TE OGH 1991/5/29 9ObA67/91

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Veröffentlicht am 29.05.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Scheuch und Eduard Giffinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J*****

P***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch *****Rechtsanwalt*****, wider die beklagte Partei ***** S*****, Wirtschaftstreuhandgesellschaft KG, ***** vertreten durch *****Rechtsanwalt*****, wegen S 27.981,13 sA, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Jänner 1991, GZ 8 Ra 8/91-8, womit der Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. Dezember 1990, GZ 35 Cga 152/90-5, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten des Revisionsrekursverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit der gegen die Beklagte "zu Handen Herrn ***** S*****, G*****, Naglergasse 44", gerichteten Drittschuldnerklage begehrt die Klägerin die Zahlung eines Betrages von S 27.981,13 sA, da die Beklagte weder eine Drittschuldneräußerung erstattet noch Überweisungen vom Lohn ihrer Arbeitnehmerin H***** T***** vorgenommen habe. Der vom Erstgericht erlassene Zahlungsbefehl wurde der Beklagten "zu Handen ***** S*****, G*****, Naglergasse 44", am 29. August 1990 durch Hinterlegung zugestellt. Die Sendung wurde nicht behoben. Am 20. September 1990 bestätigte das Erstgericht die Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls und bewilligte am 8. Oktober 1990 die von der Klägerin beantragte Fahrnisexekution.

Mit Antrag von 18. Dezember 1990 beantragte die Beklagte die Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit und die neuerliche Zustellung des Zahlungsbefehls. Die Beklagte habe ihren Sitz und ihre Kanzlei in G*****, Strauchergasse 16; unter der Anschrift G*****, Naglergasse 44, wohne lediglich der "Geschäftsführer" der Beklagten, ***** S*****. Da die Beklagte eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person sei, hätte ihr gemäß § 13 Abs 4 ZustG nur in der Kanzlei zugestellt werden dürfen.

Das Erstgericht wies diese Anträge ab. Es vertrat die Rechtsansicht, daß an den Vertreter einer juristischen Person, als der auch ein Geschäftsführer einer Kommanditgesellschaft anzusehen sei, unter der Wohnanschrift wirksam zugestellt werden könne.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Bestimmung des § 13 Abs 4 ZustG die Zustellung an die dort genannten Personen nur insoweit regle, als diese in ihrer Funktion als Parteienvertreter tätig werden. Die gegenständliche Zustellung an die Beklagte sei aber in eigener Sache erfolgt. Der von der Beklagten selbst als "Geschäftsführer" bezeichnete ***** S***** sei als Vertreter der beklagten Kommanditgesellschaft für die Zustellung an diese als Empfänger im formellen Sinn anzusehen. Die Zustellung des Zahlungsbefehls sei somit gemäß § 4 ZustG wirksam in der Wohnung als Abgabestelle erfolgt. Daß die Voraussetzungen für eine Hinterlegung der Sendung nicht vorgelegen seien, sei von der Beklagten weder behauptet worden noch biete der Akteninhalt dafür einen Anhaltspunkt.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne ihrer beim Erstgericht gestellten Anträge.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Gemäß § 13 Abs 3 ZustG ist die Sendung einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen, wenn der Empfänger keine natürliche Person ist. Wer dieser befugte Vertreter ist, richtet sich nach den die Organisation der juristischen Person regelnden Vorschriften. Auch wenn eine Kommanditgesellschaft keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt (vgl. Kastner-Doralt-Nowotny, Grundriß des österreichischen Gesellschaftsrechts5 143; Koppensteiner in Straube, HGB-Komm. § 161 Rz 4 jeweils mwH), stellt sie, die nach § 161 Abs 2 und § 124 Abs 1 HGB unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, vor Gericht klagen und geklagt werden kann, eine Person vor (SZ 59/138). Für sie ist somit jeder zur Vertretung befugte Gesellschafter als ein zur Empfangnahme befugter Vertreter anzusehen (Walter-Mayer, Das österreichische Zustellrecht, § 13 ZustG Anm. 17). Dies trifft auf den Adressaten der Sendung, ***** S*****, der persönlich haftender Gesellschafter der beklagten Kommanditgesellschaft ist, jedenfalls zu (vgl. Kastner aaO, 148 mwH).

Die Regelung des § 13 Abs 3 ZustG geht der Regelung des § 4 ZustG insofern voraus, als jene überhaupt erst festlegt, wer bei nicht natürlichen Personen formeller Empfänger, also die physische Person ist, für welche die Sendung bestimmt ist. Der Regelung des § 4 ZustG ist hingegen zu entnehmen, an welchen Orten an den damit bereits festgelegten Zustellempfänger zugestellt werden darf. Erst dieser Empfänger bestimmt die in Betracht kommenden Abgabestellen (vgl. Walter-Mayer aaO § 13 Anm. 2 und 3; RZ 1990/125).

Als Abgabestelle, an der die Sendung des Empfängers zugestellt werden darf, kommt gemäß § 4 ZustG die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum und die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers in Betracht. Diese Abgabestellen stehen in keiner Rangordnung; die Partei, auf deren Antrag die Zustellung erfolgt, sonst das Gericht, kann eine von ihnen auswählen (Walter-Mayer aaO § 4 Anm. 5 d; dieselben, Grundriß des Österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts4 Rz 205; Fasching, Kommentar II 584 Anm. 6 ua). Diese Wahlmöglichkeit erfährt durch die Bestimmung des § 13 Abs 4 ZustG insoferne eine Einschränkung, als dann, wenn der Empfänger eine "zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person" ist, die Sendung in deren Kanzlei zuzustellen ist und an jeden dort anwesenden Angestellten des "Parteienvertreters" zugestellt werden darf.

Die Regelung des § 13 Abs 4 ZustG hat aber entgegen der Ansicht der Rekurswerberin nicht zwangsläufig zur Folge, daß einer zur "berufsmäßigen Parteienvertretung befugten Person" ohne jegliche Differenzierung stets in ihrer Kanzlei zugestellt werden muß. Soweit darunter auch persönliche und nicht die Klienten betreffende Sendungen fielen, könnte dies allenfalls auch ihrer Interessenlage (insbesondere auf Datenschutz) widersprechen. Das gegenständliche Zustellgebot ist daher teleologisch darauf zu reduzieren, daß die Kanzlei nur dann als ausschließliche Abgabestelle anzusehen ist, wenn der Empfänger "eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person ist" und wenn er auch als solche einschreitet (vgl. Walter-Mayer, Das österreichische Zustellrecht § 4 ZustG Anm. 5 e mwH). Ein solches Verständnis ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des § 13 Abs 4 ZustG, in dem wiederholt auf die Funktion des "Parteienvertreters" verwiesen wird, sondern auch daraus, daß die in Frage stehenden Regelungen des Zustellgesetzes den Grundsätzen folgen, die vorher unter anderem im § 22 AVG und § 101 ZPO enthalten waren (162 BlgNR 15. GP 9 und 11). Nach § 22 Abs 1 AVG hatte die Zustellung bei Anwälten und Notaren in deren Kanzlei zu erfolgen (ebenso § 101 Abs 1 ZPO). Zu § 22 Abs 1 AVG wurde die Rechtsauffassung vertreten, daß bei diesen berufsmäßigen Parteienvertretern die Kanzlei als der ausschließliche Zustellungsort angesehen werden müsse; dies freilich nur unter der Voraussetzung, daß es sich um eine Zustellung in einer Angelegenheit handle, in der sie als Bevollmächtigte von Parteien und nicht etwa selbst als Partei in Betracht komme (Hellbling, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen I 178 f mwH). Fasching (Kommentar II 584) verweist darauf, daß etwa ein bestellter Substitut (im Sinne des § 147 der PostO) die Annahme jener Schriftstücke verweigern durfte, bei denen aus den Umständen zu entnehmen war, daß sich ihr Inhalt nicht auf die berufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt oder Notar bezog (MGA ZPO13 § 101 Anm. 1). Dieses differenzierende Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. April 1989 (AnwBl 1989, 753), wonach die Bestimmung des § 13 Abs 4 ZustG auch dann "zum Tragen komme", wenn der Adressat des zuzustellenden Schriftstückes der Rechtsanwalt persönlich und nicht in seiner Eigenschaft als Parteienvertreter sei, da die Kanzlei des Empfängers ohnehin eine Abgabestelle im Sinne des § 4 ZustG ist und die Wirksamkeit eines in dieser Entscheidung geprüften Zustellvorganges nach § 13 Abs 4 ZustG nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 50 und 40 ZPO begründet.

Anmerkung

E27188

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:009OBA00067.91.0529.000

Dokumentnummer

JJT_19910529_OGH0002_009OBA00067_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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