TE OGH 1990/10/30 15Os112/90

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Veröffentlicht am 30.10.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 30.Oktober 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Thomas L*** wegen des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8.Februar 1990, GZ 9 d E Vr 11.458/89-9, über die Verlängerung einer Probezeit nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren zum AZ 9 d E Vr 11.458/89 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde durch die Beschlußfassung dieses Gerichtes vom 8.Februar 1990 (ON 9) über die dem Thomas L*** in den Verfahren AZ 8 E Vr 321/88 des Landesgerichtes Eisenstadt und AZ 9 d E Vr 4861/88 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien jeweils bestimmte Probezeit von einem Jahr das Gesetz in den Bestimmungen des § 494 a Abs. 1 und Abs. 7 StPO und des § 56 StGB sowie in dem im XX. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft verletzt.

Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird dieser Beschluß (ON 9) aufgehoben.

Text

Gründe:

In dem am 24.November 1989 gerichtsanhängig gewordenen Verfahren AZ 9 d E Vr 11.458/89 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde Thomas L*** mit dem in gekürzter Form (§§ 458 Abs. 3, 488 Z 7 StPO) ausgefertigten, rechtskräftig gewordenen Urteil vom 8. Februar 1990, ON 9, wegen des - am 3.November 1988 und am 4. April 1989 verübten - Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt.

Zugleich sah das Gericht mit einem (nicht gesondert ausgefertigten und gleichfalls rechtskräftig gewordenen) Beschluß (ersichtlich unter Inanspruchnahme der Kompetenz nach § 494 a Abs. 1 Z 2 und Abs. 7 StPO) vom Widerruf der dem Genannten mit den Urteilen des Landesgerichtes Eisenstadt vom 7.Juli 1988, GZ 8 E Vr 321/88-15, sowie des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18.Juli 1988, GZ 9 d E Vr 4861/88-12, jeweils gewährten bedingten Strafnachsicht ab und verlängerte unter einem die Probezeit auf drei Jahre (S 95 in 9 d E Vr 11.458/89 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien; hingegen offenbar irrtümlich "fünf Jahre" in der Übersendungsnote S 103). Im Verfahren des Landesgerichtes Eisenstadt war über Thomas L*** eine unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von zwei Monaten verhängt worden; das Landesgericht für Strafsachen Wien hatte Thomas L*** unter Bedachtnahme auf dieses Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt gemäß §§ 31 und 40 StGB zu einer (Zusatz-)Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt und diese Strafe gleichfalls unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr bedingt nachgesehen. Nach § 55 Abs. 3 StGB währte daher jede der beiden zuammentreffenden Probezeiten bis zum Ablauf der vom Landesgericht für Strafsachen Wien bestimmten, zuletzt endenden Probezeit, somit bis zum 18.Juli 1989. Zur Zeit der Verlängerung der Probezeit durch das Landesgericht für Strafsachen Wien am 8.Februar 1990 war in den beiden Vorverfahren bereits rechtskräftig die endgültige Strafnachsicht ausgesprochen worden (vgl. Beschluß des Landesgerichtes Eisenstadt vom 4.Oktober 1989, GZ 8 E Vr 321/88-23 und Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 9.November 1989, GZ 9 d E Vr 4861/88-18).

Rechtliche Beurteilung

Der Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8. Februar 1990 steht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Denn zur Zeit seiner Erlassung lagen schon die prozessualen Voraussetzungen für eine derartige Beschlußfassung trotz Verübung der neuen Straftaten innerhalb der Probezeiten nicht vor, weil bei Ablauf der Probezeiten am 18.Juli 1989 noch kein neuerliches Strafverfahren gegen Thomas L*** anhängig war und daher eine in den §§ 53 bis 55 StGB vorgesehene Verfügung nur binnen sechs Monaten nach dem Ende dieser Probezeiten, also bis zum 18.Jänner 1990, zulässig gewesen wäre (§ 56 StGB). Eine Zuständigkeit des anläßlich einer Nachverurteilung erkennenden Gerichtes zur Entscheidung nach § 494 a Abs. 1 und Abs. 7 StPO hat nämlich zur Voraussetzung, daß ein Widerruf (Z 4) oder ein Absehen hievon überhaupt (noch) in Betracht kommt. Ist dies dagegen - wie hier - nicht mehr der Fall, so bleibt für die Annahme einer Kompetenz des später erkennenden Gerichtes zu einer diesbezüglichen Entscheidung nach der Prozeßordnung kein Raum; die vorliegende Beschlußfassung vom 8. Februar 1990 verstieß daher schon in prozessualer Hinsicht gegen § 494 a Abs. 1 und Abs. 7 StPO sowie überdies auch gegen die materiellrechtliche Bestimmung des § 56 StGB.

Zum anderen verletzt der Beschluß vom 8.Februar 1990 im Hinblick darauf, daß zur Zeit seiner Erlassung bereits in den beiden Vorverfahren rechtskräftig die endgültige Strafnachsicht ausgesprochen worden war, das Gesetz auch noch in dem im XX. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft (15 Os 73,74/90; ebenso 12 Os 91,92/89). In Stattgebung der vom Landesgericht für Strafsachen Wien angeregten, von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war die Gesetzesverletzung festzustellen und der dem Verurteilten im Ergebnis, nämlich in der Verlängerung der Probezeit, zum Nachteil gereichende Beschluß aufzuheben.

Anmerkung

E22305

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0150OS00112.9.1030.000

Dokumentnummer

JJT_19901030_OGH0002_0150OS00112_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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