TE OGH 1991/5/28 10ObS144/91

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Veröffentlicht am 28.05.1991
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Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Raimund Kabelka und Dr. Theodor Zeh (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Katharina M*****, vertreten durch Dr. Hans Pritz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei

SOZIALVERSICHERUNGSANSTALT DER GEWERBLICHEN WIRTSCHAFT

(Landesstelle Niederösterreich), 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Ausgleichszulage infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. März 1991, GZ 33 Rs 20/91-5, womit der Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom (richtig) 5. Dezember 1990, GZ 3 Cgs 344/90-2, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 8. 3. 1979 stellte die beklagte Partei die (bisher in der Höhe des Unterschiedes zwischen Pension und Richtsatz gewährte) Ausgleichszulage (zur Witwenpension) der Klägerin vom 1. 9. 1978 an mit 628,80 S monatlich und vom 1. 1. 1979 an mit 684,70 S monatlich neu fest und forderte einen Überbezug (an Ausgleichszulage) von 2.165,90 S zurück, weil sie Einkommen aus einem im Jahre 1978 übergebenen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb und eine diesbezügliche Meldepflichtverletzung annahm.

Dagegen erhob die Klägerin beim damaligen Schiedsgericht der Sozialversicherung für Niederösterreich in Wien zu 11 C 86/79 rechtzeitig Klage, in der sie weitere Einkünfte und eine Meldepflichtverletzung bestritt und vom 1. 9. 1978 an eine Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß "ohne Anrechnung des Einheitswertes eines Grundbesitzes" sowie die Abstandnahme von der Rückforderung des angenommenen Überbezuges begehrte.

Die beklagte Partei erklärte sich in den Einwendungen insoweit vergleichsbereit, daß ab 1. 9. 1978 nur positive Einkünfte iS des § 89 Abs 3 GSPVG bzw des § 149 Abs 3 GSVG aus dem Übergabsvertrag vom 29. 8. 1978 berücksichtigt werden, und zwar für Ausgedingsleistungen (Wohnrecht) vom 1. 9. 1978 an 124,50 S und vom 1. 1. 1979 an 138 S. Die Überbezugsrückforderung würde nicht mehr aufrechterhalten. Für den Fall, daß das Klagebegehren als über dieses Vergleichsanbot hinausgehend zu verstehen wäre, wurde die Abweisung des (Mehr)Begehrens beantragt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem genannten Schiedsgericht vom 5. 9. 1979, bei der die Klägerin durch einen von ihr mit einer nicht beschränkten Prozeßvollmacht iS der §§ 31 ff ZPO bevollmächtigten, nach dem damals geltenden § 386 Abs 1 Z 3 ASVG zur Vertretung zugelassenen Referenten der Handelskammer Niederösterreich vertreten wurde, schlossen die Parteien folgenden, vollschriftlich in das Verhandlungsprotokoll eingetragenen, von ihnen, dem Vorsitzenden und der Schriftführerin unterschriebenen Vergleich: "Die beklagte Partei verpflichtet sich (,) von der Rückforderung eines Überbezuges in der Höhe von S 2.165,90 Abstand zu nehmen und der klagenden Partei ab 1. 9. 1978 eine Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß lediglich unter Anrechnung eines Wohnrechtes zu gewähren.

Durchführungsfrist: 6 Wochen".

Mit Bescheid vom 14. 3. 1990 stellte die beklagte Partei die Ausgleichszulage der Klägerin vom 1. 1. 1990 an mit 1.716,50 S nach § 153 (Abs 3) GSVG neu fest, wobei sie das im Übergabsvertrag vom 29. 8. 1978 vereinbarte Wohnrecht (nach § 149 Abs 3 GSVG als Sachbezug) mit 231,40 S berücksichtigte.

In der dagegen rechtzeitig erhobenen Klage behauptet die Klägerin, daß die Berücksichtigung von Einkünften aus diesem "Wohnrecht" gesetzwidrig sei, weil sie die von ihr schon vor dem Übergabsvertrag als Wohnung benützten Räume, die rund ein Drittel aller Räumlichkeiten ausmachten, seit der Übergabe als Eigentümerin des nicht übergebenen Drittelanteils weiterbenütze. Sie habe alle diesbezüglichen Kosten zu tragen und daher keinen auf die Ausgleichszulage anrechenbaren Vorteil aus dem sogenannten "Wohnrecht". Deshalb sei auch der am 5. 9. 1979 vor dem seinerzeitigen Schiedsgericht der Sozialversicherung für Niederösterreich in Wien zu 11 C 86/79 geschlossene Vergleich wegen Verstoßes gegen zwingende Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes rechtswidrig und daher unzulässig gewesen, weshalb ihm keine streitbeendende Wirkung zukomme. Die Klägerin beantragt daher 1. die Fortsetzung des genannten schiedsgerichtlichen Verfahrens und 2. die Verbindung dieses fortgesetzten Verfahrens mit dem durch die Klage gegen den Bescheid der beklagten Partei vom 14. 3. 1990 eingeleiteten Sozialrechtsverfahren. Weiters begehrt sie das Urteil, die beklagte Partei sei schuldig, ihr vom 1. 9. 1978 an eine Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß ohne Anrechnung weiterer Einkünfte zu gewähren, von der Rückforderung eines Überbezuges von 2.165,90 S Abstand zu nehmen und ihr die bereits fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen zu zahlen.

Das Erstgericht wies den Fortsetzungs- und Verbindungsantrag mit der Begründung zurück, daß das seinerzeitige schiedsgerichtliche Verfahren durch einen gerichtlichen Vergleich beendet worden sei. Dieser Vergleich sei hinsichtlich seiner prozeßbeendenden Wirkung nur aus der Sicht des Prozeßrechtes, hinsichtlich des Zustandekommens eines gültigen Rechtsgeschäftes nur aus der Sicht des materiellen Rechtes zu beurteilen. Der Fortsetzungsantrag als rein prozessuales Mittel sei daher für die Bekämpfung der materiellrechtlichen Wirkung eines gerichtlichen Vergleiches nicht geeignet.

Dagegen richtete sich der auf Stattgebung der vom Erstgericht zurückgewiesenen Anträge gerichtete Rekurs der Klägerin mit der Begründung, daß der vor dem Schiedsgericht geschlossene Vergleich wegen Verstoßes gegen zwingende Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes rechtswidrig und unzulässig gewesen sei und daher keine prozeßbeendende Wirkung habe.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs nicht Folge.

Ein gerichtlicher Vergleich könne aus materiellrechtlichen und prozessualen Gründen unwirksam sein. Warum die Berücksichtigung eines Wohnrechts bei der Berechnung der Ausgleichszulage unzulässig sein solle, sei insbesondere im Hinblick auf die §§ 89 GSPVG und 149 GSVG unerfindlich. Nur wenn ein Vergleich aus prozessualen Gründen, zB wegen Partei- oder Prozeßunfähigkeit, Mangels der gesetzlichen Vertretung oder einer allenfalls erforderlichen besonderen Ermächtigung, Mitwirkung eines ausgeschlossenen oder rechtskräftig abgelehnten Richters, rechtskräftiger Entscheidung über den zu vergleichenden Anspruch, unwirksam sei, wäre ihm die prozeßbeendende Wirkung abzusprechen und würde ein Fortsetzungsantrag genügen. Solche Gründe seien von der Klägerin nicht behauptet worden und auch nicht aus der Aktenlage ersichtlich.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß iS der Stattgebung des Fortsetzungsantrages abzuändern.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel ist nicht berechtigt.

Das seinerzeitige Verfahren vor dem Schiedsgericht der Sozialversicherung für Niederösterreich in Wien wurde über eine Leistungssache nach § 354 Z 1 ASVG (Feststellung des Bestandes und Umfanges des Anspruchs der Klägerin auf Ausgleichszulage vom 1. 9. 1978 an) und über eine Leistungssache nach Z 2 leg cit (Feststellung der Verpflichtung der Klägerin zum Rückersatz eines angeblich zu Unrecht empfangenen Ausgleichszulagenbetrages von 2.165,90 S) geführt.

Im Verfahren über eine Leistungssache nach § 354 Z 1 ASVG konnte die Klage nach dem bis 31. 12. 1986 geltenden § 385 Abs 1 leg cit auch ohne Zustimmung der beklagten Partei bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung zurückgenommen werden.

Nach dem bis 31. 12. 1986 geltenden § 395 Abs 1 ASVG waren zur Vollstreckung ua der vor dem Schiedsgericht abgeschlossenen Vergleiche die ordentlichen Gerichte berufen.

Nach dem bis 31. 12. 1986 geltenden § 396 Abs 1 ASVG waren, soweit das Verfahren vor den Schiedsgerichten nicht durch Bestimmungen dieses Bundesgesetzes geregelt war, ergänzend die im Verfahren vor den Bezirksgerichten geltenden Vorschriften der ZPO mit Ausnahme der Bestimmungen über das Ruhen des Verfahrens, über die Gerichtsferien, über die Möglichkeit der Abhaltung einer ersten Tagsatzung, über Urteile in Versäumnisfällen und über das Verfahren in Bagatellsachen anzuwenden.

Zu den im Verfahren vor den Bezirksgerichten geltenden Vorschriften der ZPO zählen ua die §§ 204 bis 206 im Vierten Titel (Vergleich) des Dritten Abschnittes (Mündliche Verhandlung) des Ersten Teiles (Allgemeine Bestimmungen).

Nach § 204 Abs 1 ZPO konnten daher schon die Schiedsgerichte der Sozialversicherung bei der mündlichen Verhandlung in jeder Lage der Sache auf Antrag oder von Amts wegen eine gütliche Beilegung des Rechtsstreites oder die Herbeiführung eines Vergleiches über einzelne Streitpunkte versuchen. Kam ein Vergleich zustande, so war dessen Inhalt auf Antrag ins Verhandlungsprotokoll einzutragen.

Im Hinblick auf die dargestellte klare Rechtslage vertritt der erkennende Senat - entgegen der im AB zu § 75 Abs 3 ASGG und bei Feitzinger-Tades, ASGG FN 5 zu § 75, Kuderna, ASGG § 75 Erl 4, Fasching in Tomandl, SV-System 3. ErgLfg 728/18 beispielsweise zit Rsp des Oberlandesgerichtes Wien als bis 31. 12. 1986 letzter Instanz in Leistungsstreitsachen - die Meinung, daß schon vor den seinerzeitigen Schiedsgerichten der SV Vergleiche ohne die von der zit Rsp des Oberlandesgerichtes Wien getroffenen Einschränkungen die von der Lehre mehrfach abgelehnt wurden (vgl die diesbezüglichen Zitate bei Kuderna und Fasching aaO) rechtswirksam geschlossen werden konnten.

Durch § 75 Abs 3 ASGG, nach dem Rechtsstreitigkeiten im Umfang des Klagebegehrens durch gerichtlichen Vergleich ganz oder teilweise beigelegt werden können, wurde die - nicht durch die Gesetzeslage sondern durch die einschränkende Rsp des Oberlandesgerichtes Wien über die Zulässigkeit eines Vergleiches in Leistungsstreitsachen entstandene Rechtsunsicherheit behoben und klargestellt, daß nicht zu prüfen ist, ob der Vergleich "gegen zwingende Bestimmungen des Leistungsrechts" verstößt (Feitzinger-Tades, Kuderna und Fasching, jeweils aaO). Zur Frage, ob und inwieweit die den Gegenstand von Sozialrechtssachen bildenden Ansprüche während des gerichtlichen Verfahrens parteiendisponibel sind, wird auf die Ausführungen Faschings in Tomandl, SV-System 3. ErgLfg 728/18f vorletzter und letzter Absatz hingewiesen.

Dem Rekursgericht ist daher darin zuzustimmen, daß von einer prozessualen Unwirksamkeit des von den Parteien am 5. 9. 1979 vor dem seinerzeitigen Schiedsgericht der Sozialversicherung für Niederösterreich in Wien zu 11 C 86/79 geschlossenen Vergleiches - eine materielle Unwirksamkeit darf im Verfahren über einen Fortsetzungsantrag nicht geprüft werden (vgl Fasching II 968 und ZPR2 Rz 1363 jeweils mwN) - keine Rede sein kann.

Dieser Rechtsstreit wurde daher durch diesen wirksamen Vergleich iS des § 204 Abs 1 ZPO "gütlich beigelegt" und damit beendet. Schon deshalb wurde dem mit der Unwirksamkeit dieses Vergleiches begründeten Fortsetzungsantrag der Klägerin mit Recht nicht entsprochen (siehe auch 15. 10. 1986 EvBl 1987/51 = JBl 1987, 122 = SZ 59/170).

Dem Revisionsrekurs war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Anmerkung

E27222

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00144.91.0528.000

Dokumentnummer

JJT_19910528_OGH0002_010OBS00144_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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