TE OGH 1990/11/21 2Ob80/90

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Veröffentlicht am 21.11.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Zehetner und Dr. Kellner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Paul G***, Student, Rabensteingreuth 34, 9473 Lavamünd, vertreten durch Dr. Reinhard Neureiter, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei I***, Internationale Unfall- und Schadenversicherungs-AG, Ghegastraße 3, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Leopold Hammer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 173.862 sA und Feststellung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 31. Mai 1990, GZ 15 R 49/90-25, womit das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 27. Dezember 1989, GZ 26 Cg 749/88-21, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind gleich weiteren Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung:

Johann L*** verschuldete am 26. Juli 1984 in alkoholisiertem Zustand als Lenker seines bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten VW-Busses einen Verkehrsunfall, bei welchem fie Insassen dieses Fahrzeuges, unter ihnen der Kläger, Verletzungen erlitten.

Der Kläger begehrte Schadenersatz von insgesamt S 173.862 (abgesehen von einigen kleineren Beträgen als Ersatz für Sachschäden handelt es sich um den Ersatz von Schäden, die auf die Körperverletzung zurückzuführen sind), außerdem stellte er ein Feststellungsbegehren.

Die beklagte Partei wendete einen Haftungsausschluß nach § 333 Abs 4 ASVG ein. Überdies treffe den Kläger ein Mitverschulden von 1/3, weil er gewußt habe, daß Johann L*** alkoholisiert sei. Auch die Höhe der Ansprüche werde bestritten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Johann L*** war Vorarbeiter einer aus 5 bis 7 Mann bestehenden Arbeitspartie der Firma S*** Bau GmbH, die bei einer Baustelle eingesetzt und in Firmenbaracken untergebracht war. Auch der Kläger gehörte dieser Arbeitspartie an. In der Baracke befand sich eine Kantine, bei der man aber nur kalte Speisen oder Fertigmenüs, die man selbst auf einem Mikrowellenherd zubereiten mußte, kaufen konnte. Johann L*** verwendete sein Privatfahrzeug gegen Kilometergeldverrechnung mit der Firma S*** Bau GmbH, um die Arbeiter zur Baustelle und wieder zurück zu bringen, er hatte auch den Auftrag, Arbeiter nach Arbeitsschluß in ein nahegelegenes Gasthaus zu fahren, damit sie dort warm essen könnten. Auch für diese Fahrten bekam er Kilometergeld. Am 25. Juli 1984 fuhren Johann L***, der Kläger und noch einige andere Arbeiter nach Arbeitsschluß in ein nahegelegenes Gasthaus, um eine warme Mahlzeit einzunehmen. Nach einem Aufenthalt von 2 Stunden wurde die Heimfahrt angetreten, die aber bei einem auf der Strecke liegenden anderen Gasthaus unterbrochen wurde. Johann L*** nahm dort alkoholische Getränke zu sich. Um 0,15 Uhr des 26. Juli 1984 wurde die Rückfahrt angetreten, auf der sich dann der Unfall ereignete. Für den Kläger bestand bei Antritt der Rückfahrt kein Anhaltspunkt dafür, daß Johann L*** durch Alkoholeinwirkung beeinträchtigt ist. Der Kläger hatte nicht beobachtet, ob und wieviel Alkohol Johann L*** konsumierte, auch aus dem Benehmen des Johann L*** ergab sich kein Anhaltspunkt für eine Alkoholisierung.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, die Unfallsfahrt falle unter den Haftungsausschluß des § 333 ASVG. Der Arbeitgeber habe derartige Fahrten im Rahmen seiner Fürsorgepflicht aufgetragen und auch die Kosten hiefür übernommen. Der Unfall stehe daher im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der Beschäftigung des Klägers. Die Unterbrechung dieser Arbeitsfahrt durch einen weiteren Gasthausaufenthalt vor dem Unfall habe diesen Zusammenhang nicht unterbrochen. Johann L*** sei Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG gewesen. Der Personenschaden könne daher nicht geltend gemacht werden. Der begehrte Sachschaden, der ohne Anrechnung eines Mitverschuldens des Kläges zustehe, sei durch die Akontozahlung bei weitem abgedeckt. Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes auf, verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Das Gericht zweiter Instanz führte nach Darstellung der vom Obersten Gerichtshof zur Vorschrift des § 333 ASVG aufgestellten Grundsätze aus, die genannte Ausnahmeregelung sei reichlich unklar, systemwidrig, rechtspolitisch verfehlt und überholt, derart verfehlte Ausnahmeregelungen, die eine sachlich nicht begründbare Verschiedenbehandlung gleichgelagerter Fälle mit sich brächten, seien, wenn sie nicht überhaupt an der Verfassungswidrigkeit scheiterten, mindestens so eng wie möglich auszulegen. Dies führe zur Verneinung der Aufsehereigenschaft des Johann L*** und damit zur Bejahung der grundsätzlichen Haftung der beklagten Partei auch für den durch den Unfall entstandenen Personenschaden. Der Umstand, daß Johann L*** der Vorarbeiter der Arbeitspartie gewesen sei, sei ohne Bedeutung, weil der Unfall nicht beim Arbeitsablauf passiert sei. Schädiger und Geschädigter seien vielmehr nach zwei ausgedehnten abendlichen Gasthausbesuchen auf dem Rückweg zu ihrer Firmenunterkunft gewesen. Auch der Auftrag des Dienstgebers, die Arbeiter in ein Gasthaus zu führen, vermöge die Aufsehereigenschaft nicht zu begründen, da weder behauptet noch festgestellt worden sei, daß Johann L*** bei der Beförderung der Arbeiter in seinem Privatwagen im Zeitpunkt des Unfalles Pflichten und Befugnisse gehabt habe, die über jene, die jeder Fahrzeuglenker nach den Vorschriften über den Straßenverkehr den Wageninsassen gegenüber zu beachten gehabt hätte, hinausgegangen seien. Selbst wenn man bejahe, daß die Gasthausfahrt im Interesse des Betriebes und im Rahmen der Abwicklung übertragener Aufträge erfolgt sei, mangle es immer noch an der weiteren Voraussetzung, daß Johann L*** als Repräsentant des Betriebes zumindest bis zu einem gewissen Grad autoritäre Befugnisse gegenüber der von ihm beförderten Personengruppe zukommen hätten müssen. Die Teilnahme oder Nichtteilnahme der Arbeiter an den Gasthausfahrten habe keinerlei dienstliche Konsequenz nach sich ziehen können, Johann L*** habe darauf keinen aus seiner Stellung im Betrieb abgeleiteten Einfluß nehmen und schon gar keine diesbezüglichen Anweisungen erteilen können. Nach der Lebenserfahrung sei davon auszugehen, daß sich die Zeitpunkte der Abfahrt und der Heimkehr nach "Lust und Laune" ergaben. Die aufzusuchenden Gasthäuser seien nicht von vornherein festgestanden, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, daß Johann L*** alleine hätte bestimmen können, welche Gasthäuser in welcher Reihenfolge aufgesucht werden. Da schon die Teilnahme an den Gasthausfahrten auf ausschließlich freiwilliger Basis erfolgt sei und die Entscheidung für oder gegen die Teilnahme nichts mit Berufspflichten zu tun gehabt hätte, hätten die mitfahrenden Personen keinerlei Veranlassung gehabt, sich irgendwelche Weisungen erteilen zu lassen. Da diese Erwägungen zur Verneinung der Aufsehereigenschaft führten, erübrige es sich, Untersuchungen darüber anzustellen, ob der Sachverhalt nicht ohnedies unter die - ebenfalls weitgehend unverständliche - Regelung des § 333 Abs 3 ASVG falle. Da der Berufung schon aus rechtlichen Erwägungen beizupflichten sei, erübrige es sich, auf die Feststellungs- und Beweisrüge einzugehen. Eine abschließende Entscheidung über die Klagsansprüche sei jedoch nicht möglich, weil nicht geprüft worden sei, ob sie nicht aus anderen Gründen unberechtigt seien und in welchem Umfang sie der Höhe nach zustünden. Die beklagte Partei bekämpft den Beschluß des Berufungsgerichtes mit Rekurs und beantragt die Wiederherstellung des Ersturteiles. Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, denn den durch eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht gedeckten Ausführungen des Berufungsgerichtes zur Auslegung der Vorschrift des § 333 ASVG kommt grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu, zumal es nach ständiger Rechtsprechung nicht Sache der Gerichte ist, unbefriedigende Gesetzesbestimmungen zu ändern (SZ 45/41, SZ 48/114, SZ 54/120 uva).

Der Rekurs ist im Ergebnis aber nicht berechtigt.

Es ist im vorliegenden Fall nicht erforderlich, auf die vom Berufungsgericht aufgeworfenen Auslegungsfragen zu § 333 ASVG einzugehen, denn die in dieser Bestimmung normierte Haftungsbefreiung hat zur Voraussetzung, daß die Verletzung durch einen Arbeitsunfall entstanden ist. Der Unfall, bei dem der Kläger verletzt wurde, war jedoch kein Arbeitsunfall im Sinne der §§ 175 f ASVG. Der Kläger war in einer Baracke des Dienstgebers untergebracht. Am Tag des Unfalles war er nach Arbeitsschluß bereits in die Baracke zurückgekehrt und fuhr dann mit Arbeitskollegen in ein Gasthaus zum Abendessen. Ausgangspunkt oder Ziel der Fahrt war somit nicht die Arbeitsstätte (vgl. SSV-NF 2/23). Bei der Fahrt zum Abendessen handelte es sich um eine Fahrt im eigenwirtschaftlichen Interesse (vgl. SSV-NF 2/62, 84 und 89, 3/61). Daran vermag der Umstand, daß der Dienstgeber den Dienstnehmern bei der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit, in ein Gasthaus zum Abendessen zu gelangen, insofern behilflich war, als er ihnen eine Fahrmöglichkeit verschaffte, nichts zu ändern. Die beklagte Partei kann sich daher schon deshalb, weil die Verletzung des Klägers nicht durch einen Arbeitsunfall entstanden ist, nicht mit Erfolg auf die Haftungsbefreiung des § 333 ASVG berufen.

Aus diesen Gründen war dem Rekurs ein Erfolg zu versagen. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E22568

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00080.9.1121.000

Dokumentnummer

JJT_19901121_OGH0002_0020OB00080_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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