TE OGH 1990/10/23 10ObS356/90

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Veröffentlicht am 23.10.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Alfred Happi und Oskar Harter (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johanna A***, Landwirtin, 2000 Stockerau, Zissersdorf 31, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und Dr. Hans Pucher, Rechtsanwälte in St.Pölten, wider die beklagte Partei S***

DER B*** (Landesstelle NÖ/Wien), 1031 Wien, Ghegastraße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Versehrtenrente, allenfalls Feststellung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27-August 1990, GZ 32 Rs 133/90-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 25.April 1990, GZ 17 Cgs 12/90-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Rechtsmittelkosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist im von ihrem Ehegatten geführten landwirtschaftlichen Betrieb in Zissersdorf 31, dessen Einheitswert im Hinblick auf 37,74 ha Eigengrund, davon verpachtet 1,70 ha, und 8,44 ha Pachtgrund sicher 2.000 S übersteigt, tätig und daher nach § 3 Abs 1 Z 2 und Abs 2 BSVG als Familienangehörige in der Unfallversicherung pflichtversichert. In diesem landwirtschaftlichen (Vollerwerbs-)Betrieb erlitt sie am 11.9.1989, einem Montag, gegen 16.00 Uhr in der Küche beim Zubereiten einer Himbeerbowle einen Unfall. Sie wollte die im Garten gepflückten Früchte mit Sekt aufgießen. Beim Öffnen der Sektflasche fuhr der drahtgesicherte Korken aus der Flasche und prallte gegen das rechte Auge der Klägerin, wodurch sie ein Sekundärglaukom erlitt, das an der Universitätsaugenklinik in Wien konservativ behandelt werden mußte. Die Sozialversicherungsanstalt der Bauern lehnte eine Leistung aus der Unfallversicherung für die Folgen des Ereignisses vom 11.9.1989 nach den §§ 175 ff ASVG mit Bescheid vom 9.1.1990 ab, weil das Öffnen der Sektflasche nicht unter Versicherungsschutz gestanden sei.

Das Erstgericht wies die auf eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß, allenfalls auf Feststellung, daß es sich bei diesem Unfall um einen Arbeitsunfall im Sinne der §§ 175 ff ASVG handle, gerichtete Klage mit der Begründung ab, daß das Trinken der Bowle ausschließlich zum privaten, nichtversicherten Lebensbereich zu zählen sei.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge, weil es die Rechtsansicht des Erstgerichtes teilte. Das Öffnen einer Sektflasche zum Ansetzen einer Bowle stelle keine eigentliche Haushaltstätigkeit dar.

Dagegen richtet sich die unbeantwortet gebliebene Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern oder die Urteile der Vorinstanzen allenfalls aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Nach § 175 Abs 3 Z 1 ASVG gelten in einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb als Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich bei der Arbeit im Haushalt des Betriebsinhabers oder der Dienstnehmer ereignen, wenn der Haushalt dem Betrieb wesentlich dient.

In land- und forstwirtschaftlichen Betrieben sind Betrieb und Haushalt regelmäßig so eng miteinander verflochten, daß der Versuch einer reinlichen Scheidung der betrieblichen und hauswirtschaftlichen Sphäre unlösbare Problem aufwerfen würde. Wenn der Haushalt dem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb wesentlich dient, ist die Arbeit im Haushalt generell der Arbeit im Betrieb gleichgestellt. Dies gilt für den Haushalt des Landwirts ebenso wie für den Haushalt des Landarbeiters. Dient der Haushalt wesentlich dem Betrieb, was hier zweifellos der Fall ist, weil es sich um einen landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb handelt, dann gilt jede hauswirtschaftliche und jede sonstige häusliche Tätigkeit als versichert, wenn es sich nicht um Verrichtungen rein persönlicher Art - wie Essen, Trinken, An- und Auskleiden - handelt (zB Schrammel, Der Arbeitsunfall in der Landwirtschaft VersRdsch 1970, 140 ff [144 f, 149]; Tomandl in Tomandl, SV-System 4.ErgLfg 288 f mwN; derselbe Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 Rz 137;

Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung II 60. N 496 a, b mwN;

Lauterbach, Unfallversicherung3 33.Lfg III § 777 RVO Rz 1,4;

ständige Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Wien zB SSV 20/75 =

SVSlg 25.575; SSV 22/47 = SVSlg 27.185; SSV 23/66 = SVSlg 29.037;

SSV 25/115 = SVSlg 31.218; SVSlg 31.220; SSV 25/156 = SVSlg 31.221;

SVSlg 32.759, 32.760 und 32.761).

Im Sinne dieser zutreffenden Auslegung des § 175 Abs 3 Z 1 ASVG durch die beispielsweise zitierte Lehre und Rechtsprechung hat auch der hier zu beurteilende Unfall als Arbeitsunfall im Sinne dieser Gesetzesstelle zu gelten, weil er sich - entgegen der Meinung des Erstgerichtes - nicht beim Trinken der Bowle, dies wäre keine Arbeit im Haushalt, sondern eine unversicherte Verrichtung rein persönlicher Art gewesen, sondern beim Zubereiten eines ua aus Früchten und Sekt zusammengesetzten Getränkes ereignete. Diese Tätigkeit ist ebenso der Arbeit im Haushalt des Betriebsinhabers zuzuordnen wie zB das Zubereiten von Speisen, mag es sich dabei um einfachere oder anspruchsvollere handeln. Ob dies auch für die Herstellung eines "Luxusgetränkes" gelten würde, kann dahingestellt bleiben, weil es sich bei einer aus im eigenen Garten geernteten Himbeeren zubereiteten Bowle auch dann nicht um ein solches Getränk handelt, wenn es - wie im vorliegenden Fall - mit Sekt aufgegossen wird.

Daraus folgt, daß dem Revisionsgericht erheblich erscheinende Tatsachen für den eingeklagten Anspruch auf Versehrtenrente (Art und Folgen der körperlichen Schädigung der Klägerin, insbes. Minderung der Erwerbsfähigkeit usw) schon in erster Instanz weder erörtert noch festgestellt wurden. Wegen dieser sekundären Feststellungsmängel waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und war die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§§ 496 Abs 1 Z 3 und Abs 3, 499, 510 Abs 1, 511 und 513 ZPO).

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Rechtsmittelkosten beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E22516

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00356.9.1023.000

Dokumentnummer

JJT_19901023_OGH0002_010OBS00356_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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