TE OGH 1990/9/18 10ObS241/90

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Veröffentlicht am 18.09.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Franz Trabauer (Arbeitgeber) und Gerhard Gotschy (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hermann R***, 5161 Elixhausen, Obergruberstraße 1, vertreten durch Dr. Peter Cardona, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei P***

DER A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20.März 1990, GZ 13 Rs 3/90-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 27.September 1989, GZ 20 Cgs 152/88-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 3.087 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten S 514,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 16.7.1935 geborene Kläger trat nach dem Besuch der Volks- und Hauptschule am 1.2.1950 eine Lehre als Büromaschinenmechaniker an, die er jedoch mit 31.7.1952 wegen Stillegung des Lehrbetriebes vorzeitig aufgab. Seit 20.4.1953 war er bei der Salzburger Aktiengesellschaft für Elektrizitätswirtschaft (Safe) vorerst als Hilfskraft, ab 1964 als provisorischer Werkstättenleiter und ab 1966 als Werkstättenleiter beschäftigt. Er war zuletzt in die Verwendungsgruppe M III des Kollektivvertrages für Angestellte der Elektrizitätsversorgungsunternehmungen (EVU) eingestuft und bezog ein Monatsgehalt von S 32.000. Er war für die gesamte Werkstätte verantwortlich und gebot über ein Mitarbeiterteam von acht bis neun Fachkräften, die seinem Weisungs- und Aufsichtsrecht unterstellt waren. Zu seinen Pflichten zählte unter anderem die Arbeitseinteilung und Arbeitszuweisung der Reparatur- und Umbauarbeiten an Zählern, Anweisung und Beratung der Mitarbeiter, Kontrolle der reparierten Geräte an Hand der Reparaturscheine, Gerätefertigung nach amtlicher Eichung, Führung des Ersatzteilelagers und Neuanschaffung von Werkzeug jeder Art, Durchführung schwierigerer Reparaturen, Führung monatlicher Statistiken über Zählerreparatur, Blitzschäden, Meßtafelbau usw sowie die Einschulung sämtlicher Zählermechaniker. Auf Grund verschiedener Leidenszustände sind dem Kläger noch körperlich leichte und mittelschwere Arbeiten zumutbar. Nach eineinhalb bis zweistündiger Arbeitszeit mit hohen Anforderungen an Tempo, Konzentrations- und Auffassungsvermögen benötigt er eine Ruhepause von etwa 20 Minuten. Bei ungewohnten Arbeiten ist schon früher mit einem Leistungsabfall zu rechnen; Leistungsmängel setzen bereits ein, wenn der Kläger länger als eine Viertelstunde hochkonzentriert sein soll. Er ist psychisch nicht voll belastbar. Umsicht und Dispositionsvermögen, überdurchschnittliche Konzentration, dynamische Umstellfähigkeit, ausgezeichnetes Gedächtnis und Ausdauer, Geschick im Umgang mit Menschen, Geduld und Einfühlungsvermögen besitzt der Kläger nicht mehr. Diese Eigenschaften und Fähigkeiten waren aber Voraussetzung für die vom Kläger zuletzt ausgeübte Tätigkeit.

Die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten wies mit Bescheid vom 18.9.1988 den Antrag des Klägers vom 6.5.1988 auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab.

Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt und erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.6.1988 zu gewähren. Überdies trug es der beklagten Partei die Erbringung einer vorläufigen Zahlung von monatlich S 8.000 ab 27.9.1989 auf. Es vertrat die Auffassung, daß der Kläger den von ihm zuletzt ausgeübten Beruf eines Werkstättenleiters im Bereich der Zähler- und Meßtechnik bei der Safe wegen der damit verbundenen psychischen Belastungen nicht mehr ausüben könne. Verweisungsberufe in regel-, meß- und zähltechnischen Tätigkeiten seien zwar noch vorhanden; da diese Tätigkeiten jedoch heute weitgehend durch Elektronik ersetzt seien, worin der Kläger überhaupt keine Ausbildung besitze, müsse er sich zur Ausübung eines derartigen Berufes Kenntnisse und Fähigkeiten aneignen, die über eine bloße Einarbeitung hinausgingen. Die notwendige Ausbildung könnte nur durch längere Intensivkurse erfolgen, die auch geistige Leistungsanforderungen stellen würden, denen der Kläger nicht mehr gewachsen wäre. Der Kläger sei daher berufsunfähig im Sinn des § 273 (Abs 1) ASVG.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei erhobenen Berufung nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen der gerügten Verfahrensmängel, übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und teilte auch dessen rechtliche Beurteilung. Der Einwand, daß der Kläger auf den Beruf eines Werkstättenleiters auf einem anderen Gebiet als dem der Meß-, Regel- und Zähltechnik verwiesen werden könnte, sei nicht stichhältig, weil der Leiter einer Werkstätte auch fachlich in der Lage sein müßte, die ihm unterstellten Dienstnehmer zu kontrollieren und bei Bedarf zu unterweisen. Der Kläger könne daher nicht auf die Funktion eines Werkstättenleiters in einem von der Ausbildung und den Kenntnissen her fremden Arbeitsgebiet verwiesen werden. Die rein mechanische Regel-, Meß- und Zähltechnik, in der sich der Kläger auf Grund seiner praktischen Tätigkeit Spezialkenntnisse angeeignet habe, sei weitgehend durch Elektronik ersetzt worden, in welchem Bereich der Kläger überhaupt keine Ausbildung habe. Beim Lehrberuf Meß- und Regelmechaniker sei die Weiterbildung vor allem auf dem Gebiet der Mikroelektronik notwendig. Wenn auch nicht im Detail festgestellt worden sei, wie lange der Kläger Fachkurse auf dem Gebiet der Elektronik besuchen müßte, um die für andere Tätigkeiten auf dem Gebiet der Regel-, Meß- und Zähltechnik erforderlichen Fachkenntnisse zu erwerben, könne doch wegen der Schwierigkeit der Materie ausgeschlossen werden, daß dies innerhalb der üblichen betrieblichen Einschulungszeit von etwa drei Monaten möglich wäre. Dazu komme, daß die Konzentrationsfähigkeit des Klägers in für ihn bisher fremden Tätigkeiten zeitlich sehr begrenzt sei. Der Kläger sei somit innerhalb seiner Berufsgruppe nicht mehr verweisbar und daher berufsunfähig.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der beklagten Partei.

Der Kläger beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Pensionsversicherung der Angestellten ist eine Berufs(gruppen)Versicherung, deren Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit, die Berufsunfähigkeitspension, bereits einsetzt, wenn der Versicherte infolge seines körperlichen und/oder geistigen Zustandes einen Beruf seiner Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann. Dabei ist von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den der Versicherte zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübt hat; dieser Beruf bestimmt das Verweisungsfeld, das heißt die Summe aller Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (SSV-NF 2/73, 2/92 mwN uva). Dabei kommt es allerdings nur darauf an, welcher Berufsart die Tätigkeit des Versicherten allgemein und nicht nach ihrer besonderen Ausprägung an einem bestimmten Arbeitsplatz zuzuordnen ist. Die arbeitsplatzbezogene besondere Art der Tätigkeit ist nur entscheidend, wenn der genannte Versicherungsfall nach § 273 Abs 3 lit c ASVG zu prüfen ist (SSV-NF 3/41; 6.2.1990, 10 Ob S 30/90), was beim Kläger schon mangels Vollendung des 55. Lebensjahres nicht der Fall ist.

Die zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit muß jedoch eine solche Tätigkeit gewesen sein, die ihrem Inhalt nach (vgl SSV-NF 3/2) gemäß § 14 Abs 1 ASVG die Versicherungszugehörigkeit und damit gemäß § 245 ASVG die Leistungszugehörigkeit zur Pensionsversicherung der Angestellten begründet. Der Versicherte darf nämlich nicht auf eine Tätigkeit verwiesen werden, durch deren Ausübung er den Berufsschutz nach § 273 ASVG verlieren würde. Eine Tätigkeit als Arbeiter hat daher bei der Bestimmung des Verweisungsfeldes nach § 273 außer Betracht zu bleiben (SSV-NF 3/123 mwN).

Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, hat der Kläger in seiner Eigenschaft als Werkstättenleiter überwiegend Angestelltentätigkeiten verrichtet, und zwar höhere nicht kaufmännische Dienste (§ 1 Abs 1 AngG). Als Kriterien für höhere nicht kaufmännische Dienste werden eine größere Selbständigkeit und Denkfähigkeit, höhere Intelligenz, Genauigkeit und Verläßlichkeit sowie die Fähigkeit der Beurteilung der Arbeiten anderer, Aufsichtsbefugnis, überwiegend nicht manuelle Arbeit und eine gewisse Einsicht in den Produktionsprozeß gefordert; als Beispiele werden etwa Werkmeister, Schicht- oder Partieführer, Ausbilder in Lehrwerkstätten und dergleichen genannt (Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4 135; Martinek-Schwarz, AngG6 56 ff.). Hätte der Kläger ohne Leitungs- und Aufsichtsfunktion nur mechanische Arbeiten vorgenommen, wären darin keine höheren nicht kaufmännischen Dienste zu erblicken gewesen. Bei Prüfung eines Pensionsanspruches wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ist für die Frage, ob die Anspruchsvoraussetzungen nach § 255 ASVG oder § 273 ASVG zu prüfen sind, nach ständiger Rechtsprechung die tatsächlich verrichtete Tätigkeit entscheidend; die arbeitsvertragliche Einstufung als Arbeiter oder Angestellter ist dafür ebensowenig maßgeblich wie eine in einem Kollektivvertrag vorgenommene Einstufung

(SSV-NF 3/156 mwN). Die Einstufung in eine Verwendungsgruppe der Meister nach dem Kollektivvertrag für Angestellte der EVU ist daher im vorliegenden Fall nicht entscheidend. Im übrigen ist darauf zu verweisen, daß es sich bei dem Meß- und Regelmechaniker um einen Lehrberuf und nicht um einen Angestelltenberuf handelt (vgl Berufslexikon Band I "Lehrberufe" 225 f.).

Die Ansicht der Revisionswerberin, die Verweisbarkeit des Klägers scheitere nicht an seiner Gesundheit, sondern am Mangel des Fachwissens im Bereich Elektronik, geht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Wie bereits gesagt, ist beim Kläger die Tätigkeit als Werkstättenleiter zur Bestimmung des Verweisungsfeldes heranzuziehen. Eine solche Tätigkeit erfordert nach den Feststellungen Umsicht und Dispositionsvermögen, überdurchschnittliche Konzentration, dynamische Umstellfähigkeit, ausgezeichnetes Gedächtnis und Ausdauer, Geschick im Umgang mit Menschen, Geduld und Einfühlungsvermögen. All diese Eigenschaften besitzt der Kläger infolge seines körperlichen und geistigen Zustandes nicht mehr, wobei weiters auf die erstgerichtliche Feststellung Bedacht genommen werden muß, wonach der Kläger psychisch nicht mehr voll belastbar ist. Bei diesem Leistungskalkül scheidet aber nicht nur die bisherige Tätigkeit eines Werkstättenleiters auf dem Gebiet der Regel- Meß- und Zähltechnik aus, sondern eine Verweisung auf jede Tätigkeit eines Werkstättenleiters überhaupt. Die vorausgesetzte Leitungs- und Aufsichtsfunktion kann der Kläger nämlich auf Grund seines festgestellten Leistungskalküls nicht mehr ausüben; würde man ihn aber auf Tätigkeiten ohne Leitungs- und Aufsichtsfunktion verweisen, wären dies Arbeitertätigkeiten und würden, wie oben ausgeführt, zum Verlust seines Berufsschutzes führen. Aus diesen Erwägungen kann unerörtert bleiben, ob es dem Kläger zum Nachteil gereichen müßte, daß er keine Kenntnisse auf dem Gebiet der Elektronik erworben hat und ob ihm der Erwerb solcher Kenntnisse im Rahmen einer Umschulung zumutbar wäre. Die Vorinstanzen haben daher im Ergebnis zutreffend eine Verweisbarkeit des Klägers im Rahmen seiner Berufsgruppe verneint und Berufsunfähigkeit im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG angenommen.

Mit diesem Ergebnis stehen auch die von der Revisionswerberin zitierten oberstgerichtlichen Entscheidungen nicht in Widerspruch. Die Entscheidung vom 26.9.1989, 10 Ob S 160/89 = SSV-NF 3/108 betraf einen Versicherten, der jahrelang vor dem Stichtag nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stand, wozu ausgeführt wurde, daß bei Prüfung des Anspruches auf Berufsunfähigkeitspension für die Frage, ob mit einem Verweisungsberuf ein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden ist, der soziale Wert wesentlich angesehen werden muß, den die Ausbildung und die Kenntnisse und Fähigkeiten, die in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit von Bedeutung waren, unter den Verhältnissen zur Zeit des Stichtages haben. In der Entscheidung vom 6.2.1990, 10 Ob S 30/90, wurde ausgeführt, daß geringere Kenntnisse und Fähigkeiten und eine schlechtere Ausbildung in der Frage, ob eine Verweisungstätigkeit mit einem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden wäre, zu keiner günstigeren Beurteilung gegenüber besser ausgebildeten Versicherten führen können, welche die gleiche Tätigkeit verrichtet haben. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um die Frage des sozialen Abstieges, sondern darum, daß Tätigkeiten, auf die der Kläger nach seinem Leistungskalkül noch verwiesen werden könnte, keine Angestelltentätigkeiten wären und die Nichtverweisbarkeit auf solche Tätigkeiten nicht mit einem sozialen Abstieg begründet wurde.

Ausgehend von diesen Erwägungen braucht auch nicht auf den weiteren Einwand der Revisionswerberin eingegangen zu werden, wonach der Kläger eine Lehre als Büromaschinenmechaniker zu 2/3 zurückgelegt hat. Auch eine Verweisung auf den Lehrberuf des Büromaschinenmechanikers käme nicht in Betracht.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASVG. Bei Errechnung der Kosten für die Revisionsbeantwortung war jedoch nicht die vom Klagsvertreter angenommene Bemessungsgrundlage von S 288.000, sondern gemäß § 77 Abs 2 ASGG eine solche von S 50.000 zugrunde zu legen, woraus sich eine erhebliche Reduzierung der zugesprochenen gegenüber den verzeichneten Kosten ergibt.

Anmerkung

E22231

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00241.9.0918.000

Dokumentnummer

JJT_19900918_OGH0002_010OBS00241_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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