TE OGH 1991/3/21 6Ob529/91

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Veröffentlicht am 21.03.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache betreffend Irene H*****, geboren am 23. Jänner 1972, vertreten durch die Mutter Elfriede H*****, diese vertreten durch *****, Rechtsanwälte in Wien, infolge Revisionsrekurses der Pflegebefohlenen gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Rekursgericht vom 9. Jänner 1991, GZ 1 R 168/90-44, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Langenlois vom 19. Juli 1990, GZ P 7/90-38, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden im Umfang des Abspruches über den Unterhaltserhöhungsantrag für die Zeit vom 1. Dezember 1986 bis 30. November 1989 aufgehoben. In diesem Umfang wird dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Irene H***** ist das eheliche Kind der Elfriede H***** und des Franz H*****. Seit der Scheidung der Ehe der Eltern im Jahr 1982 kommt die Obsorge der Mutter zu. Der Vater war seit 1. Februar 1983 zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von S 2.400 verpflichtet. Die Mutter beantragte am 1. Dezember 1989 namens des Kindes die Neufestsetzung der Unterhaltsverpflichtung des Vaters ab 1. Dezember 1989 mit monatlich S 3.500 sowie die rückwirkende Erhöhung des Unterhaltes seit 1. Jänner 1985 um mindestens S 574 monatlich, weil sich die Leistungsfähigkeit des Vaters durch Lohnerhöhungen und dienstrechtliche Beförderungen erhöht habe.

Der Vater erklärte sich mit einer Erhöhung der Unterhaltsleistung ab 1. Dezember 1989 auf S 3.500 monatlich einverstanden, sprach sich aber gegen eine rückwirkende Unterhaltserhöhung aus, welche, soweit sie für mehr als drei Jahre gefordert werde, verjährt sei, im übrigen aber die Mutter die erforderlichen Anträge früher hätte stellen können. Die Mutter gab an, der vom Vater geleistete Unterhaltsbetrag habe für den Unterhalt des Kindes, das nach Absolvierung des Gymnasiums nunmehr eine Handelsschule besuche, nicht ausgereicht, weshalb sie teilweise für dessen Unterhalt aufgekommen sei. Der Vater könne den vom Kind geforderten höheren Unterhaltsbetrag nach seinen Einkommensverhältnissen bezahlen.

Das Erstgericht setzte (rechtskräftig) die Unterhaltsverpflichtung des Vaters ab 1. Dezember 1989 in der beantragten und zugestandenen Höhe mit S 3.500 fest.

Mit Beschluß vom 19. Juli 1990 wies es den Antrag, den Vater rückwirkend zu einer gesetzlichen Unterhaltsleistung seit 1. Jänner 1985 von monatlich mindestens S 574 zu verpflichten, ab. Rechtlich führte es aus, Unterhaltsansprüche seien einer dreijährigen Verjährungsfrist unterworfen, sodaß die Ansprüche für die Zeit vom 1. Jänner 1985 bis 30. November 1986 jedenfalls verjährt seien. Für die übrige Zeit seit 1. Dezember 1986 sei das außerstreitige Verfahren unzulässig, weil die Mutter nach ihren Angaben für den Unterhalt des Kindes aufgekommen sei. Ein damit nur der Mutter zustehender allfälliger Anspruch nach § 1042 ABGB sei von dieser im streitigen Verfahren geltend zu machen.

Diese Entscheidung des Erstgerichtes blieb im Umfang der Abweisung des Erhöhungsantrages für die Zeit vom 1. Jänner 1985 bis 30. November 1986 unangefochten; sie wurde von der Mutter namens des Kindes nur in Ansehung des Zeitraumes vom 1. Dezember 1986 bis 30. November 1989 mit Rekurs bekämpft.

Das Rekursgericht gab diesem Rechtsmittel keine Folge. Es führte rechtlich aus, eine Erörterung der Frage, ob die Unterhaltsschuld des Vaters von einem Dritten (der Mutter) getilgt worden sei, sei nicht erforderlich, weil bei der Unterhaltsbemessung der Vertrauensschutz nicht unbeachtet bleiben könne. Eine Rechtsdurchsetzung, die gegen Treu und Glauben verstoße, könne nicht erfolgen. Weil der Vater durch einen Zeitraum von mehr als drei Jahren nicht in Anspruch genommen worden sei, ohne daß hiefür ein gerechtfertigter Grund erkennbar wäre, sei beim Unterhaltspflichtigen eine Vertrauenslage entstanden, die ihm nachträglich nicht entzogen werden könne. Der Vater habe keine für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Umstände, wie insbesondere die Höhe seines Einkommens, verschwiegen. Es sei auch nicht hervorgekommen, daß die Mutter als gesetzliche Vertreterin des Kindes aus von ihr nicht zu vertretenden Umständen keine Kenntnis von den verbesserten Einkommensverhältnissen des Vaters erlangen hätte können. Die durch das Untätigbleiben der Mutter beim unterhaltspflichtigen Vater entstandene Vertrauenslage sei damit schützenswert.

Weil dem Rekursgericht eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu dem hier vorliegenden Problem nicht bekannt sei, sei der ordentliche Revisionsrekurs zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

In seiner Entscheidung vom 9. Juni 1988 (verstärkter Senat, EvBl 1988/123 = JBl 1988, 586 = EFSlg 57.045/3) ist der Oberste Gerichtshof von der früher vertretenen Rechtsmeinung, Unterhalt könne nicht für die Vergangenheit gefordert werden, abgegangen und hat erkannt, daß Unterhaltsansprüche grundsätzlich auch für die Vergangenheit gestellt werden können und nur der Verjährung des § 1480 ABGB unterliegen. In dem konkret zu entscheidenden Fall nahm der Oberste Gerichtshof auch zu der Frage Stellung, wie sich Leistungen eines Dritten auf den Unterhaltsanspruch auswirken: Leiste ein Dritter in der Erwartung des Ersatzes vom Unterhaltsschuldner ohne Schenkungsabsicht den gesetzlichen Unterhalt, so sei der Anspruch des Unterhaltsberechtigten im Umfang der erbrachten Leistung durch Erfüllung getilgt. Dem Leistenden stehe gegen den Unterhaltsschuldner der Anspruch nach § 1042 ABGB zu. Die Schuldtilgung und der Forderungsübergang seien vom Unterhaltsbeklagten einzuwenden. Einen dann bestehenden ersten Anschein für das Zutreffen der Einwendung habe der Unterhaltsberechtigte zu entkräften.

Im vorliegenden Fall hat der Vater im außerstreitigen Verfahren über den Antrag des Kindes, ihn auch für vor der Antragstellung liegende Zeiträume zu einer zusätzlichen Unterhaltsleistung zu verhalten nur vorgebracht, die Mutter hätte die erforderlichen Anträge für eine Unterhaltserhöhung bereits früher stellen können, nicht aber, daß die Mutter fehlende Beträge in Erwartung eines Ersatzes durch ihn erbracht hätte.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung 3 Ob 606/90 ausführlich dargelegt hat, ist auch im außerstreitigen Verfahren die Frage, ob der vom Kind erhobene Unterhaltsanspruch gegen den Vater erloschen ist, weil die Mutter bereits in der Erwartung des Ersatzes vom Vater geleistet hat, nur zu untersuchen, wenn der Vater diesen Einwand erhebt oder sich sonst im Verfahren hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben. Solange der Oberste Gerichtshof daran festgehalten hatte, daß Unterhalt stets erst ab der gerichtlichen Geltendmachung zuerkannt werden könne und einen Zuspruch für vor der Geltendmachung liegende Zeiträume abgelehnt hatte, konnte ein an sich nach dem Gesetz zur Unterhaltsleistung Verpflichteter nur mehr im Wege des im Prozeß geltend zu machenden Anspruches des Dritten, der Unterhaltsleistungen an seiner Stelle erbracht hatte, herangezogen werden. Nur unter dieser Voraussetzung ist es verständlich, daß dem Dritten der Verpflichtungswille unterstellt wurde, den Schuldner zum Rückersatz zu verpflichten und diese Absicht zu vermuten war. Durch die Änderung der Rechtsprechung zum Unterhalt für die Vergangenheit ist dieser Vermutung aber dann der Boden entzogen, wenn Unterhaltsansprüche des Kindes noch geltend gemacht werden können. Der Dritte kann in der Absicht leisten, die Unterhaltspflicht des Schuldners zu erfüllen und ihm die Leistung zu schenken oder von ihm Ersatz einzuklagen. Im ersten Fall steht ihm kein, im zweiten Fall ein Anspruch nach § 1042 ABGB gegen den zur Leistung Verpflichteten zu. In beiden Fällen ist der Anspruch des Kindes, weil für den Schuldner geleistet wurde, durch Erfüllung erloschen. Der Dritte (die Mutter) kann aber nur nach § 1042 ABGB vorgehen, wenn der Unterhaltspflichtige von seiner Schuld befreit wurde. Der Anspruch kann nur entweder dem Kind oder dem Drittzahler zustehen. Verwendete aber die Mutter, wie dies im Familienverband naheliegt, Geld nicht zum Nutzen des unterhaltspflichtigen Vaters, sondern gleichsam vorschußweise für das ihrer Obsorge anvertraute Kind in der Absicht, dessen berechtigte Ansprüche nicht zum Erlöschen zu bringen und sich allenfalls nach Durchsetzung der unberührt gebliebenen Unterhaltsansprüche des Kindes Ausgleich zu verschaffen, so hat sie keinen Anspruch nach § 1042 ABGB gegen den Vater und dieser hat weiter an das Kind das Geschuldete zu leisten. Nur so ist in einer familienpolitisch vernünftigen Weise eine Lösung zu finden, der auch nicht entgegensteht, daß eine Darlehensgewährung der Mutter an das Kind ein Insichgeschäft mit dem gesetzlichen Vertreter des Kindes wäre, das nur unter besonderen Voraussetzungen und mit Genehmigung des Gerichtes gültig wäre, weil bei dem laufenden oder plötzlich eintretenden Bedarf des Kindes solche rechtliche Konstruktionen lebensfremd wären. Die Mutter kann nicht nur für das Kind leisten und sich vom Vater Ersatz holen wollen oder auf einen Ersatz verzichten und ihre Leistung dem Vater schenken, womit der Unterhaltsanspruch des Kindes gegen den Vater erloschen wäre, sondern insbesondere auch im Zuge der Versorgung des Kindes Beträge vorschießen, ohne für den Vater leisten und diesen entlasten zu wollen und ohne selbst Ersatz von ihm zu verlangen.

Da im vorliegenden Fall die Mutter selbst namens des Kindes den Antrag stellte, ist nur die letztgenannte Variante naheliegend, denn es ist nicht anzunehmen, daß die Mutter es auf sich nimmt, einen mit einem Kostenrisiko verbundenen Prozeß gegen den Vater führen zu wollen, um sich die aufgewendeten Mittel wieder zu beschaffen, wenn das Kind im Außerstreitverfahren seine berechtigten Ansprüche durchsetzen kann. Auch für den Vater ist es nachteiliger, wenn er einem Ersatzanspruch nach § 1042 ABGB ausgesetzt ist.

Daß die Mutter in der Zeit vor der Stellung des Erhöhungsantrages den fehlenden Unterhalt für das Kind zugeschossen hat, anstatt schon früher die Geltendmachung von Ansprüchen des Kindes auf höheren Unterhalt einzuleiten, stellt daher ohne weitere Anhaltspunkte für das Entstehen eines Anspruches nach § 1042 ABGB keinen Grund dar, dem Kind nicht auch für den vergangenen Zeitraum Unterhalt zuzuerkennen. Es kann auch keine Rede davon sein, daß der Unterhaltsschuldner durch das Unterbleiben der früheren Geltendmachung, wie das Rekursgericht meint, "in einer entstandenen Vertrauenslage zu schützen" wäre, denn die gesetzliche Unterhaltsschuld entsteht unmittelbar mit den Bedürfnissen des nicht selbsterhaltungsfähigen Kindes, das keine eigenen Einkünfte hat, und nicht erst durch deren gerichtliche Geltendmachung. Die Unterhaltsschuld ist eine Bringschuld, die der Unterhaltspflichtige dem Kind laufend zu erbringen hat. Kommt er seiner gesetzlichen Verpflichtung nicht, wie dies wie bei jeder anderen fälligen Schuld auch zu erwarten ist, aus eigenem nach und muß er dazu mit gerichtlicher Hilfe gezwungen werden, kann er sich innerhalb der Verjährungsfrist nicht auf eine durch seine eigene Säumnis entstandene "Vertrauenslage", also die Hoffnung, er werde nicht zur Einhaltung seiner gesetzlichen Verpflichtungen herangezogen, berufen.

Da Feststellungen und Verfahrensergebnisse über die Leistungsfähigkeit des Vaters im fraglichen Zeitraum (1. Dezember 1986 bis 30. November 1989), die eine abschließende Bemessung des Unterhaltes für diesen Zeitraum zuließen, fehlen, waren die Vorentscheidungen aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Anmerkung

E25710

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0060OB00529.91.0321.000

Dokumentnummer

JJT_19910321_OGH0002_0060OB00529_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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