TE OGH 1990/9/18 10ObS252/90

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Veröffentlicht am 18.09.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Franz Trabauer (Arbeitgeber) und Gerhard Gotschy (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maria N***, Pensionistin, 2130 Hüttendorf 75, vertreten durch Dr. Karl Claus, Rechtsanwalt in Mistelbach, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien,

Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Entziehung der Berufsunfähigkeitspension, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. März 1990, GZ 32 Rs 28/90-31, womit der Beschluß des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 31. Oktober 1989, GZ 17 Cgs 322/89-20, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 9.12.1977 anerkannte die beklagte

P*** DER A*** den Anspruch der am 31.3.1946 geborenen Klägerin auf Berufsunfähigkeitspension gemäß § 271 ASVG mit Beginn am 3.7.1974.

Am 14.4.1982 stellte die Klägerin den Antrag auf "Aberkennung" dieser Berufsunfähigkeitspension. Die beklagte Partei teilte der Klägerin daraufhin mit, daß eine Entziehung der Berufsunfähigkeitspension nur erfolgen könne, wenn eine Nachuntersuchung ergebe, daß keine Berufsunfähigkeit mehr bestünde. Eine Nachuntersuchung würde durchgeführt, wenn die Klägerin länger als ein halbes Jahr in Beschäftigung stehe.

Am 11.4.1983 brachte die Klägerin beim damaligen Schiedsgericht der Sozialversicherung für Niederösterreich in Wien eine Säumnisklage ein. Der beklagten Partei sei bekannt, daß die Voraussetzungen für den Bezug der Berufsunfähigkeitspension ab 1.8.1979 nicht mehr vorhanden seien, weshalb die Leistung gemäß § 99 ASVG zu entziehen gewesen wäre. Bei der Klägerin liege keine Berufsunfähigkeit wegen Geisteskrankheit vor. Sie begehre das Urteil, daß die beklagte Partei schuldig erkannt werde, die der Klägerin gewährte Berufsunfähigkeitspension mit 1.8.1979 "abzuerkennen" und innerhalb von 14 Tagen "den gesetzlichen Zustand (amtswegige Aufnahme des Verfahrens) wiederherzustellen". Dieses am 15.1.1985 unterbrochene Verfahren wurde auf Grund eines von der Klägerin am 5.4.1989 gestellten Antrages nunmehr beim Erstgericht fortgesetzt.

Die beklagte Partei beantragte die Zurückweisung der Säumnisklage mangels Zulässigkeit des Rechtsweges. Im übrigen sei die Klägerin weiterhin berufsunfähig und ihre Klage mangels Rechtsschutzinteresses abzuweisen.

Das Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters für die Klägerin wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Mistelbach vom 6.9.1990, SW 3/90, eingestellt.

Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Es schloß sich der Ansicht der beklagten Partei an, daß das Begehren auf Aberkennung einer vom Sozialversicherungsträger zuerkannten Leistung keine Leistungssache im Sinne des § 65 Abs.1 ASGG sei. Das ASGG lasse erkennbar ein solches Begehren auch gar nicht zu. Nicht anders könne § 65 Abs.1 Z 1 ASGG verstanden werden, wo Rechtsstreitigkeiten über den "Bestand" eines Anspruchs auf Versicherungsleistungen genannt seien, jedoch der Ausdruck "oder Nichtbestand" vermieden werde. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge. Zutreffend habe das Erstgericht dargelegt, daß das Begehren auf Aberkennung einer vom Sozialversicherungsträger zuerkannten Leistung keine Leistungssache (Sozialrechtssache) im Sinne des § 65 Abs.1 ASGG sei. Aus dem System des ASVG und aus dem ASGG sei kein Rechtsanspruch der Klägerin abzuleiten, daß ihr eine Antragslegitimation auf Aberkennung einer Leistung zukomme. Dies erhelle unter anderem auch aus der Bestimmung des § 67 Abs.1 Z 2 lit.b ASGG. Aus den Bestimmungen der §§ 65 ff ASGG sei der zwingende Schluß abzuleiten, daß ein rechtliches Interesse an der Klagsführung nur dann gegeben sei, wenn der Sozialversicherungsträger eine vom Sozialversicherten begehrte Leistung nicht gewähre. Welche Erwägungen auch immer die Klägerin anstelle, rechtfertigten diese in keiner Weise die Anrufung des Gerichtes, um damit die zuerkannte Leistung zum Wegfall zu bringen. Es liege daher Unzulässigkeit des Rechtsweges vor.

Der dagegen von der Klägerin erhobene Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsmittelwerberin steht auf dem Standpunkt, daß die Säumnisklage nach § 67 Abs.1 Z 2 ASGG deshalb zulässig sei, weil die beklagte Partei über ihren Antrag auf Aberkennung der Berufsunfähigkeitspension nicht entschieden habe. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen.

In einer Leistungssache nach § 65 Abs.1 Z 1 ASGG (Rechtsstreitigkeit über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs auf Versicherungsleistungen) darf - vorbehaltlich des hier nicht anzuwendenden § 68 ASGG - vom Versicherten eine Säumnisklage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger den Bescheid nicht innerhalb von 6 Monaten nach dem Eingang des Antrages auf Zuerkennung der Leistung bzw. auf Feststellung von Versicherungszeiten der Pensionsversicherung erlassen hat (§ 67 Abs.1 Z 2 lit.b ASGG; die lit.a leg.cit. betrifft den hier nicht vorliegenden Fall des § 367 Abs.1 Z 2 ASVG). Schon aus dem Wortlaut der zitierten, die Verfahrensvoraussetzungen für die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens regelnden Gesetzesstelle ergibt sich, daß der Gesetzgeber einem Versicherten das Klagerecht nur gegen die Nichterledigung seines Antrages auf Zuerkennung einer Leistung einräumen wollte, nicht aber gegen die Ab- oder Zurückweisung bzw. Nichterledigung eines im Gesetz nicht vorgesehenen Antrages auf "Aberkennung" einer mit rechtskräftigem Bescheid zugesprochenen Leistung. In Betracht käme hier die Norm des § 99 Abs.1 ASVG, auf die sich die Klägerin in ihrer Säumnisklage ausdrücklich bezogen hat. Sind danach die Voraussetzungen des Anspruches auf eine laufende Leistung nicht mehr vorhanden, so ist die Leistung zu entziehen, sofern nicht der Anspruch gemäß § 100 Abs.1 ASVG ohne weiteres Verfahren erlischt. Die Entziehung dient der Beendigung des Leistungsverhältnisses (Schrammel in Tomandl SV-System 3. ErgLfg. 181); die eigentliche Funktion dieser Institution könnte man als eine Art besonderen Bestandschutzes sehen: Das Ende des Leistungsverhältnisses soll erst nach Durchführung eines besonderen Verfahrens eintreten, in dem das Vorliegen von Beendigungsgründen geprüft wird (Jabornegg, Die Entziehung von Leistungsansprüchen nach § 99 ASVG, DRdA 1983,1 ff Ä7Ü). Für die Feststellung von Leistungsansprüchen in der Pensionsversicherung gilt das Antragsprinzip. Zur Antragstellung ist grundsätzlich jedermann legitimiert, der behauptet, daß ihm ein Leistungsanspruch zusteht. Die Einleitung eines Verfahrens in Leistungssachen, das nicht im Interesse einer Partei gelegen ist, also vor allem nicht der Zuerkennung von Leistungsansprüchen dient, erfolgt dagegen stets von Amts wegen. Insbesondere Verfahren, die auf Entziehung eines Leistungsanspruches abzielen, sind ausschließlich von Amts wegen einzuleiten (Oberndorfer in Tomandl aaO 678; Tomandl, Grundriß4 S 202 f meint ohne weitere Begründung, solche Verfahren würden "meist" amtswegig eingeleitet). Der Entzug einer Leistung ist gemäß § 367 Abs.2 ASVG bescheidmäßig auszusprechen (Oberndorfer aaO 686). Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen ist den Vorinstanzen darin beizupflichten, daß die Rechtsordnung ein Antragsrecht des Rentners oder Pensionisten dahin, daß ihm eine bescheidmäßig zuerkannte Leistung entzogen werde, nicht vorsieht; ein solcher dennoch gestellter Antrag ist unzulässig. Ob dies rechtspolitisch deshalb vertretbar sei, weil der Versicherte in der Möglichkeit, einem Erwerb nachzugehen, durch eine Pensionsleistung nicht gehindert werde und er überdies auf die Leistung durch Erklärung gegenüber dem Versicherungsträger auch verzichten könne (diese Fragen bejahend OLG Wien SVSlg. 5532; offenbar zustimmend Teschner/Fürböck ASVG MGA 46.ErgLfg. 1679 Anm.4 zu § 367; Zur Verzichtsproblematik vgl. Schrammel aaO 156 ff), braucht hier nicht erörtert zu werden. Ist aber jedenfalls der Versicherungsträger zur Erlassung eines Bescheides (auf Entziehung der Leistung) gegenüber dem Pensionsempfänger nicht verpflichtet, so steht diesem auch eine Säumnisklage nicht offen (ebenso OLG Wien aaO und Teschner/Fürböck aaO; vgl. auch SSV 17/46). Die Säumnisklage wurde daher von den Vorinstanzen zutreffend mangels Zulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen (vgl. dazu die Entscheidung vom 20.6.1989, SSV-NF 3/76, wonach gegen den die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes nach § 101 ASVG ablehnenden Bescheid eine Klage nicht zulässig ist).

Dem Revisionsrekurs war daher ein Erfolg zu versagen. Eine Kostenentscheidung hatte mangels Verzeichnung von Kosten zu entfallen.

Anmerkung

E22040

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00252.9.0918.000

Dokumentnummer

JJT_19900918_OGH0002_010OBS00252_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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