TE Vwgh Erkenntnis 2005/12/13 2004/01/0287

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Veröffentlicht am 13.12.2005
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnC Z5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des J B in K, geboren 1978, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. März 2004, Zl. 221.657/0-III/07/01, betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171, 20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Guinea-Bissau, reiste am 6. September 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Als Fluchtgrund gab er bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 4. Dezember 2000 im Wesentlichen an, sein Vater habe die Partei PAIGC (Partido Africano da Independencia da Guine e Cabo Verde) unterstützt und im Heimatdorf die Wahlkampagnen für den seinerzeitigen Präsidenten (João Bernardo Vieira) organisiert. Zu Beginn des Bürgerkrieges im Juni 1998 seien "die Leute des ehemaligen Präsidenten" vom "Rebellenchef Ansummane Mane" gesucht worden. Als die Rebellen in das Heimatdorf des Beschwerdeführers gekommen seien, hätten sie ihn und seinen Vater festgenommen. Der Beschwerdeführer sei von ihnen in ein Militärcamp gebracht und er sei gezwungen worden, "auf ihrer Seite zu kämpfen." Der Beschwerdeführer habe dies abgelehnt und es sei ihm im Juli 1998 die Flucht aus der Gefangenschaft der Rebellen gelungen. Er habe sich zunächst in den Senegal begeben und von dort die Weiterreise nach Europa angetreten. Im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland fürchte er, von den Rebellen ermordet zu werden. Auch wisse er nicht, ob seine Familie noch lebe.

Mit Bescheid vom 15. Dezember 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Guinea-Bissau gemäß § 8 AsylG für zulässig.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er zunächst wiederholte, "von den Rebellen verschleppt worden", in weiterer Folge jedoch geflohen zu sein und nun "unmöglich" in seine Heimat zurückkehren zu können, weil er um sein Leben fürchten müsse. Auch wenn - so der Beschwerdeführer weiter - in seiner Heimat (wie das Bundesasylamt in der Begründung seiner Entscheidung behaupte) wieder Frieden eingekehrt sein sollte, so sei dies nur ein "oberflächlicher Schein", da in Guinea-Bissau auch laut Amnesty International immer wieder Menschenrechtsverletzungen passierten, von denen er bei einer Rückkehr betroffen wäre, da er geflohen sei und nicht nachweisen könne, dass er gegen oder für die Rebellen gewesen sei.

Die belangte Behörde führte über diese Berufung am 15. März 2004 eine Berufungsverhandlung durch, in der der Beschwerdeführer zunächst neuerlich seine Zwangsrekrutierung durch Rebellen schilderte. Im Folgenden führte der Beschwerdeführer (über Nachfragen des Verhandlungsleiters der belangten Behörde) wörtlich aus (VL=Verhandlungsleiter; BW=Berufungswerber):

"VL: Wenn Sie heute nach Guinea-Bissau zurückkehren würden, würde Ihnen dann etwas passieren, zumal es die Rebellen des Ansumane Mane heute nicht mehr gibt?

BW: Ich kenne die konkreten Verhältnisse im Land nicht. Das einzige, was ich höre, ist, dass mein Vater nicht mehr am Leben ist. Ich befürchte aber, dass man mich töten könnte, oder dass mir sonst etwas passieren könnte. Was konkret passieren könnte, weiß ich nicht.

VL: Wer glauben Sie, hätte Interesse daran, Sie zu töten, so viele Jahre nach den Umtrieben der Rebellen des Ansumane Mane.

BW: Ich kenne, wie gesagt, die Verhältnisse dort nicht. Es kann etwas passieren, oder auch nicht. Ich möchte es aber nicht riskieren. Ich möchte nicht zurück.

VL: Dass Ansumane Mane tot ist wissen Sie?

BW: Ja, ich habe es gehört.

VL: Wenn Sie sagen, es kann sein, dass ihnen etwas passiert, frage ich, wer hätte daran Interesse, Ihnen etwas anzutun?

BW: Wissen Sie, als wir abgeholt wurden, war Ansumane Mane nicht anwesend. Aber die Leute, die dort waren, sind heute immer noch da und ich nehme an, dass diese etwas machen könnten, wenn sie wollten.

VL: Aber es findet zur Zeit kein Bürgerkrieg statt und es gibt keine Rebellen, die gegen die Regierung kämpfen und Zwangsrekrutierungen durchführen. Die Lage ist ruhig.

BW: Damals, als wir eingesperrt worden sind, wurden wir fotografiert und es wurde klar und deutlich gesagt, wenn wir fliehen, würden wir später irgendwann dafür bezahlen.

VL: Wissen Sie, wer zur Zeit an der Macht ist in Guinea-Bissau?

BW: Ja, ich habe gehört, dass Präsident Yala im September 2003 abgelöst wurde.

VL: Gibt es sonst noch etwas wichtiges, was Sie sagen wollen?

BW: Was ich auf jeden Fall betonen möchte, ist, dass ich nicht zurückkehren möchte. Meine Mutter ist nicht da. Ich wüsste auch nicht, wohin ich gehen sollte."

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG iVm § 57 Fremdengesetz fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Guinea-Bissau zulässig sei. Nach (auszugsweiser) Wiedergabe seines Vorbringens vor dem Bundesasylamt und in der Berufungsverhandlung führte die belangte Behörde aus, diese Angaben des Asylwerbers würden als entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt. Sein Vorbringen vor beiden Instanzen beschreibe den selben Lebenssachverhalt und ergebe ein in sich stimmiges Ganzes. Im Anschluss daran traf die belangte Behörde Feststellungen zur allgemeinen politischen Situation in Guinea-Bissau. Insbesondere hielt sie fest, dass das Militär unter General "Ansummane" Mane im Jahr 1998 gegen Präsident João Bernardo Vieira geputscht und erst die Entsendung der westafrikanischen Eingreiftruppe ECOMOG Wahlen ermöglicht habe, die im Jänner 2000 vom früheren Oppositionsführer Kumba Yala gewonnen worden seien. In der Folge habe General Mane den ihm ergebenen Teil des Militärs aufgerüstet und sich Gefechte mit Regierungstruppen geliefert. Ende November 2000 sei er in einem Feuergefecht getötet worden. Im September 2003 habe das Militär unter der Führung des Generalstabchefs Cabra Correia gegen Präsident Kumba Yala geputscht und eine "Übergangsregierung mit Beteiligung aller politischen Tendenzen" gebildet. Der Putsch solle nach ersten Informationen unblutig verlaufen und die Situation in der Hauptstadt Bissau ruhig sein. Bereits einen Tag nach dem Putsch seien die Soldaten in ihre Kasernen zurückgekehrt, die am Vortag verhängte nächtliche Ausgangssperre sei wieder aufgehoben und der internationale Flughafen der Hauptstadt ebenso wie alle Landesgrenzen geöffnet worden. Am 24. September 2003 hätten die Militärs angekündigt, die Macht an Zivilisten zurückzugeben und es sei der Geschäftsmann Henriqe Rosa neuer Übergangspräsident geworden. Nicht festgestellt werden könne, dass aktuell bzw. in letzter Zeit Personen von Rebellen zwangsrekrutiert oder aus Rache wegen früherer Flucht vor Zwangsrekrutierungen ermordet worden seien.

Rechtlich folgerte die belangte Behörde aus dem festgestellten Sachverhalt, dass der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) sei. Es könne nicht erkannt werden, dass ihm bei einer Rückkehr nach Guinea-Bissau seitens der Rebellen des Generals Mane, die ihn im Jahr 1998 verschleppt hatten, Gefahr drohen würde. Der Rebellenchef Mane sei im Jahr 2000 ums Leben gekommen, seit dem Putsch durch Mane im Jahr 1998 habe sich die politische Führung Guinea-Bissaus mehrmals verändert, sodass nach menschlichem Ermessen in keinster Weise davon ausgegangen werden könne, dass frühere Rebellen des Generals Mane heute noch ein Interesse an der Verfolgung von ehemaligen Zwangsrekrutierten hätten. Die diesbezüglich geäußerten Befürchtungen des Asylwerbers erschöpften sich in bloß vagen Mutmaßungen, sodass vor dem Hintergrund der derzeitigen Lage in Guinea-Bissau keine Gefahr für den Beschwerdeführer erkannt werden könne, wegen unterstellter missliebiger politischer Gesinnung verfolgt zu werden. Es gebe weiters auch keine Berichte darüber, dass etwa Personen, die vormals von den Rebellen des "Ansummane" Mane zwangsrekrutiert worden und sodann geflohen seien, seitens der Rebellen derzeit Verfolgungshandlungen zu gewärtigen hätten. Eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende konkrete Gefährdung des Asylwerbers im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland bestehe sohin nicht, weshalb ihm weder Asyl noch Refoulementschutz zu gewähren sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde - erwogen hat:

Die belangte Behörde legt ihrer Entscheidung das Vorbringen des Beschwerdeführers zugrunde, als Sohn eines (für den ehemaligen Präsidenten Vieira) politischen Aktivisten von den "Rebellen" des im Jahr 1998 putschenden Generals Ansumane Mane zwangsrekrutiert worden zu sein und vor diesen anschließend die Flucht ergriffen zu haben. Dass dieses Geschehen grundsätzlich einen Asylanspruch des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv begründen kann, wird von ihr nicht in Zweifel gezogen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0531, mwN, und zuletzt das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2004, Zl. 2001/20/0003).

Die Abweisung des Asylantrages (und die Verweigerung von Refoulementschutz) wird von ihr vielmehr damit begründet, dass eine Verfolgung des Beschwerdeführers - anders als im Zeitpunkt seiner Flucht aus dem Herkunftsstaat im Juli 1998 - auf Grund der geänderten politischen Verhältnisse in Guinea-Bissau nicht mehr zu erwarten sei. Damit hat die belangte Behörde ihre Entscheidung der Sache nach auf den Beendigungstatbestand des Art. 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv gestützt (vgl. dazu Punkt 1. der Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 4. November 2004, Zl. 2004/20/0216, mwN).

Der belangten Behörde ist darin beizupflichten, dass grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet ist, die Annahme begründen können, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Ihre fallbezogenen Überlegungen werden dem Vorbringen des Beschwerdeführers in diesem Zusammenhang jedoch nicht gerecht. Zwar gab der Beschwerdeführer bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 4. Dezember 2000 noch an, für den Fall seiner Rückkehr in das Heimatland zu fürchten, von den "Rebellen" (offenbar also jenen, die ihn zwangsrekrutiert hatten) getötet zu werden. Schon in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid brachte er jedoch vor, im Falle seiner Rückkehr von "Menschenrechtsverletzungen" (gemeint offenbar seitens der neuen Machthaber in Guinea-Bissau) betroffen zu sein, da er geflohen sei und nicht nachweisen könne, ob er gegen oder für die Rebellen gewesen sei. Bei der Einvernahme im Rahmen der Berufungsverhandlung vom 15. März 2004 zog sich der Beschwerdeführer (über Vorhalt, dass es die Rebellen des Ansumane Mane heute nicht mehr gebe) darauf zurück, die konkreten Verhältnisse in seinem Heimatland nicht zu kennen. Er befürchte aber, dass man ihn - im Falle seiner Rückkehr - töten oder dass ihm sonst etwas passieren könne. Bei dieser Sachlage durfte sich die belangte Behörde nicht darauf beschränken, die Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers nur unter dem Blickwinkel einer möglichen (neuerlichen) Zwangsrekrutierung seitens der früheren Verfolger des Beschwerdeführers oder deren Rache zu beurteilen. Ihre negative Feststellung, es sei nicht zu verifizieren, dass aktuell bzw. in letzter Zeit Personen von Rebellen zwangsrekrutiert oder aus Rache wegen früherer Flucht vor Zwangsrekrutierungen ermordet worden seien, greift daher zu kurz. Ihre Überlegungen hätten vielmehr auch dahin gehen müssen, wie dem Beschwerdeführer (der seinem Vorbringen zufolge nicht beweisen könne, ob er für oder gegen die Rebellen gewesen sei) als ehemaligem (Zwangs-)Rekrutierten der Rebellen des Ansumane Mane seitens der nunmehrigen Machthaber in Guinea-Bissau im Falle seiner Rückkehr entgegen getreten würde und ob er von dieser Seite mit Verfolgung zu rechnen hätte. Derartige Feststellungen lässt der angefochtene Bescheid zur Gänze vermissen. Ohne sie fehlt jedoch eine ausreichende Beurteilungsgrundlage, ob dem Beschwerdeführer zugemutet werden kann, sich (wieder) unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen.

Ungeachtet dessen erweist sich die Begründung des angefochtenen Bescheides auch insofern als mangelhaft, als sich die belangte Behörde mit dem konkreten Vorbringen des Beschwerdeführers, er würde im Falle seiner Rückkehr nach Guinea-Bissau weder Unterkunft noch familiäre Unterstützung vorfinden, nicht auseinander gesetzt hat. Ob der Beschwerdeführer - wie die Beschwerde bestreitet - im Herkunftsstaat eine gesicherte Grundversorgung vorfindet, die - losgelöst von den bisherigen Überlegungen - Refoulementschutz nicht erforderlich macht, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Wäre eine gesicherte Existenz jedoch zu verneinen, so könnte dies für den Beschwerdeführer nicht nur unter dem Aspekt von § 8 AsylG von Bedeutung sein, sondern in weiterer Folge auch der Annahme, es sei eine relevante Lageänderung im Sinn von Art. 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv eingetreten, im Wege stehen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2004, Zl. 2003/01/0372, mwN).

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als unzureichend begründet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 13. Dezember 2005

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004010287.X00

Im RIS seit

12.01.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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