TE OGH 1991/2/13 9ObA19/91

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Veröffentlicht am 13.02.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Othmar Roniger und Dr. Gerhard Dengscherz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei N***** Y*****, Arbeiter, ***** vertreten durch Dr. B***** S*****, Sekretär *****, dieser vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei K***** S***** vertreten durch Dr. H***** A*****, Sekretär *****, dieser vertreten durch *****, Rechtsanwälte *****, wegen S 86.721,39 sA (im Revisionsverfahren S 67.514,31), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 1990, GZ 13 Ra 72/90-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. April 1990, GZ 9 Cga 79/89-8, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird in seinem dem Klagebegehren stattgebenden Teil und in der Kostenentscheidung aufgehoben und die Arbeitsrechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger war beim Beklagten von August 1973 bis August 1978 und von März 1979 bis 20.Juni 1989 als Arbeiter beschäftigt. Seine tägliche Arbeitszeit dauerte von 7.00 Uhr bis 12.00 Uhr und von 13.00 Uhr bis 16.00 Uhr.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger einen der Höhe nach unbestrittenen Betrag von S 86.721,39 sA an Kündigungsentschädigung, anteiligen Sonderzahlungen, Abfertigung und Urlaubsentschädigung. Er sei nach einem Streit mit dem Sohn des Beklagten von diesem und dem Beklagten zu Boden geschlagen und aus dem Büro geworfen worden. Dabei hätten beide erklärt, daß der Kläger verschwinden und sich nicht mehr sehen lassen solle. Das Arbeitsverhältnis habe damit durch eine ungerechtfertigte Entlassung geendet. Sollte der Beklagte - so wie bisher - einwenden, daß der Kläger vorzeitig ausgetreten sei, werde hilfsweise vorgebracht, daß der Austritt auf Grund der tätlichen Mißhandlung und groben Ehrenbeleidigung berechtigt erfolgt sei. Gründe, die einen Abfertigungsanspruch im Sinne des § 23 Abs 7 AngG ausschlössen, lägen jedenfalls nicht vor.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Sein Sohn habe den Kläger zur Rede gestellt, weil dieser bereits zwischen 11.30 Uhr und 11.45 Uhr begonnen habe, sein Essen aufzuwärmen. Der Kläger sei dem Sohn ins Betriebsbüro nachgelaufen und habe dabei mehrmals geschrien "ich aufhören, Papierla geben". Da gerade ein Auslandsgespräch in das Betriebsbüro durchgestellt worden sei und der Kläger nicht aufgehört habe, lauthals zu schreien, sei er vom Beklagten aufgefordert worden, das Büro zu verlassen. Da der Kläger aber weitergeschrien habe, sei er vom Beklagten und seinem Sohn lediglich aus dem Büro gedrängt und hinter ihm die Türe abgeschlossen worden. Der Kläger habe daraufhin den Betrieb verlassen und die Arbeit seither nicht wieder aufgenommen. Auf Grund dieses Verhaltens sei der Kläger selbst unbegründet vorzeitig ausgetreten, so daß ihm die geltend gemachten Ansprüche nicht zustünden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Kläger hatte schon seit einiger Zeit die Absicht, den Betrieb des Beklagten zu verlassen, um bei einem anderen Unternehmen zu arbeiten. Er wollte aber den Abfertigungsanspruch nicht durch eine Eigenkündigung verlieren; deshalb hatte er den Beklagten schon früher vorgeschlagen, ihm wenigstens die halbe Abfertigung zu zahlen. Auch der Beklagte wollte den Kläger im Hinblick auf die Abfertigung nicht kündigen. Er war überdies an einer Weiterbeschäftigung des Klägers trotz dessen sinkender Arbeitsleistung interessiert; der Kläger war eingearbeitet und eine geeignete Ersatzkraft schwer zu finden.

Am 20.Juni 1989 fiel dem Sohn des Beklagten gegen 11.45 Uhr auf, daß aus dem Kellerraum, in dem der Kläger arbeitete, kein Maschinenlärm zu hören war. Er ging hinunter und fand den Kläger am Fenster stehend vor, während dieser sein Essen auf einem transportablen Kocher aufwärmte. Er hielt dem Kläger vor, daß er jetzt schon mit der Arbeit aufgehört habe, worauf sich zwischen ihnen ein Streit entspann. Als der Sohn des Beklagten in sein Büro zurückging, folgte ihm der Kläger. Der Beklagte hörte die lautstarke Auseinandersetzung und kam in das Büro, um sich über die Ursache des Lärms zu erkundigen. Da das Telefon läutete, der Kläger sich nicht beruhigen wollte und auch trotz Aufforderung das Büro nicht verließ, schoben und zerrten ihn der Beklagte und sein Sohn zur Tür hinaus und hielten diese zu, um zu verhindern, daß der Kläger wieder hereinkomme.

Es kann nicht festgestellt werden, ob der Kläger dabei zu Boden fiel und ob er sich dabei in irgendeiner Form verletzte. Gleich darauf verließ der Kläger zwischen 12.05 Uhr und 12.10 Uhr schimpfend das Betriebsgebäude und ging über den Hof zu seinem Auto.

Es kann nicht festgestellt werden, ob der Beklagte zum Kläger gesagt hat, daß er verschwinden und nicht wiederkommen soll oder ob er nur erklärt hat, er solle den Büroraum verlassen. Es kann weiters nicht festgestellt werden, ob der Kläger im Zuge der Auseinandersetzung ausdrücklich gesagt hat, daß er selbst sofort aufhören wolle und daß ihm die Papiere nach Hause geschickt werden sollen. Kurz nach dem Verlassen des Betriebes erstattete der Kläger Anzeige bei der Gendarmerie und suchte einen Arzt auf. Er nahm seine Arbeit beim Beklagten auch in der Folge nicht wieder auf.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß sämtliche geltend gemachten Ansprüche von der Art der Auflösung des Arbeitsverhältnisses abhängig seien. Da nicht aufgeklärt werden könne, wie das Arbeitsverhältnis geendet habe, komme es auf die Verteilung der Beweislast an. Der Kläger habe seine Ansprüche jedenfalls mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erworben. Es wäre Sache des Beklagten gewesen, zu beweisen, daß der grundsätzlich bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehende Anspruch auf Sonderzahlungen und Abfertigung infolge einer besonderen Auflösungsart nicht zum Tragen komme; dies gelte auch für die begehrte Kündigungsentschädigung und die Urlaubsentschädigung. Ein solcher Beweis sei dem Beklagten nicht gelungen.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es dem Kläger nur S 67.514,31 sA zusprach und das Mehrbegehren von S 19.207,08 abwies. Es billigte die Ansicht des Erstgerichts, daß weder dem Kläger der Beweis gelungen sei, daß er entlassen wurde, noch dem Beklagten, daß der Kläger vorzeitig ausgetreten ist. Der Annahme eines weiterhin aufrechten Arbeitsverhältnisses stehe entgegen, daß beide Parteien von einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 20.Juni 1989 ausgingen. Es seien sohin alle Ansprüche des Klägers berechtigt, die an den Bestand eines beendeten Arbeitsverhältnisses anknüpften und nur unter besonderen Voraussetzungen entfallen. Diese besonderen Voraussetzungen lägen gemäß § 23 Abs 7 AngG weder bei der Abfertigung noch gemäß § 14 Abs 9 und § 15 Abs 5 des Kollektivvertrags für das holz- und kunststoffverarbeitende Gewerbe bei den aliquoten Sonderzahlungen vor.

Hingegen habe der Kläger keinen Anspruch auf Kündigungsentschädigung und eine über die Urlaubsabfindung hinausgehende Urlaubsentschädigung. Der Kläger habe bestritten, vorzeitig ausgetreten zu sein und habe die behauptete Entlassung nicht beweisen können (§ 1162b ABGB). Auch die Urlaubsentschädigung setze gemäß § 9 Abs 1 UrlG bestimmte Endigungsgründe voraus, deren Nachweis nicht gelungen sei. Hinsichtlich der Urlaubsabfindung habe andererseits der Beklagte den anspruchsvernichtenden Beweis nach § 10 Abs 2 UrlG nicht erbracht, daß der Kläger ohne wichtigen Grund vorzeitig ausgetreten sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des vom Abänderungsantrag umfaßten Aufhebungsantrags (vgl. Fasching ZPR2 Rz 1915) berechtigt.

Wie das Berufungsgericht richtig erkannte, gehen beide Parteien in ihrem Prozeßvorbringen in einer Art natürlichen Konsenses davon aus, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers auf Grund der am 20. Juni 1989 stattgefundenen Auseinandersetzung beendet wurde. Erwägungen darüber, ob das Arbeitsverhältnis entgegen dem eindeutigen Prozeßstandpunkt beider Streitteile noch aufrecht sei, haben daher zu entfallen. Nun trifft es zwar zu, daß Anspruchsgrundlage der im Revisionsverfahren noch streitverfangenen Ansprüche des Klägers auf Abfertigung, aliquote Sonderzahlung und Urlaubsabfindung (bzw. -entschädigung) die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und nicht eine bestimmte Art der Beendigung ist, die nur zum ausnahmsweisen Verfall führen kann; jede behauptete Beendigung muß aber für sich beurteilt werden (vgl. Spielbüchler in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht3 I 182; Martinek-Schwarz, Abfertigung - Auflösung des Arbeitsverhältnisses 47 ff; DRdA 1986/14 ua).

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes konnte der Kläger die von ihm behauptete Entlassung - hiefür ist der klagende Arbeitnehmer behauptungs- und beweispflichtig - nicht beweisen. Der Beklagte hat kein Verhalten eingenommen, aus dem sein Wille, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger einseitig zu lösen, eindeutig zum Ausdruck gekommen wäre. Soweit er mit Hilfe seines Sohnes den Kläger aus dem Büro schob und zerrte, ist diesem Verhalten objektiv nur zu entnehmen, daß er damit die Ruhe im Büro wieder herstellen wollte, um ungestört telefonieren zu können. Hingegen nahm der Kläger diesen Vorfall zum Anlaß, um seinerseits das Arbeitsverhältnis zum Beklagten zu beenden.

Der Kläger verließ schimpfend das Betriebsgebäude und ging zu seinem Auto. Er fuhr weg und nahm die Arbeit nach diesem Vorfall nicht wieder auf. Er erstattete gegen den Beklagten und dessen Sohn eine Anzeige wegen des Verdachts des Vergehens der Körperverletzung und suchte einen Arzt auf. Auch wenn für die Annahme der Schlüssigkeit eines Verhaltens im Hinblick auf § 863 ABGB ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. Rummel in Rummel ABGB2 § 863 Rz 14), durfte der Beklagte mit Recht annehmen, daß der Kläger, dem die Vorinstanzen nur eine beschränkte Ausdrucksfähigkeit attestierten, das Arbeitsverhältnis nicht mehr fortsetzen wollte. Die rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichtes, die zu berücksichtigenden Umstände seien nicht eindeutig, da die Behauptung des Klägers, der Beklagte habe zu ihm gesagt, er solle verschwinden und nicht mehr wiederkommen, zwar als möglich, jedoch "nicht erwiesen, aber auch nicht als widerlegt anzusehen sei" (?), entsprechen nicht den Feststellungen. Im Zusammenhalt mit den ausdrücklichen und oben wiedergegebenen Feststellungen des Erstgerichtes beschränkte sich das Verhalten des Klägers nicht bloß auf ein Nichterscheinen zur Arbeit. Er nahm vielmehr die Auseinandersetzung mit dem Beklagten und dessen Sohn im Büro zum Anlaß, das Arbeitsverhältnis in einer für den Beklagten erkennbaren mißbilligenden Weise einseitig und vorzeitig aufzulösen. Damit ist aber dem Beklagten der Beweis, der Kläger sei vorzeitig ausgetreten, entgegen der Ansicht der Vorinstanzen gelungen.

Die Arbeitsrechtssache ist aber noch nicht spruchreif, da das Berufungsgericht auf Grund seiner irrigen Rechtsansicht auf die in der Berufungsbeantwortung des Klägers enthaltene Beweis- und Tatsachenrüge überhaupt nicht einging, wodurch bisher ungeklärt blieb, ob der Kläger berechtigt oder unberechtigt vorzeitig ausgetreten ist (§ 82a lit b GewO 1859). Sämtliche noch streitverfangenen Ansprüche bestehen nämlich dann nicht zu Recht, wenn der Kläger seinen Austritt ohne wichtigen Grund vorgenommen haben sollte (§ 23 Abs 7 AngG iVm § 2 Abs 1 ArbAbfG; §§ 9 Abs 1 Z 2 und 10 Abs 2 UrlG; §§ 14 Z 9 und 15 Z 5 Kollektivvertrag für das holz- und kunststoffverarbeitende Gewerbe. Den bisherigen Feststellungen ist dazu eine Rechtfertigung des Austritts noch nicht zu entnehmen (vgl. Krejci in Rummel, ABGB2 § 1162 Rz 65 ff; 70). Da der Kläger die betriebliche Tätigkeit des Beklagten im Büro (Telefon) empfindlich störte und weder die lautstarke Auseinandersetzung beendete noch trotz entsprechender Aufforderung das Büro verließ, dürfte der Beklagte den Kläger mit angemessener Gewalt (vgl. § 344 ABGB iVm § 19 ABGB) von dort entfernen.

Der Kläger brachte aber vor, daß ihn der Beklagte zu Boden geschlagen habe und ihn dann mit Hilfe des Sohnes aus dem Büro geworfen habe; dort sei er am Boden zum Liegen gekommen. Das Erstgericht hielt dazu fest, daß nicht festgestellt werden könne, ob der Kläger zu Boden gefallen sei und ob er sich dabei in irgendeiner Form verletzt habe. Diese negative Feststellung wird vom Kläger ebenso wie die Feststellung über die Art seiner Entfernung aus dem Büro bekämpft (S.61). Hätte sich der Vorfall aber entsprechend den Behauptungen des Klägers ereignet, wäre sein - subsidiär behaupteter - vorzeitiger Austritt im Sinne des § 82a lit b GewO 1859 berechtigt gewesen.

Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.

Anmerkung

E25318

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:009OBA00019.91.0213.000

Dokumentnummer

JJT_19910213_OGH0002_009OBA00019_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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