TE OGH 1991/6/26 2Ob25/91

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Veröffentlicht am 26.06.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch, Dr.Zehetner, Dr.Schwarz und Dr.Schinko als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** Gesellschaft mbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr.Werner Neuhauser, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Otto Schuhmeister, Dr.Rolf Schuhmeister und Dr.Walter Schuhmeister, Rechtsanwälte in Schwechat, wegen 56.955 S sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 15. Jänner 1991, GZ 12 R 229/90-37, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 6. Juni 1990, GZ 22 Cg 739/88-32, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt wird. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen an Kosten des Berufungsverfahrens den Betrag von 3.396,60 S (darin 566,10 S an Umsatzsteuer) und an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von 9.077 S (darin 5.000 S an Barauslagen und 679,50 S an Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 12.Jänner 1988 ereignete sich im Gemeindegebiet von Schabs in Südtirol ein Verkehrsunfall, an dem der bei der Beklagten haftpflichtversicherte, von Ludwig N***** gelenkte LKW-Zug der Marke Scania 112 mit dem (österreichischen) polizeilichen Kennzeichen O 377.428 und der von Johann R***** gelenkte, von der klagenden Gesellschaft gehaltene LKW Marke Mercedes 307 (Kastenwagen) mit dem (österreichischen) polizeilichen Kennzeichen W 786.553 beteiligt waren.

Mit der vorliegenden Klage begehrte die klagende Gesellschaft von der beklagten Haftpflichtversicherung nach Einschränkung des Klagebegehrens die Zahlung von 56.955 S sA (22.560 S aus dem Titel des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall und 34.395 S als Inkassozessionar hinsichtlich des ihrem Kaskoversicherer aus dem Kaskoversicherungsteilungsabkommen zustehenden Ersatzanspruches gegen die Beklagte). Der Lenker ihres Wagens sei unverschuldet in den Verkehrsunfall verwickelt worden.

Die Beklagte stellte das Klagebegehren letztlich der Höhe nach außer Streit, beantragte jedoch dessen Abweisung, weil den Lenker des Fahrzeuges der klagenden Partei ein Mitverschulden von einem Drittel treffe und dieser Schaden von der Kaskoversicherung bereits ersetzt worden sei. Schließlich erhob die Beklagte noch den Einwand der mangelnden Passivlegitimation; aus diesem Verkehrsunfall, der sich unter Beteiligung eines Versicherungsnehmers der beklagten Partei im Ausland ereignet habe, könne sie nicht (direkt) in Anspruch genommen werden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Im Verfahren habe sich zweifelsfrei das Alleinverschulden des Lenkers des bei der Beklagten versicherten LKW-Zuges an dem Unfall ergeben. Da an dem Unfall zwei österreichische Fahrzeuge beteiligt gewesen seien und in einem solchen Fall der Haftpflichtversicherer zweifellos direkt in Anspruch genommen werden könne, gehe auch der Einwand der mangelnden Passivlegitimation ins Leere.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im Sinne der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens ab, wobei es die ordentliche Revision für zulässig erklärte.

Bei Beurteilung der Frage, ob die Beklagte als Haftpflichtversicherer passiv klagelegitimiert sei, sei von den Bestimmungen des KHVG 1987 auszugehen. Nach der im Hinblick auf den Unfall im Ausland anzuwendenden Bestimmung des § 2 Abs 1 KHVG bestehe mangels Anwendbarkeit des VI. Hauptstückes dieses Gesetzes bei einem Unfall eines in Österreich zugelassenen Kraftfahrzeuges im Ausland kein direktes Klagerecht gegen den österreichischen Haftpflichtversicherer. Die Zulassung der ordentlichen Revision begründete das Berufungsgericht mit dem Fehlen einer höchstgerichtlichen Entscheidung zur Frage des direkten Klagerechtes im Sinne des § 22 KHVG unter den gegebenen Voraussetzungen.

Gegen dieses Urteil des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO gestützte Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, das Urteil des Oberlandesgerichtes im Sinne der Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt und die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens angeregt; in letzter Linie wird schließlich die Abänderung des Urteiles des Berufungsgerichtes im Kostenpunkt begehrt.

Die beklagte Partei beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer Revision wendet sich die Klägerin gegen die Ablehnung eines direkten Klagerechtes gegenüber der Beklagten als Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten LKW-Zuges durch das Berufungsgericht.

Vor Eingehen in die dazu erstatteten Revisionsausführungen sind im Rahmen der durch die gehörig ausgeführte Rechtsrüge ausgelösten Pflicht zur allseitigen Rechtsprüfung die wegen des im Ausland gelegenen Unfallsortes bedeutsamen kollisionsrechtlichen Fragen zu beantworten. Ungeachtet dieser Auslandsberührung des zur Entscheidung gestellten Anspruches haben sich die Vorinstanzen nicht mit der Frage befaßt, ob überhaupt die Voraussetzungen für die Anwendung der von ihnen tatsächlich herangezogenen Bestimmungen des materiellen österreichischen Privatrechtes vorliegen.

Bei der nach dem inländischen Kollisionsrecht vorzunehmenden, dem Auffinden der für den konkreten Fall passenden Kollisionsnorm dienenden "primären Qualifikation" ist davon auszugehen, daß die Klägerin zwei Ansprüche geltend macht; zum einen den Ersatz des ihr selbst bei dem Verkehrsunfall entstandenen Schadens, zum anderen den ihrem Kaskoversicherer aus der Spitzenklausel des Kaskoversicherungsteilungsabkommens gegen die Beklagte - unbestrittenermaßen (vgl AS 14 dA) - zustehenden ihr zum Inkasso abgetretenen Ersatzanspruch. Im sogenannten Teilungsabkommen sind die österreichischen Kraftfahrhaftpflichtversicherer und die Kaskoversicherer übereingekommen, unter bestimmten im Abkommen genannten Voraussetzungen bis zu einem bestimmten Betrag (derzeit 120.000 S) den Schaden zu teilen. Übersteigt die vom Kaskoversicherer erbrachte Entschädigungsleistung den Spitzenbetrag, bleibt es dem Kaskoversicherer überlassen, hinsichtlich des 120.000 S übersteigenden Mehrbetrages Regreßansprüche außerhalb des Abkommens gemäß der Sach- und Rechtslage zu verfolgen (§ 4 des Teilungsabkommens). Diesen Regreßanspruch aus der sogenannten Spitzenklausel macht die Klägerin hier geltend. Da beide Klageansprüche aus demselben Haftungstatbestand abgeleitet werden, sind sie für die Frage der Zulässigkeit der Revision zusammenzurechnen (§ 55 JN), weshalb das Berufungsgericht mit Recht über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision (§ 502 Abs 1 ZPO) abgesprochen hat.

Für die Frage des Bestehens eines Direktanspruches zur Geltendmachung außervertraglicher zivilrechtlicher Haftung aus Straßenverkehrsunfällen ist die als Spezialregelung für Straßenverkehrsunfälle, die allgemeine Anknüpfung des § 48 Abs 1 IPRG verdrängende, von Beziehungen zu anderen Vertragsstaaten unabhängige Regelung des Haager Straßenverkehrsabkommens (BGBl 1975/387) maßgebend (Duchek-Schwind, IPR, Anm 15 zu Art 11 Haager Straßenverkehrsübereinkommen und Anm 1 zu § 48 IPRG; Schwimann in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 48 IPRG; derselbe, Problem des Haager Straßenverkehrsabkommens, ZVR 1978, 162; ZVR 1989/79). Nach Art 9 dieses Übereinkommens richtet sich die Frage, ob ein unmittelbares Klagerecht besteht, nach dem sonst auf die Haftung anzuwendenden Recht. Ist dieses ein anderes als das Recht des Unfallsortes und sieht es das unmittelbare Klagerecht nicht vor, so wird dieses dem Opfer dennoch gewährt, wenn es im Recht des Unfallsortes vorgesehen ist. Kennt auch das Recht des Unfallsortes das unmittelbare Klagerecht nicht, so kann es das Opfer doch in Anspruch nehmen, wenn es in dem Recht, dem der Versicherungsvertrag unterliegt, vorgesehen ist. Es handelt sich hier um eine nicht wahlweise, sondern subsidiär aufgebaute "favor"-Bestimmung, die eine größtmögliche Begünstigung der Opfer von Verkehrsunfällen bei der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen bezweckt (Reishofer, Das Haager Straßenverkehrsübereinkommen - Gesetzgebungsvorhaben, ZVR 1977, 37).

Da sich der Verkehrsunfall auf italienischem Hoheitsgebiet ereignet hat und daran nur zwei Kraftfahrzeuge beteiligt waren, die im selben Staat, nämlich in Österreich, zugelassen waren, ist der klagenden Partei ein unmittelbares Klagerecht gegen den Versicherer des Haftpflichtigen dann einzuräumen, wenn ein solches nach den zufolge der Ausnahmebestimmung des Art 4 lit b und a des Übereinkommens als Recht des Zulassungsstaates oder als für den Versicherungsvertrag maßgebenden anzuwendenden österreichischen Sachrecht oder nach italienischem Recht als dem Recht des Unfallsortes vorgesehen ist. Art 18 des Gesetzes vom 24.12.1969, Nr 990, über die Pflichtversicherung gegen Haftpflicht aus dem Verkehr von Motor- und Wasserfahrzeugen räumt dem Geschädigten die Direktklage (azione diretta) gegen den Versicherer ein. Darüber hinaus sieht auch Art 1917 Codice civile ein direktes Klagerecht des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer für den Fall vor, als der Versicherte die direkte Zahlung des Haftpflichtversicherers verlangt. Steht somit dem Geschädigten nach italienischem Recht ein direktes Klagerecht gegen den Haftpflichtversicherer zu, so braucht auf die Frage, ob es auch bei der Erstreckung des Versicherungsschutzes auf das Ausland um eine freiwillige Versicherung im Sinne des § 2 Abs 1 KHVG handelt und ein direktes Klagerecht nach dem VI. Abschnitt des KHVG nicht besteht, nicht mehr eingegangen zu werden. Der auf diese Bestimmung gestützte Einwand der mangelnden Passivlegitimation erweist sich somit als unberechtigt.

Da im übrigen beide in der Klage geltend gemachten Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach nicht mehr strittig sind, erweist sich die Revision im Sinne der Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung als berechtigt.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zudem auf § 50 ZPO.

Anmerkung

E26171

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0020OB00025.91.0626.000

Dokumentnummer

JJT_19910626_OGH0002_0020OB00025_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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