von 30 Minuten in zeitlichen Abständen von zwei Stunden Pausen von zehn Minuten benötigte).

In der Entscheidung SSV-NF 2/145, die eine an einer insulinpflichtigen labilen Zuckerkrankheit leidende kaufmännische Angestellte betraf, die während der Arbeitszeit mehrere kurze Pausen zur Einnahme kleinerer Mahlzeiten und für die Blutzuckermessung brauchte, führte der erkennende Senat aus, daß dafür kein besonderes Entgegenkommen des Dienstgebers erforderlich sei. Solche kleine Nahrungsaufnahmen während der Arbeitszeit würden bei nicht mit Kundenverkehr verbundenen Bürotätigkeiten ganz allgemein ebenso geduldet wie Blutzuckermessungen, die nur wenige Minuten dauerten und ohne Störung des Dienstbetriebes in Sanitärräumen durchgeführt werden könnten.

In der Entscheidung SSV-NF 3/107 bezeichnete es der erkennende Senat als der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechend und bei einfachen Bürotätigkeiten, die keiner besonderen Streßsituation oder stoßweisem Kundenverkehr unterliegen, als geradezu üblich, daß ohne besonderes Entgegenkommen des Dienstgebers eine kurze Arbeitspause am Vormittag und am Nachmittag mit Einrechnung in die Arbeitszeit eingehalten werde. Bei Nichteinrechnung in die Arbeitszeit könnten solche geringfügigen Pausen in diesen Berufen aber jedenfalls vor oder nach der üblichen Arbeitszeit eingebracht werden. Diese - auch in nicht veröffentlichten Entscheidungen des erkennenden Senates vertretenen - Rechtsausführungen sind auch auf den - insbesondere dem der Entscheidung SSV-NF 2/145 sehr ähnlichen - vorliegenden Fall anzuwenden.

Daraus folgt, daß die Klägerin entgegen der Meinung der Vorinstanzen seit dem 1.5.1987 noch nicht berufsunfähig im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG ist, weil ihre Arbeitsfähigkeit infolge ihres Gesundheitszustandes noch nicht auf weniger als die Hälfte derjenigen einer gesunden kaufmännischen Angestellten, die einfache Tätigkeiten in der Beschäftigungsgruppe 2 des zitierten Kollektivvertrages ausführt, herabgesunken ist. Mangels Berufsunfähigkeit hat die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Leistung (§ 271 Abs 1 ASVG).

Daher war der Revision Folge zu geben. Die klagestattgebenden Urteile der Vorinstanzen waren im klageabweisenden Sinne abzuändern. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Anmerkung

E21775

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00428.89.0918.000

Dokumentnummer

JJT_19900918_OGH0002_010OBS00428_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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