TE OGH 1990/12/5 9ObA230/90

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Veröffentlicht am 05.12.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Gamerith und Dr. Jelinek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Edith Söllner und Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Karin P***, Angestellte, Wien 3., Erdbergstraße 74/2/1/37, vertreten durch Dr. Klaus Braunegg und andere, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei G*** B*** DER M*** Gesellschaft mbH, Wien 23.,

Oberlaaerstraße 250, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Anfechtung einer Betriebsratswahl (Streitwert S 51.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Mai 1990, GZ 31 Ra 48/90-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 13. Dezember 1989, GZ 23 Cga 147/89-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.077 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 679,50 USt) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist seit 1.8.1981 bei der M*** Gesellschaft mbH als Angestellte beschäftigt. In diesem Betrieb sind 103 Angestellte und eine Arbeiterin tätig. Das Wahlergebnis der am 5.10.1989 durchgeführten Betriebsratswahl für einen gemeinsamen Betriebsrat ergab 49 gültige Stimmen für die Liste H. und 48 gültige Stimmen für die Liste Sch. Die Kundmachung des Wahlergebnisses erfolgte am Tag der Wahl.

Die Klägerin begehrt die am 5.10.1989 durchgeführte Betriebsratswahl als rechtsunwirksam aufzuheben und bringt dazu vor, sie fechte die Wahl an, weil sie gegen ihren Willen in den Wahlvorschlag der Liste H. aufgenommen worden sei und das Ergebnis anders gelautet hätte, wenn dies nicht der Fall gewesen wäre. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, die Klägerin sei vom nunmehrigen Betriebsratsvorsitzenden in Gegenwart von Zeugen gefragt worden, ob sie auf dem Wahlvorschlag mitkandidieren wolle, was sie eindeutig bejaht habe. Im übrigen enthalte das Vorbringen der Klägerin keinen Anfechtungsgrund.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 50.000 übersteige. Die Wahlanfechtung gemäß § 59 Abs 1 ArbVG sei unberechtigt, weil weder eine Verletzung von Wahlvorschriften, noch eine Verletzung von leitenden Grundsätzen des Wahlrechtes vorliege. Die Frage, ob es zu den leitenden Grundsätzen des Wahlrechtes gehöre, daß die Wähler zutreffend über die Kandidatenlisten informiert werden, könne hier auf sich beruhen. Die Klägerin habe nämlich gegenüber dem Wahlvorstand keine schriftliche Erklärung im Sinne des § 21 Abs 3 BRWO abgegeben, so daß davon auszugehen sei, daß sie mit ihrem Willen auf der Liste H. aufgeschienen sei. Die Frage, ob aus § 21 Abs 3 BRWO abzuleiten sei, daß die Aufnahme einer Person in einen Wahlvorschlag nur mit deren Zustimmung erfolgen dürfe, könne hier ebenfalls auf sich beruhen, weil sich aus der zitierten Bestimmung jedenfalls ergebe, daß diese Zustimmung dann als erteilt gelte, wenn nicht gegenüber dem Wahlvorstand eine gegenteilige schriftliche Erklärung abgegeben werde. Eine unzutreffende Information der Wähler über die wahlwerbenden Kandidaten habe demnach nicht stattgefunden. Aus diesen Gründen habe das Erstgericht zu Recht Feststellungen zu der von der Klägerin aufgestellten Behauptung unterlassen können, sie sei gegen ihren Willen in die Liste H. aufgenommen worden. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Sie macht unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Klägerin hält in ihrer Revision die Auffassung aufrecht, im vorliegenden Fall seien "leitende Grundsätze des Wahlrechtes" verletzt worden, weil die Wähler über die Kandidatenlisten unrichtig informiert worden seien, wodurch das Wahlergebnis beeinflußt worden sein könnte. Dies sei dadurch geschehen, daß sie gegen ihren Willen in die Kandidatenliste aufgenommen worden sei.

Die Untergerichte sind aber zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin als der Aufnahme in den Wahlvorschlag zustimmend anzusehen ist, weil sie von der Streichungsmöglichkeit des § 21 Abs (1 und) 3 BRWO nicht Gebrauch gemacht hat. Eine oberstgerichtliche Judikatur zu diesem Problemkreis fehlt. In der Literatur hat sich insbesondere Strasser mit dieser Frage befaßt. Er vertrat (in "Die Betriebsratswahl3", 107 f) bereits 1981, also vor der Anfügung des § 21 Abs 3 letzter Halbsatz BRWO, die Ansicht, daß ein gegen seinen Willen in einen Wahlvorschlag aufgenommener Wahlwerber zur Geltendmachung dieses Umstandes Einspruch gegen seine Aufnahme in den Wahlvorschlag erheben müsse, worauf es zu einem Berichtigungsverfahren nach § 21 Abs 1 BRWO zu kommen habe und dieser Kandidat von der Liste zu streichen sei. Der Einspruch des Wahlwerbers gegen seine Nominierung hindere allerdings die Zulassung des im übrigen richtigen Wahlvorschlages ebensowenig wie die Aufnahme eines unwählbaren Wahlwerbers.

Durch die Novelle 1987 wurde durch die Anfügung des letzten Halbsatzes an § 21 Abs 3 BRWO lediglich klargestellt, daß dieser Widerspruch schriftlich zu erklären und der wider seinen Willen aufgenommene Kandidat ohne weiteres Verfahren zu streichen ist, sowie daß eine solche Streichung keine Änderung des Wahlvorschlages herbeiführt. Es trifft daher nicht zu, daß eine historische Interpretation des § 21 Abs 3 BRWO dazu führen muß, daß der gegen oder ohne seinen Willen aufgenommene Kandidat neben dem ihm nun eingeräumten Recht, seine Streichung schriftlich zu verlangen, auch noch das Recht einer Wahlanfechtung nach § 59 Abs 1 ArbVG haben müsse, weil bis zur Betriebsratswahlordnungs-Novelle 1987 dies die einzige "Korrekturmöglichkeit" gewesen sei.

Andere Personen haben keinen Anspruch darauf, daß ein Kandidat nur deshalb aus der Liste gestrichen wird, weil er angeblich seiner Aufnahme nicht zugestimmt habe. Diese Streichung ist naturgemäß ein nur dem Kandidaten selbst zustehendes höchstpersönliches Recht. Die Durchsicht der verfassungsgerichtlichen Judikatur zeigt, daß die von den Untergerichten vorgenommene Auslegung richtig ist. Der Verfassungsgerichtshof hatte sich in seinem Erkenntnis vom 7.10.1950, VfGHSlg 2.037, mit einem vergleichbaren Problem zu befassen, nämlich mit der Anfechtung einer Gemeinderatswahl, aus dem Grunde, daß eine Wählergruppe ihren Spitzenkandidaten angeblich ohne sein Wissen und ohne seine Zustimmung nominiert habe. Der Verfassungsgerichthof führte in seinem Erkenntnis aus, daß die Steiermärkische Gemeindewahlordnung, die in jenem Fall zur Anwendung kam, keine ausdrückliche Vorschrift enthält, daß die Wahlvorschläge mit den Zustimmungserklärungen der Bewerber belegt sein müssen, wie es in anderen Gemeinderatswahlordnungen vorgeschrieben ist. Trotzdem erachtete der Verfassungsgerichtshof eine solche Zustimmung für erforderlich, so daß die Aufnahme eines auch das passive Wahlrecht besitzenden Wahlwerbers in einen Wahlvorschlag ohne sein Wissen und eventuell auch gegen seinen Willen unter Umständen tatsächlich eine Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens bedeuten und daher zur Aufhebung des Wahlverfahrens führen könne. Die Möglichkeit, jemanden gegen seinen Willen als Kandidaten auf eine bestimmte Parteiliste zu setzen, widerspreche dem Grundsatz der Freiheit der politischen Willensbildung und Betätigung sowie dem Postualt der Reinheit der Wahlen, in deren Ergebnis doch der wahre Wille der Wählerschaft zum Ausdruck kommen soll. Daß sowohl der Bundesgesetzgeber als auch die Landesgesetzgeber, auch wenn sie dies nicht ausdrücklich hervorheben, von der Voraussetzung ausgehen, daß niemand gegen seinen Willen oder auch nur ohne sein Wissen auf die Liste einer wahlwerbenden Gruppe gesetzt werden darf, ist nicht nur aus dem Wesen der Sache zu erschließen, sondern geht auch aus der Tatsache hervor, daß alle Wahlordnungen, von der Nationalratswahlordnung über die Landtagswahlordnungen bis zu den Gemeindewahlordnungen, die in den Wahlvorschlägen der einzelnen Wählergruppen aufscheinenden Kandidaten als "Bewerber" oder als "Wahlwerber" bezeichnen. Der Begriff der "Bewerbung" setzt aber auch auf Seiten des Kandidaten das subjektive Moment der Bereitschaft zur Mandatsannahme voraus, woraus sich für die als wahlwerbende Partei auftretende Wählergruppe die Notwendigkeit ergibt, sich Gewißheit zu verschaffen, daß bei dem von ihr vorgeschlagenen Kandidaten die Bereitschaft vorhanden ist, ein auf die betreffende Wählergruppe entfallendes Mandat anzunehmen. Wäre der Gesetzgeber tatsächlich der Meinung gewesen, daß es seiner Zustimmung zur Aufnahme in den Wahlvorschlag nicht bedarf, dann würde er nicht von einem "Verzicht" sprechen, sondern hätte wohl gesagt, daß der Vorgeschlagene berechtigt sei, seine Streichung aus dem Wahlvorschlag zu verlangen, dh die Aufnahme in den Wahlvorschlag abzulehnen. Auch aus § 43 der Steiermärkischen GemeindewahlO, wonach ein Wahlwerber, dessen Name auf mehreren Wahlvorschlägen aufscheint, aufzufordern ist, sich binnen acht Tagen zu erklären, für welchen der Wahlvorschläge er sich entscheidet, und daß der Wahlwerber, wenn er nicht fristgerecht eine Erklärung abgibt, auf dem ersteingelangten, seinen Namen tragenden Wahlvorschlag zu belassen ist, kann eine gegenteilige Auffassung des Gesetzgebers nicht abgeleitet werden. Denn durch das Schweigen gibt der Betroffene indirekt seine Bereitwilligkeit kund, als Kandidat des ersteingelangten Wahlvorschlages aufzutreten.

Eine Analyse dieser Entscheidung zeigt, daß es ausreichend ist, wenn sich der Kandidat auf irgendeine Weise gegen die Aufnahme in einen Wahlvorschlag zur Wehr setzen kann. Versäumt er diese Gelegenheit, gilt er als zustimmend und kann die Wahl aus diesem Grund nicht mehr anfechten.

Unter dem Gesichtspunkt dieser Grundsätze des Verfassungsgerichtshofs über das Wesen freier und unbeeinflußter Wahlen zeigt sich, daß eine Wahlanfechtung nach § 59 Abs 1 ArbVG nicht in Betracht kommt, wenn ein gegen oder ohne seinen Willen aufgenommener Kandidat mit anderen, noch dazu einfachen Mitteln seine Streichung erreichen kann. Macht er von seinem Recht nach § 21 Abs 3 letzter Halbsatz BRWO nicht Gebrauch, gilt er als der Aufnahme in den Wahlvorschlag zustimmend und kann nicht im nachhinein die Betriebsratswahl anfechten.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 42, 50 ZPO, 58 Abs 1 ASGG.

Anmerkung

E22482

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00230.9.1205.000

Dokumentnummer

JJT_19901205_OGH0002_009OBA00230_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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