TE OGH 1990/12/19 9ObS16/90

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Veröffentlicht am 19.12.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Monika O***, Schneidermeisterin, Wien 7., Wimbergerstraße 5/3, vertreten durch Dr. Andreas Löw, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** V***,

Wien 4., Schwindgasse 5, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 56.181,20 S sA Insolvenzausfallgeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. September 1990, GZ 32 Rs 159/90-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 16. Jänner 1990, GZ 15 Cgs 508/89-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittel selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 9. Juli bis 7. Dezember 1984 als Directrice bei Thomas K. beschäftigt, der in Wien 1. ein Unternehmen für Kinderbekleidung betrieb. Die Klägerin trat vorzeitig aus, weil ihr das Gehalt für November 1984 nicht rechtzeitig gezahlt wurde. Sie machte ihre Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis am 11. Dezember 1984 mit Klage beim Arbeits- und Sozialgericht Wien geltend. In diesem Verfahren wurden ihr 99.667 S brutto zuzüglich 102,10 S netto sowie die Kosten von 47.438,97 S rechtskräftig zuerkannt. Am 31. Mai 1985 - und daher noch vor dem am 23. Dezember 1985 erfolgten Schluß der Verhandlung im anderen Verfahren - brachte Thomas K. gegen die Klägerin beim Arbeitsgericht Wien eine auf Zahlung von 260.000 S sA gerichtete Klage ein. Er machte in dieser Höhe Schadenersatzforderungen wegen angeblich unrichtiger Erstellung von Schnitten für Kinderbekleidung sowie wegen des Abhandenkommens von Stoffen geltend. Diese Klage wurde rechtskräftig abgewiesen und der Klägerin in diesem Verfahren Kosten (auf Basis von 260.000 S) im Betrag von insgesamt 56.181,20 S zuerkannt. Mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 14. März 1989 wurde der Antrag der Klägerin auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Thomas K. mangels eines zur Deckung der Kosten des Konkursverfahrens voraussichtlich hinreichenden Vermögens abgewiesen. Mit Bescheiden vom 21. August 1989 und vom 28. September 1989 erkannte die beklagte Partei der Klägerin Insolvenzausfallgeld von insgesamt 148.311 S für die im Aktivprozeß ersiegte Forderung samt Kosten und Zinsen zu. Mit Bescheid vom 29. September 1989 lehnte die beklagte Partei hingegen unter anderem die Gewährung von Insolvenzausfallgeld für die von der Klägerin in dem von Thomas K. gegen sie angestrengten Schadenersatzprozeß ersiegten Kosten von 56.181,20 S ab.

Die Klägerin begehrt in der vorliegenden Klage die Zuerkennung von Insolvenzausfallgeld in dieser Höhe. Die Abwehr der Schadenersatzansprüche ihres ehemaligen Arbeitgebers sei zur Durchsetzung ihrer Entgeltansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erforderlich gewesen. Der Klagsbetrag gebühre ihr nach § 1 Abs 2 Z 2, 3 und 4 IESG.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die gegenständlichen Kosten seien nicht bei Durchsetzung von Ansprüchen nach § 1 Abs 2 Z 1 bis 3 IESG entstanden und seien daher nicht nach § 1 Abs 2 Z 4 IESG gesichert.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die zur Abwehr der vom Arbeitgeber geltend gemachten Schadenersatzansprüche aufgewendeten Prozeßkosten der Durchsetzung der gesicherten Ansprüche der Klägerin auf Entgelt und Entschädigung gedient hätten. Welche Verteidigungsstrategie der beklagte Arbeitgeber wähle, unterliege nicht der Ingerenz des seine Ansprüche geltend machenden Arbeitnehmers. So stehe es dem Beklagten etwa frei, eine kompensable Gegenforderung mit Aufrechnungseinrede oder mit Widerklage geltend zu machen. Es könne nicht darauf ankommen, ob der Arbeitnehmer die Kosten in einem von ihm eingeleiteten Erkenntnis- oder Exekutionsverfahren oder in einem vom Arbeitgeber im Sinne der aktiven Verteidigung angestrengten selbständigen Verfahren aufwende.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, Insolvenzausfallgeld gebühre für Kosten nur dann, wenn sie zur Durchsetzung der Ansprüche gemäß § 1 Abs 2 Z 1 bis 3 IESG aufgewendet worden seien und für die geltend gemachten Hauptansprüche tatsächlich Insolvenzausfallgeld zuerkannt worden sei. Nach § 1 Abs 2 Z 4 lit d IESG seien daher nur akzessorische Kostenansprüche aus der Durchsetzung gesicherter Hauptansprüche gesichert. Die gegenständlichen Kosten hätten nicht der Rechtsverfolgung, sondern der Rechtsverteidigung gedient und seien nach dieser Gesetzesbestimmung nicht gesichert. Schließlich falle der gegenständliche Kostenanspruch auch nicht unter die Ansprüche nach § 1 Abs 2 Z 1 bis 3 IESG, weil der von Thomas K. geltend gemachte Schadenersatzanspruch kein Anspruch der Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die gesicherten Ansprüche sind im § 1 Abs 2 Z 1 bis 4 taxativ aufgezählt. Es handelt sich bei den in Z 1 bis 3 genannten Ansprüchen um materielle Ansprüche des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis. Dies ergibt sich vor allem aus dem Wortlaut des § 1 Abs 2 Z 4 IESG in der Stammfassung des Gesetzes ("die notwendigen Kosten, die bei der Geltendmachung derartiger Ansprüche entstehen"). Da mit der Novelle BGBl 580/1980 lediglich § 1 Abs 2 Z 4 IESG geändert wurde, weil sich die bisherige Formulierung in der Praxis als unzureichend erwiesen hatte (Regierungsvorlage 446 BlgNR 15. GP, 4 f), kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber damit auch den Inhalt des unverändert gebliebenen Teiles des § 1 Abs 1 IESG (Z 1 bis 3) anders bestimmen wollte. Der gegenständliche Kostenersatzanspruch fällt daher als nicht unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis erwachsener öffentlich-rechtlicher Anspruch nicht unter die nach § 1 Abs 2 Z 1 bis 3 IESG gesicherten Ansprüche.

Es bleibt somit zu prüfen, ob die Kosten der Abwehr des vom Arbeitgeber geltend gemachten Schadenersatzanspruches den in § 1 Abs 2 Z 4 IESG genannten, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zugeordnet werden können. Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß nach der in Frage kommenden Bestimmung des § 1 Abs 2 Z 4 lit d IESG nur (akzessorische) Kosten eines Aktivprozesses zur Durchsetzung der Ansprüche des Arbeitnehmers nach § 1 Abs 2 Z 1 bis 3 IESG gesichert sind. Da die Aufzählung der Kosten im § 1 Abs 2 Z 4 lit a bis f IESG - anders als die übergeordnete Aufzählung der gesicherten Ansprüche im § 1 Abs 2 Z 1 bis 4 dieses Gesetzes - bewußt demonstrativ gestaltet wurde (siehe Ausschußbericht 558 BlgNR

15. GP - in der Regierungsvorlage war noch eine taxative Aufzählung vorgesehen), bleibt noch zu prüfen, ob die gegenständlichen Kosten als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig im Sinne des ersten Satzes des § 1 Abs 2 Z 4 IESG anzusehen sind. Der Revisionswerberin ist darin beizupflichten, daß dann, wenn Thomas K. die Schadenersatzforderung compensando als Gegenforderung gegen die von der Klägerin geltend gemachten, nach § 1 Abs 2 Z 1 IESG gesicherten Ansprüche eingewendet hätte, allenfalls (bei gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung über Klagsforderung und Gegenforderung) auch die Kosten der Abwehr dieser nicht konnexen

Gegenforderung - nach § 1 Abs 2 Z 4 lit d IESG - gesichert wären. Weiters ist der Revisionswerberin zuzugeben, daß es im Belieben des Arbeitgebers steht, ob die Gegenforderung nur compensando einwendet oder sie (auch) selbständig einklagt und damit den Arbeitnehmer, will dieser seine gesicherten Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis letztlich durchsetzen, zwingt, die mit Klage geltend gemachten Gegenansprüche ebenso abzuwehren, wie die im Aktivprozeß eingewendete Gegenforderung. Dennoch ist eine Einbeziehung auch der Kosten eines gesonderten Prozesses des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer in den Kreis der gesicherten Kostenansprüche weder sachlich gerechtfertigt, noch ist sie mit den Intentionen des Gesetzgebers vereinbar.

Nach der aus der demonstrativen Aufzählung des § 1 Abs 2 Z 4 lit a bis f IESG erschließbaren Absicht des Gesetzgebers sollten nur die unmittelbar mit der Durchsetzung der Ansprüche nach Z 1 bis 3 dieser Bestimmung verbundenen akzessorischen Kostenansprüche erfaßt sein und daher grundsätzlich nur der auf die Beurteilung der gesicherten Forderung entfallende Prozeßkostenaufwand gleich dieser gesichert sein. Wird der Gegenanspruch des Arbeitgebers lediglich als Gegenforderung eingewendet, handelt es sich um eine bloße Eventualeinrede für den Fall, daß das Gericht die Klagsforderung für ganz oder teilweise berechtigt ansieht und damit - ebenso wie bei jedem anderen Einwand gegen die Klagsforderung - um ein reines Verteidigungsmittel, das nie zu einem selbständigen Zuspruch der Gegenforderung, sondern lediglich zu einer Verminderung oder Abweisung der Klagsforderung führen kann. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, daß zwar auch eine nicht konnexe Gegenforderung mit Aufrechnungseinrede eingewendet werden kann, daß aber § 391 Abs 3 ZPO für diesen Fall die Möglichkeit eines selbständig anfechtbaren und auch vollstreckbaren Teilurteils über die Klagsforderung einräumt. Der im folgenden Verfahren nur auf die Abwehr der nicht konnexen Gegenforderung entfallende Prozeßkostenaufwand kann aber bei Bedachtnahme auf die oben dargelegten Intentionen des Gesetzgebers nicht den zur Durchsetzung der gesicherten Klagsforderung notwendigen Kosten im Sinn des § 1 Abs 2 Z 4 IESG zugezählt werden. Der Umstand allein, daß es aus praktischen Gründen nicht möglich ist, im Falle einer gemeinsamen Verhandlung über Klagsforderung und nicht konnexe Gegenforderung den Prozeßaufwand zuzuordnen, so daß in diesem Fall auch der auf die Abwehr der Gegenforderung entfallende Aufwand nicht aus den nach § 1 Abs 2 Z 4 lit d IESG gesicherten Kosten ausgeschieden werden kann, führt nicht dazu, diese sich aus den prozessualen Möglichkeiten der Bekämpfung der Klagsforderung und der Unmöglichkeit der Trennung des Aufwandes ergebende Ausweitung auch auf andere Fälle auszudehnen, in denen dieser Aufwand eindeutig zuzuordnen ist.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 40 und 50 ZPO; besondere Gründe, die einen Kostenzuspruch an die zur Gänze unterliegende Klägerin im Sinne des § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG gerechtfertigt hätten, wurden nicht einmal behauptet.

Anmerkung

E22636

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBS00016.9.1219.000

Dokumentnummer

JJT_19901219_OGH0002_009OBS00016_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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