Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 6.November 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gerald H*** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen der Angeklagten Gerald H*** und Gerald S***, die nicht ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen der gesetzlichen Vertreter Isabella H*** und Dipl.Ing. Johann S***
sowie die Berufung des Angeklagten Robert S*** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht in Jugendstrafsachen vom 7.Mai 1990, GZ 4 a Vr 2.267/89-81, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Gemäß § 390 a StPO fallen den Angeklagten die Kosten des bisherigen Verfahrens über ihre Rechtsmittel zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden der am 5.Juli 1973 geborene, sohin jugendliche Angeklagte Gerald H*** ua der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB (I) und des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und 15 StGB (III), sowie der am 23.Juli 1973 geborene, also gleichfalls jugendliche Angeklagte Gerald S*** ua der Beteiligung an dem bezeichneten Verbrechen des Raubes nach § 12 dritter Fall StGB (II/1) und des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (VII) schuldig erkannt.
Rechtliche Beurteilung
Der am 10.Jänner 1973 geborene, ebenfalls noch jugendliche Angeklagte Robert S*** hat nur Berufung ergriffen, weshalb die Anführung der ihm zur Last gelegten Straftaten hier entbehrlich ist. Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten H*** und S*** richten sich nur gegen die obbezeichneten Teile des Schuldspruchs.
Darnach haben zu I: Gerald H*** in der Nacht zum 5.Juli 1989 in Graz dem Johann H*** mit Gewalt gegen seine Person, indem er ihm Schläge und Tritte gegen den Körper und in das Gesicht versetzte, fremde bewegliche Sachen, nämlich eine Geldbörse samt der darin enthaltenen Barschaft mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei Johann H*** durch die ausgeübte Gewalt schwer verletzt wurde (offener und verschobener Nasenbeinbruch sowie Prellungen und Hautabschürfungen);
zu II/1: Gerald S*** zur Ausführung der unter Punkt I beschriebenen strafbaren Handlung beigetragen, indem er zur Sicherung der Verwirklichung des gemeinsamen Tatplanes Aufpasserdienste leistete;
zu III/B: Gerald H*** (ua) in der Nacht zum 5.Juli 1989 in Graz im bewußt gemeinsamen Zusammenwirken mit den beiden anderen Angeklagten in verschiedenen Beteiligungsverhältnissen als unmittelbarer oder "mittelbarer" (gemeint: in anderer Form beteiligter) Täter in drei Fällen anderen fremde bewegliche Sachen in einem insgesamt 25.000 S nicht übersteigenden Wert durch Einbruch in ein Transportmittel (PKW) mit dem Vorsatz weggenommen bzw wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern;
zu VII: Gerald S*** am 18.September 1989 in Graz Beamte der Bundespolizeidirektion Graz, und zwar RInsp Franz Z*** als Lenker eines Dienstmotorrades und RInsp Klaus P*** als Lenker eines Funkstreifenwagens sowie dessen Beifahrer BInsp N. K*** mit Gewalt, indem er mit einem unbefugt in Betrieb genommenen Motorfahrrad unvorhergesehene Linkslenkmanöver vornahm und in Richtung des Dienstmotorrades des RInsp Franz Z*** trat, womit er die Polizeifahrzeuge abzudrängen trachtete, an einer Amtshandlung, nämlich an der Lenker- und Fahrzeugkontrolle zu hindern versucht. Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten H*** und S*** sind in keinem Punkte begründet.
Zur Beschwerde des Gerald H***
(§ 281 Abs 1 Z 5, 5 a und 9 lit b StPO):
Dieser Angeklagte wendet sich in seinem Rechtsmittel ausschließlich gegen die Urteilsannahme, daß er für den Raub (I) und die unmittelbar vorher begangenen Einbruchsdiebstähle (III/B) strafrechtlich verantwortlich sei, weil für die Tatnacht (zum 5.Juli 1989) eine Volltrunkenheit ausgeschlossen werden könne. Das Jugendschöffengericht stützte sich bei dieser Feststellung auf das Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen DDr. Walther K***, der unter Berücksichtigung der im Laufe des Verfahrens wechselnden Angaben des Beschwerdeführers über die von ihm genossenen Alkoholmengen zum Ergebnis gekommen ist, daß H*** in jener Nacht zwar unter (möglicherweise sogar großer) Alkoholwirkung gestanden hat, aber nicht vollberauscht gewesen ist. Die vom Angeklagten in der Hauptverhandlung behaupteten Trinkmengen (die zur Tatzeit einen Blutalkoholwert von 4,7 %o und damit Volltrunkenheit bewirkt hätten) bezeichnete er im Hinblick darauf, daß im Verfahren keinerlei Erinnerungslücken oder sonstige Ausnahmezustände (gemeint wohl: Ausfallserscheinungen) nachgewiesen werden konnten, die (detailliert) geschilderten Tathandlungen durchaus zielgerichtet und die körperliche Einsatzfähigkeit intakt geblieben waren, aus medizinischer Sicht als bloße Ausflucht (US 7 verso iVm ON 80, S 517 bis 520).
Wesentliche Mängel dieses Gutachtens im Sinne der §§ 125, 126 StPO vermag der Beschwerdeführer mit seinen nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung formulierten weitwendigen Ausführungen nicht darzutun. Eine erhebliche, zu einer gewissen Enthemmung und Einschränkung der Kritikfähigkeit führende Alkoholisierung wurde vom Erstgericht ohnedies angenommen (US 7 verso, 10 verso); konkrete Verfahrensergebnisse aber, die für eine Volltrunkenheit sprächen und dennoch unerörtert geblieben wären (Z 5), werden in der Beschwerde jedoch nicht aufgezeigt.
Der Beschwerdeführer vermag aber auch keine erheblichen Bedenken (Z 5 a) gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsache seiner Zurechnungsfähigkeit zu erwecken. Vor der Polizei bezeichnete er sich lediglich als "angeheitert" (S 55) und ergänzte beim Untersuchungsrichter, daß er infolge größeren Bierkonsums und schon vorher zu Hause genossenen Alkohols "einigermaßen bedient" war (S 141 d). Auch in der Hauptverhandlung bekannte er sich "im vollen Umfang der Anklageschrift schuldig" (ON 76, S 496), erweiterte zwar seine Angaben über die Trinkmengen, behauptete aber auch dabei - trotz ausdrücklichem Vorhalt - nicht, infolge Volltrunkenheit zurechnungsunfähig gewesen zu sein (ON 76, S 504 f). Ernsthafte Zweifel gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben im Vorverfahren ergeben sich daher nicht einmal aus der in der Hauptverhandlung gewählten Verantwortung, vielweniger noch ist der Vorwurf berechtigt, das Erstgericht wäre seiner Verpflichtung zur Erforschung der materiellen Wahrheit infolge Unterlassung der Aufnahme weiterer Beweise über das Ausmaß der Alkoholbeeinträchtigung nicht nachgekommen.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit b, der Sache nach indes Z 10) schließlich, mit der die Beurteilung der vom Angeklagten H*** in der Nacht zum 5. Juli 1989 begangenen Straftaten als Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 StGB reklamiert wird, ist nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt, weil sie die Konstatierung übergeht, daß ein solcher Zustand bei dem jugendlichen Angeklagten eben nicht bestanden hat.
Zur Beschwerde des Gerald S***
(§ 281 Abs 1 Z 9 lit a und 10 StPO):
Die zunächst gegen den Schuldspruch wegen eines Tatbeitrages zum Raub an Johann H*** (II/1) gerichteten Rechtsrügen entsprechen ihrerseits nicht einer prozeßordnungsgemäßen Bekämpfung der rechtlichen Beurteilung, weil sie nicht von den Feststellungen ausgehen, daß Gerald S*** in seiner Funktion als Aufpasser in völliger Kenntnis des geschehenen Tatablaufes sich insbesondere auch mit der Gewaltanwendung gegen das Opfer abgefunden hat (US 8; 8 verso und 9). Seinem auf Freispruch (Z 9 lit a) oder Schuldspruch bloß wegen Diebstahls (Z 10) gerichteten Beschwerdeantrag fehlt es daher an den tatsächlichen Urteilsgrundlagen. Auch dem Vorwurf eines Feststellungsmangls in bezug auf die Möglichkeit einer Vorsatzdiskrepanz ("excessus mandati" des unmittelbaren Täters H***) ist aus diesem Grunde der Boden entzogen.
In Wahrheit macht der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang - wie schon aus seiner Wortwahl erhellt - einen Begründungsmangel (Z 5) geltend, indem er behauptet, das Jugendschöffengericht hätte sich bei der bekämpften Feststellung nicht auf Ergebnisse der Voruntersuchung stützen dürfen, weil in diesem Verfahrensstadium nur eine vorläufige Prüfung von Anschuldigungen erfolgt, die endgültige Klärung des Sachverhalts aber erst der Hauptverhandlung vorbehalten ist.
Dabei unterliegt der Beschwerdeführer freilich einem Mißverständnis, als das Gericht bei der Urteilsfällung zwar nur auf das Rücksicht nehmen darf, was in der Hauptverhandlung vorgekommen ist; Aktenstücke aber (also auch in der Voruntersuchung aufgenommene Protokolle) dann als Beweismittel dienen können, wenn sie in der Hauptverhandlung vorgelesen worden sind (§ 258 Abs 1 StPO). Das Protokoll über die Vernehmung des Beschuldigten S*** durch den Untersuchungsrichter, auf das sich das Erstgericht ua beruft (US 8 verso), ist dem Angeklagten aber in der Hauptverhandlung im Hinblick auf seine Abweichung von früheren Aussagen (§ 252 Abs 1 Z 2 StPO) in seinen hier wesentlichen Teilen mündlich vorgehalten und einer Erörterung unterzogen worden (ON 76, S 509 f), wurde daher zulässigerweise als Beweisgrundlage herangezogen. Es kann demnach auch keine Rede davon sein, daß der Jugendschöffensenat sein Urteil unzureichend begründet hätte.
Letztlich ist auch die Rechtsrüge (Z 9 lit a) in Ansehung des Schuldspruchs wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt, denn der Beschwerdeführer übergeht, daß ihm als Gewaltanwendung gegen einen Beamten nicht nur ein "Lenkmanöver" schlechthin zum Vorwurf gemacht wird, sondern auch, daß er in Richtung des Dienstmotorrades des RInsp Franz Z*** getreten hat, um diesen abzudrängen (US 4 verso iVm US 9 verso). Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Gerald H*** und Gerald S*** waren daher schon bei einer nichtöffentlichen Beratung als zum Teil nicht gesetzmäßig ausgeführt, im übrigen aber als offenbar unbegründet - ebenso wie die bloß angemeldeten (ON 80, S 525 - vgl EvBl 1953/157, SSt 27/39), in der Folge aber unausgeführt gebliebenen Nichtigkeitsbeschwerden der gesetzlichen Vertreter Isabella H*** und Dipl.Ing. Johann S*** - sofort zurückzuweisen (§ 285 d StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Graz zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285 i StPO).
Anmerkung
E22296European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0140OS00110.9.1106.000Dokumentnummer
JJT_19901106_OGH0002_0140OS00110_9000000_000