TE OGH 1991/4/23 10ObS74/91

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.04.1991
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Anton Haschka (Arbeitgeber) und Johann Sallmutter (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rudolf L*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5.Dezember 1990, GZ 32 Rs 219/90-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 21.September 1990, GZ 16 Cgs 339/89-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 20.10.1967 geborene Kläger wurde bei einem Verkehrsunfall am 29.1.1988 schwer verletzt. Mit Bescheid vom 18.10.1989 gewährte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten eine für die Zeit vom 1.2.1989 bis 31.12.1990 zeitlich begrenzte Berufsunfähigkeitspension. In diesem Bescheid wurde weiters ausgesprochen, daß ein Hilflosenzuschuß nicht gebühre. Mit der gegen diesen Bescheid rechtzeitig erhobenen Klage begehrt der Kläger von der beklagten Partei die Leistung des Hilflosenzuschusses im gesetzlichen Ausmaß ab 1.2.1989. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Als Folge des Verkehrsunfalls vom Jänner 1988 ist die rechte Hüfte des Klägers versteift, das rechte Knie in der Beweglichkeit stark eingeschränkt und der rechte Vorfuß gefühllos. Der Kläger trägt einen Harn-Dauerkatheter, der vom Hausarzt in regelmäßigem Abstand gewechselt wird. Tagsüber befestigt der Kläger den Harnbeutel vor dem Schienbein am rechten Unterschenkel. Der Kläger ist mit dem links getragenen Stock und einer Orthese rechts ausreichend gut gehfähig, die Gangleistung ist aber beträchtlich eingeschränkt. Der Kläger wohnt im Familienverband in zwei eigenen Räumen, denen ein schmales Badezimmer angeschlossen ist. Die Toilette ist innen gelegen. Die Heizung erfolgt mit Holz; das Holzlager ist abre ebenso wie die Küche nur über den Hof erreichbar, der bei Nässe eine glitschige Erdoberfläche aufweist. Das nächste Kaufhaus ist etwa 200 m entfernt. Der Kläger kann sich ohne fremde Hilfe teilweise an- und auskleiden. Zum An- und Ausziehen von Socken, Schnürschuhen, der Hose und der Peronaeusschiene bedarf er wegen der in Fehlstellung komplett versteiften rechten Hüfte und der hochgradigen Bewegungseinschränkung der übrigen Beingelenke rechts fremder Hilfe. Der Kläger kann sich teilweise alleine waschen, jedoch nicht die unteren Extremitäten, er kann selbständig die Toilette aufsuchen, den Harnkatheter warten, sich einfache Mahlzeiten selbst zubereiten, alleine essen, kleine Mengen persönlicher Wäsche waschen, den Wohnraum oberflächlich säubern und Holz im Ofen nachlegen. Es ist ihm jedoch nicht möglich, selbständig ein Bad zu nehmen, Einkäufe zu tätigen, den Ofen zu warten und größere Mengen Brennmaterial bereitzulegen, die Wohnung gründlich zu säubern, die große Wäsche zu waschen und ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen. Der Kläger kann Speisen geringer Lasten in einem speziellen, mit einem Griff versehenen Geschirr von der Küche über den Hof zum Eßtisch tragen. Wegen eines Druckgeschwürs am Rist kann er die Einkaufsstrecke von 2 x 200 m nicht täglich zurücklegen, wohl aber einmal in der Woche. Dabei könnte er allerdings das Gewicht der für eine Woche benötigten Einkaufsmenge nicht tragen, weil er nur geringe, 3/4 kg nicht übersteigende Lasten tragen kann. Alle 8 bis 10 Tage muß der Kläger zum Wechsel des Dauerkatheters den Arzt aufsuchen.

Bei diesem Sachverhalt ging das Erstgericht davon aus, daß für die dem Kläger nicht mehr zumutbaren, dauernd wiederkehrenden lebensnotwendigen Verrichtungen ein Zeitaufwand einer dritten Person von höchstens 25 Stunden im Monat erforderlich sei. Für die fremde Hilfe beim An- und Auskleiden und beim Reinigen der unteren Extremitäten werde ein monatlicher Zeitaufwand von insgesamt 5 Stunden, für das Baden, das Großwäschewaschen, das gründliche Säubern der Wohnung und die Einkäufe je 4 Stunden, insgesamt also 16 Stunden und für die Ofenwartung und das Bereitlegen des Brennmaterials durchschnittlich 3 Stunden im Monat benötigt. Die für die notwendigen Dienstleistungen nach dem Lebenskreis des Pensionisten üblicherweise aufzuwendenden Kosten seien daher im Monatsdurchschnitt nicht so hoch wie der begehrte Hilflosenzuschuß, weshalb der Kläger nicht hilflos iS des § 105 a Abs.1 ASVG sei.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsgrund der Nichtigkeit (§ 503 Z 1 ZPO) liegt nicht vor. Nach Ansicht des Revisionswerbers ist das Ersturteil unüberprüfbar und deshalb nach § 477 Abs.1 Z 9 ZPO nichtig, weil es keine Feststellung jenes Betrages enthält, mit dem eine Hilfsperson stündlich zu entlohnen ist. Eine solche angebliche Nichtigkeit des Ersturteils wurde in der Berufung nicht gerügt, sie kann daher mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden (vgl. die Judikaturnachweise bei Stohanzl, JN und ZPO14 1096 E 3 zu § 503 ZPO). Auch nach Fasching (ZPR2 Rz 1905), auf den sich der Revisionswerber beruft, können Nichtigkeiten, die dem Urteil und dem Verfahren erster Instanz anhaften, mit Revision nur dann gerügt werden, wenn sie auch auf das Urteil oder das Verfahren vor dem Berufungsgericht wirken, zB wenn schon in erster Instanz eine Prozeßvoraussetzung fehlte oder ein Prozeßhindernis vorlag (vgl. SSV-NF 1/36). Dies trifft auf den in der Berufung nicht geltend gemachten und vom Berufungsgericht auch nicht von Amts wegen wahrgenommenen Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs.1 Z 9 ZPO nicht zu.

Auch der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) liegt nicht vor. Dem Revisionswerber ist zwar beizupflichten, daß das Erstgericht das Ausmaß der notwendigen Hilfeleistungen in Anwendung des § 273 ZPO festsetzte (SSV-NF 1/46 = SZ 60/223 und die seither ständige Rechtsprechung, besonders SSV-NF 3/72), weshalb das Ergebnis dieser Festsetzung nicht mit dem Berufungsgrund der unrichtigen Beweiswürdigung, sondern mit dem der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu bekämpfen war (Fasching aaO Rz 871; SSV-NF 3/72, weitere Judikaturnachweise bei Stohanzl aaO 734 E 5 zu § 273 ZPO) und daß die Berufung, in der die überschlagsmäßige Festsetzung der erforderlichen Hilfeleistungen mit Rechtsrüge bekämpft wurde, daher insoweit durchaus gesetzmäßig ausgeführt war.

Damit ist aber für den Revisionswerber nichts gewonnen, weil das Berufungsgericht - wenngleich es meinte, es sei bei der rechtlichen Beurteilung vom (unbekämpft) festgestellten Zeitaufwand von 25 Stunden auszugehen - die Behandlung der Rechtsrüge nicht gänzlich ablehnte, sondern ihr weiters entgegenhielt, unter Zugrundelegung eines Stundenlohnes von S 70,-- ergebe sich ein monatlicher Kostenaufwand von S 1.750,--, welcher Betrag weit unterhalb des Hilflosenzuschusses liege, weshalb ein solcher vom Erstgericht zutreffend nicht zugesprochen worden sei. Diese Begründung ist angesichts des Umfanges der Berufungsausführungen zwar äußerst kurz, aber doch gerade noch überprüfbar (vgl. SSV-NF 4/25). Das Berufungsgericht hat auch nicht gesagt, daß die Berufung keine dem Gesetz gemäß ausgeführte Rechtsrüge enthalte, sondern lediglich den allgemeinen Grundsatz wiedergegeben, daß eine Rechtsrüge nur dann gesetzmäßig ausgeführt sei, wenn sie vom festgestellten Sachverhalt ausgehe.

In seiner Rechtsrüge versucht der Revisionswerber darzulegen, daß der monatliche Hilfebedarf des Klägers nicht 25 Stunden, sondern wenigstens 66 Stunden ausmache, was bei Ansatz einer durchschnittlichen Entlohnung von S 80,-- pro Stunde einen monatlichen Kostenaufwand von mindestens S 5.280,-- ergebe. Diesen Ausführungen vermag der erkennende Senat nicht zu folgen.

Der vom Erstgericht für Hilfe beim An- und Auskleiden und bei der Körperreinigung angenommene Zeitaufwand von insgesamt 5 Stunden monatlich entspricht einer täglichen Hilfe von nur 10 Minuten und mag angesichts der Tatsache, daß der Kläger tägliche Hilfe zum An- und Ausziehen von Socken, Schnürschuhen, Hosen und der Peronaeusschiene und zum Reinigen der unteren Gliedmaßen bedarf, niedrig bemessen sein; selbst wenn man jedoch - den Einwänden des Revisionswerbers teilweise Rechnung tragend - diesen Zeitaufwand im doppelten Ausmaß annähme, würde sich im Gesamten kein anderes Ergebnis erzielen lassen, wie weiter unten auszuführen sein wird. Daß der Kläger auch tagsüber einen Kleidungswechsel vornehmen müßte, ist nicht festgestellt und ergibt sich auch nicht aus den Beweisergebnissen. Ein Zeitaufwand für notwendige Hilfe bei Einkäufen von 4 Stunden im Monat ist zwar ebenfalls niedrig bemessen, aber für den Kläger deshalb noch ausreichend, weil er einmal wöchentlich die erforderliche Einkaufsstrecke selbst zurücklegen und dabei Waren mit geringem Gewicht selbst einkaufen könnte. Was die lebensnotwendigen Arztbesuche betrifft, so kann für gehunfähige erkrankte Versicherte der Ersatz der Kosten für die Inanspruchnahme eines Taxis bzw. privaten Kraftfahrzeuges gewährt werden, wenn die medizinische Notwendigkeit eines solchen Transports ärztlich bescheinigt wird (§ 135 Abs.5 ASVG; SSV-NF 4/25). Andererseits führen Ärzte auch Hausbesuche durch, wenn dies im Einzelfall erforderlich ist. Für Hilfe bei der Ofenwartung ist der vom Erstgericht angenommene Zeitaufwand von durschnittlich 3 Stunden schon deshalb ausreichend, weil diese Ofenwartung nur während der Heizperiode erforderlich ist und der Kläger überdies nach den Feststellungen selbst Holz nachlegen kann.

Zusammenfassend ergibt sich zwar, daß die Einschätzung des Hilfebedarfes von den Vorinstanzen mit nur 25 Stunden bei lebensnaher Betrachtung angesichts der doch schwereren Behinderungen des Klägers etwas zu niedrig erfolgte und dieser Bedarf in entsprechender Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO mit durchschnittlich einer Stunde täglich, also rund 30 Stunden monatlich angenommen werden muß.

Damit ist aber für den Kläger nichts gewonnen, weil - entgegen den Revisionsausführungen - keine Bedenken gegen den vom Berufungsgericht mit 70 S angenommenen Stundenlohn für Hilfsdienste bestehen. Die für das Jahr 1989 (Stichtag 1.2.1989) geltenden Mindestlohntarife sehen für stundenweise beschäftigte und nicht in den Haushalt aufgenommene Haushaltshilfen einen Bruttostundenlohn von unter 50 S vor (so auch 10 Ob S 110/91). An die vom Revisionswerber genannte Empfehlung des Hauptverbandes zur Sicherstellung einer einheitlichen Vorgangsweise der Pensionsversicherungsträger bei der Beurteilung der Hilflosigkeit, wonach als Entlohnung der Hilfsperson für das Jahr 1989 ein Betrag von 80 S anzusetzen sei, sind die Sozialgerichte nicht gebunden. Bei einem Stundenlohn von 70 S ergibt sich im Fall des Klägers ein monatlicher Gesamtaufwand, der weit unter dem begehrten Hilflosenzuschuß liegt.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Anmerkung

E26065

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00074.91.0423.000

Dokumentnummer

JJT_19910423_OGH0002_010OBS00074_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten