TE OGH 1991/2/13 9ObA1/91

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.02.1991
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes HonProf.Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Othmar Roniger und Dr. Gerhard Dengscherz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. F***** L*****, Angestellter, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei prot.Firma *****Auto Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wegen S 440.031,40 brutto sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 21. September 1990, GZ 33 Ra 65/90-16, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 16. Oktober 1989, GZ 22 Cga 1690/88-11, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger ist seit 1961 als Autoverkäufer tätig. Seit 1. Februar 1971 war er bei den Rechtsvorgängern der Beklagten und dann bei der Beklagten beschäftigt. Im Jahre 1975 wurde der Kläger Mitglied des Betriebsrates der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Von Jänner 1976 bis Juni 1982 war der Kläger als Obmann des (damals) gemeinsamen Angestellten- und Arbeiterbetriebsrates der Beklagten (bzw. ihrer Rechtsvorgängerin) gemäß § 117 ArbVG freigestellt.

Mit gerichtlichem Vergleich vom 29. Juni 1981 verpflichtete sich die Beklagte, dem Kläger für die weitere Dauer seiner Freistellung jene Durchschnittsprovision zu zahlen, die die Verkäufer der Beklagten im Verkaufslokal auf der R*****straße erzielten; dies zuzüglich Fixum und Sachbezug für den Vorführwagen.

Seit der Trennung des gemeinsamen Betriebsrates im Jahr 1982 ist die Freistellung des Klägers wegen Nichterreichen der notwendigen Zahl von Arbeitnehmern (§ 117 ArbVG) aufgehoben. Der Kläger ist seither Vorsitzender des Angestelltenbetriebsrates der Beklagten und des Betriebsausschusses. Er ist wieder als Autoverkäufer der Beklagten in deren Geschäftslokal in der R*****straße tätig und verkauft dort Audi- und VW-Modelle. Ein Antrag der Beklagten an das Einigungsamt Wien, der Kündigung des Klägers wegen mangelhafter Arbeitsleistung zuzustimmen, wurde als unbegründet abgewiesen. Der Kläger wendet etwa 75 % seiner Arbeitszeit für seine Tätigkeit im Betriebsrat auf; nur 25 % bleiben für seine Verkaufstätigkeit.

Der Kläger begehrt von der Beklagten zuletzt Zahlung von S 440.031,40 brutto sA als Fehlbetrag auf jenes Entgelt, das er in der Zeit von August 1985 bis Dezember 1988 ohne Freizeitgewährung für seine Betriebsratstätigkeit erzielt hätte. Er legt der Berechnung seines Ausfalls (so wie im gerichtlichen Vergleich vom 29. Juni 1981) das durchschnittliche Einkommen der beiden anderen im Verkaufslokal der Beklagten in der R*****straße beschäftigten Autoverkäufer zugrunde, das wesentlich höher als sein eigenes Einkommen sei. Sein geringer Verkaufserfolg sei darauf zurückzuführen, daß er häufig in Erfüllung seiner Obliegenheiten in Angelegenheiten des Betriebsrates von seinem Arbeitsplatz weggerufen werde und dann ein anderer Verkäufer den (bereits angebahnten) Verkauf perfekt mache und dafür die Provision erhalte. Er sei vor seiner Tätigkeit im Betriebsrat einer der besten Verkäufer des Unternehmens gewesen. Er habe auch einen für Kaufabschlüsse ungünstigeren Arbeitsplatz als die übrigen Autoverkäufer; die auf den sogenannten "Juniorverkäufer" entfallende Provision werde nur seinen beiden Arbeitskollegen zugerechnet.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß der behauptete Verdienstausfall des Klägers nicht auf seine funktionsbedingte Abwesenheit vom Arbeitsplatz, sondern auf seinen geringen Verkaufserfolg zurückzuführen sei; er halte so wie die beiden anderen Verkäufer eine fixe Arbeitszeit ein. Schon in den Jahren vor seiner (gänzlichen) Freistellung habe der Kläger weniger verdient als er ab 1976 als freigestellter Betriebsratsvorsitzender bezogen habe. Die Erfüllung des Begehrens des Klägers würde über seinen Verdienstausfall als Betriebsratsvorsitzender hinausgehen und eine nicht gerechtfertigte Besserstellung bewirken.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf folgende weitere wesentliche Feststellungen: Der Kläger war vor dem Beginn seiner Betriebsratstätigkeit (1975; ab 1976 Freistellung) mehrmals Sieger bei Verkaufswettbewerben; er erhielt dafür Belobigungen und Anerkennungen. Der Kläger arbeitet mit zwei anderen Autoverkäufern im Verkaufslokal der Beklagten. Fallweise ist dort auch ein sogenannter "Juniorverkäufer" beschäftigt, der einem der beiden anderen Autoverkäufer zugeteilt wird. Die Arbeitsplätze dieser beiden Verkäufer und des Juniorverkäufers befinden sich im Verkaufslokal auf einer Art Podest, der Arbeitsplatz des Klägers hingegen an der hinteren Wand des Lokals; dieser ist damit von den das Lokal betretenden Kunden weiter entfernt als die anderen Arbeitsplätze.

Die Verkäufer der Beklagten beziehen eine "Abschlußprovision", die unabhängig vom "Erstkontakt" mit dem betreffenden Kunden jenem Verkäufer zufällt, der den Vertrag abschließt. Die Provision für Abschlüsse des Juniorverkäufers wird auf die beiden anderen Verkäufer je zur Hälfte aufgeteilt; dem Kläger werden Verkäufe des Juniorverkäufers nicht zugerechnet.

Die Verkäufer der Beklagten erzielen den wesentlichsten Teil ihres Umsatzes im vorerwähnten Geschäftslokal selbst; eine (auswärtige) Akquisition leistet praktisch keiner der drei Verkäufer. Ein Teil der Verkaufsumsätze ist auch auf sogenannte "Aktionen" zurückzuführen, die einer der beiden anderen Autoverkäufer initiiert hat. Der Kläger ist auf dem Prospekt einer dieser Aktionen nicht als Kontaktperson angeführt. Die Gründe hiefür wurden nicht eindeutig festgestellt. Möglicherweise war der Kläger von der geplanten Aktion nicht informiert worden.

Im genannten Geschäftslokal besteht eine Diensteinteilung, die festlegt, welcher der drei dort beschäftigten Verkäufer an den einzelnen Arbeitstagen "Dienst" hat. Tatsächlich ist mindestens einer der beiden anderen Verkäufer regelmäßig anwesend. Nach dieser Diensteinteilung ist auch der Kläger an bestimmten Tagen zur Anwesenheit im Verkaufslokal verpflichtet; infolge seiner Inanspruchnahme als Betriebsratsvorsitzender kommt es aber auch an diesen Tagen vor, daß er das Verkaufslokal verlassen und sich in die Zentrale des Unternehmens nach ***** begeben muß, da von den etwa 240 Mitarbeitern des Unternehmens nur vier im Verkaufslokal des Klägers, alle anderen aber in der Zentrale ***** arbeiten. Der Zeitaufwand für die Zurücklegung dieser Wegstrecke beträgt etwa eine Stunde.

Die Kontakte zu Großkunden stellt der Verkaufsleiter der Beklagten her; im Falle bevorstehender Verkaufsabschlüsse werden diese Kunden einem der Verkäufer zugewiesen. Dem Kläger wurde nie ein derartiger Großkunde zur Betreuung übergeben.

Der Kläger würde mit den Abschlußprovisionen für die von ihm verkauften Kraftfahrzeuge den kollektivvertraglichen Mindestgehalt nicht erreichen. Er hatte in den Jahren 1985 bis 1987 je über 1.200 Stunden, 1988 1.353 Stunden und 1989 (bis 16.6) 775 Stunden für Betriebsratsangelegenheiten aufzuwenden. Daraus ergibt sich, daß der Kläger bis 1988 etwa 3/4 der gesamten Jahresarbeitszeit und im Jahr 1989 (bis 16.6.) annähernd 90 % der Arbeitszeit zur Erfüllung seiner Obliegenheiten für den Betriebsrat aufgewendet hat.

Die Verkaufszahlen des Klägers liegen weit hinter denen der beiden anderen Verkäufer. Seit 1985 ergibt sich folgendes Bild:

                 Verkaufte Einheiten

       Kläger        die beiden anderen Verkäufer zusammen

1985    18                       372,5

1986     6,5                     324

1987     5                       298

1988     5,5                     218,5

(bis Oktober)

Das Durchschnittsentgelt des Klägers und der beiden anderen

Verkäufer betrug:

       Kläger:             Die anderen Verkäufer:

1985   256.822                 433.487

1986   266.486                 429.640

1987   276.669                 395.692

1988   294.234                 378.478

Insgesamt hatte der Kläger schlechtere räumliche und technische Arbeitsbedingungen als die beiden anderen im Lokal beschäftigten Verkäufer. Im Gegensatz zu diesen genoß er von der Beklagten keine Unterstützung beim Verkauf durch Aktionen; eine Zuweisung von Großkunden erfolgte nicht.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß der Kläger durch die Erfüllung seiner Obliegenheiten für den Betriebsrat weitestgehend daran gehindert wurde, jene Provisionen zu verdienen, die er sonst infolge seiner langjährigen Berufserfahrung hätte verdienen können, wenn ihm die volle Arbeitszeit zur Verfügung gestanden wäre. Dazu komme noch, daß er schlechtere Arbeitsbedingungen als die übrigen Autoverkäufer der Beklagten habe. Er sei daher iS des § 115 Abs 3 ArbVG benachteiligt worden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das angefochtene Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß das Verfahren in erster Instanz erst nach Rechtskraft seines Beschlusses fortzusetzen sei (richtig: daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO)).

Die zweite Instanz übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes (ohne sie allerdings entgegen der Bestimmung des § 500 a ZPO in ausreichendem Maße wiederzugeben) als unbedenklich. Sie war der Ansicht, daß dem Kläger als nicht freigestelltem Betriebsratsvorsitzenden jenes Entgelt fortzuzahlen sei, das er ohne Ausübung dieser Funktion nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bezogen hätte. Ein Betriebsratsmitglied solle durch seine Tätigkeit für den Betriebsrat keine Einkommenseinbuße erleiden, aus dem Mandat aber auch keinen Vorteil ziehen. Soweit sich die Marktsituation seit der Zeit vor der Betriebsratstätigkeit des Klägers geändert habe, schlage sich das ohnehin auch im Provisionsverdienst vergleichbarer Autoverkäufer nieder. Da der Kläger nicht mehr freigestellt sei, könne er grundsätzlich Provisionen verdienen. Bei der Beurteilung einer Benachteiligung komme eine Orientierung an vergleichbaren Durchschnittskarrieren nur für Entgeltteile in Betracht, die nach allgemeinen Richtlinien gewährt würden, wie Gehalt, Fixum, Vorrückungen, Prämien, Zulagen, Akkordsätze etc. Bei Entgeltteilen, die auf der persönlichen individuellen Initiative und Leistung beruhen und vor allem von der Persönlichkeit des Arbeitnehmers abhängig seien, könnten jedoch nicht die Provisionsverdienste anderer, vergleichbare Verkaufsarbeit leistender Arbeitnehmer als Vergleichsmaßstab herangezogen werden. Maßgeblich sei jener Provisionsverdienst, den der als Betriebsratsmitglied tätige Dienstnehmer erzielen könnte. Nur dieser Verdienst spiegle die in der Persönlichkeit und dem Verkaufsgeschick liegende Fähigkeit, Einkommen zu erzielen, wider. Die Anknüpfung an die Provisionsverdienste vergleichbarer Arbeitnehmer sei auch nicht auf Grund des gerichtlichen Vergleiches vom 29. Juni 1981 berechtigt, da sich dieser nur auf den Zeitraum der gänzlichen Freistellung des Klägers bezogen habe.

Der Berechnung des Verdienstausfalls sei daher der Provisionsverdienst des Klägers in einem angemessenen Zeitraum zugrundezulegen und dieser wegen der Arbeitszeitbeschränkung durch die Betriebsratstätigkeit im Ausmaß von 75 % zu vervierfachen. Daß der Kläger in der Vergangenheit ein besonders tüchtiger Verkäufer gewesen sei, lasse keinen Hinweis auf das während der Betriebsratstätigkeit zu erzielende mutmaßliche Entgelt zu. Maßstab für den Ausfall des Klägers sei seine nunmehrige Leistungsfähigkeit; diese sei ausschließlich auf Grund des von ihm derzeit tatsächlich erzielten Provisionsverdienstes zu ermitteln.

Daß der Arbeitsplatz des Klägers vom Eingang des Lokals weiter entfernt als jener der beiden anderen Verkäufer sei, daß jener anders ausgestattet sei und daß dem Kläger die Provisionen des Juniorverkäufers nicht zugerechnet würden, sei noch kein Hinweis für eine Entgeltkürzungsabsicht oder eine Benachteiligung durch die Beklagte. Gegen Benachteiligungen, die nicht aus einem mißbilligten Motiv, nämlich wegen der Betriebsratstätigkeit erfolgten, schütze § 115 Abs 3 ArbVG nicht.

Da Feststellungen über die vom Kläger verdiente Provision und über die einzelnen Gehaltsbestandteile fehlten, sei eine Hochrechnung seines Verdienstausfalls derzeit nicht möglich. Die Rechtssache sei daher zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger bekämpft den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes mit Rekurs und beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rechtsmittel des Klägers nicht Folge zu geben.

Der Rekurs des Klägers ist im Ergebnis nicht berechtigt.

Der Rekurswerber bringt vor, daß er von der Beklagten seit der Wiederaufnahme seiner Tätigkeit als Autoverkäufer beim Erzielen von Provisionen durch mehrere Maßnahmen benachteiligt worden sei; im Gegensatz zu anderen Autoverkäufern sei ihm nie ein Großkunde zur Bearbeitung übergeben und die Provision aus Verkaufsabschlüssen von "Juniorverkäufern" nie angerechnet worden; er habe auch an den von den anderen Verkäufern veranstalteten Aktionen mangels Unterstützung durch die Beklagte nicht teilgenommen und im Verkaufslokal einen ungünstigeren Arbeitsplatz zugewiesen erhalten.

Bei der Bemessung seines Verdienstentgangs durch die Betriebsratstätigkeit sei nicht berücksichtigt worden, daß er durch seine Freistellung nahezu sieben Jahre aus dem Autoverkauf ausgeschaltet gewesen sei, dadurch seinen Kundenstock verloren habe und diesen während der "Teilarbeitszeit" von ca. 25 % (1989: teilweise sogar nur 10 %) kaum wieder aufbauen könne. Das Berufungsgericht hätte daher bei der Bemessung seines Ausfalls auf die Umstände vor der Zeit seiner Betriebsratstätigkeit zurückgreifen müssen. Sein Verdienstentgang könne daher nicht aus dem derzeitigen Provisionsverdienst linear "hochgerechnet" werden. Die Verschlechterung seiner Verdienstmöglichkeiten sei durch organisatorische Maßnahmen des Arbeitgebers (mit)bewirkt worden, die auch dann, wenn es an einem verpönten Motiv fehle, den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzten.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Ausführungen ist weitgehend zu folgen. Die rechtliche Beurteilung führt allerdings nicht zur Spruchreife der Sache im Sinne des Antrages des Revisionswerbers; da zur Festsetzung der Höhe des Ausfalls des Klägers erforderliche Feststellungen fehlen, hat es im Ergebnis bei der Aufhebung der Entscheidung des Erstgerichtes zu bleiben.

Gemäß § 116 ArbVG ist den Mitgliedern des Betriebsrates die zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten erforderliche Freizeit unter Fortzahlung des Entgelts zu gewähren. Gemäß § 117 Abs 1 ArbVG ist den freigestellten Betriebsratsmitgliedern das Entgelt fortzuzahlen. Die Höhe dieses Entgelts richtet sich - sowohl bei "Freizeitgewährung" (= teilweiser Freistellung) als auch bei (gänzlicher) Freistellung - danach, was das Betriebsratsmitglied verdient hätte, wenn es während dieser Zeit (in vollem Umfang) gearbeitet hätte. Es gilt daher das Ausfallsprinzip. Zu ersetzen ist nur der mutmaßliche Verdienst, also das, was der betreffende Arbeitnehmer, wenn er nicht eine die Freizeit oder Freistellung erfordernde Betriebsratsfunktion bekleidet, sondern gearbeitet hätte, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge, also mit überwiegender Wahrscheinlichkeit, weiterhin bezogen hätte (Floretta in Floretta-Strasser, Komm z ArbVG 786; DRdA 1982/1 (Stifter); SZ 61/266 = Arb 10.761). Das Betriebsratsmitglied soll nämlich auch weiterhin in den Genuß aller jener Begünstigungen kommen, auf die ein nicht freigestellter Arbeitnehmer Anspruch hätte, der die gleiche Arbeit verrichtete, wie sie das Betriebsratsmitglied vor seiner Freistellung zu verrichten hatte. Das Entgelt iS der §§ 116 Abs 1, 117 Abs 1 ArbVG umfaßt auch alle Zulagen (zB Schmutz-, Hitze-, Erschwernis-, Entfernungs- und Gefahrenzulagen für besondere Arbeiten), die wegen der Betriebsratstätigkeit unterbleiben mußten. Das Betriebsratsmitglied darf aber auch aus dem Mandat keinen Vorteil ziehen (Floretta-Strasser aaO 786, 792; Basalka in Wirtschaftsverlag Komm 302; Cerny, ArbVG9, 581; zu allem DRdA 1982/1).

Das Ausfallsprinzip gilt auch für variable Entgeltbestandteile. Hätte das Betriebsratsmitglied im Fall der Beschäftigung an seinem Arbeitsplatz Überstunden leisten müssen, sind auch diese samt Zuschlag zu zahlen (Floretta aaO 786; Cerny aaO 581 f, 584; SZ 61/266 = Arb 10.761). Variable Entgeltbestandteile sind dann nicht mehr weiterzuzahlen, wenn die Umstände, unter denen sie vor der Freistellung gewährt wurden, weggefallen sind, etwa bei Wegfall oder erheblicher Verringerung der Überstundenleistungen im Betrieb (Basalka aaO 302). Der Ansicht von Floretta (aaO 786), daß beim Provisionsverdienst die Gewährung des mutmaßlichen Verdienstes zu unsicher ist, so daß die zuletzt verdiente Provision zugrundezulegen ist, kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Auch bei diesem Einkommensbestandteil ist die Entwicklung "nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge" entscheidend.

Nach § 115 Abs 3 ArbVG dürfen die Mitglieder des Betriebsrates in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht beschränkt und wegen dieser, insbesondere hinsichtlich des Entgeltes und der Aufstiegsmöglichkeiten, nicht benachteiligt werden. Eine Verletzung des Benachteiligungsverbotes ist insbesondere dann anzunehmen, wenn dem Betriebsratsmitglied aus dem durch diese Gesetzesbestimmung mißbilligten Motiv eine bisher gewährte freiwillige Zulage entzogen oder das Betriebsratsmitglied bei Zuteilung von besonderen Zuwendungen nicht berücksichtigt wird (Floretta aaO 774 f). Hiebei genügt in Analogie zu

§ 105 Abs 5 ArbVG die Glaubhaftmachung des Motivs (Strasser in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht3 II, 413; SZ 61/198 = WBl 1989, 157), weil es auch in der Natur dieses Anfechtungstatbestandes liegt, daß sich das Motiv als entscheidungswesentlicher Umstand in aller Regel einer exakten und unangreifbaren Feststellung entzieht (Floretta aaO 631 ff). Macht daher der Arbeitnehmer glaubhaft, daß die Benachteiligung auf das verpönte Motiv zurückzuführen ist, dann ist eine unzulässige Benachteiligung anzunehmen, soferne nicht der Arbeitgeber glaubhaft macht, daß ein anderes Motiv mit höherer Wahrscheinlichkeit ausschlaggebend war (SZ 61/198 = RdW 1989, 230).

Im vorliegenden Fall steht fest, daß der Kläger vor dem Beginn seiner Betriebsratstätigkeit (1975; ab 1976 Freistellung gemäß § 117 ArbVG) mehrmals Sieger bei Verkaufswettbewerben war und dafür Belobigungen und Anerkennungen erhielt, also ganz offensichtlich ein sehr erfolgreicher Autoverkäufer war. Nach der Beendigung seiner Freistellung im Jahre 1982 hat der Kläger seine Tätigkeit als Autoverkäufer wieder aufgenommen; seine Verkaufserfolge blieben jedoch (siehe auch die Behauptungen der Beklagten im Verfahren Re 35/84 vor dem Einigungsamt Wien; im vorliegenden Verfahren gibt es Feststellungen über die Verkaufserfolge erst ab 1985) weit hinter dem Ausmaß seiner Freizeitgewährung (ca. 75 %) zurück. Der Kläger begründet dies mit den Schwierigkeiten bei der Wiedergewinnung eines Kundenstockes und den - im Vergleich zu den übrigen Verkäufern - ungünstigeren Provisionsverdienstmöglichkeiten, wogegen die Beklagte mangelnden Einsatz und mangelnde Eignung des Klägers behauptet.

Zu den möglichen Ursachen des derzeit auffallend geringen Provisionseinkommens des Klägers fehlen ausreichende Feststellungen. Den oben dargelegten Voraussetzungen des Ausfallprinzips wird weder die Entscheidung des Erstgerichtes, das dem Kläger ohne nähere Begründung den Unterschiedsbetrag auf den Durchschnittsverdienst der beiden anderen Autoverkäufer zugesprochen hat, noch die Ansicht des Berufungsgerichtes, welches das entgangene Engelt bloß durch Hochrechnung des derzeitigen tatsächlichen Provisionsverdienstes des Klägers ermitteln will, gerecht.

Bei der einen Bestandteil des Arbeitsentgeltes des Klägers bildenden "Verkäuferprovision" aus PKW-Verkäufen handelt es sich um einen variablen Entgeltbestandteil, dessen Höhe einerseits von allgemeinen, durch die Verkäufer unbeeinflussbaren Faktoren (wie die Konjunkturlage und die Wettbewerbsverhältnisse) abhängt, die alle Verkäufer (bei gleichen Verkaufsbedingungen!) in gleicher Weise betreffen; andererseits wird aber die Provisionshöhe auch von rein persönlichen Umständen des jeweiligen einzelnen Verkäufers (wie vor allem Fleiß, Engagement und Geschick in der Kundenbehandlung) bestimmt.

Das derzeit auffallend niedrige Provisionseinkommen des Klägers kann daher mehrere, auch kumulative Ursachen haben, nämlich die vom Erstgericht festgestellten Benachteiligungen (auf die noch zurückzukommen sein wird), einen verminderten Einsatz des Klägers und die Auswirkungen der langjährigen Freistellung des Klägers auf seinen Kundenstock.

Es ist naheliegend, daß die dem Kläger zur Erfüllung seiner

Obliegenheiten im Betrieb gewährte Freizeit im Ausmaß von

ca. 75 % (1989 sogar teilweise bis zu 90 %) der Normalarbeitszeit

seinen Verkaufserfolg nicht nur linear, sondern überproportional

beeinflussen kann, wurde doch festgestellt, daß er auch an jenen

Tagen, an denen er nach der Diensteinteilung im Verkaufslokal

anwesend ist, in Betriebsratsangelegenheiten (unvorhergesehen)

abberufen wird und nach ***** fahren muß, womit ein relativ

großer Zeitaufwand verbunden ist. Das kann immer wieder dazu

führen, daß auch solche Geschäfte, die er bereits weitgehend

vorbereitet hatte, dann doch von einem anderen Verkäufer

abgeschlossen werden müssen, der Kläger also pro verkaufte

Einheiten einen höheren Zeitaufwand als die übrigen Verkäufer

hat, was möglicherweise sein Gesamtverkaufsergebnis progressiv

verschlechtert hat. Es ist überhaupt fraglich, ob bei einem

derart hohen Ausmaß an Freizeitgewährung in der verbleibenden

Restarbeitszeit noch eine mit entsprechend intensiver

Kundenbetreuung verbundene PKW-Verkaufstätigkeit sinnvoll

ausgeführt werden kann.

Nicht ausgeschlossen werden kann aber auch, daß sich die Unterbrechung der seinerzeit erfolgreichen Verkäufertätigkeit des Klägers durch Freistellung von 1976 bis 1982 immer noch auf den Verkaufserfolg negativ auswirkt, weil er in dieser langen Zeitspanne vermutlich seinen gesamten Kundenstock an die anderen Verkäufer verloren hat und ein Wiederaufbau eines Kundenstocks bei einer Arbeitszeit von nur 25 % der Normalarbeitszeit (und weniger) schwer möglich erscheint. Derartige Auswirkungen auf das Provisionseinkommen wären sowohl eine nachwirkende Folge der seinerzeitigen gänzlichen Freistellung nach § 117 Abs 1 ArbVG, als auch der nunmehrigen Freizeitgewährung nach § 116 ArbVG; sie wären dem Kläger daher abzugelten.

Da die durch die Ausübung von Betriebsratsfunktionen hervorgerufene Minderung des Provisionseinkommens des Klägers mit seiner jahrelangen Freistellung zusammenhängen kann und die Minderung eines Provisionseinkommens bei Teilzeitbeschäftigung auch nicht linear zum Provisionseinkommen eines Vollbeschäftigten sein muß, ist die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Höhe der dem Kläger entgehenden Provisionseinkünfte lediglich auf der Grundlage seines derzeitigen tatsächlichen Prämienbezuges hochzurechnen sei, verfehlt. Grundsätzlich ist allerdings der Entgeltanspruch eines teilweise freigestellten Betriebsratsmitglieds - insbesondere bei festen Bezügen - auf der Grundlage seines sonstigen, aktuellen, für die geleistete Teilarbeitszeit zu gewährenden Entgelts zu bemessen; eines Rückgriffs auf das Einkommen vergleichbarer Arbeitnehmer und auf die weitere Entwicklung solcher Vergleichseinkommen (unter Zugrundelegung einer Durchschnittskarriere; vgl Arb 9.987 EA Wien; Cerny aaO 575) bedarf es in solchen Fällen, soweit nicht die Voraussetzungen des § 115 Abs 3 ArbVG vorliegen, nicht. Insofern ist auch ein geringerer Einsatz des Klägers bei der Erzielung von Provisionseinkommen entsprechend zu berücksichtigen.

Die vom Erstgericht festgestellten Benachteiligungen des Klägers beim Provisionsbezug (und allenfalls auch bei der Lage und Ausstattung seines Arbeitsplatzes) können mit der Tätigkeit des Klägers im Betriebsrat im Zusammenhang stehen. Sollte dies das Erstgericht als glaubhaft gemacht ansehen (worauf seine rechtliche Beurteilung hindeutet), wäre es Sache der Beklagten, glaubhaft zu machen, daß ein anderes Motiv mit höherer Wahrscheinlichkeit ausschlaggebend war (SZ 61/198 = RdW 1989, 230). Der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die vom Erstgericht festgestellten Umstände von vornherein keinen Hinweis auf eine Entgeltkürzungsabsicht oder eine Benachteiligung durch den Arbeitgeber erlauben, jedenfalls aber keine Benachteiligung aus einem mißbilligten Motiv vorliege, ist nicht zu folgen: Die zweite Instanz verkennt mit ihrer Meinung die Beweislastverteilung.

Soweit aber der Ausschluß des Klägers von den festgestellten Provisionsverdienstmöglichkeiten aus sachlichen Gründen, die mit seiner Freistellung zu 75 % zusammenhängen, gerechtfertigt wäre (- etwa weil die Betreuung von Großkunden die ständige Erreichbarkeit des betrauten Autoverkäufers erfordert, oder weil der Kläger wegen seiner weitgehenden Inanspruchnahme für Betriebsratsangelegenheiten Juniorverkäufer nicht einschulen kann und daher auch an den Provisionen nicht beteiligt wird -), läge zwar kein verpöntes Motiv iS des § 115 Abs 3 ArbVG vor; nach dem Ausfallprinzip des § 116 ArbVG wären aber derartige Einkommenseinbußen wiederum eine unmittelbare Folge der teilweisen Freistellung des Klägers und daher vom Arbeitgeber zu ersetzen. Soweit es um die Beurteilung solcher Ausfälle geht, ist daher vom letzten Provisionseinkommen des Klägers als vollbeschäftigter Autoverkäufer, im Falle einer mittlerweile alle Verkäufer betreffenden Änderung der wirtschaftlichen Gesamtsituation aber vom Provisionseinkommen vergleichbarer Arbeitnehmer auszugehen.

Soweit sich den einzelnen Gründen, die zur Verringerung des Provisionseinkommens des Klägers seit seiner Betriebsratstätigkeit geführt haben, keine genauen Beträge zuordnen lassen, wird das Erstgericht das, was dem Kläger nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge durch seine (teilweise) Freistellung an Verkaufsprovision entgangen ist, unter Anwendung des § 273 ZPO zu bestimmen haben.

Dem Rekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 52 ZPO. Da der Rekurs des Klägers zu einer Änderung der dem Erstgericht überbundenen Rechtsansicht geführt hat, waren die Kosten des Rekursverfahrens dem Ersturteil vorzubehalten.

Anmerkung

E25324

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:009OBA00001.91.0213.000

Dokumentnummer

JJT_19910213_OGH0002_009OBA00001_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten