TE OGH 1990/9/25 15Os103/90 (15Os104/90)

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Veröffentlicht am 25.09.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25.September 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Siegl als Schriftführer in der Strafsache gegen Lothar R*** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 StGB sowie anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 3.Jänner 1990 und vom 31. Juli 1990, AZ 7 Bs 497/89, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren zum AZ 22 E Vr 158/89 des Landesgerichtes Feldkirch verletzen Beschlüsse des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht, AZ 4 Bs 497/89, das Gesetz, und zwar 1./ der Beschluß vom 3.Jänner 1990 - in der Bestimmung des § 45 Abs. 2 StPO; und

2./ der Beschluß vom 31.Juli 1990 - in der Bestimmung des § 82 StPO.

Text

Gründe:

Im bezeichneten Rechtsmittelverfahren wies das Oberlandesgericht Innsbruck in der Berufungsverhandlung vom 3.Jänner 1990 den Antrag des Angeklagten auf Gewährung der Akteneinsicht in die Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft unter Hinweis auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (vom 21.September 1989, 12 Os 94,85/89) "in der Sache R***" mit der Begründung ab, daß davon Schriftstücke ausgenommen seien, die dem Beratungsgeheimnis unterliegen, also alle jene Aktenteile, die Rückschlüsse auf die Willensbildung des Senates zulassen; dies treffe auch auf die schriftliche Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft zu, weil sie (von einem Senatsmitglied) mit Anmerkungen zur Sache versehen worden sei.

Nach dem rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens beantragte der Verteidiger zur Vorbereitung einer Beschwerde an die Menschenrechtskomission neuerlich die Bewilligung der Einsicht in den "vollständigen Originalakt" des Oberlandesgerichtes Innsbruck, und zwar insbesondere in "allfällige Croquis der Oberstaatsanwaltschaft und allfällige Urteilsentwürfe des Oberlandesgerichtes". Diesem Antrag entsprach das Rechtsmittelgericht am 31.Juli 1990 - inhaltlich einen Teil des Begehrens abweisend - nur insofern, als es den relevierten Akt zwar zur Ermöglichung der Einsicht durch den Verteidiger dem Bezirksgericht Feldkirch übersandte, die Beratungsprotokolle und die schriftliche Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft aber unter Hinweis auf den zuvor erwähnten Beschluß vom 3.Jänner 1990 zurückbehielt.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschlüsse des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 3. Jänner 1990 und vom 31.Juli 1990 stehen insoweit, als dem Angeklagten damit die Einsicht in die Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft verwehrt wurde, mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Bereits mit dem vom Berufungsgericht zitierten Urteil, AZ 12 Os 94,95/89, hat der Oberste Gerichtshof klargestellt, daß die schriftliche Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft nicht zu den von der Einsicht durch die Parteien ausgenommenen Aktenstücken gehört und daher von der Mitteilung der Anklageschrift bis zur Rechtskraft des Urteils gemäß § 45 Abs. 2 StPO jedenfalls sowie nachher unter den Voraussetzungen des § 82 StPO der Akteneinsicht unterliegt.

Jene Passage des in Rede stehenden Erkenntnisses jedoch, wonach das "naturgemäß ausschließlich für den unveränderten Text" gelte "und nicht für Schriftstücke, die von Senatsmitgliedern mit Glossen, Zusätzen und Streichungen versehen wurden und die daher aus ihrem äußeren Erscheinungsbild Rückschlüsse auf die Willensbildung innerhalb des entscheidenden Kollegialorgans, also auf dem Beratungsgeheimnis unterliegende Vorgänge zulassen könnten", ist vom Oberlandesgericht Innsbruck ersichtlich mißverstanden worden: sie hebt nur die Verpflichtung des Gerichtes hervor, bei der Freigabe solcher Schriftstücke zur Einsichtnahme dafür Sorge zu tragen, daß dabei auch in Ansehung derartiger Meinungsäußerungen das Beratungsgeheimnis gewahrt bleibt, indem für den Fall, daß das ursprüngliche Erscheinungsbild des Originals nicht wiederhergestellt werden kann, entsprechende Gleichschriften, Fotokopien oder Abschriften zur Verfügung zu stellen sind.

In diesem Sinn muß die schriftliche Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft jedenfalls für den Verteidiger einsehbar sein, sodaß allenfalls erforderliche Anmerkungen durch Senatsmitglieder zweckmäßigerweise von vornherein auf einer Zweitausfertigung oder einer Fotokopie angebracht werden sollten, um das Original für eine etwaige Akteneinsicht verfügbar zu halten; keinesfalls aber kann das Recht des Angeklagten auf Einsicht dadurch verloren gehen, daß auf der Originalstellungnahme Bemerkungen angebracht werden, die einen Rückschluß auf die Meinung eines Senatsmitgliedes zulassen.

In Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes waren daher die aufgezeigten Gesetzesverletzungen wie im Spruch festzustellen. Eine konkrete Maßnahme hiezu iS § 292 letzter Satz StPO ist im Hinblick darauf entbehrlich, daß der rechtswidrig abgewiesene Teil der Anträge jederzeit wiederholt werden kann.

Anmerkung

E21843

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0150OS00103.9.0925.000

Dokumentnummer

JJT_19900925_OGH0002_0150OS00103_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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